Macht der Asylant beim Klauen auch noch Lärm?

Meine etwas provokative Überschrift hat ein Ziel: die Darstellung einer verbreiteten Haltung gegenüber AsylbewerberInnen, die sich bei genauerer Betrachtung als unhaltbar erweist.

Kommen Flüchtlinge aus Kriegsgebieten nach Europa, haben sie Erfahrungen hinter sich, die für uns kaum vorstellbar sind. Zum einen die Zustände in der Heimat, die sie zur Flucht gezwungen haben. Zum anderen die Reise in das Sicherheit und Frieden verheißende Zielland. Oft werden Schlepper bezahlt, um Grenzen zu überwinden, oft gestaltet sich die Ankunft anders als erwartet und führt zu Ausbeutung, zu Menschenhandel. Für diejenigen, die Asyl beantragen, beginnen Monate und Jahre der Unsicherheit, des Wartens und Bangens. Wird der Asylantrag akzeptiert? Solange dies nicht feststeht, müssen AsylbewerberInnen einen weiteren ‚Kampf‘ führen – den Kampf gegen Vorurteile und Ängste der Einheimischen am Unterbringungsort.

Vor einem Monat erforschte ich in meiner Heimatstadt in Bayern (ca. 14.000 EinwohnerInnen) die Haltung von Menschen, in deren Nachbarschaft ein AsylbewerberInnenheim eingerichtet wurde. Meine erste Erkenntnis: DER Asylant stellt in den Augen vieler ‚Betroffener‘ eine Gefahr dar. Schlagwort Kriminalität und Lärmbelästigung. Meine zweite Erkenntnis: Sind die AsylbewerberInnen erst einmal da – und verhalten sich wider Erwarten ganz ‚ungefährlich‘ – bröckelt die aus Ängsten und Vorurteilen gebaute Opposition schnell und macht Platz für Akzeptanz.

In diesem Beitrag beschreibe ich den Wandel der Haltung einer gegnerisch eingestellten Nachbarschaft gegenüber AsylbewerberInnen. Eine Haltung, die zwar nicht repräsentativ für die gesamte Stadt ist, zunächst aber den öffentlichen Diskurs prägte.

Vorurteile bis Ankunft

Offenbar ist die Angst vor AsylbewerberInnen ein Synonym für Angst vor Kriminalität und Lärm. Nachdem bekannt geworden war, dass ein AsylbewerberInnenheim eingerichtet werden soll, wandten sich besorgte BürgerInnen aus der Nachbarschaft mit einer Petition an den Bürgermeister. Ingesamt unterzeichneten 58 Menschen das Pamphlet. Hier ein Ausschnitt:

Die Bürger haben bereits heute allergrößte Ängste um den Wert ihres Eigentums, ihrer Gesundheit, ihres Hab und Gutes und vor einer möglichen Kriminalität. Weiter befürchten sie starke Lärmbelästigungen am Tag und in der Nacht und insgesamt das Entstehen eines furchtbaren No-Go-Viertels.

Auffällig in der Argumentation der GegnerInnen war die stark essentialistische und deterministische Haltung. Das heißt, dass DER Asylant als männlich und tendenziell gefährlich eingeschätzt wird. Frauen standen nicht im Fokus, genauso wenig wie Kinder. Ebenfalls wird DER Asylant mit Kriminalität und Gefahr gleichgesetzt, zunächst einmal unabhängig davon, wo er herkommt und unter welchen Umständen er sein Land verlassen hat oder verlassen musste. Hier ein Ausschnitt aus dem Interview, welches ich mit der Wortführerin der Gegnerschaft geführt habe. Sie beschreibt, wie sie sich über die Thematik informiert hat, nachdem bekannt wurde, dass ein Heim eingerichtet werden soll:

Da haben wir uns dann im Internet etwas umgeschaut. Und da haben wir natürlich zu der Zeit ähm… ganz schlechte Sachen erlebt mit Messerstechereien, was da in äh… München stattgefunden hat und auch wie die Asylbewerber schlecht behandelt wurden und dass sie da auch psychischen Problemen ausgesetzt sind. Dass sie also hier dann… dass das darauf zurückzuführen ist, dass die dann aufeinander losgehen. Und in der Schweiz noch krasser, was wir da alles gelesen haben. Dass die Einbrüche machen und dass die dann das Diebesgut untereinander hier… verhökern und sich dann auch deswegen in der Rolle haben. Und dass dann deswegen hier auch nicht interessiert sind zu arbeiten weil die sich mit dem Diebesgeld äh… also hier bereichern und solche Sachen standen und stehen immer noch drin. Grad speziell in der Schweiz. Und die Dinge in der Kürze der Zeit… so viel Zeit hatten wir dann gar nicht um das alles anzuschauen… aber in der Kürze der Zeit…

Eigentlich wäre eine derartige – nicht gerade objektive – ‚Recherche‘ nicht nötig gewesen. Schon in den 90er Jahren gab es ein AsylbewerberInnenheim in der Stadt. Auf zwei Häuser aufgeteilt, lebten dort v. a. kurdische Flüchtlinge. Eines der Häuser fiel einem rechtsextremistischen Brandanschlag zu Opfer.Daran erinnerte sich die von mir befragte Kritikerin erst auf Anfrage. Viel präsenter war andere Erfahrung, welche in einer 20 km entfernten Stadt gemacht wurde. Dort waren ebenfalls in den 90ern viele Flüchtlinge aus dem Kosovo und Albanien untergebracht worden. Von den in etwa 100 dort wohnenden Männern (!) begingen damals tatsächlich einige Straftaten. Dies brannte sich ins kollektive Gedächtnis ein (wie ich auch in anderen Gesprächen feststellte), nicht die beschämenden Geschehnisse in der eigenen Stadt. Selektive Wahrnehmung vergangener Ereignisse und negative Berichterstattung im Internet bildeten somit die Grundlage für die Meinung vieler GegnerInnen im allgemeinen und die der Wortführerin im Speziellen.

