„We don’t need another hero“: Alltagsaktivismus gegen Menschenhandel (crossblogged)

Autorin: The Trafficking Research Project

Dieser Beitrag wurde ursprünglich am 21. September 2012 auf  dem Blog des  The Trafficking Research Project veröffentlicht. Originaltitel: “We don’t need another hero: Every day activism against human trafficking

The Trafficking Research Project (TTRP) ist eine kollaborative Initiative, die sichmit der Untersuchung und Analyse von “Menschenhandel” befasst. Das TTRP hat das Ziel durch eine menschenrechts- und sozialarbeitsperspektive einen positiven und pragmatischen Beitrag zur Entwicklung aktueller Politiken und Forschungen zu diesem Thema leisten. Das TTRP befasst sich vor allem mit Menschenhandel in Singapur und in Großbritannien. 

Kürzlich erzählte ich einem Fremden auf einem Flughafen, womit ich mir mein Geld verdiene. Wir waren grade inmitten unserer zweiten Flugverspätung und das lockere Gespräch führte schnell zu seiner lang ersehnten, jedoch nicht erfüllten, Leidenschaft, sich mit  „Menschenhandel“ zu beschäftigen. Er erzählte mir (ganz ehrlich), dass er sich schon sehr lange engagieren wolle; mich zu treffen öffnete die Schleusentore: Was konnte er tun? Wer brauchte seine Hilfe? Es müsse doch sicherlich eine Organisation geben, die nur darauf wartet, dass so jemand wie er ankommt und seine Zeit anbietet. Dieses Gespräch, zusammen mit unserem Beitrag über Kampagnen, rechtfertigte intensive Überlegungen über alternative Wege für einen produktiven Aktivismus gegen Menschenhandel.

Wir glauben, dass Menschen wirklich zur Beseitigung von Menschenhandel beitragen wollen. Leider glauben wir auch, dass dieses Vorhaben in eigene Heldentaten verwickelt ist und eine Vielzahl praktischer Fragen in Bezug auf Freiwilligenarbeit übersieht. Erstens gibt es ein weit verbreitetes Missverständnis über den gemeinnützigen Sektor, nämlich dass wir alle Freiwillige sind. Tatsächlich ist der gemeinnützige Bereich stark professionalisiert und, in der letzten Zeit, hart umkämpft, voll von Menschen, die viele Jahre damit verbracht haben, Fachwissen zu erwerben, oft mit einem Stapel von Abschlüssen. Zweitens, im Bereich Menschenhandel, sowie in der Tätigkeit mit anderen verletzlichen Bevölkerungsgruppen sind Freiwillige nicht immer von Vorteil, zumindest nicht in der Art und Weise, die diese anstreben. Um ein Beispiel zu nennen: Ohne Erfahrung in der Sozialen Arbeit werden Sie wahrscheinlich nicht für die „Rettung“ oder Beratung von Opfern eingesetzt werden. Klar gibt es Möglichkeiten sich als Freiwillige in Organisationen zu engagieren, welche die Ressourcen haben, zusätzliche Unterstützung einzustellen und zu koordinieren, aber solche Ressourcen sind keineswegs universal.

Increased awareness-raising about human trafficking unaccompanied by necessary resources to support the structural needs of organizations actually attending to trafficking may burden existing services encumbered with requests to volunteer.

Eine erhöhte Sensibilisierung über Menschenhandel, die nicht durch notwendige Ressourcen begleitet wird, um die strukturellen Bedürfnisse der Organisationen, die sich tatsächlich darum kümmern, könnte dazu führen, dass bestehende Angebote mit Freiwilligen-Anfragen belastet und behindert werden. Als Resultat wird Arbeitszeit investiert für (kurzfristig und unregelmäßig anwesende) Freiwillige, für die Entwicklung von Ausbildungs- und Arbeitszeitplänen für bestimmte Tage/Wochen/Monate, die auch die Interessen und Fähigkeiten der Volontäre widerspiegeln, für die Überprüfung der Fortschritte und für die Anwesenheit, falls Unterstützung gebraucht wird – wodurch potenziell Zeit von der direkten Fallarbeit, von Krisen, Finanzierung, Interessenvertretung und programmatischen Initiativen abgezogen wird. Es ist schwierig, Personen zu platzieren, ohne dass diese über spezifische Fähigkeiten oder inhaltliche Kenntnis entweder zum Thema oder zur Rolle verfügen. Stellen Sie sich das so vor: Sie sind, nehmen wir mal an, ein_ Rohstoffhändler_in. Was denken SIE, würden Sie in einer Anti-Menschenhandel Organisation beitragen? Sie würden wahrscheinlich genauso hilfreich für mich sein, wie für Sie ein_in Politikwissenschaftler_in (ohne Erfahrung im Finanzbereich), der/die mit Rohstoffen handelt – auch wenn ich frei gearbeitet hätte. Also, zurück zur Frage meines Freundes: Wie kann ich helfen?

