Autorin: Kathryn Baer
Dieser Beitrag wurde ursprünglich am 5. April 2012 auf dem Blog des The Trafficking Research Project veröffentlicht. Originaltitel: „Human trafficking discourse: the value of economics“
The Trafficking Research Project (TTRP) ist eine kollaborative Initiative, die sichmit der Untersuchung und Analyse von „Menschenhandel“ befasst. Das TTRP hat das Ziel durch eine menschenrechts- und sozialarbeitsperspektive einen positiven und pragmatischen Beitrag zur Entwicklung aktueller Politiken und Forschungen zu diesem Thema leisten. Das TTRP befasst sich vor allem mit Menschenhandel in Singapur und in Großbritannien.
Kathryn Baer hat über sechs Jahre Erfahrung in rechtsbasierter Politikforschung und advocacy in den USA und Großbritannien. Ihre Kernkompetenzen liegen im Bereich Gewalt gegen Frauen und Menschenhandel mit einem besonderen Interesse für primärpräventive Strategien. Sie hat einen Master (M.Sc.) in Sozialpolitik an der London School of Economics erworben.
Die Bewegungen von „gehandelten“ (und ausgebeuteten) Personen in der Sprache der Ökonomie zu kategorisieren, ist eine modische Art und Weise geworden, die komplexe Natur des Menschenhandels zu verarbeiten. Die Einleitung zu fast jeder Einführung in das Thema „Menschenhandel“ geht in der Regel wie folgt: Opfer von Menschenhandel kommen aus Entsende- oder Herkunftsländern, gelegentlich geht ihr Weg durch Transitländer und am Ende landen sie in Zielländern – obwohl ein bestimmtes Land mehr als einer dieser Bezeichnungen zugeordnet werden kann. „Angebot“ und „Nachfrage“ sind Begriffe, die in der Regel für Opfer von Menschenhandel vorgesehen sind; so „bietet“ ein Entsendeland Opfer von Menschenhandel an, während das Zielland ein Ort ist, wo es die „Nachfrage“ nach der Arbeit oder Dienstleistungen gibt, die zu Ausbeutung oder Menschenhandel führen.
Ein Großteil der Forschung hat sich der Untersuchung spezifischer Routen, die eine „gehandelte“ Person nehmen könnte und/oder der Analyse von Orten gewidmet, weil diese entweder Orte des „Angebots“ oder der „Nachfrage“ sind. Da Menschenhandel ein unglaublich profitables Geschäft ist, erscheint es logisch, die Sprache aus der Welt der Finanzen und Wirtschaft zu borgen; vor allem aber hat dieser Diskurs erfolgreich Forschung und die Entwicklung aktueller Politiken beeinflusst.
Klar ist es für die Bekämpfung des Menschenhandels von entscheidender Bedeutung zu wissen, wo die Menschen herkommen und wo sie landen. Das trifft insbesondere auf die Entwicklung von Indikatoren und Risikobewertungen zu für die Bevölkerungsgruppen, die möglicherweise aus einem bestimmten Herkunftsland verschleppt werden und für die Bedingungen, unter denen sie in ein bestimmtes Zielland verschleppt werden. Auch Aktivist_innen haben diese Sprache in ihren Forderungen nach öffentlichen Maßnahmen verwendet, die durch Bildungsinitiativen und legislativen Änderungen, das öffentliche Bewusstsein und die Rechenschaftspflicht erhöhen sollen.
Aber wie angemessen ist dieser Rahmen vor dem Hintergrund der Entwicklung des Feldes der Bekämpfung des Menschenhandels? Warum wurde dieser Rahmen so leicht in den Anti-Menschenhandels-Aktivismus integriert? Und in welchem Umfang hat er politische Entscheidungen eingeschränkt? Die Menschenhandelsrhetorik ist wohl in einem vereinfachten, einfallslos ökonomischen Diskurs ins Stocken geraten. Die kontinuierliche Nutzung dieser reduktionistischen Sprache ignoriert potenziell die anhaltende, flexible Natur des Menschenhandels nicht nur als Geschäft, sondern als Forschungsrahmenprogramm, welches Einfluss auf nachfolgende politische Interventionen hat.