(Vor)Urteile seit Ankunft

Nichts scheint so schnell zu bröckeln wie die Opposition gegen einen imaginierten Feind, der sich als friedlich und freundlich – als menschlich – herausstellt. Keine der in der Petition an den Bürgermeister formulierten Befürchtungen ist eingetreten. Eine gute mediale Berichterstattung und der Empfang der Flüchtlinge (v. .a. aus Syrien und Afghanistan) durch viele ehrenamtliche HelferInnen haben den KritikerInnen die Angst genommen. Allein die Anführerin der Gegnerschaft kämpft weiter einen mittlerweile sehr einsamen Kampf. Sie beschwert sich über die ihrer Meinung nach unerträgliche Lärmbelästigung durch spielende Flüchtlingskinder auf einem anliegenden Spielplatz. Die Tatsache, dass im Gebäude des AsylbewerberInnenheimes – ehemals ein Sozialwohnungsblock – auch zuvor Kinder gewohnt haben, blenden sie schlichtweg aus.

Die restliche Gegnerschaft hat ihren Kampf gegen das Heim und den Menschen, die dort leben, aufgegeben. Ihre Vorurteile wurden konterkariert, indem sich die Befürchtungen als haltlos herausgestellt hatten. Zwar gehe ich nicht davon aus, dass Vorbehalte komplett abgelegt wurden. Doch akzeptieren die Menschen ihre neuen NachbarInnen mittlerweile und begegnen ihnen teilweise mit Offenheit. Sie stellen sie sich nicht mehr gegen die Hilfesuchenden. Wenn – wie vom Sprecher der ehrenamtlichen Helfer im Heim geplant – noch weitere Möglichkeiten zu zwischenmenschlichen Begegnungen geschaffen werden, bleibt eine weitere positive Entwicklung zu erwarten.

Der Autor arbeitet zur Zeit an einer Film-Dokumentation über diesen Fall und möchte bis dahin anonym bleiben. Das gleiche gilt für die Stadt, in der sich alles abspielt.

4 Kommentare

  1. In unserer Nachbarschaft befindet sich seit ca. 2 Monaten eine Asylunterkunft mit ca. 10 Jungen Männern aus Afrika (die in nächster auf 50 Asylberwerber erhöht werden). Ich unterstelle dem Schreiber dieses Artikels, dass er wohl nicht in der direkten Nachbarschaft zu den Asylbewerbern, von denen er hier schreibt, wohnt. Ich für meinen Teil muss feststellen, dass das Vorurteil der Lärmbelästigung leider voll und ganz zutrifft. 10 Männer um die 30 die sich lauthals bis spät in die Nacht im Garten unterhalten stören mich. Auch mehrmaliges zurechtweisen durch die Polizei hat auch nur kurzfristigen Erfolg gebracht.
    Bei einem Versuch unser erst vor 3 Jahren gekauftes Einfamilienhaus zu verkaufen haben mir alle Ortsansässigen Makler davon abgeraten, da bedingt durch die Nachbarschaft ein zu hoher Wertverlust zu erwarten wäre.

    1. Vielleicht sprechen Sie einfach mal mit diesen jungen Männern?! Vielleicht versuchen Sie mal ihre Lebensgeschichte zu erfahren und sie als Menschen zu sehen und sich selbst auch als Menschn vorzustellen? ich bin mir sicher, dass man mit freundlicher Kommunkation (und nicht mit Polizei) vieles lösen kann. Versuchen Sie es doch mal!

      Und vielleicht freuen Sie sich darüber, dass sie sich neben Ihrem Einfamilienhaus unterhalten und nicht im Mittelmeer gestorben sind.

  2. Vielen Dank für diesen Artikel. Endlich mal ein Mutmacher unter den ganzen vorurteilsbehafteten Horrormeldungen!

  3. Der Umgang mit Asyl ist auch in einem breiteren Kontext zu sehen: der Arabische Frühling, den wir alle toll finden, und Migration aus diesen Ländern, die in den Medien verurteilt werden. Diee Spannung ist leider nicht einfach zu lösen. Dazu gibt es hier einen spannenden Artikel: http://www.fpif.org/articles/europes_dilemma_immigration_and_the_arab_spring

    „For this reason, expanding the number of worker visas—especially in the areas of unskilled labor—for asylum seekers and other immigrants would be greatly in Europe’s interest. It is time Europe stopped viewing immigrants as a threat to society and instead opened its eyes to the benefits and possibilities available through immigration reform, which could potentially result in advantageous gains for both Europeans and asylum seekers from the Middle East and North Africa.“

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