Anmerkung der Redaktion: Seit einigen Monaten wird zunehmend über die Besteuerung von sogenannten „Lustmobilen“, also von Prostitution in Wohnwagen, gesprochen. Besonders intensiv wird aktuell in Koblenz darüber debattiert. Dabei geraten Themen und Argumente oft durcheinander. So wird diese Besteuerung auch mit Verweis auf die Bekämpfung des Menschenhandels gerechtfertigt – eine Verknüpfung, die fragwürdig und empirisch nicht fundiert ist.
Vor diesem Hintergrund veröffentlichen wir die kritische Stellungnahme der in Koblenz vor Ort tätigen Beratungsstelle für Prostituierte ‚Roxanne‘. Die Stellungnahme kann auch auf der Homepage von Roxanne abgerufen werden.
Stellungnahme zum aktuellen Geschehen in Koblenz
In den vergangenen Wochen ist das Thema „Prostitution“ immer wieder in der Koblenzer Medienlandschaft aufgegriffen worden und eine entsprechende Diskussion ist augenscheinlich in Bewegung gekommen.
Mit Bedauern stellt die Koblenzer Prostituiertenberatungsstelle ROXANNE allerdings fest, dass – wie so oft – Begriffe wie Menschenhandel, Kriminalität und Zwangsprostitution mit der Sexarbeit synonym gesetzt werden.
Gerade am Beginn der allgemeinen Diskussion tut eine faire und vor allem fruchtbare Diskussion zum Thema Sexarbeit Not. Dazu braucht es Fakten. Wir geben zu Bedenken, dass tatsächlich nur wenigen Institutionen wie etwa der Polizei und den Finanzbehörden sowie den Beraterinnen von Roxanne ein direkter Einblick in die Prostitutionsszene vor Ort gegeben ist. Wir halten es für problematisch, wenn aufgrund von Vermutungen die Sachlage beurteilt wird und neue Verordnungen erlassen werden.
Uns, als Beratungsstelle, die eng mit den Gesundheitsämtern, der Polizei, der Arbeitsagentur und auch mit sozialen Einrichtungen zusammenarbeitet, ist es daran gelegen, die Diskussion nicht ohne die betroffenen Frauen selbst zu führen und den Blick auf die tatsächlich vorliegenden Realitäten im Sexgewerbe zu lenken.
In der Rhein Zeitung vom 6.Juli 2013 ist die Rede davon, dass die Stadt mit ihrem Beschluss, eine Sondernutzungsgebühr für „Lustmobile“ zu erheben, Zwangsprostitution unterstütze und die Gesellschaft an Gewaltverhältnisse gewöhne. Obgleich auch wir gegen die Erhebung einer Sondernutzungsgebühr in der vorliegenden Form sind, möchten wird doch betonen, dass die Frauen nicht zwangsläufig Opfer von Menschenhandel sind, sondern ihre Arbeit in der Regel selbstständig und freiwillig ausführen, um eine existenzielle Lebensgrundlage für sich und ihre Familien zu schaffen bzw. zu erhalten, so wie auch viele Menschen in anderen Branchen oft notgedrungen zu widrigen Bedingungen arbeiten, um sich existenziell über Wasser halten zu können. Man denke nur an osteuropäische Männer, die nahezu rechtlos für 3 bis 5 Euro in der Fleischbranche arbeiten.
Sexarbeit ist eine Form selbstständigen Arbeitens, die vielen Frauen – und auch einigen Männern – die Möglichkeit gibt, nicht auf staatliche finanzielle Hilfe angewiesen zu sein oder auch der schwierigen wirtschaftlichen Lage in den Herkunftsländern zu begegnen. Per Gesetz handelt es sich um eine anerkannte Dienstleistung, aber von der gesellschaftlichen Anerkennung dieser Arbeit sind wir immer noch weit entfernt. Weder sollten wir die Frauen per se als Opfer von Menschenhandel betrachten, noch ungeachtet deren Arbeits- und Einkommensverhältnisse, an der Prostitution verdienen wollen. Vielmehr gilt es, die Arbeitsbedingungen der Frauen zu verbessern und damit Menschenhändlern weniger Spielraum zu geben! Zudem sollten wir gerade in diesem Beruf die Würde der Frauen achten.
Natürlich sind die Arbeitsbedingungen einiger Frauen nahezu menschenunwürdig und besonders auf dem Straßenstrich sind die Verhältnisse sehr schwierig. Deswegen sollte eine mögliche Sondernutzungsgebühr unbedingt an bessere Arbeitsverhältnisse auf der Straße gekoppelt sein. Dazu gehören hygienische Standards (Duschen und Toiletten am Strich) sowie die weitergehende Förderung einer zugehenden Beratungs – und Präventionsarbeit.
Auch ein Gastwirt kann sich darauf verlassen, dass die Stadt für attraktive Plätze und Straßen sorgt, wo eine Außenbestuhlung erst Sinn macht. Der Koblenzer Straßenstrich hingegen ist ein geduldeter, aber sehr vernachlässigter Ort, der einer Sondernutzungsgebühr unter diesen Umständen einen wahrhaft bitteren Beigeschmack gibt.
Auch wäre es fatal, den Strich gänzlich zu schließen oder zu vermuten, mit der Sondernutzungsgebühr den Strich eindämmen zu können, man wird lediglich den Existenzkampf der Frauen noch weiter verschärfen. Jede Frau hat gute Gründe, warum sie sich für die Arbeit auf dem Straßenstrich entschieden hat, statt in einer Terminwohnung oder einem Bordell zu arbeiten. Beruflichen Alternativen, das haben uns viele Sexarbeiterinnen erzählt, waren wegen der hohen Arbeitslosigkeitsrate in vielen Europäischen Ländern, einer nicht oder nur unzureichend genossenen Schulbildung, der Sprachbarrieren etc. weder im eigenen Land noch in der Fremde erreichbar. Will man den Frauen also wirklich helfen, kommt man nicht umhin, sich dafür einzusetzen, die gesellschaftliche Akzeptanz von Sexarbeit voran zu treiben, und dies im Dialog mit den Frauen, satt in der Diskussion über sie, und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das Prostitutionsgesetz war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Das reicht aber noch lange nicht aus.
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Weitere Links:
Roxanne: Gebühr verschärft Notlage der Prostituierten (Rhein Zeitung)