Dieser Artikel wurde ursprünglich im Rundbrief 51 vom November 2012 der FIZ – Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (Zürich) veröffentlicht. —
Opfer einer Straftat haben, wenn die Tat in der Schweiz verübt wurde, gemäss Opferhilfegesetz das Recht auf Schutz, Beratung und finanzielle Unterstützung. Opfer von Menschenhandel im Asylverfahren haben erschwerten Zugang zu diesen Rechten. Dafür gibt es viele Gründe, die mangelnde Sensibilisierung im Asylbereich ist einer davon. Was müsste sich ändern?
Geschulter Blick
In der Befragung nach den Asylgründen müssen chronologische, kohärente und konsistente Geschichten erzählt, Daten und Orte der Flucht genannt und Papiere vorgewiesen werden. Vielen traumatisierten Frauen, die gehandelt und misshandelt werden, ist dies nicht möglich. → Es braucht im Asylbereich systematisch geschulte SpezialistInnen in der opfersensiblen Befragung von traumatisierten Menschen.
Zeit
Es gibt viele Gründe, warum Opfer von Frauenhandel in einer Erstbefragung nicht frei reden: Z.B. das Stigma der Prostitution, Schuld- und Schamgefühle, die Verantwortung gegenüber Familien, die Druckmittel, die Angst machen. Sie brauchen Zeit, um aus dem Ausbeutungskreislauf auszubrechen und Vertrauen in die Beraterin und in die Behörden aufzubauen. → Es braucht einen aufenthaltsrechtlichen Schutz, damit Opfer von Menschenhandel im Asylbereich diese Zeit erhalten.
Schutz
Voraussetzung für eine psychische und soziale Stabilisierung der Opfer (und damit letztlich auch für die Zusammenarbeit mit den Behörden) ist eine sichere, angstfreie und geschützte Umgebung mit Rückzugsmöglichkeit und psychosozialer Betreuung. Die Unterkunft in Asylzentren und Nothilfe sind alles andere. →Es braucht spezielle Schutzmassnahmen und eine betreute Wohnsituation für Opfer von Menschenhandel im Asylbereich.
Dublin-Gesuche materiell prüfen
Gemäss Dublin-Abkommen wird auf Gesuche von AsylbewerberInnen, die in einem anderen Dublin-Mitgliedstaat bereits ein Asylgesuch gestellt haben oder deren Einreise dort registriert wurde, nicht eingetreten. Die Betroffenen werden in das Drittland rückgeschafft. Die Gefahr, dass Opfer von Frauenhandel wieder in den alten Ausbeutungskreisen landen, ist gross. Die Schweiz kann vom Recht Gebrauch machen, selbst auf Asylgesuche einzutreten, wie es die Dublin-II-Verordnung allen Staaten einräumt. →Opfer von Menschenhandel im schweizerischen Asylbereich sollen nicht gemäss Dublin-Abkommen ausgeschafft werden. Frauenhandel muss als frauenspezifischer Fluchtgrund anerkannt werden.
Zusammenarbeit
Es gibt kein systematisches Schnittstellen-Management zwischen Asylprozedere und Opferberatung. Bei Verdacht auf Menschenhandel – unabhängig davon, ob auf das Gesuch der Betroffenen nicht eingetreten wurde, es abgelehnt oder noch hängig ist – muss sofort eine spezialisierte Opferberatungsstelle eingeschaltet werden, damit Betroffene Zugang zu allen Schutz- und Unterstützungsmassnahmen haben, die Opfern von Straftaten zustehen. → Es braucht klare Interventionsleitfäden für die Vernetzung von Bundesamt für Migration, Polizei und Opferhilfestellen bei Verdacht auf Menschenhandel im Asylbereich.