Dieser Artikel wurde ursprünglich im Rundbrief 52 vom Mai 2013 der FIZ – Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (Zürich) veröffentlicht. Der ursprüngliche Titel lautet lediglich „Klischees demontieren“.
Doro Winkler hat die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit der FIZ seit 1998 entscheidend geprägt. Professionell, kompetent und politisch sensibel ist sie heute das Gesicht der FIZ in der Öffentlichkeit. Ende April verlässt sie die FIZ. Anlass für ein Interview von FIZ-Geschäftsführerin Susanne Seytter mit Doro Winkler über die Medienarbeit der FIZ.
Susanne Seytter: Doro, du hast die Aufgabe, ein breites Publikum für FIZ-Themen zu interessieren. Gleichzeitig hat die FIZ auch den Auftrag, Opfer von Frauenhandel vor dem Rampenlicht zu schützen. Gegensätzliche Aufgaben?
Doro Winkler: Nein. Beides ist wichtig. Wir sind sehr daran interessiert, FIZ-Themen in die Öffentlichkeit zu bringen und aufzuzeigen, dass Frauenhandel hier vor unserer Haustüre passiert. Die heile Schweiz ist nicht so heil, wie die meisten Menschen glauben – und das wollen wir aufzeigen. JournalistInnen aber möchten meist über ein Einzelschicksal berichten und mit einem Opfer von Frauenhandel sprechen. Dann muss ich deutlich machen, dass das nicht geht. Traumatisierte Frauen, die vor kurzem vor Gewalt und Ausbeutung geflohen und sich in einer akuten Krise befinden, wollen nicht vor ein Mikrofon gesetzt werden. Wer schon einen gewissen Abstand von der Ausbeutungsgeschichte hat, will nicht immer daran erinnert werden. Und jene Frauen schliesslich, die versuchen, ihr Leben danach aufzugleisen, wollen nicht immer wieder auf ihre Erfahrung als Opfer reduziert werden. Und sie möchten natürlich auch nicht erkannt werden in ihrem neuen Umfeld, das sie sich mühsam aufbauen.
Susanne Seytter. Wie schafft man es, diese dramatischen und schwierigen Situationen von Frauen darzustellen, ohne dass die Opfer sich der Öffentlichkeit preisgeben müssen, wenn sie es nicht wollen?
Doro Winkler: Die FIZ ist eine kleine Organisation und wir arbeiten alle sehr eng zusammen. In unseren Rundbriefen oder auf der Website finden Medienschaffende Interviews mit Betroffenen. Auch die Mitarbeiterinnen der Öffentlichkeitsarbeit können den JournalistInnen die Geschichte von einzelnen Frauen erzählen und gleichzeitig auf die Hintergründe aufmerksam machen. Es geht uns darum, Einzelschicksale in einen grösseren Zusammenhang zu stellen – zum Beispiel mit den restriktiven Schweizer Migrationsgesetzen, mit der prekären wirtschaftlichen Situation im Herkunftsland. Ganz selten gibt es Betroffene, die bereit sind, einer MedienvertreterIn über ihre Erfahrungen zu berichten. Dann begleiten wir das eng, um eine ausreichende Anonymisierung zu gewährleisten.
Susanne Seytter: Betroffene werden meist nur als Opfer gesehen und nicht als handelnde Subjekte.
Doro Winkler: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Betroffene Frauen sollen nicht auf die Opferrolle reduziert werden. Wir haben grossen Respekt vor der Lebenssituation und der Persönlichkeit der Frauen und versuchen, diese so authentisch wie möglich darzustellen. Auch wenn das für ein Publikum unangenehm ist, weil es nicht zu den Bildern in den Köpfen passt. Medienarbeit heisst, Klischees zu demontieren. Also aufzuzeigen, dass Frauen gleichzeitig Opfer einer Straftat und handelnde Subjekte sind. Dass sie Persönlichkeiten sind, mit eigenem Willen, und nicht unbedingt so funktionieren, wie wir es uns vorstellen: Dankbar, weinend, demütig. Sie sind Subjekte, die ihr Leben selber gestalten. Die Grundhaltung der FIZ ist, dass die Frauen die Kontrolle über ihr Leben wieder zurückgewinnen. Diese Grundhaltung muss sich auch in der Medienarbeit spiegeln.
Susanne Seytter: 15 Jahre FIZ – da warst du immer wieder mit massiven Menschenrechtsverletzungen konfrontiert. Wie war das für dich persönlich?
Doro Winkler: Manchmal hatte ich schlaflose Nächte. Ich kann mir auch nach diesen vielen Jahren immer noch nicht vorstellen, wie Menschen anderen Menschen so etwas antun können. Diese grosse Ohnmacht und Empörung, dass Frauenhandel und Folter überhaupt möglich sind, sind mir geblieben. Und ich bin immer noch wütend, wenn Institutionen oder Menschen im Umfeld die Lage der Frauen noch verschlimmern oder nicht lindern. Wenn Medien respektlos über die Schicksale von Frauen berichten, wenn Aufenthaltsbewilligungen nur zögerlich erteilt werden, weil man nicht ganz sicher ist, ob man diese Frau für ein Strafverfahren wirklich „braucht“.
Auf der anderen Seite hat es mich immer sehr glücklich gemacht, ehemalige FIZ-Klientinnen zu sehen, die uns Jahre nach der Ausbeutungserfahrungen ihr neugeborenes Kind zeigen oder von einer abgeschlossenen Ausbildung erzählen Wenn ich merke, dass die Arbeit der FIZ mitgeholfen hat, den Frauen Wege in eine neues Leben zu eröffnen.