Auf einer individuellen Ebene gibt es viele Wirkungsweisen. Erstens, schauen Sie sich an, was sie konsumieren: Was trinken die Menschen in Ihrem Büro während ihrer Kaffeepause? Was verwenden Ihre Kinder, um Plätzchen zu backen? Wenn Sie nicht die Zeit haben, viele Stunden in Aktivismus zu stecken, ermutigen Sie Ihr Unternehmen dazu, Fair Trade-Produkte einzukaufen. Dies scheint vielleicht nicht so glamourös zu sein, wie ein versklavtes Kind zu umarmen, kann aber viel dazu beitragen, nachhaltigere Reaktionen auf ausbeuterische Arbeitsbedingungen zu fördern. Zweitens informieren Sie sich über Initiativen, die „Menschenhandel“ selbst als Produkt verkaufen uns lehnen Sie diese ab. Drittens überlegen Sie sich, Organisationen zu unterstützen, deren Ziele die Bekämpfung der Ursachen von Menschenhandel (aber möglicherweise nicht direkt Menschenhandel) sind; so arbeitet zum Beispiel Oxfam in einer Vielzahl von Programmen zur Unterstützung der wirtschaftlichen Befähigung und des Empowerments.

If you don’t have the time to commit to hours of activism, get your company to switch to Fair Trade products. This may not seem as glamorous as embracing an enslaved child, but may go a long way towards creating more sustainable responses to exploitative labor conditions in the first place.

Während die Diskussion über Menschenhandel in Singapur relativ neu ist, ist das nicht die Präsenz von globalen Konzernen. Somit präsentiert sich eine interessante Möglichkeit für diejenigen, die sich einem substantielleren Aktivismus widmen wollen.

Im vergangenen Jahr haben Unternehmen in Singapur on Menschenhandel und ausbeuterische Arbeitsbedingungen überhaupt erst wahrgenommen. So brachte z.B. das durch HOME veranstaltete Trafficking in Persons Business Forum im April 2012 lokale und globale Unternehmen zusammen, darunter Microsoft und Google, um dieses Problem zu besprechen. Ebenso unterstützten Unternehmen jüngere Initiativen von UN Women, um das Bewusstsein und die Finanzierung von Programmen zur Bekämpfung des Menschenhandels zu erhöhen. Aber viel mehr kann sowohl von Unternehmen als auch von Verbrauchern getan werden.

Abgesehen von Wahrnehmung des gelegentlichen, stark beworbenen schlechten apple-Apfel, neigen Unternehmen dazu, Menschenhandel so zu sehen, wie die Mehrheit der Öffentlichkeit: Ein Thema, das sich auf Zwangsprostitution, sweat shops (Ausbeutungsbetriebe) und Kinderarbeit beschränkt. Außerhalb dieser Bereiche finden es einige Unternehmen schwierig, einen Business Case mit Blick auf „Menschenhandel“ aufzubauen und lassen das Thema fallen. Als ob es so schwierig sei, zu sehen, wie das eigene Unternehmen mit Menschenhandel zu tun hat, wenn Sie kein Technologie-Unternehmen sind, das Kinder beschäftigt, keine Textilien produzieren oder „recruit for sex“. Das hat zur Folge, dass der Fokus von Unternehmen in Singapur auf Menschenhandel darauf beschränkt ist, dass  Mitarbeiter_innen Zeit gegeben wird, um sich zu engagieren oder gelegentlich auch Geld. Die Realität ist aber, dass viele gemeinnützige Organisationen mehr von einer langfristigen nachhaltigen Finanzierung profitieren würden als von kurzfristiger Freiwilligenarbeit, ob individuell oder unternehmensweit, und es gibt für Unternehmen andere Möglichkeiten tätig zu werden und die sich unmittelbar auf Menschenhandel auswirken würden.

