Dieser Artikel wurde ursprünglich im FIZ Magazin (November 2017) der FIZ – Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (Zürich) veröffentlicht.
Vor einigen Jahren gab ein Menschenhandelsprozess unter dem Namen «Goldfinger» viel zu reden. Die Täterschaft quälte ihre Opfer brutal – der Gerichtspräsident wurde in der NZZ zitiert: «Es haben sich uns Abgründe aufgetan»[1]. Der Goldfinger-Prozess hat die öffentliche Wahrnehmung entscheidend geprägt. Vergessen geht dabei: Frauenhändler gehen nicht immer mit physischer Gewalt vor. Ihre Verbrechen und die Folgen für die Betroffenen sind darum nicht weniger gravierend.
Eine junge Frau wird mit falschen Versprechungen zur Migration in die Schweiz verführt. Hier wird sie von Kontaktmännern in ein Bordell verfrachtet, geschlagen und vergewaltigt. Sie steht unter ständiger Kontrolle, darf das Haus nicht alleine verlassen, wird täglich misshandelt und bedroht. Dies ist das Szenario, das sich die meisten Menschen vorstellen, wenn von Frauenhandel die Rede ist.
Die Realität jedoch ist sehr viel facettenreicher. Die Ketten, die Betroffene von Menschenhandel fesseln, sind zu einem grossen Teil nicht physischer Natur. Täter wenden auch psychische Zwangsmittel an, um ihre Opfer gefügig zu machen. Sie drohen, warnen, beschämen und nützen die Vulnerabilität der Betroffenen aus. Es gibt strukturelle, rechtliche, soziale und individuelle Faktoren der Vulnerabilität: Ein prekärer oder illegalisierter Aufenthalt, diskriminierende Erfahrungen mit Behörden im Herkunftsland, hohe Verschuldung, finanzielle Verantwortung für Kinder oder ein schlechter Ausbildungsstand sind Beispiele. Die „Ketten“ bestehen also oft aus einer komplexen Verkettung von Faktoren, die Betroffene verletzlich und damit ausbeutbar machen.
Stereotype Bilder
In Medien und in der öffentlichen Diskussion von Menschenhandel kommen diese Zusammenhänge aber selten zum Zug. Die meisten Bilder in den Medien stellen Opfer aus, exotisieren und objektivieren sie. Mit Texten und Bildern von hilflosen Opfern und ausländischen Tätern wird die Vorstellung bedient, Menschenhandel sei die «Erfindung» ausländischer Übeltäter und die Folge seien Schicksalserfahrungen einzelner Migrantinnen. So wird davon abgelenkt, dass Opfer von Frauenhandel auch das Resultat diskriminierender Strukturen sind.
Eine vereinfachende Darstellung von Menschenhandel führt meist auch zu simplen Lösungsvorschlägen: beispielsweise zur Forderung nach verschärfter Migrationspolitik oder nach einem Verbot von Sexarbeit. So werden strukturelle Faktoren der globalen Ungleichheit – das Armutsgefälle zwischen Nord und Süd, genderspezifische Ungleichheiten, kapitalistische Profitmaximierung – ausser Acht gelassen. Aber Menschenhandel spielt sich nicht nur zwischen Tätern und Opfern ab: Unsere migrationspolitischen Regelungen, unsere Nachfrage nach den Dienstleistungen gehandelter Menschen und unsere stereotypischen Vorstellungen sind Teil des Phänomens Menschenhandel. Und genau dort müssen Lösungen ansetzen.
Das stereotype Bild der gehandelten Frau im Sexgewerbe fokussiert das Problem zudem auf Sexarbeit und impliziert moralisch Anrüchiges und «Schmutziges». Tatsache ist: Sexarbeit ist in der Schweiz legal und kann selbstbestimmt ausgeführt werden. Und Menschenhandel ist ein schmutziges Geschäft, in welcher Branche auch immer.
Stereotype Vorstellungen sind nicht nur problematisch und falsch, sie können den Betroffenen auch direkt schaden und bergen grosse Risiken.
Mangelnde Identifizierung
Zum einen können sie dazu führen, dass Opfer in «untypischen» Fällen nicht identifiziert und übersehen werden. Ermittlungsbehörden, Arbeitsmarktkontrolleure oder Asylbehörden können die Situation verkennen, weil sie von einem bestimmten Muster von Menschenhandel ausgehen.
Milde Urteile
Wenn trotzdem ermittelt wird und Täter vor Gericht kommen, kann es Freisprüche oder milde Urteilen geben. Denn über subtilere Formen des Drucks wissen auch StaatsanwältInnen und RichterInnen nicht immer genügend Bescheid.
Behördliche Fehlentscheide
Schliesslich bergen stereotype Bilder das Risiko behördlicher Fehlentscheide. Härtefallgesuche oder Gesuche zur Finanzierung gemäss Opferhilferecht könnten eher negativ ausfallen, wenn die Opfer «nur» subtilem Zwang und nicht physischer Gewalt ausgesetzt waren.
Die Bedingungen und Zwänge, in denen Betroffene von Menschenhandel leben, sollten erhellt werden, damit sie auch nachhaltig geschützt werden können. Dafür braucht es gezielte Schulungen für Behörden und andere Fachleute, die mit Menschenhandelsopfern in Kontakt kommen.
Ob sie physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind, ist für die Betroffenen zwar nicht unerheblich. Aber welche Art von Zwangsmitteln auch eingesetzt wurden – die Bedürfnisse aller Opfer sollten im Mittelpunkt stehen. Für sie ist es nach der Aufdeckung der Ausbeutung in erster Linie wichtig, dass sie menschenwürdig leben können. Dafür braucht es alternative Möglichkeiten: legale Arbeit mit fairen Arbeitsbedingungen und legalem Aufenthalt, damit sie für sich und das Auskommen ihrer Familie sorgen können.
Die Migrationspolitik der Schweiz ist einer der strukturellen Faktoren, die MigrantInnen verletzlich macht. Mit einer pragmatischen Migrationspolitik, die ausreichend legale Migrationswege schafft, könnten viele Menschenrechtsverletzungen verhindert werden.
[1] Brigitte Hürlimann: Härtere Strafen für Menschenhändler, NZZ , 19.7.2012