Die durch diese Sprache hervorgehobenen Konnotationen beleidigen weit verbreitete Vorstellungen von individueller Handlungsfähigkeit (agency) – Opfer von Menschenhandel (gar nicht zu reden von nicht-gehandelten Migrant_innen und einer Vielzahl anderer Menschen) werden oft durch eine Vielzahl von Umständen ausgebeutet und werden nicht blind durch Marktkräfte zusammengeschaufelt. Wie andere angemerkt haben,
Ob Migrant_in oder nicht, Arbeitnehmer_innen können nicht in zwei komplett getrennte und unterschiedliche Gruppen eingeteilt werden – diejenigen, die unfreiwillig in das Elend sklaverei-ähnlicher Bedingungen in einem rechtswidrigen oder unregulierten Wirtschaftssektor gehandelt werden und diejenigen, die freiwillig und legal in der glücklichen und geschützten Welt der formalen Ökonomie arbeiten. Gewalt, Gefangenschaft, Nötigung, Täuschung und Ausbeutung können auftreten und treten tatsächlich sowohl innerhalb der gesetzlich geregelten und in den irregulären Arbeitssystemen als auch innerhalb der legalen und illegalen Systemen der Migration auf.
Der ökonomische Diskurs ist auch entmenschlichend – wir sprechen ja immerhin über Menschen – und er vernachlässigt die Bedeutung der staatlichen Rechenschaftspflicht des Schutzes von Betroffenen. Darüber hinaus neigt er dazu, internationalen vor internen Menschenhandel zu betonen (oft wird die Verbindung zwischen beiden ignoriert) und er verschleiert die Bedeutung der Gemeinden und Personen, die von Menschenhandel betroffen sind.
Die uneinheitlichen und unpraktischen Anwendungen dieses Diskurses werden selten in Frage gestellt. Während einige Aktivist_innen die „Take No Prisoners“-Kampagne zur Beendigung der Nachfrage nach kommerzieller sexueller Ausbeutung konstruiert haben (wir würden uns freuen, Bewertungs-Indikatoren dieser Kampagne zu sehen), haben andere versucht, einen praktischeren Ansatz zu wählen, indem sie die vorhandene Sprache erneut geprüft und/oder kreativ genutzt haben, um damit unmittelbare, konkrete Ziele zu erreichen, wie z.B. die Nachfrage nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr zu senken.
Vielleicht wäre es sinnvoll, diesen Rahmen auf tatsächliche Geschäfte anzuwenden. Was ist mit Konzernen? Während viele große Unternehmen langsam über Menschenhandel in ihren Lieferketten lernen, könnten auch operative Herausforderungen und Anreize durch Unternehmen (einschließlich von Allianzen von Unternehmen, Partnerschaften und Zuliefervereinbarungen) oder die geographische Lage untersucht werden. Außerdem, was ist es, das in einem Zielland oder Transitland Menschenhandel profitabel macht? (Oder davon abschreckt?) Welche sind die strukturellen Anreize in Geschäftsprozessen, die Menschenhandel in Zuliefererketten fördern? Und, als illegales Geschäft, welche sind die Opportunitätskosten, Risiken (finanziell und anderweitig), Schlüsselakteure und Stakeholder, die Anreize und Unterstützung für Menschenhandel schaffen? Wie wird ein Geschäft mit Menschenhandel als Erfolg eingestuft?
Aber wie ist dieser Diskurs funktional in einem Staat, mit mehreren Branchen, Routen, Netzwerken und Migrationsströmen? So hat Singapur z.B. seine Identität als Ort der Nachfrage akzeptiert. Doch die Nachfrage nach Sex kann hier nicht zu einer Singapur-spezifischen Blase verbannt werden. So ist es zum Beispiel bekannt, dass Männer aus Singapur am Wochenende die Riau-Inseln vor Indonesien frequentieren, um der Prostitution nachzugehen – ein gut dokumentierter Ort von „Menschenhandel“. Und laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht von ECPAT:
Es ist üblich, dass Zuhälter in Singapur Manager/Besitzer von Bars und Bordellen in Orten wie Batam und Bintan kontaktieren, um eine bestimmte Anzahl von Mädchen Frauen (das Alter wird in de Regel angegeben) nach Singapur für wartende Kunden gebracht werden. Die Gewinne werden dann unter dem Zuhälter in Singapur und dem/der Batam Manager (mami oder papi) aufgeteilt.