The time to incorporate measures against exploitative labor and human trafficking into existing Corporate Social Responsibility (CSR) strategies has come.

Die Zeit ist gekommen, um Maßnahmen gegen ausbeuterische Arbeit und Menschenhandel in bestehende Strategien von Corporate Social Responsibility (CSR) zu integrieren. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht von Anti-Slavery International in Großbritannien zeigte, dass es einfach nicht mehr reicht, wenn Konzerne sich auf Unwissenheit über das Vorhandensein von ausbeuterischen/gefährlichen Arbeitsbedingungen in ihren Lieferketten berufen. Verbesserte Strategien der Corporate Social Responsibility (und Corporate Accountability) und eine ernsthafte Beschäftigung mit diesen Fragen sollten zum guten Ton für alle Unternehmen gehören, die in Singapur arbeiten.

Glücklicherweise sind die Bewertungsmaßstäbe gut etabliert. Die UNO hat eine Reihe von Initiativen gestartet oder unterstützt, wie zum Beispiel die Guiding Principles for Business and Human Rights. Ebenso gibt es die EU-Strategie für Soziale verantwortung der Unternehmen (Corporate Social Responsibility), die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, den UN Global Compact, der IAO dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik – um ein paar zu nennen. Es gibt auch bekannte Beispiele guter Unternehmenspraxis, die  von Unternehmen, wie The Body Shop, entwickelt wurden, worauf sich Verbraucher und Unternehmen gleichermaßen beziehen können. Verständlicherweise ist fairer Handel (fair trade) selbst ein Geschäft und selbst für Unternehmen, die sozial gewissenhafter sein wollen, kann dies verwirrend sein.

Allerdings hat eine zunehmend gebildete Öffentlichkeit (einschließlich der Führungskräfte in der Wirtschaft) die Macht, gute Geschäftspraktiken sowie die Sensibilisierung der Verbraucher zu bewirken. Dies ist eine der weniger entwickelten (aber wachsenden) Bereiche von Aktivismus im Bereich „Menschenhandel“, aber eines, in dem potenzielle Aktivisten Kampagnen entwickeln könnten – insbesondere jene aus der Wirtschaft. Es gibt ein großes Potenzial, um direkt Unternehmen zusammenzuarbeiten und Verbraucher wissen zu lassen, dass diese sich um die Produkte und/oder Dienstleistungen, die sie anbieten, kümmern: zum Beispiel, stellt der Konzern X sicher, dass seine Arbeitnehmer_innen (einschließlich derer, die als Untervertrag weitergegeben sind, also der Leiharbeiter) fair rekrutiert und entlohnt? Oder hat Lebensmittelgeschäft Y die Regale mit Produkten bestückt, die Fair-Trade-Standards einhalten? Verbraucher_innen müssen erfahren, wie die Fische auf ihren Tellers landen,  wir ihre Handtaschen genäht und ihren Handys gemacht werden. Unternehmen (einschließlich der Hochschulen! Für alle Studenten) zu fragen, wie sie funktionieren und ob sie sicherstellen können, dass der Frau, die die neue Handtasche genäht hat, ein fairer Lohn bezahlt wurde, das ist alles Teil dieses Prozesses.

In Großbritannien hat sich die Macht der Verbraucher, die eines Unternehmens zu ethischen und fairen Handelspraktiken zu beeinflussen durch Organisationen, wie die Fair Trade Foundation und Ethical Trade Initiative, manifestiert. Ebenso weisen Supermärkte jetzt die Herkunft der Produkte aus, so dass Verbraucher_innen CO2-Meilen beurteilen können (oder ob sie, zum Beispiel, Produkte aus den besetzten palästinensischen Gebieten erwerben möchten). Singapur hat derzeit eine kleine, aber wachsende, Fair Trade SG Gruppe mit Informationen darüber, wo Fair-Trade-Produkte zu finden sind. Es gibt auch eine Reihe von singapurischen Vereinen, die ihren Blick auf Themen, wie faire Arbeitsbedingungen und -praktiken richten. Unternehmen können sich auch an Organisationen wenden, wie z.B. dem Singapore Compact, welche „sich verpflichtet haben, die CSR-Bewegung voran zu bringen“.

