La Strada: Firmen und Konsument_innen für Menschenhandel sensibilisieren

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Rundbrief 55 vom Dezember 2014 der FIZ – Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (Zürich) veröffentlicht. Im Rundbrief geht es um Arbeitsausbeutung und Menschenhandel. 

Autorin: Rebecca Angelini

Ein neues europäisches Projekt unter dem Titel „NGOs & Co – NGO-Business Engagement in Addressing Human Trafficking“ versucht den privaten Sektor für die Bekämpfung des Menschenhandels an Bord zu holen. Lanciert wurde NGOs&Co von La Strada International (LSI), einem Netzwerk von vornehmlich osteuropäischen NGOs, die sich gegen Menschenhandel einsetzen. Die FIZ pflegt regen Kontakt mit LSI und ist assoziierte Partnerin im neuen Projekt.

Menschenhandel lebt von der individuellen und unternehmerischen Nachfrage nach billiger Arbeit, billigen Dienstleistungen und billigen Produkten. Private Unternehmen sind besonders wichtige Akteure, die viel zur Bekämpfung des Menschenhandels beitragen können. Viele private Firmen sind sich nicht bewusst, dass sie oder ihre Partnerfirmen von Menschenhandel zwecks Arbeitsausbeutung betroffen sein könnten. Internationale Versorgungsketten müssen gut geprüft werden, um sicher zu stellen, dass kein Glied in dieser Kette zum Menschenhandel beiträgt.

Konsumentinnen und Konsumenten können aufgrund ethischer Entscheidungen bestimmte Produkte kaufen, Dienstleistungen in Anspruch nehmen, oder auch nicht. In der europäischen Öffentlichkeit besteht zwar eine gewisse Sensibilisierung für fairen Handel und gerechte Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern. Aber wenigen Konsument_innen ist bekannt, dass es auch eine Verbindung geben könnte zwischen den täglichen Einkäufen, die sie tätigen, und Menschenhandel von Migrant_innen nach Europa. Das Projekt NGOs&Co will mittels einer Kampagne, an der auch die FIZ beteiligt ist, sowohl Firmen wie auch Konsument_innen sensibilisieren für die vielen Gesichter und Formen, die Menschenhandel zwecks Arbeitsausbeutung annehmen kann.

Zusammenarbeit zwischen NGOs und Privatfirmen

La Strada International hat im Rahmen des Projektes eine Studie zur Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft mit dem Privatsektor durchgeführt, an der 27 NGOs aus ganz Europa teilnahmen. Klar wurde, dass das Potential von Bündnissen, Verknüpfungen und Zusammenarbeit zwischen Anti-Menschenhandelsorganisationen und privaten Unternehmen noch lange nicht ausgeschöpft ist. Aber auch das Bewusstsein für die Wichtigkeit dieser zentralen Akteure im Kampf gegen den Menschenhandel ist allgemein noch gering.

Ziel des Projekts NGOs&Co ist es, die Zusammenarbeit zwischen europäischen NGOs gegen Menschenhandel und dem Privatsektor zu verbessern und generell die Öffentlichkeit bezüglich der Verbindung von Menschenhandel und in Europa produzierten alltäglichen Verbrauchsartikeln zu sensibilisieren. Im Fokus der LSI-Kampagne stehen grosse transnationale Konzerne. Im europäischen und speziell im osteuropäischen Kontext ist das Risiko, Opfer von Menschenhandel zu beschäftigen für solche Unternehmungen am grössten. In der Schweiz hingegen, sind die wenigen bisher bekannten Fälle von Menschenhandel zwecks Arbeitsausbeutung im informellen Sektor zu finden.

Am 18. Oktober dieses Jahres, am europäischen Tag gegen Menschenhandel, wurde die Kampagne lanciert und eine interaktive Europakarte veröffentlicht. Hier haben alle NGOs aus ihren Ländern, so auch die FIZ, Fallgeschichten von Menschenhandel zwecks Arbeitsausbeutung aufgeschaltet. Weitere Informationen zur Kampagne finden Sie auf unserer Webseite unter „Aktuell“.

Kulturelle Mediation schafft Vertrauen

FairWork, unsere Netzwerkpartnerin aus Holland, geht innovative Wege bei der Identifizierung von Betroffenen von “Menschenhandel zwecks Arbeitsausbeutung”. FairWork ist eine unabhängige, nicht-staatliche Organisation, die sich mit einem ähnlichen Angebot wie die FIZ gegen Menschenhandel engagiert. Den Fokus legt sie aber auf Menschenhandel ausserhalb des Sexgewerbes. Sie bietet direkte Unterstützung für Frauen und Männer in ausbeuterischen Situationen und macht wie die FIZ Bildungs- sowie politische Arbeit. Jedes Jahr ist FairWork mit mindestens 400 mutmasslichen Opfern in Kontakt. Ungefähr ein Viertel unter ihnen gelangen über kulturelle Mediator_innen an die spezialisierte Organisation. “Wir sind überzeugt von der kulturellen Mediation, denn Vertrauen ist ganz wichtig für das Empowerment und die Unterstützung von Opfern von Menschenhandel. Es reicht nicht, zu warten bis die Betroffenen zu uns kommen. Opfer von Menschenhandel geben sich nicht als solche zu erkennen, sondern es braucht einen aufmerksamen Blick für Anzeichen von Ausbeutung. Und zwar nicht nur von Behörden, sondern auch von zivilgesellschaftlichen Akteuren.” Teilt Sandra Claasen, die Leiterin von FairWork, mit, als sie uns im Detail erklärt, wie die Opferidentifizierung durch kulturellen Mediator_innen funktioniert.

Bisher arbeitet FairWork mit Mediatorinnen aus Indonesien, den Philippinen, Ungarn, Polen, Bulgarien, Rumänien, Sierra Leone, Brasilien und einem chinesisch sprechenden holländischen Mediator. Die kulturellen Mediator_innen wenden verschiedene Methoden an, um mit mutmasslichen Betroffenen in Kontakt zu treten: sie besuchen Kirchen, Migrant_innenorganisationen, legen Flyer in polnischen oder brasilianischen Shops auf oder geben Interviews in verschiedenen ausländischen Tageszeitungen in Holland. Auch online wird nach mutmasslichen Opfern gesucht. Die Mediator_innen sind in Internetforen für Arbeitsmigrant_innen präsent und führen auch mehrere Facebook Gruppen für die unterschiedlichen Gemeinschaften. Sandra Claasen beurteilt diesen etwas anderen Weg der Opferidentifizierung als sehr vielversprechend: “Die Arbeit mit kulturellen Mediator_innen gibt uns die Möglichkeit, mutmasslichen Opfern auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Fachleute oder Behördenvertreter_innen flössen Betroffenen auch schon mal Respekt ein. Es ist schwieriger für Behörden, Vertrauen zu mutmasslichen Opfern aufzubauen. Und Vertrauen brauchen die Opfer, um über ihre Ausbeutungssituation berichten zu können.”