menschenhandel heute.

kritische perspektiven auf die bekämpfung von menschenhandel

Menschenhandel und legale Prostitution: Ein Interview mit Axel Dreher (Uni Heidelberg)

Anmerkungen der Redaktion: Axel Dreher, Professor für Internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik an der Universität Heidelberg, ist Mitautor einer viel zitierten Studie über den (theoretischen) Zusammenhang zwischen legaler Prostitution und Menschenhandel „Does Legalized Prostitution Increase Human Trafficking?“. Über diese Studie gibt es auch auf „menschenhandel heute“ zwei kritische Beiträge jeweils von mir und von LEFÖ, Wien Ein kritischer Beitrag ist auch auf Forbes erschienen. 

Die Studie von Axel Dreher & Co. wird gerne zitiert, um das Scheitern des deutschen Prostitutionsgesetzes zu verkünden oder, im Ausland, um gegen eine Legalisierung bzw. Entkriminalisierung von Prostitution zu argumentieren. Auch entsteht der Eindruck, dass in den deutschen Medien die Studie eingesetzt wird, um insbesondere die SPD und Bündnis90/Die Grünen für die empirisch nicht belegbare Zunahme des Menschenhandels verantwortlich zu machen, obwohl damals die CDU ein umfassenderes Prostitutionsgesetz blockierte, wodurch viele Schwächen von vornherein vermieden hätten werden können.

Vor diesem Hintergrund habe ich mich dazu entschlossen, Prof. Axel Dreher für ein Interview anzufragen. Schließlich ist die oben genannte Studie differenzierter als die schockierende Meldung, die es in die Medien schafft. Auch habe ich mich gefragt, ob Herr Dreher nicht vielleicht auch mehr zu sagen hat, als „legale Prostitution fördert Menschenhandel“. Ich hoffe, dass dieses (schriftlich geführte) Interview dazu beiträgt, einige Ansichten von Herrn Dreher der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Antworten von Herrn Dreher werden vollständig und unverändert veröffentlicht. Die Fragen wurden von Sonja Dolinsek gestellt.

Interview mit Prof. Dr Axel Dreher, Professor für Internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik an der Uni Heidelberg

Als einer der meist rezipierten Forscher zum Thema Menschenhandel und seinem Verhältnis zu Prostitutionsgesetzen möchte ich zuerst nach einer Begriffsklärung fragen. Sie nutzen z.B. in der oft zitierten Studie „Does Legalized Prostitution Increase Human Trafficking?“ den Begriff „human trafficking inflows“, obwohl Menschenhandel eigentlich daran festgemacht wird, dass eine Person ausgebeutet wird, und nicht dass es einen Grenzübertritt gibt. Welchen Begriff von Menschenhandel verwenden Sie in Ihren Studien und was meinen Sie damit?

Unsere Daten basieren auf dem “Report on Trafficking in Persons: Global Patterns” der UNODC (2006). Die verwendete Definition ist die folgende:

“The recruitment, transportation, transfer, harbouring or receipt of persons, by means of the threat or use of force or other forms of coercion, of abduction, of fraud, of deception, of the abuse of power or of a position of vulnerability or of the giving or receiving of payments or benefits to achieve the consent of a person having control over another person, for the purpose of exploitation. Exploitation includes, at a minimum, the exploitation of the prostitution of others or other forms of sexual exploitation, forced labour or services, slavery or practices similar to slavery, servitude or the removal of organs.” (UNODC, 2006, p.7).

Diese Definition entspricht der internationalen Definition von Menschenhandel des Zusatzprotokolls zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels als Teil der UNO-Konvention gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität. Der Begriff „human trafficking inflows“ soll verdeutlichen, dass es sich um Länder handelt, in denen Menschen ausgebeutet werden, also dass es sich um Zielländer der Menschenhändler handelt.

Inwiefern unterscheidet sich Ihre Definition von jener des UN Protokolls gegen Menschenhandel und welche Folgen hat das für Ihre Studie?

Gar nicht.

Es gibt kaum verlässliche und vergleichbare Zahlen im Bereich Menschenhandel. Wie gehen Sie damit um?

