Beiträge von Redaktion

https://menschenhandelheute.wordpress.com

Die Kunst des Möglichen: Die Herstellung von Filmen über Sexarbeit, Migration und Menschenhandel

Autorin: Sine Plambech
Dieser Text ist eine Übersetzung eines Textes, der zuerst im anti-trafficking review veröffentlicht wurde.
() = Die Zahlen in Klammern verweisen auf die Endnoten/Quellen am Ende des Textes.

Abstract

Spiel- und Dokumentarfilme bringen die Themen Migration in der Sexarbeit und Menschenhandel zunehmend auf die große Leinwand. Im Mittelpunkt dieser Filme stehen häufig Frauen, die in der Sexindustrie eine Reihe missbräuchlicher Arbeitsbedingungen erlebt haben. Diese Erfahrungen werden in den Filmen in der Regel als „Menschenhandel“ bezeichnet und durch die Entführung von Unschuldigen und ihre Rettung erzählt. Bilder von „Sexsklavinnen“ sind somit als ikonische Figuren des Schmerzes und des Leidens in die Filmszene eingegangen, und „Menschenhändler“ sind zu Ikonen des menschlichen Bösen geworden. Aufbauend auf der umfangreichen wissenschaftlichen Kritik an solchen Filmen und Darstellungen erörtert dieser Artikel die Möglichkeiten, Filme über migrantische Sexarbeiterinnen (von denen einige möglicherweise Opfer des Menschenhandels sind) zu drehen, die nicht in irreführende und sensationslüsterne Darstellungen verfallen. Ich stütze mich auf zwei Filme über Sexarbeiterinnen, an denen ich als Anthropologin und Filmemacherin gearbeitet habe – Trafficking (2010)(1) und Becky’s Journey (2014)(2). Der Ausgangspunkt ist, dass es eine Reihe von anderen Aspekten gibt, die den Prozess des Filmemachens beeinflussen können, die über eine eindimensionale Perspektive auf Sexarbeit und Menschenhandel hinausgehen. Während ich die Entstehung dieser beiden Filme analysiere, untersuche ich die Gründe – sowohl theoretische als auch praktische – für bestimmte Produktionsentscheidungen und die Art und Weise, wie Filme im Kontext vielfältiger Herausforderungen oft das Ergebnis der Kunst des Möglichen sind.

Einleitung

Spiel- und Dokumentarfilme bringen die Themen Sexarbeit, Migration und Menschenhandel zunehmend auf die große Leinwand. Die Filmproduktion zu diesen „heißen Themen“ kommt nicht überraschend – die Filme spiegeln wider, was in der breiten Öffentlichkeit auf der Tagesordnung steht. Innerhalb dieser wachsenden Zahl von Filmen über Sexarbeit und die Sexindustrie gibt es insbesondere eine Welle von Filmen über die Migration von (undokumentierten) weiblichen Sexarbeitern (3). Diese Filme konzentrieren sich oft auf Frauen, die eine Reihe von missbräuchlichen Bedingungen in der Sexindustrie erlebt haben, Erfahrungen, die typischerweise alle als „Menschenhandel“ bezeichnet und durch die Entführung von Unschuldigen und ihre Rettung erzählt werden. Andere Filme behaupten, dass sie noch nie dagewesene Einblicke in die kriminelle Unterwelt bieten, da sie von den (oft weinenden) Frauen selbst erzählt werden, die als Zeugen auftreten. Der Spielfilm Lilja 4-ever (4) der oscarprämierte Dokumentarfilm Born into Brothels: Calcutta’s red light kids (5) der Spielfilm Taken (2008) (6) und kürzlich der Dokumentarfilm The Price of Sex: An investigation of sex trafficking (Eine Untersuchung des Sexhandels) (7) sowie zahlreiche andere Filme haben das Bild von Sexarbeit, Menschenhandel und Migration in der Sexarbeit geprägt. In einigen dieser Filme geht es um grenzüberschreitende Migration, in anderen werden Sexarbeit und Menschenhandel leichtfertig gleichgesetzt, aber im Allgemeinen bedienen sie sich alle der Erzählungen von Frauen und/oder Kindern als Opfer, um ihre Botschaft zu vermitteln. Bilder von „Sexsklavinnen“ haben auf diese Weise als ikonische Figuren des Schmerzes und des Leidens Einzug in die Filmszene gehalten, und „Menschenhändler“ sind zu Ikonen des menschlichen Bösen geworden. Weiterlesen →

Wie QAnon den Kampf gegen den Menschenhandel unterwandert und was dagegen getan werden kann

QAnon wird bleiben, aber Pädagogen und Befürworter können seine Auswirkungen abmildern

Autor*innen: Daniela Peterka-Benton Bond Benton
Dieser übersetzte Text wurde zuerst auf Beyond Trafficking and Slavery (opendemocracy.net) veröffentlicht.

 White truck with a QAnon bumper sticker.

Quelle: WikiMedia. CC BY-SA 4.0

Wir sind Hochschullehrende, die regelmäßig Studierende über das komplexe Geflecht der Ungleichheit lehren, das Menschenhandel verursacht. Im Allgemeinen haben wir festgestellt, dass sich die Studierenden für dieses Thema interessieren und engagieren und sich gerne für die Bekämpfung des Menschenhandels einsetzen. In den letzten Jahren haben wir jedoch festgestellt, dass immer mehr Schüler mit bizarren und haarsträubenden Vorstellungen davon, was Menschenhandel ist, zu den Sitzungen kommen.

Von unbelegten Behauptungen, dass massenhaft Menschen aus Einkaufszentren, von Spielplätzen und anderen öffentlichen Plätzen entführt werden, bis hin zu Beschreibungen von schattenhaften Menschenhandelsorganisationen, die die Weltwirtschaft kontrollieren, ist klar geworden, dass Fehlinformationen über den Menschenhandel immer mehr an Boden gewinnen. Zwar war die Bekämpfung von Mythen schon immer eine Aufgabe der Bildung, doch stellt diese neue Gemeinschaft von selbsternannten „Menschenhandelsexperten“ eine Herausforderung dar, auf die wir nicht vorbereitet waren.

Woher kommen diese Ideen? In den letzten Jahren hat QAnon mit seinen haarsträubenden Behauptungen über die Pädophilie der Eliten und seinen Aufrufen zur „Rettung der Kinder“ den Diskurs und den Aktivismus gegen den Menschenhandel in Beschlag genommen. Als Pädagogen, die an den Schnittstellen von Menschenhandel, Rechtsextremismus, Medien und Kommunikation arbeiten, haben wir diese Entwicklungen mit Entsetzen beobachtet. Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig zu verstehen, was hier passiert und warum sie so einflussreich sind. Doch zunächst: Was ist QAnon? Weiterlesen →

Katars Arbeitsmigranten starben, aber ihre Familien kämpfen weiter

Arbeitsmigranten warten auf einer Baustelle nach ihrer Arbeitsschicht in The Pearl (Doha, Katar) im Jahr 2018. Die Busse im Hintergrund dienen dazu, die Arbeiter nach Hause zu bringen.

Arbeitsmigranten warten auf einer Baustelle. © Mosbatho / CC BY 4.0

Autor: Pramod Acharya
Dieser übersetzte Text wurde zuerst auf Beyond Trafficking and Slavery (opendemocracy.net) veröffentlicht.

In einer Lehm- und Bambushütte in den südlichen Ebenen Nepals vergoss Ram Priya Ray, 63, Tränen. Er betrachtete das Foto der Beerdigung seines Sohnes. Er war die ganze Nacht wach gewesen.

Ram Priya sagte, dass es ihm nun schon seit über einem Jahr so geht, dass er von Erinnerungen verfolgt wird und nicht schlafen kann. „Er war der einzige Faden der Hoffnung“, sagte er. „Wie können wir jetzt unsere Familie weiterführen? Wir sind ruiniert.“

Sanjib Ray war als Arbeiter auf Baustellen in Katar tätig. Er räumte den Schutt von neu gebauten Autobahnen auf und füllte Baumaschinen mit Kraftstoffen, Schmiermitteln und Chemikalien. Er verdiente 1000 katarische Rial im Monat, etwa 275 Dollar, und machte oft Überstunden für ein paar Rial mehr. Er starb mit 28 Jahren. Weiterlesen →

Prostitution: Auf der Suche nach Frankreichs „Ausstiegsprogramm“

Das französische Prostitutionsgesetz bietet den Sexarbeiterinnen des Landes einen Ausweg, aber das Programm ist wählerisch, wen es akzeptiert.

Autor*innen: Calogero Giametta, Hélène Le Bail
Dieser übersetzte Text wurde zuerst auf Beyond Trafficking and Slavery (opendemocracy.net) veröffentlicht.

Im April 2018 haben wir einen Bericht über das französische Prostitutionsgesetz von 2016 mitverfasst, der nun ins Englische übersetzt wurde. Mit diesem Gesetz wurde das „nordische Modell“ in Frankreich eingeführt, das auf die Nachfrage nach kommerziellem Sex abzielt, indem es den Kauf (die Kund*innen) und nicht den Verkauf von sexuellen Dienstleistungen kriminalisiert. Unser Bericht stützt sich auf Daten von über 70 interviewten und 580 befragten Sexarbeiterinnen, um die bisherigen Auswirkungen des Gesetzes zu bewerten. Wir haben festgestellt, dass sich das Leben der Sexarbeitenden erheblich verschlechtert hat, seit ihre Kund*innen kriminalisiert sind, und dass ihre Arbeitsbedingungen, ihre Gesundheit, ihre Rechte, ihre Sicherheit und ihre allgemeinen Lebensbedingungen darunter leiden. Weiterlesen →

Die Herausforderungen und Gefahren der Umdeutung des Menschenhandels in „moderne Sklaverei

Autorin: Janie A Chuang

Dies ist eine Übersetzung des folgenden Textes: J Chuang, ‘The Challenges and Perils of Reframing Trafficking as “Modern-Day Slavery”’, Anti-Trafficking Review, issue 5, 2015, pp. 146–149, www.antitraffickingreview.org

In den letzten fünf Jahren wurden die weltweiten Bemühungen zur Bekämpfung des Menschenhandels in „Abschaffung der modernen Sklaverei“ umbenannt. Das Außenministerium der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und einflussreiche Philanthropen sind die Hauptbefürworter dieser Neuausrichtung der Sklaverei und haben andere Regierungen, internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen gleichermaßen dazu veranlasst, das Konzept der „modernen Sklaverei“ zu übernehmen. Das Konzept der Sklaverei hat dazu beigetragen, Empörung auszulösen und politische Unterstützung für moderne Kampagnen gegen Sklaverei zu gewinnen. Es hat auch dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit auf die Bekämpfung des Menschenhandels über den Sexsektor hinaus auszudehnen und die extreme Ausbeutung aufzuzeigen, der Männer, Frauen und Kinder in den nicht-sexuellen Arbeitsbereichen unserer globalen Wirtschaft ausgesetzt sind. Diese Vorteile haben jedoch ihren Preis, sowohl in Bezug auf die Rechtslehre und -praxis als auch, was vielleicht noch wichtiger ist, in Bezug darauf, wie wir das Problem der extremen Ausbeutung aus Profitgründen verstehen und darauf reagieren. Weiterlesen →

Acht Gründe, warum wir den Begriff der „modernen Sklaverei“ nicht verwenden sollten

Dieser übersetzte Text wurde zuerst auf Beyond Trafficking and Slavery (opendemocracy.net) veröffentlicht.
Autor: Mike Dottdridge (Twitter: @MikeDottridge)

Diese Rede wurde ursprünglich auf der „Regional implementation initiative 2017 on preventing & combating human trafficking – ‘re-branding human trafficking: the interface of migration, human trafficking and slavery“ (Link) gehalten, die am 29. September 2017 in Wien stattfand, und zwar unter dem Originaltitel „Moderne Sklaverei versus Menschenhandel: Verständnis der Auswirkungen und Folgen von Strategien und Agenden hinter unterschiedlichen Konzepten“.

