Zwangsheirat als Form von Frauenhandel? Beispiele aus Anatolien und Indien

 Unter Frauenhandel ist eine spezielle Form von Menschenhandel zu verstehen. Eine allgemein gültige und einheitliche Definition des Begriffes „Frauenhandel“ gibt es jedoch nicht. Versuche, das Phänomen des Frauenhandels in wenigen Sätzen zu erfassen, scheitern an der Komplexität und Weitläufigkeit des Phänomens. Ein Definitionsversuch seitens der Vereinten Nationen 1994 zeigt uns, dass diese Definition nicht alle Umstände und betroffene mit einbezieht. Ebenso wenig diejenigen Frauen und Mädchen, mit deren Verheiratung Handel betrieben wird, um die es in diesem Beitrag gehen soll.

Die Generalvollversammlung der Vereinten Nationen definierte 1994 Frauenhandel als

„die unerlaubte und heimliche Verbringung von Personen meist aus Entwicklungsländern und einigen Übergangsstaaten über nationale und internationale Grenzen mit dem Endziel, Frauen und Mädchen in sexuell und wirtschaftlich unterdrückende und ausbeuterische, für Anwerber, Händler und Verbrechersyndikate jedoch gewinnbringende Situationen sowie in andere illegale Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Frauenhandel, wie erzwungene Beschäftigung als Hausangestellte, Scheinehen, heimliche Beschäftigungsverhältnisse und Scheinadoptionen zu drängen.“

Das Ausnutzen einer Frau für einen finanziellen Zweck ist nicht nur im Bereich der Prostitution, Scheinehe oder Scheinadoption verbreitet. Viele Gesellschaften in den unterschiedlichsten Orten der Welt vereinbaren und rechtfertigen das Phänomen des Frauenhandels mit ihren seit Jahrhunderten bestehenden Kulturen, Sitten und Traditionen. Auch die bestimmte Interpretationen von religiösen Vorschriften ebnen den Weg zum Frauenhandel. Dabei sind die Erwartungen jener, die ihre Töchter zur Zwangsverheiratung frei geben, nicht nur auf das Papiergeld reduziert. So verlangen viele Familienväter, vor allem im orientalischen Raum, Gold, Grundstücke, Nutztiere oder ein Haus für die Zustimmung zur Ehe. Da eine Tochter, die ohne die Zustimmung ihrer Brüder oder des Vaters eine Ehe mit einem Mann ihrer Wahl eingeht, ihre Familie entehrt, wird sie sowohl von ihrer Familie als auch von der Gesellschaft ausgestoßen. Weil die meisten Väter an dem größten finanziellen Einsatz für ihre Töchter interessiert sind, werden Bedürfnisse und Zustimmung der Töchter nicht beachtet. Dieser Teufelskreis mündet oft in der Zwangsheirat, welche auf Migrantinnen betrifft.

Zwangsverheiratungen sind bis heute in islamischen und hinduistischen Gesellschaften verbreitet, aber auch aus jesidischenbuddhistischen und christlichen Umfeldern sind Fälle bekannt. Die Zwangsverheiratung ist abzugrenzen von der sogenannten arrangierten Ehe. Das Letztere ist frei von Gewaltandrohungen an die Braut oder den Bräutigam. Sie sollen sich lediglich für eine arrangierte Auswahl von Frauen beziehungsweise Männern entscheiden. Dieser Umstand wird nur dann unfreiwillig, wenn es der Braut oder dem Bräutigam gar nicht zusteht, eine andere Form der Ehe einzugehen als die Arrangierte.

Obwohl viele Zwangsehen unter finanziellen Gesichtspunkten geschlossen werden, sprechen die wenigsten davon, das dass Geld beziehungsweise das Materielle eine Rolle spielt. Meistens geht es einfach darum die Traditionen und Gebräuche aufrechtzuerhalten. Diese Traditionen sind je nach Ort und Gesellschaft ganz unterschiedlich. Selbst zwei benachbarte Dörfer können diesbezüglich unterschiedliche Auffassungen haben. So kann es zum Bespiel sein, dass die eine Dorfgemeinschaft die Souveränität des Familienvaters in Frage stellt, wenn er nicht entscheidet, wen seine Tochter heiraten darf. Oder in einer anderen Dorfgemeinschaft wird die Jungfräulichkeit der Frau bezweifelt, wenn der Vater kein Brautgeld verlangt.

Das Brautgeld spielt in den verschiedensten Kulturen eine bedeutende Rolle. So gibt es im ländlichen Osten der Türkei Dorfgemeinschaften, die es missbilligen, wenn der Vater auf das Heiratsgeld verzichtet. In so einem Fall werden schnell Gerüchte laut, dass er keine Wertschätzung für seine Tochter gehabt hätte. Das heißt, je höher die verlangte Summe ist, desto höher ist die Wertstellung der Tochter in der Familie gewesen.

Meiner Erachtens wird die Zwangsheirat dann zum Frauenhandel, wenn finanzielle Vorteile mit der Verheiratung der Töchter erzielt werden. Dabei ist es ganz unterschiedlich, wer von den finanziellen Vorteilen profitiert. Je nach Land, Religion, Region oder Sitte kann es der Brautvater, der Bräutigam oder die Familie des Bräutigam sein. Selbst sogenannte „Brautvermittler“ können an einer gewaltsamen Eheschließung verdienen.

