Wenig Schutz im Asylverfahren (Gastbeitrag)

von Shelley Berlowitz

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Rundbrief 51 vom November 2012 der FIZ – Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (Zürich) veröffentlicht. —

Die Haltung der Schweizer Gesellschaft und Behörden gegenüber Asylsuchenden ist von zunehmenden Misstrauen geprägt. Asylsuchende müssen eine kohärente und chronologisch stimmige Geschichte ihrer Flucht erzählen – sonst werden sie als unglaubwürdig eingestuft. Von Frauenhandel Betroffene können dies nicht: ihre Erzählungen sind von Widersprüchen und Lücken gezeichnet.

Wer während vielen Jahren in verschiedenen Ländern gehandelt wurde, hat grosse Mühe, die Reisestationen zu rekonstruieren. Wenn die Geschichte der Flucht nicht glaubwürdig klingt, weil Frauen Umstände ihrer Ausbeutung nicht kennen, aus Angst verschweigen oder aus Gründen der Traumatisierung nicht erzählen können, laufen sie Gefahr, einen negativen Asylbescheid zu bekommen . Wenn sie ohne die Angabe von triftigen Gründen innert 48 Stunden keine gültigen Papiere vorweisen können, kann es sein, dass auf ihr Asylgesuch nicht eingetreten wird. Unter diesen Voraussetzungen besteht keine Zeit, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, um ihre Geschichte zu erfahren, bevor sie ausgeschafft werden.

FIZ-Makasi hat in den letzten Jahren immer wieder Frauen beraten, die im Asylverfahren standen. Sie kamen unter anderem aus der Mongolei, China, Russland, der Elfenbeinküste und Nigeria. Fast alle haben nach einer Zeit den Kontakt abgebrochen und sind aus unserem Blickfeld verschwunden. Wir wissen nicht, ob die Händlerkreise Kontakt mit ihnen aufgenommen haben, ob sie aus Angst vor Repressalien wieder in die Prostitution zurückgekehrt sind, ob sie weiter auf der Flucht oder untergetaucht sind. Oder ausgeschafft wurden.

Situation erschwert

Weitere Stolpersteine erschweren die Situation zusätzlich:

Frauen, die im Ausland Opfer von Frauenhandel wurden, erhalten in der Schweiz keine Unterstützung gemäss Opferhilfegesetz. Bei ihrer Rückschaffung in das Land der Ausbeutung müsste mindestens gewährleistet sein, dass im Ausland ein Angebot von Schutz und Begleitung zur Verfügung steht. Frauen, die in der Schweiz Opfer wurden, haben zwar Anspruch auf juristische, finanzielle und psychosoziale Hilfe und die Möglichkeit, einen legalen Aufenthalt zu beantragen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sie als Opfer von Menschenhandel erkannt werden. Dies ist alles andere als selbstverständlich: Opfer von Frauenhandel werden im Asylverfahren oft nicht als solche identifiziert.

Asylgesuche von Personen, die aus einem anderen Mitgliedstaat des Dublin-Abkommens einreisen (dazu gehören alle EU-Staaten sowie Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz), werden hier nicht materiell geprüft. In diesem abgekürzten Verfahren geht es in der Erstbefragung hauptsächlich um den Reiseweg. Und hier haben Asylsuchende keinen Anspruch auf BefragerInnen und DolmetscherInnen des gleichen Geschlechts; diese Möglichkeit besteht nur, wenn das Asylgesuch auch materiell geprüft wird. Dies reicht bei Opfern von Menschenhandel nicht aus, um in einer Vertrauenssituation von ihren Erlebnisses zu berichten.

Das Dublin-Abkommen bestimmt, dass für die Behandlung von Asylgesuchen derjenige Mitgliedsstaat zuständig ist, in den Asylsuchende zuerst eingereist sind. Die Dublin-II-Verordnung von 2003 erlaubt es jedoch allen Staaten, selbst auf Asylgesuche einzutreten, auch wenn die Asylsuchenden aus einem anderen Dublin-Land einreisen. Wenn von Frauenhandel betroffene Frauen in das Land überstellt werden, aus dem sie eingereist sind, landen sie möglicherweise genau wieder bei jenen Menschenhändlern, vor denen sie in die Schweiz geflohen sind. Das Non-Refoulement-Prinzip verbietet es zwar, einen Flüchtling in ein Land zurückzuschicken, in dem sein Leben gefährdet sein könnte. Aber was, wenn nicht der Staat, sondern Menschenhändler, vor denen der Staat sie nicht schützen kann, die Bedrohung darstellen?