Es ist weniger als zwei Jahrzehnte her, dass sich Diplomaten hier in Wien zusammensetzten, um das spätere UN-Protokoll zum Menschenhandel zu entwerfen, das alle möglichen Änderungen auslöste, die an früheren runden Tischen diskutiert wurden.

Es mag daher verfrüht erscheinen, das System zur Bekämpfung des Menschenhandels zu stürzen und den Begriff „Menschenhandel“ durch das weniger legalistische Konzept der „modernen Sklaverei“ zu ersetzen. Doch genau darauf drängen jetzt zahlreiche Organisationen und Staaten. Da der neue Begriff in den Medien vor allem im englischen Sprachraum und relativ wenig in Europa Beachtung findet, möchte ich Sie kurz darüber informieren, was vor sich geht. Obwohl ich bis 2002 Direktor einer Nichtregierungsorganisation namens ‚Anti-Slavery International‘ war, möchte ich erklären, warum ich den Begriff ‚moderne Sklaverei‘ für unangemessen und spaltend halte.

Weiterlesen →

Die Kriminalisierung der Kunden von Sexarbeiterinnen verschlimmert den Menschenhandel

Andrew Wallis, der Geschäftsführer von Unseen, sagt uns, was er wirklich von den Versuchen hält, in Großbritannien Gesetze nach nordischem Vorbild einzuführen.

Dieses Interwiev wurde zuerst auf Beyond Trafficking and Slavery (opendemocracy.net) veröffentlicht.

Andrew Wallis ist Gründer und Geschäftsführer von Unseen, einer in England ansässigen Wohltätigkeitsorganisation, die sich seit 2007 für die Bekämpfung von Menschenhandel und moderner Sklaverei einsetzt. Beyond Trafficking and Slavery sprach mit Andrew Wallis, um ihn zu fragen, warum so viele Organisationen zur Bekämpfung des Menschenhandels, darunter auch Unseen, keine ausdrückliche Position zur Sexarbeit beziehen und welche Konsequenzen diese Nicht-Positionierung haben könnte. Wir fragten ihn auch nach den jüngsten Versuchen der Labour-Abgeordneten Diana Johnson, das nordische Modell der Sexarbeit im britischen Parlament einzuführen. Dieses Interview wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit bearbeitet und gekürzt.

Emily Kenway (BTS): Warum haben Sie Unseen gegründet?

Andrew Wallis (Unseen): Damals, im Jahr 2007, war das Verständnis von Menschenhandel überwiegend das von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Und dann gab es noch diese anderen Dinge – wie Zwangsarbeit und häusliche Sklaverei -, die nur ein Ärgernis am Rande waren. Mir ging es um die Ausbeutung in ihrer Gesamtheit, nicht um irgendetwas davon allein. Ich wandte mich an eine ganze Reihe von Wohlfahrtsverbänden und fragte, was ich tun könne, und sie sagten mir im Grunde, ich solle mich verpissen. Also sagte ich: „Na gut, schön. Ich werde etwas auf die Beine stellen und damit anfangen.

Weiterlesen →

Frauenhandel: brutal subtil

Dieser Artikel wurde ursprünglich im FIZ Magazin (November 2017) der FIZ – Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (Zürich) veröffentlicht. 

Vor einigen Jahren gab ein Menschenhandelsprozess unter dem Namen «Goldfinger» viel zu reden. Die Täterschaft quälte ihre Opfer brutal – der Gerichtspräsident wurde in der NZZ zitiert: «Es haben sich uns Abgründe aufgetan»[1]. Der Goldfinger-Prozess hat die öffentliche Wahrnehmung entscheidend geprägt. Vergessen geht dabei: Frauenhändler gehen nicht immer mit physischer Gewalt vor. Ihre Verbrechen und die Folgen für die Betroffenen sind darum nicht weniger gravierend.

Eine junge Frau wird mit falschen Versprechungen zur Migration in die Schweiz verführt. Hier wird sie von Kontaktmännern in ein Bordell verfrachtet, geschlagen und vergewaltigt. Sie steht unter ständiger Kontrolle, darf das Haus nicht alleine verlassen, wird täglich misshandelt und bedroht. Dies ist das Szenario, das sich die meisten Menschen vorstellen, wenn von Frauenhandel die Rede ist. Weiterlesen →

Frauenhandel: Bilder im Kopf verdecken mehr als sie erhellen

Dieser Artikel wurde ursprünglich im FIZ Magazin (November 2017) der FIZ – Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (Zürich) veröffentlicht. 

Es ist nicht einfach, Betroffene von Frauenhandel zu identifizieren. Denn oft stimmen unsere Bilder im Kopf nicht mit der Realität überein. Das führt dazu, dass viele Opfer unentdeckt bleiben. Wir müssen unseren Blick für alle Betroffenen schärfen. Ein Versuch, Klischees zu demontieren.

Stereotyp: Frauenhandelsopfer werden brutaler physischer Gewalt unterworfen.

Stereotype Bilder erschweren es, reale Opfer zu identifizieren. Denn ihre Kehrseite ist: Wer nicht brutal geschlagen wird, hat es schwer, als  Opfer von Menschenhandel wahrgenommen zu werden. Weiterlesen →

Sklaverei und Sklavenhandel

Autor: Sebastian Jobs – ursprünglich veröffentlicht auf bpb.de

Die Ausbeutung von Menschen durch Sklaverei ist eng mit der Geschichte des Kapitalismus, mit Rassismus, aber auch mit dem Widerstand gegen Sklaverei verbunden. Sklaverei ist zwar keine Erfindung des europäischen Kolonialismus, durch seine transatlantische Ausprägung bekam sie jedoch eine fundamental entmenschlichende Dimension: Ein Individuum und seine Nachkommen wurden zur Ware.

Sklaverei, Leibeigenschaft, Knechtschaft und Zwangsarbeit beschreiben auf den ersten Blick dasselbe Phänomen: das Ausnutzen unfreier Arbeit und, zu diesem Zwecke, die Freiheitsberaubung von Menschen. Doch diese vermeintliche historische Konstante, die sich in verschiedenen Zeiten und Ländern findet, unterscheidet sich je nach historischem und regionalem Kontext, ist eben nicht immer dieselbe. Sklaverei im antiken Rom folgte anderen Regeln als Leibeigenschaft im kaiserlichen China oder Zwangsarbeit im stalinistischen Russland. Im Angesicht dieser vielfältigen Sklavereien konzentriert sich dieser Beitrag auf den kolonialen Typus von Sklaverei, die mit den europäischen Entdeckungen und Expansionen im atlantischen und südostasiatischen Raum vom 16. bis 20. Jahrhundert verknüpft ist. Diese historische Konstellation brachte spezifische Akteure, Strukturen und Netzwerke hervor, durch die diese Kapitalisierung menschlicher Körper eng mit der globalen Geschichte des westlichen Kapitalismus, Rassismus, aber auch des Widerstands gegen Sklaverei verbunden ist.

Weiterlesen →

Die Situation von Sexarbeiter_innen verbessert man nicht durch mehr Repression.

Diskussion Die Situation von Sexarbeiter_innen verbessert man nicht durch mehr Repression. Eine Replik auf den Artikel »Linke Helfer der Sexindustrie« in ak 616

Von Jenny Künkel, ursprünglich veröffentlicht auf akweb.de. Eine längere Version ist auf dem Blog von Jenny Künkel zu finden.

Migration ist inhärent schädlich – denn das System Migration wird durch Rassismus, Sexismus und Kapitalismus hervorgebracht. Es zerstört Migrant_innen seelisch, wie zahlreiche Studien belegen: 68 Prozent aller Migrant_innen leiden unter posttraumatische Belastungsstörungen (hier Studie zu traumatisierten Kriegsflüchtlingen als Quelle einfügen). Die Liberalisierung der Migrationsgesetzgebung in den letzten Jahren führte zu einem Anwachsen von Menschenhandel, mehr toten Flüchtlingen im Mittelmeer und Armutsmigration (das ist evident!). Daher müssen wir die Gewalt der Migration strafrechtlich bekämpfen. Aber ohne die Migrant_innen selbst zu kriminalisieren. Packen wir das Problem also an der Wurzel und setzen bei denen an, die billige migrantische Dienstleistungen in Deutschland nachfragen. Die Nachfrage muss strafbar werden! Es ist ein Skandal, dass linke Kreise die Gewalt in der Migration seit Jahrzehnten leugnen. Sie vertrauen den von Menschenhändler_innen gesteuerten Migrantenorganisationen und ihren Forderungen nach einer Deregulierung und Liberalisierung der Migration. Damit machen sie sich zu Helfer_innen des tödlichen Migrationssystems.

Würde eine linke Zeitschrift einen derart kruden Artikel über Migration veröffentlichen, wäre die Empörung groß. Denn mit dem Thema Migration beschäftigen sich viele Linke. In ak 616 erschien ein entsprechender Artikel über Sexarbeit (»Linke Helfer der Sexindustrie«) – entsprechend deshalb, weil die obige Parodie im Prinzip nur »Prostitution« durch »Migration« ersetzt. Die Autorin Gunhild Mewes vermengt darin aktuelle konservativ-feministische Thesen über Prostitution mit etwas 1970er-Jahre-Abolitionismus (2) à la Alice Schwarzer. Doch das ist leider nicht alles. Der Beitrag macht just in dem Moment Stimmung gegen Prostitution, als ein repressives Prostitutionsgesetz in der Mache ist (siehe Seite 8) und Sexarbeiter_innen Unterstützung der Linken bräuchten. Weiterlesen →

Bekämpfung des Menschenhandels: Schönfärberei für Anti-Migrationsmaßnahmen

Autorin: Nandita Sharma, Professorin für Soziologie an der Universität Hawaii (Webseite). Dieser Text wurde ursprünglich in englischer Sprache auf „Beyond Trafficking and Slavery“ veröffentlicht.

Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels verleihen nationalen Anti-Migrationsbestrebungen zwar einen humanitären Glanz, aber nationale Staatsangehörigkeits- und Einwanderungspolitiken bleiben nach wie vor die größte Gefahr für viele Migrant*innen.

