„Kinderprostitution“ und „Zwangsprostitution“: Eine kleine Medienkritik

Gestern wurde eine Sendung zum Thema „Zwangsprostitution“ und „Kinderprostitution“ (Verkaufte Seelen) im Ersten ausgestrahlt. Der dort zitierte Photograph hat als Einziger die richtige Wortwahl getroffen: Was sich da abspielt, ist „gewerbliche Massenvergewaltigung“.

Dazu haben wir zwei Kommentare, die sich auf alle Dokus, Artikel und Berichte, die diese Begriffe verwenden, anwenden lassen:

Kinderprostitution: Der Begriff „Prostitution“ ist bei Kindern völlig fehl am Platz. Eigentlich ist es gewerbliche Massenvergewaltigung bzw. gewerblicher sexueller Missbrauch (von Minderjährigen). (Tweet zum Re-tweeten)

Zwangsprostitution: Wer nie in die Prostitution wollte, „prostituiert sich“ nicht sondern wird zu gewerblichen Zwecken massenvergewaltigt. (Tweet zum Re-tweeten)

Zu sagen, dass ein junges Mädchen oder ein Kind dazu gezwungen wurde „sich zu prostituieren“, verschiebt den Blick wieder auf das Mädchen, das sich selbst etwas antut, nämlich sich zu prostituieren. Das Verb ist reflexiv und die Verantwortung für die Tat wird sprachlich vollständig auf das „Opfer“ abgewälzt. Somit wird victim blaming gefördert: Letztendlich wird sprachlich auch die Schuld auf das Mädchen, den Jungen, die Frau,  die „Hure“ geschoben.

„Prostitution“ bzw. „Sexarbeit“ ist ein Begriff der per se Freiwilligkeit sowie die Vorstellung, dass „sexuelle Dienstleistungen“ angeboten als Form der Erwerbstätigkeit angeboten werden, beinhaltet. In den beiden oben genannten Fällen, ist der Sex nicht freiwillig.

Unfreiwilligen Sex nennt man in der deutschen Sprache „Vergewaltigung“. Eine Vergewaltigung ist keine „sexuelle Dienstleistung“. Also: Die Verwendung der Begriffe „Zwangsprostitution“, „Kinderprostitution“ sowie „Kinderpornographie“ ist völlig fehl am Platz.

Das alles erfordert eine tiefergehende Auseinandersetzung. Aber erstmal kann sich jede_r Gedanken darüber machen, wie die Art, wie wir über „gewerbliche Massenvergewaltigung“ von Kindern, Frauen und Männern sprechen – nämlich als „sexuelle Dienstleistung“, unser Bild und unsere Politik zu diesem Thema prägt. Kein Wunder, dass der Opferschutz immer noch unzureichend ist.

Kommentare, die zu einer konstruktiven Kritik und Weiterentwicklung dieses Ansatzes beitragen, sind ausdrücklich erwünscht.

8 Kommentare

  1. Ich hatte im Juli einen Kommentar geschrieben über den ich jetzt beim erneuten Lesen selbst entsetzt war wegen der krassen Formulierungen. Die schaden einem ja nur selber. Deshalb möchte ich jetzt hier die Quellen wiedergeben die ich beim Schreiben des Kommentars vor Augen hatte. Es war der Fall von Yamina wo weder eine Verurteilung noch eine Entschädigung erfolgte, so wie sich ein normaler Bürger das vorstellt wenn Unvorstellbares passiert ist. Und Deutschland ist ja kein armes Land, auch wenn es Armut gibt. Jetzt habe ich den „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten“ vor Augen und frage mich, was soll damit besser werden wenn der Gesetzgeber für Opfer von MH-A und MH-S nichts tut, weder die Gesetze ausschöpft noch etwas für den Opferschutz tut.