Zentral für die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Wirtschaft bei diesem Thema ist die Sensibilisierung über ein breites und ein möglichst genaues Bild von Menschenhandel. Das schließt ein, dass über den aktuellen Schwerpunkt auf Zwangsprostitution hinausgegangen werden muss. Es ist zu einfach, schreckliche Vorstellungen von ausländischen Opfern von Zwangsprostitution zu verbreiten. Die Aufmerksamkeit sollte hingegen auf die Unternehmen gerichtet werden, welche die Verwendung von ausbeuterischer Arbeit  unterstützen oder einfach nur dulden. Der kürzlich veröffentlichte Bericht von Anti-Slavery International zeigte die Beziehung zwischen ausbeuterischer Arbeit und Lieferketten auf. Viele der Unternehmen in diesem Bericht sind auch in Singapur zu finden. Berichte wie diese könnten als hervorragender Ausgangspunkt für Verbraucher-Aktivismus funktionieren.

Im singapurischen Kontext sollte ein besonderes Augenmerk auf Sektoren gelegt werden, die ein besonderes Risiko eingehen, Arbeitnehmer_innen einzustellen, die Opfer von Ausbeutung oder Menschenhandel sind. Zum Beispiel sollten Vermittlungsagenturen für Haushaltshilfen, Fischer und Bauarbeiter zeigen,  dass sie gewissenhafte, legale und ethische Methoden anwenden. Vor kurzem hat die Regierung von Singapur ihr Engagement zur Bekämpfung unlauterer Vermittlungsagenturen erhöht, indem die Gebühren, die für potenzielle Arbeitnehmer gefordert werden können, eingefroren wurden. Solange es nicht mehr Transparenz darüber gibt, wie Unternehmen wie diese operieren, solange es nicht mehr Bildung für und von Verbrauchern zu diesen Fragen gibt, einschließlich darüber, welche Fragen zu stellen sind, wird Ausbeutung von Arbeitnehmer_innen schwer zu beseitigen sein.

Until there is more transparency in how businesses such as these operate, and greater education for and by consumers on these issues, including what questions to ask, then labor exploitation will be hard to eradicate.

Singapur ist eine wohlhabende, konsumorientierte Drehscheibe der internationalen Finanz und des Handels. Da es ein wachsendes Bewusstsein für relevante Themen gibt, bedeutet die Kombination von Kaufkraft und ethischer Verpflichtung, dass singapurische Verbraucher Vorreiter für eine erhöhte Verantwortlichkeit mit Blick auf Lieferketten sein könnten. Wir ermutigen alle Unternehmen, das Bewusstsein für ihre eigenen Lieferketten zu erhöhen und weiterhin mit lokalen und internationalen NGOs zusammenzuarbeiten, um Praktiken zu entwickeln, die sicherstellen, dass die angebotenen Produkte und Dienstleistungen nicht durch Ausbeutung von Arbeitskräften geschwächt werden.

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**The Trafficking Research Project (TTRP) ist eine kollaborative Initiative, die sichmit der Untersuchung und Analyse von “Menschenhandel” befasst. Das TTRP hat das Ziel durch eine menschenrechts- und sozialarbeitsperspektive einen positiven und pragmatischen Beitrag zur Entwicklung aktueller Politiken und Forschungen zu diesem Thema leisten. Das TRRP befasst sich vor allem mit Menschenhandel in Singapur und in Großbritannien.

Caroline Parkes ist eine unabhängige Menschenrechtsberaterin mit neuen Jahren Erfahrung in der Menschenrechtsforschung, Politikentwicklung und Fallarbeit in Nordirland, Bosnien und Israel. Ihre Interessensgebiete sind u.a. Justizreform, Übergangsjustiz (transitional justice), Gleichheit und Frauenrechte. Sie hat einen juristischen Abschluss (LLM) in Menschenrechte an der Queen’s University Belfast sowie einen Master (M.Sc.) in “Praxis der Entwicklungspolitik” am Centre for Emergency and Development Practice, Oxford Brookes University erworben. Kathryn Baer hat über sechs Jahre Erfahrung in rechtsbasierter Politikforschung und advocacy in den USA und Großbritannien. Ihre Kernkompetenzen liegen im Bereich Gewalt gegen Frauen und Menschenhandel mit einem besonderen Interesse für primärpräventive Strategien. Sie hat einen Master (M.Sc.) in Sozialpolitik an der London School of Economics erworben.