Nationale Einwanderungspolitiken und ihre Durchsetzung stellen die größten Gefahren für Menschen dar, die versuchen nationale Grenzen zu überqueren. Außerdem stellen die Kategorien, in die die meisten migrierenden Menschen eingeteilt werden – ‚illegal‘ oder ‚befristete ausländische Arbeitnehmer‘ – die größte Bedrohung für ihre Freiheit dar. Weil sie als „illegal“ oder „befristet“ kategorisiert sind, werden eine immer höhere Anzahl (und ein höherer Anteil) migrierender Menschen in minderwertige Arbeit gedrängt, während ihre Rechte und die Mobilität stark eingeschränkt werden. Kurz gesagt, die nationalen Einwanderungspolitiken schaffen die Voraussetzungen dafür, dass manche Menschen als „billig“ oder „wegwerfbar“ gelten. Ganz einfach gesagt: Ohne nationale Einwanderungsgesetze, gäbe es keine „Migrant*innen“, die unterdrückt, ausgebeutet und zum Sündenbock gemacht werden können.

Weiterlesen →

Amnesty International fordert Entkriminalisierung von Sexarbeit in Namen der Menschenrechte

Ursprünglich veröffentlicht auf amnesty.ch

An ihrer internationalen Ratstagung 2015 in Dublin haben die Amnesty-Delegierten eine wichtige Entscheidung zum Schutz der Menschenrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern getroffen.

Mit einer Resolution beauftragten die Vertreterinnen und Vertreter der über 50 Sektionen aus aller Welt ihren Internationalen Vorstand, eine Positionierung zu diesem Thema zu entwickeln und zu verabschieden, die auch die Entkriminalisierung von Sexarbeit einschliessen soll.

Weiterlesen →

Schwere Form der Ausbeutung von Arbeitskraft: Arbeitnehmer*innen, die sich innerhalb der EU bewegen oder in sie einreisen

MEMO der Europäischen Agentur für Grundrechte / 2. Juni 2015. Der vollständige Bericht zum Memo ist hier zu finden (Englisch).

1. Was ist schwerwiegende Arbeitsausbeutung?

Als schwere Form der Ausbeutung von Arbeitskraft gilt zum Beispiel, wenn Arbeitnehmer jeden Tag arbeiten müssen und unregelmäßig oder überhaupt nicht entlohnt werden, wenn sie in beengten und unwürdigen Wohnverhältnissen von der übrigen Gemeinschaft isoliert leben oder wenn sie ohne Vertrag und unter ständiger Androhung der Abschiebung arbeiten müssen. Formal gesehen, bezeichnet der Begriff „schwerwiegende Arbeitsausbeutung“ alle Formen der Ausbeutung von Arbeitskraft, die nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Ausbeutung stattfindet, strafbar sind. Das Strafrecht der EU erstreckt sich nur auf bestimmte Formen der Ausbeutung von Arbeitskraft; nach Artikel 5 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind jedoch Sklaverei und Zwangsarbeit verboten, und gemäß Artikel 31 dieser Grundrechtecharta haben alle Arbeitnehmer das Recht auf „gerechte und angemessene“ Arbeitsbedingungen.

Weiterlesen →

Ein Phänomen, das auch die Schweiz betrifft: Menschenhandel in die Arbeitsausbeutung

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Rundbrief 55 vom Dezember 2014 der FIZ – Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (Zürich) veröffentlicht. Im Rundbrief geht es um Arbeitsausbeutung und Menschenhandel. 

Seit Jahren betreut die FIZ Betroffene von „Menschenhandel zwecks Ausbeutung der Arbeitskraft“ in verschiedenen Arbeitssituationen. Im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit steht allerdings bisher Frauenhandel zwecks sexueller Ausbeutung, also der Handel von Frauen in die Sexindustrie. Aber Menschenhandel im Zusammenhang mit Ausbeutung der Arbeitskraft kommt auch in vielen anderen Branchen vor. Sowohl auf internationaler Ebene wie auch in der Schweiz gestaltet es sich schwierig, Opfer von Menschenhandel zwecks Ausbeutung der Arbeitskraft zu erkennen, Täter_innen zu verfolgen und Betroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen.

Weiterlesen →

10 Punkte Plan: Boote statt Frontex #FerriesNotFrontex

Mit diesem Post möchte menschenhandelheute.net zur Verbreitung dieses Textes beitragen.

Am 20. April veröffentlichten die EU-Innen- und AußenministerInnen einen 10-Punkte-Plan, um auf die tausenden Toten im Mittelmeer zu reagieren. Viele weitere Vorschläge wurden in den letzten Tagen gemacht. Als AktivistInnen beteiligen wir uns seit vielen Jahren an den Kämpfen gegen das Europäische Grenzregime. Durch „Watch the Med“ und das „Alarm Phone“-Projekt stehen wir täglich mit hunderten Menschen in Kontakt, die das Mittelmeer überquert haben. Angesichts der Scheinheiligkeit der „Lösungen“, die bisher vorgestellt wurden, sehen wir es als unsere Pflicht, die Unbrauchbarkeit des vorgestellten Plans aufzuzeigen und zu versuchen, einen alternativen Raum zur Reflektion und zum Handeln zu öffnen.

1.    Wir sind schockiert und wütend angesichts der jüngsten Tragödien im Mittelmeer, die alleine in der letzten Woche mindestens 1.200 Menschenleben gekostet haben. Wir sind schockiert, aber nicht überrascht über die beispiellose Zahl an Toten innerhalb weniger Tage. Wir sind wütend, weil wir wissen, dass, wenn es nicht zu einem grundlegenden Wandel kommt, noch viel mehr Menschen in diesem Jahr im Mittelmeer sterben werden.

2.    Wir sind auch wütend, weil wir wissen, dass das, was uns nun als „Lösung“ für diese unerträgliche Situation präsentiert wird, nur mehr vom gleichen bringen wird: Gewalt und Tod. Die EU hat angekündigt, die Triton-Mission von Frontex zu verstärken. Frontex ist eine Behörde zur Abwehr von Migration und Triton wurde mit dem klaren Ziel geschaffen, Grenzen zu sichern, nicht um Leben zu retten.

3.    Aber selbst wenn ihre Hauptaufgabe wäre, Leben zu retten, wie dies im Fall der humanitären Militäroperation Mare Nostrum im Jahr 2014 der Fall war, würde dies das Sterben im Mittelmeer nicht beenden. Jene, die nun ein europäisches Mare Nostrum fordern, sollten daran erinnert werden, dass selbst während dieser bislang umfangreichsten Rettungsaktion, die je im Mittelmeer stattgefunden hat, mehr als 3.400 Menschen im Meer umkamen. Ist diese Zahl für die europäische Öffentlichkeit akzeptabel?

4.    Andere Vorschläge beinhalteten etwa eine internationale Militäroperation in Libyen, eine Seeblockade oder die stärkere Verpflichtung für afrikanische Staaten, ihre eigenen Grenzen zu sichern. Doch die Geschichte der letzten 20 Jahre im Mittelmeerraum zeigt, dass jede Militarisierung der Migrationsrouten nur noch mehr Tote verursacht. Jedes Mal wenn eine Route nach Europa durch neue Überwachungstechniken und verstärkten Grenzschutz blockiert wurde, führte dies nur dazu, dass MigrantInnen gezwungen waren, längere und gefährlichere Routen zu wählen. Die jüngsten Tode im zentralen und östlichen Mittelmeer sind Resultat der Militarisierung der Straße von Gibraltar, der Kanarischen Inseln, der Landgrenze zwischen Griechenland und der Türkei und mehrerer Grenzen in der Sahara. Der „Erfolg“ von Frontex bedeutete den Tod für tausende Menschen.

5.    Internationale Organisationen und PolitikerInnen aller Lager erklären nun, dass SchlepperInnen für die Toten im Mittelmeer verantwortlich seien. Mehrere prominente PolitikerInnen haben das Schleusen von MigrantInnen mit dem transatlantischen Sklavenhandel verglichen. Die Heuchelei scheint keine Grenzen zu kennen: Jene, die das Regime der Sklaverei aufrecht erhalten, verdammen die Sklavenhändler! Wir wissen sehr genau, dass die Schlepper, die im Kontext des libyschen Bürgerkriegs operieren, häufig skrupellose Kriminelle sind. Doch wir wissen auch, dass das europäische Grenzregime der einzige Grund ist, weshalb MigrantInnen sich ihnen ausliefern müssen. Die Schlepper-Netzwerke wären längst Geschichte, wenn jene, die jetzt im Meer ertrinken, Europa legal erreichen könnten. Das Visa-Regime, das dies unmöglich macht, wurde erst vor 25 Jahren eingeführt.

6.    Jenen, die jetzt einmal mehr die Einführung von Asylzentren in Nordafrika fordern, sollten zwei Beispiele in Erinnerung gerufen werden, um zu verstehen was solche Zentren tatsächlich bedeuten würden. Das erste Beispiel ist das Camp Choucha in Tunesien, betrieben vom UNHCR, der Menschen, die vor dem Konflikt in Libyen dorthin flohen, im Stich gelassen hat. Sogar jene, deren Status als Schutzbedürftige anerkannt wurde, wurden in der tunesischen Wüste zurückgelassen. Sie hatten gar keine andere Wahl als zu versuchen, das Meer zu überqueren. Das zweite Beispiel sind die ausgelagerten Anhaltezentren, die von Australien auf abgelegenen „Gefängnisinseln“ geschaffen wurden und die nun von vielen als Vorbild für Europa gepriesen werden. Sie zeigen, wie abscheulich die Zwangsinternierung von Asylsuchenden sein kann. Diese „Lösungen“ dienen ausschließlich dazu, die Gewalt des europäischen Grenzregimes vor den Augen der westlichen Öffentlichkeit zu verbergen.

7.    Was ist angesichts dieser Situation zu tun? GenossInnen und FreundInnen, mit denen wir die Kämpfe der letzten Jahre gemeinsam geführt haben, fordern Bewegungsfreiheit als einzige realistische Antwort in dieser Situation. Auch wir machen uns diese Forderung zu eigen, denn sie ist die einzige, die es geschafft hat in einer erstickenden Debatte einen Raum der politischen Vorstellungskraft offen zu halten. Doch zugleich denken wir, dass ein allgemeiner Aufruf für die Bewegungsfreiheit in dieser Situation nicht genug ist. Für uns ist Bewegungsfreiheit keine ferne Utopie, sondern eine Praxis – die von MigrantInnen täglich, unter Einsatz ihrer Leben, umgesetzt wird –, die unsere politischen Kämpfe hier und jetzt anleiten sollte.

8.    Aus diesen Gründen fordern wir die Einsetzung einer humanitären Fähre, die nach Libyen fahren und so viele Menschen wie möglich evakuieren soll. Diese Menschen sollten nach Europa gebracht werden und bedingungslosen Schutz erhalten, ohne dass sie einen Asylprozess durchlaufen müssen, der seinen ursprünglichen Zweck des Schutzes längst verloren hat und de facto zu einem weiteren Instrument der Exklusion geworden ist.