    Auf diese Absätze habe ich mich in meinen krassen Kommentar vom Juli bezogen:

    Ihre Peiniger, eine nigerianische „Madame“, wie Yamina sie nannte, und ein Europäer, bekamen beide Freiheitsstrafen – wenn auch nur auf Bewährung.

    Trotz des Martyriums, durch das Yamina gegangen ist. Sie muss nachweisen, dass es einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff auf ihre körperliche Unversehrtheit gab. Ursprünglich argumentierte der Landschaftsverband, dass sie das Bordell ja hätte verlassen können – was sich formaljuristisch zwar herleiten lässt, aber doch zynisch ist.

    http://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article11285252/Yamina-15-die-Geschichte-eines-Wegwerfmaedchens.html?config=print

    http://www.welt.de/print/wams/article110073313/Die-Wegwerfmaedchen.html?config=print

    Ich möchte mich bei den angegriffenen Juristen entschuldigen und hoffe sehr, dass es Juristen gibt die sich engagieren um auf den Gesetzgeber einzuwirken. Es muß ja einer Selbstverleugnung gleichkommen Recht sprechen zu müssen obwohl das Unrecht unverkennbar ist.

  2. Antwort von „Report München“ auf der Facebook-Seite des Bayerischen Rundfunkes:

    „Vielen Dank für Ihren Beitrag und den Anstoß zu einer Diskussion. Sie haben Recht: Der Begriff Kinderprostitution ist nicht wirklich passend und daher verwenden wir diesen auch nicht in unserem Film. Zwangsprostitution – diesen Begriff haben wir in unserer Redaktion lang diskutiert. Wir finden nicht, dass er die Schuld auf die Mädchen, die Opfer schiebt. Das Element des Zwangs ist hier vorherrschend. So wie wir es im Beitrag schildern, wird ganz klar, dass diese Art der Zwangsprostitution eine Vergewaltigung ist. Deswegen heißt der Film ja auch „Verkaufte Kinderseelen“.“

  3. Leider sind menschenhandelheute.net und Klaus Fricke zu gut für diese Welt. Das deutsche Strafrecht, wie ich davon gelesen habe, kann ich da nur als zynisch bezeichnen und die Strafrechtler als „faule Bande“. Kein Richter wäre beeindruckt wenn ich eiskalt abgeduscht und im Winter ausgesetzt werde, wenn mit mir Russisch Roulette gespielt wird, wenn ich in einen Kofferraum bei Hitze oder Kälte gesperrt werde ohne zu wissen wie lange und ob überhaupt sich noch jemand um mich kümmert, oder der Vater und die Mutter arbeitslos und krank sind…. Dann werde ich MICH prostituieren, und es wird kein Unterschied sein ob freiwillig oder nicht. Durch die Reflexion des Begriffes „sich prostituieren“ fällt die Handlung allemal auf MICH zurück. Hier müssen wir ansetzen. Beim Zynismus unseres Strafrechts. Femen sollte das den Richtern klarmachen können, ja ich denke schon!

    Und selbst wenn … Wenn ich meine Arbeit gut mache und dem Freier gebe nach was ihn dürstet, bin ich dann nicht sein guter Hirte?

    Warum hat die Gesellschaft ein Problem damit, Bedürfnisse anzuerkennen, und diejenigen welche für deren Befriedigung einstehen, wertzuschätzen?

  4. Danke für die begriffliche Klarstellung. Ich werde „gewerblicher sexueller Missbrauch“ bzw. „gewerbliche Massenvergewaltigung“ in Zukunft in Abgrenzung zu Sexarbeit nutzen. Der strukturelle Unterschied zwischen Sexarbeit als selbstbestimmter Dienstleistung und allen Formen sexuallisierter Gewalt und sexualisierter Straftaten wird in diesen Begriffen für mich sehr deutlich. In Gesprächen mit wenig informierten Dritten kann die Differenz zwischen SexArbeit und Verbrechen mit diesen Begriffen gut transportiert werden.