Für unsere statistische Auswertung müssen die Daten nur bedingt verlässlich sein. Zu unpräzise Daten führen dazu, dass sich keine statistisch signifikanten Zusammenhänge zeigen lassen. Da unsere Ergebnisse aber statistisch signifikant und sehr robust sind, sind Ungenauigkeiten die nicht systematisch mit den untersuchten Variablen zusammenhängen kein Problem. Nur wenn – kontrolliert für die anderen Variablen unseres Modells – der Zusammenhang zwischen dem Datenfehler und der Legalisierung von Prostitution systematisch zusammenhängen würden hätten wir ein Problem. Anders sieht das bei der Betrachtung der Rohdaten oder Fallstudien zu einzelnen Ländern aus. Hier sind die Ergebnisse mit äußerster Vorsicht zu genießen. „Beweisen“ lässt sich mit den vorhandenen Daten hier gar nichts. Das gilt auch für die in unserem Artikel enthaltenen Fallbeispiele über Deutschland, Schweden und Dänemark.

In einem Artikel der ARD (http://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/prostitution131.html) wurden Sie mit folgenden Satz zitiert: „In Deutschland, wo Prostitution legal ist, ist der Markt 60 Mal größer als in Schweden, wo Prostitution verboten ist. Gleichzeitig hat Deutschland rund 62 Mal so viele Opfer von Menschenhandel wie Schweden, obwohl die Bevölkerung weniger als zehn Mal so groß ist.“. Können Sie angeben, auf welchen Quellen Sie sich stützen, wenn Sie sagen, dass „Deutschland rund 62 Mal so viele Opfer von Menschenhandel wie Schweden“?

Die Daten sind aus dem „Global report“, wie in Danailova-Trainor und Belser verwendet (Globalization and the illicit Market for Human Trafficking: An empirical Analysis of Supply and Demand. ILO Working Paper No. 78. Geneva: International Labour Organization, 2006). Die Daten sind nicht direkt in deren Arbeitspapier wiedergegeben, können aber von den Autoren wohl leicht bezogen werden.

Ein Blick in den im April 2013 veröffentlichten statistischen Bericht der EU zeigt, dass es pro 100.000 Einwohner in Deutschland und Schweden gleich viele Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung gibt, nämlich genau 0,8 Opfer (2010). Wie passt das zu ihren oben genannten Schlussfolgerungen?

Zunächst können die Rohdaten immer von den Ergebnissen einer statistischen Untersuchung abweichen, da hier nicht für andere Einflußfaktoren des Menschenhandels kontrolliert wird. Die erwähnten Probleme mit der Datenqualität sind hier virulent. Zudem ist unsere Schlussfolgerung das Ergebnis einer statistischen Querschnittsuntersuchung. Das bedeutet, dass im Durchschnitt der betrachteten Länder der Menschenhandel stärker ist, wenn die Prostitution legal ist. Keinesfalls bedeutet das, dass der Zusammenhang immer gelten muss. In einzelnen Ländern kann der Zusammenhang auch negativ oder nicht vorhanden sein.

Statistisch gesehen, ist in Deutschland der Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung seit dem Prostitutionsgesetz zurückgegangen, bzw. gleich geblieben.  Welche Rolle spielen diese Daten für Ihre Forschung und wie bewerten Sie diese?

Wie gesagt: die Rohdaten für einzelne Länder sind nicht hinreichend hochwertig um Beweise in die eine oder andere Richtung führen zu können.

Man könnte argumentieren, dass Prostitutionsgesetze und Gesetzte gegen Menschenhandel (und Ihre Umsetzung) nichts miteinander zu tun haben. Es liegt z.B. nicht am Prostitutionsgesetz, dass der Opferschutz für Betroffene von Menschenhandel in Deutschland ungenügend ist und es liegt auch nicht am Prostitutionsgesetz, dass die Strafverfolgung von Menschenhändlern an der Aussage von Opfern geknüpft ist. Wie sehen Sie das?

Unsere Ergebnisse zeigen, dass im Durchschnitt der Länder die Prostitutionsgesetzgebungen mit dem Menschenhandel einhergehen. Das bedeutet nicht, dass dieser Zusammenhang notwendigerweise bestehen muss. In einem Artikel für den Fair Observer (mit Alexandra Rudolph) argumentieren wir in der Tat, dass in erster Linie bessere Gesetze gegen den Menschenhandel nötig sind, um den Menschenhandel zu bekämpfen (http://www.fairobserver.com/article/prostitution-human-trafficking-middle-road-regulation). Eine bessere Regulierung der Prostitution kann aber auch helfen.