9.    Ist die Idee einer solchen Fähre unrealistisch? 2011, am Höhepunkt des libyschen Bürgerkriegs, retteten humanitäre Fähren tausende gestrandete Menschen von Misrata bis Benghazi. Dabei wurden sie mit Granaten und Gewehren beschossen und mussten Seeminen ausweichen. Dies zeigt, dass es selbst in der gegenwärtig instabilen Lage in Libyen möglich wäre, eine solche Aktion durchzuführen. Zudem wäre eine Fähre weitaus billiger als eine mögliche massive Rettungsaktion auf hoher See oder jede militärische Lösung.

10.    Die Realität ist, dass jede andere der vorgeschlagenen Lösungen dazu führen wird, dass weiterhin Menschen im Meer umkommen. Wir wissen, dass keine Auslagerung von Asylzentren und Grenzkontrollen, keine Ausweitung der Rettungsverpflichtung, keine Intensivierung der Überwachung und der Militarisierung das Massensterben im Meer beenden wird. Alles, was wir dafür kurzfristig brauchen, sind legale Einreisemöglichkeiten und Fähren. Werden die EU und die internationalen Behörden bereit sein, diesen Schritt zu gehen, oder wird die Zivilgesellschaft es für sie machen müssen?

Watch the Med ist ein transnationales Projekt, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Verletzungen der Menschenrechte von MigrantInnen durch das EU-Grenzregime sichtbar zu machen. 2012 aus der Kampagne Boats4People entstanden, umfasst das Projekt heute ein weites Netzwerk von Organisationen, AktivistInnen und ForscherInnen.
Diese Erklärung wurde erstmals am 23. April auf Englisch hier veröffentlicht und auf Deutsch auf mosaik-blog.at.

Übersetzung: Benjamin Opratko

Weiterlesen →

La Strada: Firmen und Konsument_innen für Menschenhandel sensibilisieren

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Rundbrief 55 vom Dezember 2014 der FIZ – Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (Zürich) veröffentlicht. Im Rundbrief geht es um Arbeitsausbeutung und Menschenhandel. 

Autorin: Rebecca Angelini

Ein neues europäisches Projekt unter dem Titel „NGOs & Co – NGO-Business Engagement in Addressing Human Trafficking“ versucht den privaten Sektor für die Bekämpfung des Menschenhandels an Bord zu holen. Lanciert wurde NGOs&Co von La Strada International (LSI), einem Netzwerk von vornehmlich osteuropäischen NGOs, die sich gegen Menschenhandel einsetzen. Die FIZ pflegt regen Kontakt mit LSI und ist assoziierte Partnerin im neuen Projekt.

Menschenhandel lebt von der individuellen und unternehmerischen Nachfrage nach billiger Arbeit, billigen Dienstleistungen und billigen Produkten. Private Unternehmen sind besonders wichtige Akteure, die viel zur Bekämpfung des Menschenhandels beitragen können. Viele private Firmen sind sich nicht bewusst, dass sie oder ihre Partnerfirmen von Menschenhandel zwecks Arbeitsausbeutung betroffen sein könnten. Internationale Versorgungsketten müssen gut geprüft werden, um sicher zu stellen, dass kein Glied in dieser Kette zum Menschenhandel beiträgt.

Weiterlesen →

Pressemitteilung – Koalitionspläne: Prostituierten drohen neue Gefahren

Pressemitteilung vom 28.01.2015, djb.de

Prostituiertenschutz paradox: Statt Prostituierte zu schützen, wie es die Bundesregierung angekündigt hat, würde sich ihre Situation mit der Einführung von Zwangsuntersuchungen, einem Mindestalter von 21 und einer Anmeldepflicht massiv verschlechtern. In einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesministerin Manuela Schwesig sowie die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen haben sich Frauenrechtsorganisationen, Sozialverbände sowie Beratungsstellen für Prostituierte und Opfer von Menschenhandel gegen die noch strittigen Maßnahmen ausgesprochen.

Statt Prostituierte zu kriminalisieren und zu stigmatisieren, sollen sie mit dem neuen Gesetz in ihren Rechten gestärkt und vor Gewalt und Demütigung geschützt werden – das ist Konsens in der Koalition. „Die Prostituierten, die diese Erwerbstätigkeit freiwillig und selbstbestimmt gewählt haben, sollen sich darauf verlassen können, dass der Gesetzgeber ihnen ein sicheres, angstfreies Leben ohne gesellschaftliche Ächtung ermöglichen will,“ so Susanne Kahl-Passoth, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrates. Umso unverständlicher ist die Diskussion um die Anhebung des Mindestalters auf 21. Die Unterzeichnerinnen sehen hier einen Verstoß gegen die Einheit der Rechtsordnung, denn in Deutschland gilt mit 18 Jahren die Volljährigkeit.

Weiterlesen →

Fluchthilfe ist kein Menschenhandel

Autor: Christian Jakob 

Nur mit Hilfe von Schleppern kommen Menschen, die Asyl beantragen wollen, noch in die EU – dafür hat das Europäische Grenzregime selber gesorgt. Gleichwohl bestraft es Fluchthelfer immer härter und treibt so viele Menschen in den Tod.

Ein Boot mit Geflüchteten vor der Insel Lampedusa. Foto: Vito Manzari. Creative Commons LizenzvertragDieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

Im Gerichtssaal von Mytilini auf der griechischen Insel Lesbos, 13. Oktober 2014, 9 Uhr. Der Angeklagte: Ahmad, ein minderjähriger Flüchtling aus Aleppo in Syrien. Im Mai dieses Jahres kam er mit 22 Menschen auf einem Boot von der türkischen Küste. Der Vorwurf: Menschenhandel. Fünf Monate hat er im Avlona-Gefängnis für Minderjährige in Athen auf den Prozess gewartet. Prozessbeobachter der Initiative „Welcome to Europe“ sehen, wie Ahmad in Handschellen gefesselt ins Gerichtsgebäude geführt wird. Küstenwächter sagen aus: Als sie sich dem Boot näherten, habe Ahmad telefoniert, Papiere zerrissen und ins Wasser geworfen. Dabei müsse es sich um Anweisungen seiner Hintermänner gehandelt haben, mit denen er offensichtlich gerade gesprochen habe. Weitere belastende Indizien gibt es nicht. Ahmad sagt aus, er habe seine Mutter angerufen. Nach 20 Minuten verkündet das Gericht das Urteil: sieben Jahre Haft.

Weiterlesen →

Roma aus (Süd-)Osteuropa als Betroffene von Frauenhandel

„Urban Shadow“. Foto: M. Accarino. Creative Commons LizenzvertragDieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

Autorin: Romana Riegler. Ursprünglich veröffentlicht auf boell.de 

Eine Untersuchung der Vulnerabilitätsfaktoren

Nach der zweiten EU-Osterweiterung 2007 stieg in Deutschland die Zahl der von Menschenhandel betroffenen Frauen aus Rumänien oder Bulgarien signifikant an. Ein großer Teil von ihnen gehört der Bevölkerungsgruppe der Roma an. Welche Mechanismen führen dazu, dass diese Gruppe offenbar so viel vulnerabler gegenüber dem Menschenhandel ist als andere?

Noch immer sind Roma die wahrscheinlich marginalisierteste Bevölkerungsgruppe Europas, und Beobachter_innen sprechen mit Sorge von einem sich in den letzten Jahren deutlich verschärfenden Antiziganismus (Antiziganismus Watchblog, 2012). Dieser Rassismus gegen Roma wird sichtbar an degradierender Medienberichterstattung, offener Diskriminierung am Arbeits- und Wohnungsmarkt oder durch Polizei und Behörden, einem Anstieg von Gewaltakten und „hate crimes“ gegen Roma und nicht zuletzt an (nicht rechtskonformen) Massenabschiebungen, wie 2010 in Frankreich mit rund 8.000 Roma. Im Zuge dieser Abschiebung bezeichnete der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Lager der Roma unter anderem als Quelle von Drogenschmuggel, Ausbeutung von Kindern und Prostitution (Süddeutsche Zeitung, 2010).

Während oft auf Roma als Täter_innen bzw. auf die Involviertheit von Romafamilien in (organisierte) Kriminalität verwiesen wird, findet die besondere Vulnerabilität von Roma gegenüber dem Menschenhandel und ihre häufige Viktimisierung seltener Erwähnung. Diese Praxis besteht sowohl aufseiten osteuropäischer Regierungen (vgl. ERRC 2011a, S. 26) als auch der Medien in Westeuropa, die mitunter pauschal von „Roma-Zuhältern“ sprechen, wenn sie über Prozesse gegen Menschenhändler_innen berichten (Amnesty International 2011). Den von Ausländerfeindlichkeit geprägten politischen Diskursen kommt eine solche Herkunft der Täter_innen sehr gelegen.

Weiterlesen →

Vom ‚Menschenhandel‘ zur ‚Arbeitsausbeutung‘

Autor: Norbert Cyrus. Ursprünglich veröffentlicht auf boell.de

Anmerkungen zur Debatte um die Weiterentwicklung von Unterstützungskonzepten für Betroffene von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung

Das Bundesministerium für Justiz hat angekündigt, den Tatbestand Menschenhandel neu fassen und auch die Einführung eines eigenständigen Tatbestand der (schweren) Arbeitsausbeutung überprüfen zu wollen. Mit diesen bisher nur angekündigten Veränderungen werden sich auch die rechtlichen Voraussetzungen der Unterstützungsangebote für Betroffene von Menschenhandel ändern. Vor diesem Hintergrund stelle ich Überlegungen zur Gestaltung von Unterstützungsangeboten für Betroffene von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung vor.

Weiterlesen →

Das Schweigen der AbolitionistInnen

Autorin: Helga Pregesbauer. Ursprünglich veröffentlicht auf wortflechte.com

Ich verfolge alle mir bekannten deutschsprachigen Medien von Abolitionistinnen seit zwei Jahren und versuche alles zu lesen, was sie veröffentlichen: Websiten, social media Beiträge, twitter, facebook, Publikationen.

Ich hatte per Mail, persönlich, via Chat und sogar per Telefon mit mindestens 30 Abolitionistinnen Gespräche. Wenn ich Gespräche auf Twitter und auf Facebook (offen mitlesebare) dazurechne kommen noch einmal 30 weitere Personen dazu. Ich habe auch von denen, die mit mir kommuniziert haben, keine einzige Antwort auf eine meiner Fragen bekommen.

Zu meiner abolitionistischen Lektüre gehören ca. zwanzig Blogs, zehn Websites, die persönlichen Einträge auf facebook von ca. zwanzig Personen und zehn Organisationen. Ich war auf jeder einzelnen mir bekannten Veranstaltung zum Thema in Wien, das waren heuer ungefähr 15 Termine. Ich wäre auf die Kofra-Konferenz gefahren, wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich nicht hin darf, weil ich vorher schon von mehreren Personen gehört hatte, dass deren Anmeldung abgelehnt wurde. Leider habe ich die Anmeldung unterlassen, was ein großer Fehler war – die Ablehnung meiner Anmeldung würde ich heute gern herzeigen. Denn die ausgeladenen SexarbeiterInnen stellen sich damit keiner Öffentlichkeit, was ich sehr gut verstehe. Ich bin aber bereit, in persönlichen Gesprächen diese mir übermittelten herzuzeigen und Telefonkontakt herzustellen, den ich übrigens bereits Personen, die mich Lügen schimpften, angeboten habe. Wollten die natürlich nicht. Ich habe von einer Konferenz-Teilnehmerin erfahren, dass auf der Konferenz gesagt wurde, die „happy Sexarbeiterinnen“ wollen sie hier auf der Konferenz nicht haben. Tja, die hätten ihre Thesen ja ganz schön ins Wackeln gebracht. Die vor Ort ausgesprochene Kritik am schwedischen Modell wurde dort nach Aussage dieser Teilnehmerin „nicht ernst genommen“.