    Die Reportage war ansonsten von journalistisch unterirdischer Qualität. Ein Beispiel war der Begriff „Kinder“, der ohne Erklärung benutzt wurde. Als Kinder werden im Zusammenhang mit den §§ 232 und 233 StGB alle Personen unter 18 Jahren gefasst. Bei allen Personen, die zwischen 18 und 21 Jahren sind wird davon ausgegangen, dass sie aufgrund ihres Alters per se als Menschenhandelsopfer zu betrachten sind, zumindest sofern sie der Sexarbeit nachgehen. Damit werden sie nachträglich entmündigt und ihrer Menschenrechte von Amts wegen beraubt. Ich halte diese Passage des StGB § 232 (1) „Ebenso wird bestraft, wer eine Person unter einundzwanzig Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu den sonst in Satz 1 bezeichneten sexuellen Handlungen bringt“ für in diesem Sinne höchst problematisch. Sie eröffnet den Weg zu Maßnahmen, die ich als rechtsförmigen Terror bezeichnen würde. Entgegen menschenrechtlichen Grundsätzen werden durch diese Vorgaben Maßnahmen gerechtfertigt, die dem Staat erlauben, volljährige Menschen vor sich selbst zu schützen und dies unter Verweigerung der Anerkennung seiner Menschenrechte.

    Der Staat greift damit nach meiner Auffassung in das menschenrechtlich verbriefte Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und in das der freien Berufswahl ein. Dies ist absolut grenzwertig. Sofern dies als Prinzip in die Rechtsordnung (Einheit derselben) Einzug hält, werden damit Personen zwischen 18 und 21 Jahren staatlicherseits Freiheitsrechte genommen. Die Grenze zum Unrechtsstaat wäre damit für mich überschritten.

    Vorbehalte, ob denn die Entscheidung, Sexarbeit als Beruf zu wählen, von Personen ab 18 Jahren getroffen werden sollten, will ich damit nicht vom Tisch wischen. Hier greift aber nicht das Strafrecht, sondern Bildung, Information und Beratung, am Besten in Selbstorganisation durch Sexarbeitende und deren Interessenvertretungen.

    Wenn den Empfehlungen aus dem Untersuchung zum Prostitutionsgesetz in Deutschland aus dem Jahr 2005 (Helferich u.a.) gefolgt worden wäre, und diese nicht in fahrlässiger Weise von der Politik der Folgejahre ignoriert worden wären, müsste darüber nicht mehr geredet werden.

    Die damaligen Empfehlungen:
    – Unterstützung des Aufbaus von Interessensvertretungsorganisation für SexWork
    – Einrichtung kommunaler Beschwerdeanlaufstellen für SexWork für Fälle der Ungleichbehandlung, Diskriminierung, Stigmatisierung
    – Einrichtung von interdisziplinären Foren zur Weiterentwicklung der Forschung und Vermehrung gesicherten Wissens zum Sexwork und darüber zu fördernde gesetzliche, soziale, mediale und politische Veränderungen der Sicht auf und des Umganges mit Sexwork

    Diesen Empfehlungen wurde nicht gefolgt. Die gerade veröffentlichte Studie zum Vergleich der SexWork Politik in Österreich und in Holland (Waagenaar u. a., Final Report of the International Comparative Study of Prostitution Policy: Austria and the Netherlands) kommt zu ähnlichen Empfehlungen. Sie macht deutlich, dass repressive gesetzliche Massnahmen eher erfolglos bleiben und dieser Ansatz Probleme eher fördet, die zu gewerblichem sexuellen Missbrauch führen. Bevorzugt wird auf der Grundlage empirischer Ergebnisse

    – Aufbau von Interessenvertretungen von SexWork
    – Zusammenarbeit mit diesen
    – Beratung, Information, Bildung und deren öffentliche Finanzierung