In Deutschland ist die Zwangsverheiratung ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Deswegen hat das Deutsche Institut für Menschenrechte mit einer Forschungsreihe des Bundesministeriums für Familie auf das Thema aufmerksam gemacht. Vor allem unter türkischstämmigen Migrant_innen in Deutschland sei die Zwangsheirat ein Thema. So verspricht sich ein Familienmitglied  in der Heimat (z.B. ein Onkel der in Deutschland lebenden zukünftigen Braut) eine bessere Zukunft für seinen Sohn, wenn dieser die Cousine aus Deutschland heiratet. Dieser Sohn könnte besser verdienen und die Familie in der Heimat unterstützen. Dem Vater der zukünftigen Braut wird eingeredet, mit seiner Zustimmung seine Wurzeln zu ehren und seine Herkunft und Kultur nicht vergessen zu haben. Andernfalls sei er verwestlicht. Dieser sozialer Druck und die gesellschaftlichen Erwartungen bringen viele Familienväter dazu die falsche Entscheidung zu treffen. Die Verheiratung innerhalb der Verwandtschaft kann ebenfalls finanzielle Hintergründe haben. So neigen viele Familien dazu, ihre Söhne mit Töchter ihrer Verwandten zu verheiraten, da dann Umkosten wie Heiratsgeld oder große Mitgift -Erwartungen entfallen.

In Indien hat der Frauenhandel vielfältige Formen. Auch hier muss nach Religion oder Kaste differenziert werden. In der überwiegend hinduistischen Bevölkerung Indiens ist das Brautgeld verpönt und höchstens ein Recht, das den niedrigsten Kasten zusteht. Dafür ist die Mitgift, die seitens der Braut mitgebracht werden soll, ein umstrittenes und mit Konfliktpotenzial beladenes Thema. Ursprünglich war die Mitgift eine Art Sicherheit für die Frau. Der Ehemann war nur in äußerst dringenden Umständen befugt die Mitgift mit dem Einverständnis der Ehefrau zu benutzen. Doch mit der Zeit wurde die Mitgift umfangreicher, sie wurde praktisch zum Preis, den man für einen standesgemäßen Bräutigam zahlte. Diese Entwicklung hatte zur Folge, dass Töchter als ein kostspieliges, belastendes und damit unerwünschtes Familienmitglied betrachtet werden, während der Sohn durch seine Ehe mit einer Frau, dessen Mitgift mit in den Haushalt bringt.

Trotz der Tatsache, dass noch viele Frauen in ihrer Heimat durch die gesellschaftlichen Erwartungen zum Opfer dieser Form von Frauen-/Mädchenhandel werden, muss die Umstände je nach Ort und Hintergrund differenziert werden. In den meisten betroffenen Ländern ist es verboten Brautgeld zu verlangen oder Frauen ohne ihre eigene Zustimmung zu verheiraten. Auch wenn das Kontrollieren und die Durchführung dieser Gesetzte sehr schwer umzusetzen sind, ist es wenigstens ein Zeichen für die Missbilligung solcher Traditionen und Gebräuche. Zudem ist zu ergänzen, dass die Aufrechterhaltung von Traditionen, Kulturen, Sitten und Gebräuche, die Frauen und Mädchen zum Handelsgut degradieren, überwiegend auf  ländliche Gebiete und kleinen Provinzen zu finden sind. Eine kulturrelativistische Betrachtungsweise hilft uns von Fall zu Fall  zu differenzieren. Doch sobald ein finanzieller Profit die Ursache der Zwangsverheiratung ist, handelt es sich unumstritten um Frauenhandel!

Ein Beitrag von Seda Capaat

Ein Kommentar

  1. Frauenhandel geschieht auch in Indien nicht immer in die Prostitution. In dieser Dokumentation des WDR wird deutlich, dass der zunehmende Bedarf an Billigarbeitskräften vor allem in Südostadosien und Indien zu Kinder- und Frauenhandel führt. Moderne Sklaverei finden wir tagtäglich in unseren Konsumgütern…

    Das schreibt Gisela Burckhardt, Kampagne für Saubere Kleidung:

    „Das Sumangali-System ist eigentlich noch mal eine weitere Spirale in der Ausbeutungsstruktur, die wir kennen bisher. Dass man junge Mädchen verpflichtet und die Eltern sie ja auch mehr oder weniger verkaufen an eine Fabrik. Das ist eine reine Sklaverei.“

    Sumangali, die glückliche Braut. Das geht so: Für drei Jahre und mehr werden Mädchen und junge Frauen an Textilfabriken im Süden Indiens regelrecht verkauft. Erst am Ende gibt es eine Prämie, nur wenige hundert Euro. Hält ein junges Mädchen das Schuften nicht durch, war alles umsonst und sie bekommt fast nichts. Wir treffen eine Frau, die sich selbst freundlich Agentin nennt. Ihr Job: Die Eltern so lange zu belügen, bis sie ihr die Töchter mitgeben.“

    http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2012/0621/indien.php5

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