Ist Ihrer Ansicht nach die Strafverfolgung von Menschenhändlern und der Opferschutz von Betroffenen von Menschenhandel in Ländern, wo Prostitution kriminalisiert wird, notwendigerweise besser?

Nein. Allerdings kann eine geeignete Regulierung der Prostitution auch im Kampf gegen den Menschenhandel helfen.

In den USA ist Prostitution vollständig kriminalisiert. Statistisch gesehen werden jährlich um die 60.000 Prostituierte inhaftiert, während die Zahl der identifizierten Opfer von Menschenhandel sehr niedrig ist. Viele weisen darauf hin, dass Betroffene von Menschenhandel in den USA als Kriminelle verhaftet werden können. Wie ist Ihre Position zum Verhältnis von Prostitutionsgesetzgebung und Anti-Menschenhandelsgesetzgebung in den USA bzw. was sagen Ihre Forschungsergebnisse dazu?

Unsere Ergebnisse beziehen sich auf einen Durchschnitt von Ländern und lassen keine direkten Aussagen über die USA zu. Persönlich halte ich die Kriminalisierung der Opfer für widersinnig und kontraproduktiv, da es den Betroffenen jegliche Möglichkeit raubt, sich Hilfe bei staatlichen Stellen zu suchen und sie so in den Untergrund gezwungen werden wo sie weiterhin kriminellen Machenschaften ausgeliefert sind.

Es gibt keine empirischen Daten über die Anzahl von Prostituierten in einem bestimmten Land. Für Deutschland trifft das ebenfalls zu. Warum sind Sie der Ansicht, dass Sie trotzdem Rückschlüsse über das Verhältnis von Prostitutionsgesetzen und Menschenhandel ziehen können?

Für eine Aussage über die Wirkung von Prostitutionsgesetzen brauchen wir keine Daten über die Anzahl von Prostituierten.

Gerade in der internationalen Öffentlichkeit wird Ihre Studie oft zitiert, um das Scheitern der Legalisierung zu deklarieren und um Prostitution (weiterhin) zu kriminalisieren. Wie stehen Sie zu dieser Verwendung Ihrer Studie und ihrer Ergebnisse? Empfinden Sie, dass Ihre Studien hier zu Unrecht „instrumentalisiert“ werden?

Ich kann verstehen, dass die Gegner der legalen Prostitution sich auf unsere Ergebnisse beziehen. Was mich eher wundert, sind die Argumente der Befürworter, die unsere Ergebnisse mit zum Teil recht merkwürdigen Behauptungen und Unterstellungen verwerfen. Ich bin persönlich eindeutig gegen die Kriminalisierung der Prostitution. Ein im Durchschnitt positiver Zusammenhang zwischen legaler Prostitution und Menschenhandel bedeutet doch nicht, dass die Legalisierung immer, in jedem Land und zu jeder Zeit schädlich ist. Zum einen kann der Zusammenhang durch geeignete Gesetze und deren Umsetzung verhindert werden. Zum anderen ist der Menschenhandel nur ein Aspekt der legalen Prostitution. Das heißt doch nicht, man müsste sie deshalb verbieten. Statt unsere Ergebnisse wegzureden, sollten Befürworter der legalen Prostitution versuchen konstruktiv beizutragen, den Zusammenhang zwischen legaler Prostituton und dem Menschenhandel aufzubrechen.

Sind Sie der Ansicht, dass die Kriminalisierung von Prostitution und Prostituierten Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung reduzieren würde?

Ja. Es gibt aber andere, viel bessere Wege, dieses Ziel zu erreichen. Ich bin eindeutig gegen eine Kriminalisierung von Prostitution. Zum Vergleich: Ein höheres Tempo auf Autobahnen führt zu mehr Unfällen. Wenn wir das Tempo reduzieren, nehmen die Unfälle ab. Das kann aber doch nicht heißen dass wir die Autobahnen oder sogar die Autos abschaffen.

In Ihrer Studie verweisen Sie darauf hin, dass Sexarbeiter_innen in Ländern, in denen Prostitution legal ist, ggf. bessere Arbeits- und Lebensbedingungen erfahren.Trifft das aus Ihrer Sicht auf Deutschland zu?