    Zugespitzt möchte ich sagen, dass die fahrlässige Missachtung der Empfehlung zur Weiterentwicklung der Prostitutionspolitik, wie sie 2005 von Helferich u.a. im Auftrag des Bundesministerims für Frauen, Senioren, Familie und Jugend (Untersuchung „Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes“, Abschlussbericht) empfohlen wurde, verantwortungslos war. Diese verantwortungslose und fahrlässige, auf Missachtung von SexWork basierende Politik ist zu adressieren, wenn heute über Opfer gewerblichen sexuellen Missbrauches gesprochen wird. Ich halte diese Politik für menschenrechtsfeindlich.

    Der Menschenrechtsansatz von vielen Opferschutzorganisationen leistet Menchenrechtsverletzungen systematisch Beihilfe, solange SexWork nicht gleichberechtigter Teil sozialen Lebens ist und für Sexwork nicht Information, Bildung und Beratung ausreichend institutionalisiert angeboten wird. Würde das geschehen, bräuchten wir uns um gewerblichen sexuellen Missbrauch kaum noch Gedanken machen. Das ist scheinbar nicht gewollt. Bevorzugt wird die Repression gegen SexWork.

    Die einäugige Blindheit und der ideologische Fundamentalismus, den manche Opferschutzorganisation hegt bzw. betreibt, wird auch daran deutlich, dass diese Organisationen sich angeblich um die Menschen in der Sexarbeit sorgen, aber lediglich tätig werden, wenn Menschen, zumeist Frauen ab 18 Jahren, Opfer von gewerblichem sexuellem Missbrauch werden. Die täglichen Straftaten gegen Sexarbeitende bis hin zu Mord (von alltäglicher Beleidigung, Niedertracht, Körperverletzung will ich gar nicht sprechen) fallen nicht in ihre, – so die Aussage (bei „Grauzone V“, Bonn, 5. Juni 2013) dieser „Helfer_innen“ – Zuständigkeit, damit beschäftigen sie sich nicht. Über diese Straftaten gibt es auch keine Kriminalstatistik. Als am 19. Juli in Berlin der Sexarbeitenden Dora und Jasmine gedacht wurde, die Mordopfer wurden, auch weil Stigmatisierung tötet, wo waren da die Organisationen, die sich um Opfer in der Sexarbeit zu kümmern vorgeben. Frau Ackermann wurde nicht gesehen.

    Die Repression schützt, und dies ist spätesten seit 2005 bekannt, im Falle der Sexarbeit keine Menschenrechte, sondern verhindert sie. Die partielle Entmündigung der Menschen im Alter zwischen 18 und 21 Jahren, der partielle Entzug ihres Rechtes auf freie Wahl des Arbeitsplatzes und auf sexuelle Selbstbestimmung, ist ein – allerdings eklatanter und zudem rechtsförmiger – Menschenrechtsverstoss. Diese Politik sowie globale und universelle Überwachung durch NSA etc im Namen des Schutzes der bürgerlichen Freiheiten machen mir Angst. Noch mehr Angst macht mir die Ruhe, mit der die überwältigende Mehrheit der Menschen diese Entwicklung in Deutschland akzeptieren.

    Klaus Fricke

  5. Die Begrifflichkeit sagt außerdem, dass die Opfer mehr als ihr eigenes Leben als Lohn erhalten…
    Prostitution ist ein Gewerbe- ein gesetzlich reguliertes Gewerbe (etwas von dem Verkäufer und Käufer etwas haben)
    Das, was „Zwangsprostitution“ genannt wird, ist Ausbeutung und Gewalt.
    In dieser Begrifflichkeit wird lediglich durch den Einschub „Zwang“ auf die Illegalität hingewiesen. Nicht auf die Gewalt, die dahinter steht.

    Interessante Lektüre zum Thema Sprachführung und (sexualisierter) Gewalt: „Der Kampf um die verlorenen Wörter“ von Monika Gerstendörfer.

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