Sexarbeit im Kontext der Geschlechterverhältnisse (Gastbeitrag)

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Rundbrief 52 vom Mai 2013 der FIZ – Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (Zürich) veröffentlicht.

Autorin: Shelley Berlowitz

Ist Sexarbeit eine normale Arbeit wie jede andere? Oder ist sie Ausdruck von Frauenverachtung und eines patriarchalen Herrschaftsverhältnisses zwischen Mann und Frau? Diese Fragen werden in der Öffentlichkeit – auch in der feministischen – kontrovers diskutiert. Die FIZ plädiert für einen sorgfältigen und unaufgeregten Umgang mit dem Phänomen. Und für gleiche Rechte für alle.

Wir leben in einer sexualisierten Gesellschaft: Sex sells in der Werbung, Jugendliche konsumieren Pornographie, Mädchen wünschen sich nichts sehnlicher als Model zu werden und versuchen, ihren Körper zum idealen Objekt für den (männlichen) Blick zu formen. Die herrschenden Geschlechterverhältnisse sind omnipräsent. Finden wir das gut? Nein, finden wir nicht.

In einigen Ländern Europas, allen voran in Schweden, ist es verboten, die Dienste von Sexarbeiterinnen in Anspruch zu nehmen, Freier werden kriminalisiert. Dahinter steht das abolutionistische Ziel einer Gesellschaft ohne Sexarbeit. Was tatsächlich aufgrund der Kriminalisierung von Freiern geschieht, ist dass Sexarbeiterinnen im Versteckten arbeiten müssen und möglicher Gewalt mehr ausgesetzt sind.

Auch in der Schweiz ist im Nationalrat ein Postulat (unter dem irreführenden Titel „Stopp dem Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung“) hängig, das fordert, ein Verbot von Sexarbeit hierzulande zu prüfen. Manche der Unterzeichnenden verstehen die Forderung nach einem Verbot von Sexarbeit als feministische Forderung. Auch schweizerische Frauenorganisationen fordern ein Verbot der Prostitution, um Frauenhandel zu unterbinden.

Zwischen Sexarbeit und Frauenhandel muss unterschieden werden

Wesentlich für die Bekämpfung von Frauenhandel ist die Unterscheidung zwischen Sexarbeit und Frauenhandel. So wesentlich, wie die Unterscheidung zwischen Ehe und Häuslicher Gewalt. Nicht die Ehe, sondern die Gewalt in der Ehe, nicht Sexarbeit, sondern Gewalt und Ausbeutung in der Sexarbeit müssen bestraft werden. Es wird ja auch nicht in Erwägung gezogen, Ehen zu verbieten, weil in ihnen Häusliche Gewalt vorkommt oder Ehefrauen zu registrieren, um sie vor der Gewalt zu schützen.

Strukturelle Bedingungen beleuchten

Unter den Frauen, die selbstbestimmt in der Sexarbeit tätig sind, gibt es solche, die auch andere Optionen haben und sich bewusst für diese Arbeit entscheiden. Es gibt aber auch viele Frauen, vor allem Migrantinnen, die keine andere Arbeitsmöglichkeiten haben. Ähnliches gilt für Selbständige und Angestellte in schlecht entlöhnten Branchen. Strukturelle Bedingungen, wie die schweizerischen Migrationsgesetze, die Globalisierung und ihre Folgen der wirtschaftlichen Ungleichheit zwischen Nord und Süd, West und Ost und der fehlende Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt für Frauen sind dafür mitverantwortlich. Die Schweiz steht auch in der Pflicht, mitzuhelfen, die Existenzbedingungen in den Herkunftsländern von Sexarbeiterinnen zu verbessern.

Viele Frauen, die in Zürich mit Sexarbeit ihres und das Leben ihrer Familien im Herkunftsland finanzieren, sind starke Frauen, die mit ihrer Migration Mut und Verantwortung bewiesen haben. Sie sind keine Opfer. Sie sind Kleinunternehmerinnen, die weder sich noch ihren Körper, sondern eine sexuelle Dienstleistung verkaufen. Dazu gehört mehr als nur ein sexueller Akt: Sexarbeiterinnen bewältigen Papierkrieg, organisieren Termine und müssen in ihrem Berufsalltag eine hohe soziale Kompetenz gegenüber den Freiern an den Tag legen. Als Individuen sind sie stark, strukturell gehören sie aber zu den Schwächsten in unserer Gesellschaft. Die Forderung nach einem Verbot von Sexarbeit trägt das Problem von frauenverachtenden Geschlechterverhältnissen auf dem Rücken von Migrantinnen aus, die unter äusserst prekären Bedingungen leben.

Der Kampf gegen Frauenverachtung ist ein Kampf gegen eben diese strukturellen Bedingungen und nicht gegen die Optionen, die Migrantinnen haben, ihr Leben und jenes ihrer Familie zu ermöglichen und zu verbessern. (Siehe dazu die FIZ-Forderungen auf Seite 7).

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