Weiterlesen →

Menschenhandel: Abschottung, Ausbeutung und Verbrechen

Autorin: Barbara Lochbihler 

Die EU kämpft gegen den Menschenhandel. Doch mangelnde Umsetzung und eine falsche Migrationspolitik lassen die Maßnahmen ins Leere laufen.

Ob sexuelle Ausbeutung, häusliche Sklaverei oder Organentnahme, bei Menschenhandel geht es immer um schwerwiegende Verbrechen. Oftmals stehen sie im Kontext der organisierten Kriminalität. Deutschland gehört für den internationalen Menschenhandel zu den bedeutsamsten Staaten und ist ein wichtiges Durchreiseland (DIW Berlin 2012). Die Gewinne aus dem Geschäft gelten als die lukrativsten des Organisierten Verbrechens. Sie können mit denen multinationaler Konzerne mithalten (Egan, Suzanne 2008). Das Geschäft blüht aber auch, weil das Risiko der Täter_innen sehr niedrig ist. Im Jahr 2013 wurden in Deutschland 425 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und 53 zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft abgeschlossen (Bundeskriminalamt 2013).

Veranstaltung „Gleichstellungsprojekt Europa?“, 21./22. März 2014, Heinrich-Böll-Stiftung Berlin. Foto: Stefan Rühl. Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

Besonders betroffen sind Frauen und Mädchen, die meist sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind und häufig zur Prostitution gezwungen werden. 67 Prozent aller in der Europäischen Union registrierten Opfer von Menschenhandel zwischen 2010 und 2012 waren Frauen, 13 Prozent Mädchen, 17 Prozent Männer und 3 Prozent Jungen (Europäische Kommission 2014). Diese Zahlen zeigen: Frauen brauchen besonderen Schutz. Im Zeitraum von 2010 bis 2012 wurden allein in der EU 30.146 Menschen als Opfer von Menschenhandel registriert. Davon wurden 69 Prozent sexuell ausgebeutet, darunter vor allem Frauen. 19 Prozent sind Opfer von Zwangsarbeit geworden, wobei es sich hier meist um Männer handelt. 12 Prozent der Betroffenen wurden in anderer Form ausgebeutet: Man zwang sie zum Betteln und kriminellen Aktivitäten oder sie wurden Opfer von Organ- und Kinderhandel (Europäische Kommission 2014).

Weiterlesen →

„Moderne Sklaverei“ als Begriff in der Öffentlichkeitsarbeit im Kampf gegen Menschenhandel

Autor*innen: Paula Riedemann, Babette Rohner. Ursprünglich veröffentlicht auf boell.de

Der Verein Ban Ying arbeitet seit 25 Jahren als Berliner Koordinations- und Beratungsstelle gegen Menschenhandel. In diesem Vierteljahrhundert haben wir sehr viel Erfahrung in der Beratung von Betroffenen von Menschenhandel, in der Advocacy-Arbeit sowie auch in der Öffentlichkeitsarbeit gesammelt. Das Ziel unserer Öffentlichkeitsarbeit ist, Gesamtgesellschaft und Fachpublikum für die Problematik des Menschenhandels und ihre Auswirkung auf Betroffene zu sensibilisieren. Neben den Vorträgen und Interviews, die wir regelmäßig zu dem Thema halten und geben, haben wir seit 2005 auch mehrere Öffentlichkeitskampagnen durchgeführt. Bei diesen Kampagnen ist es uns besonders wichtig, Betroffene von Menschenhandel als entscheidungsfähige und schutzberechtigte Personen darzustellen. Unser unterstützender und menschenrechtsorientierter Ansatz, der auf den Schutz der Identität und auf die Interessen unserer Klientinnen achtet, ist der Grund dafür, warum wir bis heute immer – unter anderem auf unserer Webseite – auf fotografische Darstellungen verzichtet haben. In diesem Sinne benutzen wir auch in unserer Öffentlichkeitsarbeit den Begriff „Betroffene“ statt des Begriffes „Opfer“, da wir eine vereinfachende und paternalistische Reduzierung vermeiden möchten.

Weiterlesen →

Bericht zur Veranstaltung „Rotlicht im Fokus“ in Augsburg (20.11.2014)

Der/die Autor*in bleibt gerne anonym. Vielen Dank für den Bericht! 

Ca. 70 der 100 Plätze in der neuen Stadtbibliothek in Augsburg sind besetzt. Die Veranstaltung läuft von 18:30 bis 21 Uhr. Die Begrüßung übernimmt die Gastgeberin, MdB Ulrike Bahr wahr. Sie spricht zum Stand des Gesetzgebungsverfahrens bezüglich der Prostitution. Sie dankt dem Familienministerium, an der Expertenanhörung im Sommer teilnehmen zu dürfen. Sie sieht den Graubereich zwischen legaler und illegaler Sexarbeit durch die EU-Osterweiterung wachsen und appelliert auch jene zu schützen, die davon bedroht sind einmal Opfer von Menschenhandel zu werden.

Darauf folgt ein Schauspiel. Das von zwei Frauen entwickelte Stück „Der Nuttenbus von der A8“, was normalerweise in einem Kleinbus gehalten wird, um dem Publikum Enge zu vermitteln, wird aufgeführt. In Vorbereitung zu dem Stück wurde mit deutschen Prostituierten in einem Augsburger Bordell sowie Zuhältern gesprochen. Aus diesen Erzählungen machten sie ein Solostück. Porträtiert wird eine in die Jahre gekommene deutsche Sexarbeiterin, die Hand, Blasen oder „Quicki“ für jeweils 30 € macht und viele Kunden pro Tag braucht um ihre Kosten zu decken. Sie beschwert sich über die „Ostschlampen“ die schnell Kohle machen wollen. Sie erzählt, wie sie angelernt wurde, welche problematische Aspekte ihrer Arbeit hat und dass auch Männer zu ihr kommen, die wissen wollen wie man eine Frau befriedigt.

Weiterlesen →

Prostitution in Deutschland. Mehr Rechte verhindern Ausbeutung

Autorin: Irmingard Schewe-Gerigk. Dieser Beitrag wurde ursprünglich veröffentlicht auf b-republik.de und wird freundlicher Genehmigung der Autorin weiter veröffentlicht. 

Bis 2002 waren Prostituierte in Deutschland nahezu rechtlos. Das rot-grüne Prostitutionsgesetz hat diesen Zustand juristisch erstmals beendet. Dennoch bleibt viel zu regeln, um die betroffenen Frauen wirksam zu schützen. Dabei würde sich die Kriminalisierung der Prostitution als Irrweg erweisen.

Kaum ein gesellschaftspolitisches Thema erregt die Gemüter in Talkshows und Magazinen so sehr wie das Thema Prostitution. Zwei Positionen stehen sich unversöhnlich gegenüber: Die Vertreter eines Verbots verkünden missionarisch, dass Prostitution niemals freiwillig sein kann, sondern immer unter Zwang ausgeübt wird. Sie sprechen den Prostituierten die Entscheidungskompetenz ab, wollen Bordelle und Prostitution verbieten und Freier bestrafen. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die Prostitution tolerieren und als Teil des Selbstbestimmungsrechts von Frauen ansehen, wenn sie freiwillig erfolgt. Sie argumentieren, durch die Stärkung der Rechte von Prostituierten könne ihrer Ausbeutung entgegengewirkt werden.

Weiterlesen →

Menschenhandel: Breaking the cycle

Autorin: Helga Konrad, Leiterin und Koordinatorin der ‚Regionalen Implementierungs-Initiative zur Prävention & Bekämpfung von Menschenhandel‘ am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa – IDM 

Menschenhandel ist in den vergangenen Jahren viel diskutiert worden – nicht immer frei von Sensationsmeldungen, panikmachenden Zahlen und einer Rhetorik, die oft mehr Skepsis hervorrufen als Anlass und Anstoss zu mehr und wirksameren Gegenmaßnahmen gaben und geben.Und Regierungen, Stakeholder, Behörden und andere scheinen auch tatsächlich schön langsam müde zu werden, immer die gleichen Argumente, Klagen, Beschwerden und Probleme zu hören.

Tatsache ist, dass fast 15 Jahre nach Verabschiedung des UN Protokolls zu Menschenhandel gewisse Probleme immer noch vom Tisch gewischt werden; dass etliche Probleme im Ping Pong zwischen Institutionen und/oder Ländern und Behörden hin und her geschoben werden; dass immer noch verworrene Auffassungen und unklare Abgrenzungen zwischen Menschenhandel und damit verbundenen Bereichen wie (illegale) Migration, Prostitution, Schleuser/Schleppertätigkeit existieren.

Tatsache ist auch, dass wir uns eher auf das Abfedern der Konsequenzen von Menschenhandel als auf dessen Vorbeugung/Prävention konzentrieren – trotz der Beteuerungen, dass pro-aktives Handeln besser ist als reaktives. Prävention ging in den vergangenen Jahren nicht weit über undifferenzierte Aufklärungskampagnen und die Einrichtung von Notrufen hinaus. Letztere verdienen die Bezeichnung ‚Notruf‘ oft gar nicht, da sie oft nur einige Stunden während der in Europa üblichen Dienstzeiten von BeamtInnen besetzt sind und oft nicht multi-lingual agieren können.

Weiterlesen →

Sexarbeit in Hamburg, St. Georg: Ätzende Spritzer und starke Frauen

Autorin: Leyla Yenirce, ursprünglich veröffentlicht auf boell.de

Die Sexarbeiterinnen im Hamburger Bahnhofsviertel führen ein Leben auf der Straße, geprägt von Sucht und Ausgrenzung. Der Verein Ragazza hilft ihnen, den Alltag zu bewältigen. Porträt eines Milleus

Hamburg, ein gedrungenes Haus in einer unscheinbaren Seitenstraße: Hier arbeitet Ragazza, ein Verein, der sich um drogenabhängige Sexarbeiterinnen kümmert. Der Aufenthaltsraum ist versehen mit Fotos der Mitarbeiterinnen, auf der Küchentheke steht ein Korb mit Brötchen für das Abendessen. Die Mitarbeiterinnen führen eine FSJgruppe  durch die Räume: Schlafraum, Konsumraum, Wundversorgungsraum. Es sieht aus wie im Ikea-Katalog, grelle Farben und helle Holzmöbel.