Das ist allerdings kein Ergebnis unserer Studie, sondern eine Erwartung. In Deutschland trifft das meiner Meinung nach nur potentiell zu. Insgesamt hat das „Ende der Sittenwidrigkeit“ die Preise deutlich gesenkt und für die Mehrheit wohl kaum positive Ergebnisse vorgebracht.

Welche Rolle nimmt in Ihren Studien der Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung ein, der laut ILO in Asien mehr als die Hälfte des Menschenhandels ausmacht? Wie würden Sie die Zunahme des Menschenhandels zur Arbeitsausbeutung erklären?

Diese Form des Menschenhandels ist in unserer Untersuchung mit eingeschlossen. Wir können die verschiedenen „Zwecke“ des Menschenhandels in dieser Analyse nicht unterscheiden, da die verwendeten Daten alle Formen von Menschenhandel einschließen.

Wenn Ihre Untersuchung alle Formen des Menschenhandels mit einschließt, warum haben Sie sich dafür entschieden, (nur) das Verhältnis zu Prostitutionsgesetzen zu untersuchen und nicht beispielsweise das Verhältnis zur Migrationsgesetzgebung bzw. zu verschiedenen Formen der Regulierung von Arbeitsmigration? Könnte es sein, dass auch dieser Aspekt (oder andere, außer der Prostitutionsgesetzgebung) bei der Evaluation von Menschenhandel eine Rolle spielt (bzw. spielen)? Inwiefern?

Wir wollten uns auf diese eine Frage beschränken, aber es scheint plausibel, dass auch Gesetze und Regulierungen in anderen Bereichen einen Einfluß auf den Menschenhandel haben.

Würden Sie der Politik empfehlen, Prostitution in Deutschland zu verbieten? Mit welcher Begründung?

Nein. Wie wir in unserem Fair Observer Artikel erklären, überwiegen die positiven Aspekte der legalen Prostitution. Eine liberale Gesellschaft muss Regeln setzen, die Ausbeutung verhindern, darf aber den freiwilligen Austausch von Erwachsenen nur in sehr extremen Fällen verbieten. Die Prostitution gehört meiner Ansicht nach nicht zu diesen Extremfällen.

Wie sollte Deutschland mit Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung umgehen?

Wir haben im Rahmen eines von der EU finanzierten Projektes einen Index erstellt, der die Gesetze über den Menschenhandel über die Zeit und Länder bewertet (3P-Index,http://www.human-trafficking-research.org/). Wir bewerten in der Kategorie „Strafverfolgung“, ob ein Land eine spezifische Gesetzgebung gegen Menschenhandel besitzt, ob das Strafmaß angemessen und vergleichbar zu ähnlichen Vergehen ist und inwieweit Strafen umgesetzt werden. Zu „präventiven“ Maßnahmen zählen unter anderem öffentlichkeitswirksame Informationen und die Zusammenarbeit mit internationalen Akteuren. Die dritte Komponente misst den Schutz von Menschenhandelsopfern, besonders ob und inwieweit die Opfer von Menschenhandel kriminalisiert oder sogar als Täter behandelt werden. In Deutschland werden seit 2000 alle Kriterien in den Bereichen Strafverfolgung und Prävention erfüllt und somit hohe Werte im 3P-Index erreicht. Allerdings kommt es in der Kategorie Opferschutz immer wieder zur Kriminalisierung von Menschenhandelsopfern, da diese schwierig zweifelsfrei zu identifizieren sind oder die Prozesse in der Identifizierung der Opfer zu langsam sind. Diesen Schwächen tritt Deutschland aber bereits entgegen, in dem beispielsweise 2010/2011 verbesserte Maßnahmen in der Identifizierung von Opfern von Arbeitsausbeutung bundesweit implementiert wurden. Die Maßnahmen, die in Deutschland durchgeführt werden sind im Vergleich zu anderen Ländern schon sehr ausgeprägt – die Behörden versuchen proaktiv mit den Opfern des Menschenhandels umzugehen und damit den Menschenhandel zu bekämpfen.

Was möchten Sie noch sagen, wonach ich nicht gefragt habe?

Ich möchte gerne auf unsere Pressemitteilungen verweisen, in denen wir die jüngsten Entwicklungen in der Gesetzgebung gegen den Menschenhandel bewerten und unsere Studie über den Zusammenhang zwischen Prostitution und Menschenhandel vorstellen.

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