Aber was würde passieren wenn, in diesem Szenario, der Begriff „Angebot“ plötzlich nicht auf „gehandelte Frauen“ verweisen würde? Was wenn jemand für Singapur geltend machen würde, das „Angebot“ von Männern auf den Inseln abschaffen zu wollen? Es ist ein interessantes Forschungsexperiment (mit Folgen in einer einmaligen Verschiebung der Regierungspolitik und Rechenschaftspflicht) den Blick weg von „gehandelten Menschen“ hin zu jenen, die „nachfragen“ (oder handeln), aber in der Engführung von „Angebot“ und „Nachfrage“ zu handeln und arbeiten, führt zur Anwendung von Annahmen über das, worüber wir noch alles herausfinden müssen.
A propos, dieser Diskurs wird wahrscheinlich nicht zu neu aufkommenden Themen passen, wie zum Menschenhandel von Fischern oder zum Mangel an Forschung über Orte der Durchreise. Erstere können zweifellos an bestimmten Orten an Bord und von Bord gehen, aber sie verbringen einen Großteil ihrer Zeit in internationalen Gewässern, legen potenziell an mehrere Häfen an und werden durch Reedereischiffe von Dritten transportiert. Und Letzterem, in einer Ära billiger Massentransporte, fehlt Definition: Fliegen Opfer von Menschenhandel nur durch einen Flughafen oder haben sie einen Zwischenstopp, der erfordert, dass sie aus dem Flugzeug aussteigen und mit Beamten der Einwanderungsbehörde interagieren? Oder würden sie vorübergehend im Transitland eingesetzt werden? Sind Transitländer wichtige Standorte für erneuten Menschenhandel (re-trafficking)? Darüber hinaus könnte man fragen, was gefährdeten Bevölkerungsgruppen passiert, die zwischen Ausbeutung der Arbeit und sexueller Ausbeutung hin und her transferiert werden?
Eine Untersuchung dieses Diskurses ist nicht rein akademisch. Die Sprache, die von Forscher_innen und Aktivist_innen genutzt wird, beeinflusst Politiken und die Finanzierung von Initiativen zur Bekämpfung des Menschenhandels. Obwohl anlässlich der Veröffentlichung des Nationalen Aktionsplans (National Action Plan) ein Mangel an robuster Forschung über Menschenhandel in Singapur besteht, fragt man sich, wie der Staat die diesem Rahmen inhärenten Annahmen angehen wird, insbesondere in Bezug auf die Finanzierung von Forschungsinitiativen, Strafverfolgungsmaßnahmen und Präventionsversuche. Ohne eine kontinuierliche kritische Auseinandersetzung mit Forschung und Aktivismus-Diskurs, riskieren wir in unseren Annahmen über die Natur des Menschenhandels stocken zu bleiben.
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**The Trafficking Research Project (TTRP) ist eine kollaborative Initiative, die sichmit der Untersuchung und Analyse von „Menschenhandel“ befasst. Das TTRP hat das Ziel durch eine menschenrechts- und sozialarbeitsperspektive einen positiven und pragmatischen Beitrag zur Entwicklung aktueller Politiken und Forschungen zu diesem Thema leisten. Das TRRP befasst sich vor allem mit Menschenhandel in Singapur und in Großbritannien.
Caroline Parkes ist eine unabhängige Menschenrechtsberaterin mit neuen Jahren Erfahrung in der Menschenrechtsforschung, Politikentwicklung und Fallarbeit in Nordirland, Bosnien und Israel. Ihre Interessensgebiete sind u.a. Justizreform, Übergangsjustiz (transitional justice), Gleichheit und Frauenrechte. Sie hat einen juristischen Abschluss (LLM) in Menschenrechte an der Queen’s University Belfast sowie einen Master (M.Sc.) in „Praxis der Entwicklungspolitik“ am Centre for Emergency and Development Practice, Oxford Brookes University erworben. Kathryn Baer hat über sechs Jahre Erfahrung in rechtsbasierter Politikforschung und advocacy in den USA und Großbritannien. Ihre Kernkompetenzen liegen im Bereich Gewalt gegen Frauen und Menschenhandel mit einem besonderen Interesse für primärpräventive Strategien. Sie hat einen Master (M.Sc.) in Sozialpolitik an der London School of Economics erworben.