Weiterlesen →

Amnesty International kritisiert Maßnahmen gegen Ausbeutung im Katar an

Pressemitteilung von Amnesty International (12.11.2014)

Ein neuer Amnesty-Bericht zeigt: Katar bleibt weiterhin dringend notwendige Reformen zum Schutz von Arbeitsmigranten schuldig. Vor sechs Monaten hatte die Regierung eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, um die Ausbeutung im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2022 zu bekämpfen.

BERLIN, 12.11.2014 – Katar bleibt weiterhin dringend notwendige Reformen zum Schutz von Arbeitsmigranten schuldig. Das stellt Amnesty International in einem heute veröffentlichten Bericht fest. Vor sechs Monaten hatte die Regierung eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, um die Ausbeutung im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2022 zu bekämpfen.

„Katar hat den Zuschlag für die Fußball-WM bereits vor vier Jahren erhalten. Bisher ist im Kampf gegen die weit verbreitete Ausbeutung von ausländischen Arbeitskräften aber erbärmlich wenig passiert“, sagt Regina Spöttl, Katar-Expertin von Amnesty International in Deutschland. Amnesty International forderte die Behörden wiederholt auf, das umstrittene Sponsorengesetz abzuschaffen. Das Gesetz verpflichtet ausländische Arbeiter unter anderem dazu, die Genehmigung ihres Arbeitgebers einzuholen, wenn sie diesen wechseln oder Katar verlassen möchten. Das kann dazu führen, dass ausgebeutete Arbeiter in Katar festsitzen und nicht ausreisen können. Außerdem fördert es die Zwangsarbeit.

Weiterlesen →

Neues Forschungsprojekt zu Menschenhandel in Deutschland und Frankreich

Pressemitteilung der Universität Leipzig, 14.10.2014 

Nicht immer sind sie jung und stammen aus osteuropäischen Ländern wie Rumänien, Bulgarien oder Ungarn. „Opfer von Menschenhandel können auch ältere Frauen aus der Bundesrepublik sein, die sich in einer Zwangslage befinden und dadurch zur Prostitution gezwungen werden“, sagt Prof. Dr. Rebecca Pates, Politikwissenschaftlerin an der Universität Leipzig. „Unser alltägliches Verständnis von Menschenhandel ist geprägt durch popkulturelle Phänomene wie Spielfilme, die allerdings mit der Realität in vielen Fällen nicht übereinstimmen.“ Pates forscht derzeit zum Thema „Menschenhandel im Lichte institutioneller Praktiken“ und vergleicht dabei Deutschlands und Frankreich.

Weiterlesen →

Amnesty International: EU muss gemeinsam Verantwortung für die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer übernehmen

Generalsekretärin Selmin Çalışkan besuchte Lampedusa und Sizilien. Neuer Bericht von Amnesty zur dramatischen Situation im Mittelmeer 

BERLIN, 30.09.2014 – Ein Jahr nach der Bootstragödie von Lampedusa mit mehr als 380 Toten prangert Amnesty die Untätigkeit der Europäischen Union an, durch die die Zahl der Todesopfer weiter nach oben getrieben wird. „Es sterben weiter Tausende von Flüchtlingen und Migranten bei dem verzweifelten Versuch, Europas Küsten zu erreichen“, sagt die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Selmin Çalışkan.

Gemeinsam mit dem Schauspieler Benno Fürmann und Vertretern der französischen und italienischen Amnesty-Sektionen ist Çalışkan soeben von einer knapp einwöchigen Reise nach Rom, Lampedusa und Sizilien wiedergekommen. Dort haben sie sich ein Bild der Lage vor Ort gemacht und Solidarität gezeigt. Die Ergebnisse einer bereits im Sommer stattgefundenen Recherchemission nach Italien und Malta dokumentiert ein neuer Bericht von Amnesty „Lives adrift: Refugee and migrants in peril in the central Mediterranean”, der am Dienstag veröffentlicht wurde.

Weiterlesen →

Gesetze zu Prostitution und Menschenhandel: Stellungnahme des Juristinnenbundes

Autor*in: Deutscher Juristinnenbund e. V.

Stellungnahme zur Reform der Strafvorschriften des Menschenhandels, Verbesserung des Schutzes der Opfer von Menschenhandel und Regulierung der Prostitution vom 15.09.2014 (djb.de)

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) hat zur Frage der Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU und zur Diskussion weiteren rechtspolitischen Handlungsbedarfs zur Bekämpfung des Menschenhandels, Unterstützung der Opfer von Menschenhandel, Stärkung der Prävention und Regulierung des Prostitutionsgewerbes einen Arbeitsstab eingesetzt, der von Februar bis August 2014 gearbeitet und sich mit aktuellen Forderungen zu Reformen in den genannten Bereichen auseinandergesetzt hat. Der Arbeitsstab hat darüber hinaus eine Anhörung durchgeführt, bei der Vertreterinnen von Beratungsstellen, die mit Opfern von Menschenhandel arbeiten, sowie Vertreterinnen der Verbände von Sexarbeiterinnen anwesend waren. Die Ergebnisse und Empfehlungen aus der Arbeit des Arbeitsstabs fasst diese Stellungnahme zunächst zusammen, das ausführliche Gutachten folgt im Anschluss.

Weiterlesen →

Was geschieht mit all den Daten? Europäische Datenschutzgesetze und der Schutz der persönlichen Daten von gehandelten Menschen

Autorin: Marjan Wijers. Dieser Beitrag wurde in Berlin, am 25. September 2013 im Rahmen der datACT – Konferenz zu Datenschutz und Menschenhandel vorgetragen. Die englische Originalversion ist hier zu finden. 

Einleitung

Während der letzten Jahre ist ein gesteigertes Interesse an der Erhebung der persönlichen Daten der Opfer von Menschenhandel zu verzeichnen. Personenbezogene Daten gehandelter Menschen werden nicht nur im Kontext polizeilicher Untersuchungen und strafrechtlicher Verfolgungen, oder der Koordination nationaler und nationenübergreifender Hilfsaktionen, gesammelt und ausgetauscht, sondern aus den verschiedensten Gründen auch durch nationale Regierungen, zwischenstaatliche Organisationen, NGOs und private Unternehmen.

Ein Beispiel für die staatlich organisierte Sammlung von Daten sind die National Rapporteur Mechanisms in Europa. Einige beruhen auf der Sammlung anonymisierter, nicht-personifizierbarer Daten über Menschenhandelsopfer, während andere sich auf die Erhebung individuell zuordbarer Opferdaten konzentrieren. Ein Beispiel für eine privat betriebene Unternehmung ist das Polaris Projekt, das federführend von einem in den USA ansässigen Unternehmen durchgeführt wird, und das die Analyse von Trends im Bereich des Menschenhandels zum Ziel hat.1 Letzgenanntes Beispiel zeigt, daß die Daten gehandelter Menschen zunehmend einen wirtschaftlichen Wert darstellen.

Weiterlesen →

Von Zwangspolitikern und der Registrierungspflicht für Sexarbeiter/-innen (Gastbeitrag)

Autorin: Johanna Weber. Ursprünglich veröffentlicht auf johannaweber.de

Vor einigen Jahren habe ich noch drüber nachgedacht, selber eine politische Laufbahn einzuschlagen. Das kann ich mir jetzt nicht mehr vorstellen. Wie die Jungfrau kam ich zum Kinde und wurde Politische Sprecherin des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen. Verändern kann ich in der Position nicht viel, aber ich habe sehr tiefe Einblicke in den Arbeitsalltag der Bundespolitiker bekommen. Menschen, die vermeintlich die Geschicke unseres Landes in der Hand haben. Menschen, die klug und weise zum Wohle aller handeln sollten.

Aber wie frei sind diese Menschen in ihren Entscheidungen? Nun gut, mit der Korruption hält es sich in unserem Lande in Grenzen, aber es gibt hier ganz andere Grenzen, die freie und oftmals vernünftige Entscheidungen fast komplett verhindern. Ich sehe unter welchen Zwängen Politiker Tag täglich arbeiten. Selbst wenn sie wollten, können sie nicht wirklich die sinnvollste Lösung anstreben, sondern müssen immer taktieren mit dem Koalitionspartner, den Lobbyisten, den verschiedenen Schichten von Parteigenossen… und am Ende geht es gar nicht mehr um die eigentliche Sache.

Weiterlesen →

Pflegen, putzen, pendeln – Lebenslagen von Hausangestellten und das neue ILO-Übereinkommen 189

Philippinische Hausangestellte auf einer Demonstration. Quelle: ILO PLizenz: CC BY-NC-ND 3.0 IGO

Pressemitteilung der Stiftung Universität Hildesheim 

Am 1. September 2014 tritt in Deutschland das Übereinkommen „Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte“ der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Kraft. Professorin Kirsten Scheiwe befasst sich in der Forschung mit den Rechten und Arbeitsbedingungen von Hausangestellten. Sie fordert einen aktiven Einsatz der Politik, sich für die Einhaltung der Rechte zu bemühen. Hausangestellte sollten stärker über ihre Rechte aufgeklärt werden. Sie pflegen alte Menschen, betreuen Kinder, putzen und hegen den Garten. Die Mehrheit der Beschäftigten in Privathaushalten sind Frauen, viele davon Migrantinnen.

Weiterlesen →

DIE HURE SPRICHT – eine Reflexion über Sexarbeit, Solidarität und politische Wirksamkeit anlässlich der Konferenz „Fantasies that matter- Images of Sexwork in Media and Art“

Autorin: Kristina Marlen arbeitet als tantrische Domina in Berlin. Sie studierte Jura und Physiotherapie bevor sie sich entschloss, ihren Schwerpunkt auf Sexarbeit zu legen. Sie ist ausserdem Tänzerin, Sängerin und Performerin. Webseite: marlen.me Eine englischsprachige version dieses Textes ist erschienen auf Research Project Germany

Ich bin Sexarbeiterin aus Berlin und seit etwa zwei Jahren in der Sexarbeitsbewegung aktiv. Der Kampf gegen die Verschärfung unseres deutschen, bisher glücklicherweise relativ liberalen Prostitutionsgesetzes liegt mir am Herzen.

Am Wochenende vom 8. bis 10. August besuchte ich die Konferenz „Fantasies That Matter, Images of Sex Work in Media and Art“ im Rahmen des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg.

Was mich als Sexarbeits-Aktivistin mit am meisten beschäftigt und bedrückt, ist die Präsenz und die Schieflage medial reproduzierter Mythen, die sich um Prostitution drehen. Seitdem ich mich politisch engagiere, ist mir klargeworden, dass das, was meinen politischen Zielen am meisten entgegensteht, die planmäßige Verbreitung eines Horrorszenarios um sexuelle Dienstleistungen ist. Sowohl die Öffentlichkeit als auch die Akteur*innen in der Politik, mit denen wir verhandeln, auch wenn sie fortschrittlich sind, scheinen rationalen Argumenten gegenüber völlig resistent zu sein, weil ein emotional aufgeladener Mythos, an die Stelle sachlicher Analysen gerückt ist – und dieser fußt auf Propagandalügen.

Weiterlesen →

Doku: „Schreit nicht zu laut“ – Menschenhandel während der WM 2010 in Südafrika

Autorin: Thea Bederke

In dem Dokumentarfilm „Don’t shout too loud“ (2013) thematisiert Courtney D. Campbell den öffentlichen Diskurs über Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung vor und während der FIFA-Fußballweltmeisterschaft in Südafrika im Jahr 2010. Im Folgenden werden die wichtigsten Punkte des Films zusammengefasst.

Campbell nähert sich dem Thema, indem er Mitarbeiter_innen verschiedener Anti-Trafficking-Organisationen und Forscher_innen sprechen lässt. Auch politische werden eingeblendet. Nachdem er einige Expert_innen verschiedener Anti-Trafficking-Organisationen (z.B. die Internationale Organisation für Migration – IOM sowie das United Nations Office on Drugs and Crime – UNODC) das Problem des Menschenhandels in Südafrika erklären lässt, beginnt er eine Spurensuche. Woher kommt dieser Diskurs über Menschenhandel? Die Suche nach der ursprünglichen Thematisierung von Menschenhandel im globalen Kontext führt in die USA.

Ronald Weitzer, Soziologieprofessor an der George Washington University in Washington, beschäftigt sich wissenschaftlich sowohl mir Prostitution als auch mit Menschenhandel. Er erläutert, dass in den ersten vier Jahren der Bush-Regierung mit insgesamt 400 Millionen Dollar ausländische NGOs gegen Menschenhandel unterstützt wurden und bis 2012 nationale und internationale NGOs insgesamt mit 1.115 Milliarden Dollar finanziert wurden. Diese Ausgaben hängen mit dem so genannten „Trafficking in Persons Report“ (kurz TIP Report) zusammen, der seit 2001 jährlich veröffentlicht wird und auf dem „Trafficking Victims Protection Act“ aus dem Jahr 2000 basiert. Weltweit werden Staaten, je nach Einschätzung des U.S. Departement of State, auf eine Rangliste (engl. „tier“) mit drei Plätzen gesetzt. Die Platzierungen, „tier 1“, „tier 2“ und „tier 3“, werden vergeben, je nachdem, ob die verschiedenen Staaten die in dem „Trafficking Victims Protection Act“ vorgegebenen Mindeststandards einhalten (hier sind sie aktuellen und ältere Platzierungen zu finden). Die Platzierung ab der Stufe 2 und schlechter haben Sanktionen zur Folge.

Weiterlesen →

EuGH-Urteil beendet rechtswidrige Abschiebungshaft – Abschiebungshaft in mehreren Bundesländern vor dem Aus

Pressemitteilung von Pro Asyl

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs fordern PRO ASYL und der Jesuiten-Flüchtlingsdienst die sofortige Freilassung von Abschiebungshäftlingen aus der Strafhaft.  Der EuGH hatte klargestellt, dass Abschiebungshaft nicht in einer  gewöhnlichen Haftanstalt vollzogen werden darf. Dem widerspricht die Haftpraxis in fast der Hälfte aller Bundesländer, in denen Abschiebungshaft im Strafvollzug organisiert wird.

Dem heutigen EuGH-Urteil liegen die Fälle einer Syrerin, einer Vietnamesin und eines Marokkaners zugrunde, die gegen ihre Inhaftierung in Justizvollzugsanstalten geklagt hatten. Unterstützt wurden die Verfahren aus den Rechtshilfefonds des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes und von PRO ASYL. Der EuGH stellte einen Verstoß gegen das sogenannte Trennungsgebot der europäischen Rückführungsrichtlinie fest, wonach Abschiebungsgefangene ausschließlich in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen sind, wenn diese im jeweiligen EU-Mitgliedstaat vorhanden sind.

Weiterlesen →

Lebendig begraben: Isolationshaft in den USA

Pressemitteilung von Amnesty International 

Amnesty dokumentiert grausame Isolationshaft in US-Bundesgefängnissen und kritisiert geplante Ausweitung der Praxis

BERLIN, 16.07.2014 – Die Isolationshaft in den US-Bundesgefängnissen verstößt gegen internationales Recht und hat verheerende Folgen für die Gesundheit der Gefangenen. Zu diesem Ergebnis kommt Amnesty International in dem heute veröffentlichten Bericht „Entombed: Isolation in the US Federal Prison System“ (Lebendig begraben – Isolationshaft in US-Bundesgefängnissen). Der Bericht stellt fest, dass im ADX Florence in Colorado – dem einzigen Hochsicherheitsgefängnis, das die US-Bundesregierung betreibt – die Gefangenen über Jahre 22-24 Stunden täglich in abgeschirmten Einzelzellen verbringen müssen.  

Weiterlesen →

Aber was ist mit Menschenhandel?

Autorin: Megan Rivers-Moore, Soziologin und Assistant Professor in Frauen- und Geschlechterstudien an der Carleton University, Kanada. Ursprünglich veröffentlicht auf Border Criminologies

„Wir möchten Sie einladen, um einen Vortrag über Menschenhandel zu halten. Das Thema stoßt bei unseren Studierenden auf großes Interesse und bereitet ihnen Sorge.“

„Ich habe vor, eine Hausarbeit über sexuelle Sklaverei von Frauen zu schreiben. Jedes Jahr werden Millionen von Frauen in die Sex-Industrie verkauft und das ist ein sehr wichtiges Problem, das Feministinnen ansprechen müssen.“

„Aber was ist mit Menschenhandel? Mit den Frauen, die gegen ihren Willen dazu gezwungen werden, Sex zu verkaufen? Ich möchte über diesen Aspekt Ihrer Arbeit hören.“ 

Obwohl es in meiner Forschung nicht um Menschenhandel geht, erhalte ich regelmäßig diese Art von Einladungen, studentische Arbeiten und Fragen. Als Sexarbeits-Forscherin werde ich häufig mit der sehr frustrierenden Annahme konfrontiert, dass Sexarbeit und Menschenhandel ein und dasselbe sind. Obwohl ich dieses Problem in der Vergangenheit gelegentlich angesprochen habe, denke ich weiterhin darüber nach, was die Beschäftigung mit diesem Thema erklären könnte. Was zeigt das Interesse an Menschenhandel über die komplizierte Beziehung zwischen Feminismus, Rassismus, Einwanderung und Grenzkontrolle auf?

Weiterlesen →

Fair Play für Kinderrechte? Sportevents, Tourismus und sexuelle Ausbeutung von Kindern in Brasilien

Autorin: Dorothea Czarnecki

Bei sportlichen Mega-Events wie der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 oder den Olympischen Spielen 2016 in Brasilien ist es unerlässlich, auch an den Schutz und die Rechte von Kindern zu denken. Aufgrund der enormen Ausgaben für die anstehenden Sportereignisse vernachlässigt die Regierung den notwenigen Ausbau der sozialen Sicherung, der Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Die Leidtragenden der anhaltenden sozialen Ausgrenzung sind allen voran Kinder und Jugendliche.

Von den insgesamt 200 Millionen Einwohnern Brasiliens sind 33 Prozent jünger als 18 Jahre. Obwohl der Anteil der extrem Armen, die weniger als 1,25 US-Dollar täglich zur Verfügung haben, von 17 Prozent (1993) auf 6,1 Prozent (2012) gesunken ist, leben noch immer knapp 28 Millionen Minderjährige in Haushalten, die mit weniger als dem halben Mindestlohn auskommen müssen. Die soziale Realität in Brasilien erlaubt es vielen Familien nicht, Kindern den Schutzraum zu geben, den sie bräuchten, um gesund und glücklich aufzuwachsen.

So müssen oft auch die Kinder zum Haushaltseinkommen beitragen. Sie kellnern zum Beispiel in Imbissen oder verkaufen Schmuck am Strand. Doch von harmlos erscheinenden Tätigkeiten, speziell im Umfeld von Touristen, ist es oft nur ein kleiner Schritt hin zu ’sexuellen Diensten‘, sprich der sexuellen Ausnutzung von Kindern zu Prostitutionszwecken.

Weiterlesen →

„Um Menschenhandel zu bekämpfen, müssen Betroffene zunächst einmal als solche erkannt werden“

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Rundbrief 54 vom Mai 2014 der FIZ – Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (Zürich) veröffentlicht. Im Rundbrief wird das 10-jährige Bestehen der Beratungsstelle reflektiert. 

Autorin: Susanne Seytter

Die Beratungs- und Interventionsstelle FIZ Makasi betreut seit zehn Jahren Betroffene von Frauenhandel. Ihr Erfolg gründet darin, dass sie nicht nur Opfer berät, sondern dass sie spezialisiert und vernetzt arbeitet und ihr Wissen weitergibt.

Gründung und Aufbau

Am 25. November 2004, dem Internationalen Tag gegen die Gewalt an Frauen starteten wir das Projekt „FIZ Makasi, Beratung und Begleitung für Opfer von Frauenhandel“. Wir nannten das Kind „Makasi“, ein Name, den uns eine damalige Klientin aus dem Kongo vorschlug: „Makasi heisst STARK in meiner Sprache“, sagte sie uns. Das ist bis heute unser Prinzip, unser Ziel geblieben: Den Frauen wieder zu ihrer eigenen Stärke und Kraft zu verhelfen. Im 2005 begleitete Makasi bereits 116 Opfer aus allen Teilen der Welt. Heute betreuen die Beraterinnen rund 200 Fälle pro Jahr. Sie sprechen neun Sprachen, ergänzt durch weitere sechs Sprachen im Makasi DolmetscherInnennetz. Aus dem Beratungsangebot ist ein veritables Opferschutzprogramm geworden, in dem die Betroffenen vom ersten Moment an Sicherheit und Unterstützung erfahren. Und in dem heute ein Schatz von spezialisiertem Wissen zu Rekrutierungs-und Ausbeutungsmechanismen, Zwangsmitteln der MenschenhändlerInnen und ZuhälterInnen, Zwangslagen der Opfer, Formen und Auswirkungen von Traumatisierung, Beratungsmethoden und Interventionsstrategien existiert. Gearbeitet wird heute mit (leider immer noch) sehr moderaten Personalressourcen von knapp 600 Stellenprozenten. Während die Frauen bei der Gründung von Makasi oftmals nur kurze Zeit blieben und die TäterInnen nicht verfolgt wurden, entscheiden sich heute immer mehr Betroffene, gegen die Täterschaft auszusagen und bleiben während des Verfahrens. So stieg auch die Verweildauer im Makasi Programm. Heute gehen fast alle Gerichtsverfahren gegen die Täterschaften in der Schweiz auf den Aussagemut von Makasi-Klientinnen zurück. Im 2011 ergänzten wir das Makasi Unterbringungsnetz mit einer eigenen Schutzwohnung. Sechs Plätze stehen zur Verfügung. Im Jahr kommen dort zwischen 20 und 30 Frauen unter.

Weiterlesen →

„Die“ politische Lösung gibt es nicht. Prostitutionspolitiken im Vergleich

Bild: Steve Rhodes (Flickr); CC BY-NC-ND 2.0

Autorin: Helga Amesberger

Prostitutionspolitiken in Europa und anderswo sind hochgradig durch ideologische und moralische Haltungen geprägt. In meinem Beitrag zeichne ich die Grundlagen der verschiedenen Prostitutionsregime nach und versuche anhand dreier Länderbeispiele deren Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von SexarbeiterInnen darzustellen.

Modelle der Regelung von Sexarbeit

Weltweit gibt es sehr unterschiedliche Wege des Umgangs mit Sexarbeit. Diese Prostitutionsregime werden meist nach deren jeweiligen primären politischen Zielorientierung klassifiziert: prohibitive, abolitionistische und regulative Regime sowie das sogenannte Sexarbeitsmodell.

Prohibitive Regime verbieten Sexarbeit generell und kriminalisieren damit SexarbeiterInnen, Freier und ZuhälterInnen. Beispiele hierfür sind Länder wie USA, Kanada und Rumänien. Es ist sowohl der Verkauf als auch der Kauf sexueller Dienstleistungen verboten. Während sich in prohibitiven Regimen alle Beteiligten strafbar machen, sind dies bei abolitionistischen Modellen nur all jene Personen, die entweder Sex kaufen oder direkt oder indirekt vom Verkauf sexueller Dienstleistungen profitieren; dies können BordellbetreiberInnen und ZuhälterInnen sein, aber ebenso Taxiunternehmen, Personen, die eine Website für SexarbeiterInnen erstellen oder potentiell auch erwachsene Kinder, die beispielsweise studieren und Unterstützung von der Mutter erhalten. Jegliche Art von Bordellbetrieben ist damit ebenfalls verboten. Das heißt, der Verkauf von sexuellen Dienstleistungen ist nicht unter Strafe gesetzt, lediglich deren Kauf sowie Dienstleistungen für SexarbeiterInnen, die die Ausübung der Prostitution ermöglichen oder fördern. Das langfristige Ziel ist die Abschaffung der Prostitution. Schweden verfolgt ein abolitionistisches Regime und ist damit Vorbild für andere europäische Staaten (aktuell etwa Frankreich).

Weiterlesen →

Projekt „Reurbanizacao“: Massenrazzia gegen Sexarbeiter*innen in Niterói, Rio de Janeiro

Autorin: Janine Ewen (@JanineEwen)

Am 23. Mai 2014 marschierte die Polizei aus dem 76. Polizeirevier in Niterói illegal und ohne richterliche Genehmigung in das Gebäude „Caixa Economica“, wo 300 Sexarbeiter*innen und andere Bewohner leben. Niteroi ist eine Stadt, die gegenüber der Guanabara Bucht von Rio de Janeiro liegt. Unter dem Namen „Reurbanizacao“ (Re-Urbanisierung) ging es bei dieser Polizeioperation um die Entfernung von rund 300 Prostituierten, die zu weiteren Ermittlungen auf Polizeistationen gebracht wurden. Insbesondere vor dem Hintergrund der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2014, die am 12. Juni beginnt, wird angenommen, dass die Operation Teil der Massenhygienisierung (sozialen Säuberung) in der Innenstadt von Niterói ist.

„FIFA Müll -Reiniger sind in der Stadt und unterstützen diese Regierungsbastarde“ (Anwohner)

Sexarbeiterinnen, Menschen, die in den Wohnungen leben und die Bewohner des umliegenden Gebietes wurden vertrieben und deren Geschäfte geschlossen und sind nun ohne Arbeit und Unterkunft. Zu den Gewerben gehörten Geschäfte und Haarsalons, die durch die lokale Sexarbeiter*innen-Gemeinschaft überlebten. Sie wurden gesprengt, geschlossen und versiegelt.

Weiterlesen →

Abolitionismus: Eine Geisel kapitalistischer Kräfte?

Autor: Neil Howard (@NeilPHoward), Marie Curie Stipendiat am European University Institute in Florenz. Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Englisch auf aljazeera.com veröffentlicht.

Die heutigen „Abolitionist*innen“ müssen Arbeitsausbeutung so definieren, dass es zum Narrativ ihrer Finanzierungsquellen passt

Eine der vielen Aktionen gegen Menschenhandel, die Menschenhandel als etwas Fremdes darstellen, das außerhalb des kapitalistischen Systems liegt. Quelle: Flickr / CrittentonSoCal; Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0

Die zeitgenössische Aufschwung des „modernen Abolitionismus“ kann als eine politisch-psychologische Reaktion auf die Demaskierung der Fiktionen des Kapitalismus im Rahmen der kapitalistischen Krise verstanden werden. Kraftvoll platzierte geschäfts- und unternehmensbezogene Interessen lenken die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit weg vom Versagen des Kapitalismus, indem sie die Aufmerksamkeit stattdessen auf die viel weniger systemisch herausfordernde „moralische Empörung“ einzelner krimineller Sklavenhändler, Menschenhändler oder Zwangsarbeiter konzentrieren. Sie tun dies, indem die alltägliche kapitalistische Ausbeutung der Arbeitskraft öffentlich als etwas dargestellt wird, das sich außerhalb des kapitalistischen Systems befindet – als Zwangsarbeit, Sklaverei oder Menschenhandel.

Weiterlesen →

Sex-Sklaven und der Überwachungsstaat. Warum „Menschenhandel“ ein gefährlicher Begriff ist

Autor: Thaddeus Russell für reason.com

Ihr Name ist unbekannt, wie der von fast allen Opfern. Sie ist nicht älter als ein Teenager und hat große Augen, die auf den Boden starren, lange gewellte Haare und blasse Haut. Sie trägt ein unscheinbares weißes Kleid, was darauf hindeutet, dass sie ein unschuldiges Leben führte, bevor sie sich in diesem Verließ wiederfand. Sie starrt durch die Gitterstäbe ihres Käfigs und weil sie sich nicht selbst retten kann, betet sie für ihre Rettung. Hinter ihr ein Mann mit Hut und einem lasziven Lächeln, der gebannt durch den Rauch seiner Zigarre auf seine Beute blickt. Er hat bezahlt, um sie zu vergewaltigen und sie ist machtlos und kann ihn nicht stoppen. Sie ist eine “weiße Sklavin”.

Dieses Mädchen ist eine Zeichnung. Sie existierte nur in einem Bild, welches Teil einer Flut von Darstellungen im frühen 20. Jahrhundert war, in der Heerscharen von weißen amerikanischen Mädchen und Frauen gegen ihren Willen festgehalten und zur Prostitution gezwungen wurden. Tausende von Zeitungsartikeln, Büchern, Predigten, Reden, Theaterstücke und Filme zeigten eine große Schattenwirtschaft, in der Entführer und Zuhälter eine gottesähnliche Macht über junge weibliche Sexsklavinnen hatten. Historiker*innen sind sich heute einig, dass diese Darstellungen größtenteils oder gänzlich erfunden waren. Es gibt kaum einen nachprüfbaren Beweis, dass amerikanische Frauen entführt und körperlich zur Prostitution gezwungen wurden oder dass ein Mädchen, wie auf dem Bild, überhaupt existierten.

Weiterlesen →

Sex, Sklaven und Bürgerschaft: Politiken des anti-trafficking

Autorinnen: Bridget Anderson (Oxford) und Rutvica Andrijasevic (Leicester)

Wie der Fokus auf das Übel des Menschenhandels die Debatte über Migration entpolitisiert

Menschenhandel ist in den Nachrichten. National und international ist er auf der politischen Agenda. Tausende von Menschen, Hunderte von Gruppen, Dutzende von Zeitungen sind entschlossen, ihn auszumerzen. Dieser Fokus auf Menschenhandel reflektiert und verstärkt ständig die tiefe Besorgnis der Öffentlichkeit über Prostitution und Sexarbeit, über Einwanderung, sowie über den Missbrauch und die Ausbeutung, die er so häufig beinhaltet. Wenn man den Begriff Menschenhandel oder bestimmte Maßnahmen dagegen hinterfragt, könnte man auch gleich sagen, dass man Sklaverei billigt, gegen Mutterschaft ist und Apfelkuchen nicht mag. Menschenhandel ist ein Thema, das uns alle zusammenbringen sollte. Aber wir glauben, dass es notwendig ist, ja nicht in Verdacht zu geraten, Mutterschaft und Apfelkuchen zu kritisieren und Sklaverei zu befürworten. Denn die moralische Panik in Bezug auf Menschenhandel lenkt die Aufmerksamkeit von den strukturellen Ursachen der Ausbeutung von Wanderarbeiter*innen ab. Das Interesse wird auf die bösen Übeltäter gelenkt statt auf eher systemische Faktoren. Insbesondere wird der staatliche Umgang mit Migration und Beschäftigung ignoriert, der de facto Gruppen von Nicht-Bürger*innen konstruiert, die ungestraft als ungleich behandelt werden können.

Weiterlesen →

Katar: Amnesty International prangert Ausbeutung von migrierten Hausangestellten an

In Katar arbeiten ausländische Hausangestellte sehr häufig unter ausbeuterischen Bedingungen und haben keine rechtlichen Möglichkeiten sich zu wehren. „Die überwiegend weiblichen Hausangestellten sind der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgeliefert, müssen Demütigungen und Gewalt erleiden und die Behörden in Katar tun nichts, um die Frauen zu schützen“, sagt Regina Spöttl, Katar-Expertin von Amnesty International in Deutschland,  anlässlich der Veröffentlichung des neuen Amnesty-Berichts „My sleep is my break“: Exploitation of domestic workers in Qatar („Der Schlaf ist meine Pause“) am Mittwoch.

Weiterlesen →

Pro Asyl: Italien unterhöhlt Flüchtlingsschutz

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen auf proasyl.de

Angesichts mehrerer Tausend in den letzten Tagen im Mittelmeer vor Italien geretteter Flüchtlinge sieht es so aus, als diene die italienische Operation „Mare Nostrum“ nicht nur der Lebensrettung, sondern auch dem Flüchtlingsschutz. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass Ziele des Einsatzes auch die Abschottung der Grenzen und Abwehr von Flüchtlingen sind.

Weiterlesen →

Interview mit Betroffener von Menschenhandel Jes Richardson (USA)

Jes Richardson.

Ruth: Wie kam es zu Deinem Engagement in der Bewegung gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung?

Jes: Vor vier Jahren habe ich zum ersten Mal von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung (sex trafficking) gehört. Ich hatte an einer Stadtteilversammlung mit einer Freiwilligen-Organisation teilgenommen, wo es einen Vortrag zum internationalen und nationalen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung gab. Während des Vortrags verstand ich zum ersten Mal, dass ich Menschenhandel erfahren hatte und dass der Missbrauch nicht meine Schuld war. Hinzu kam, dass ich genau in dem Hotel, wo die Stadtteilversammlung abgehalten wurde, zwölf Jahre zuvor gehandelt wurde. In diesem Moment wusste ich, dass ich mich melden musste. Ich musste meine Erfahrung mit anderen teilen. Wenn ich selbst nicht das Bewusstsein darüber hatte, was ich erlebt hatte, dann wie viele andere Menschen musste es noch geben, die die gleichen Erfahrungen hatten? So begann meine Suche nach einem tieferen Verständnis der Sprache zur Beschreibung meiner eigenen Erfahrung und danach, wie wir am effektivsten Menschenhandel stoppen können.

Weiterlesen →