Die Situation von Sexarbeiter_innen verbessert man nicht durch mehr Repression.

Diskussion Die Situation von Sexarbeiter_innen verbessert man nicht durch mehr Repression. Eine Replik auf den Artikel »Linke Helfer der Sexindustrie« in ak 616

Von Jenny Künkel, ursprünglich veröffentlicht auf akweb.de. Eine längere Version ist auf dem Blog von Jenny Künkel zu finden.

Migration ist inhärent schädlich – denn das System Migration wird durch Rassismus, Sexismus und Kapitalismus hervorgebracht. Es zerstört Migrant_innen seelisch, wie zahlreiche Studien belegen: 68 Prozent aller Migrant_innen leiden unter posttraumatische Belastungsstörungen (hier Studie zu traumatisierten Kriegsflüchtlingen als Quelle einfügen). Die Liberalisierung der Migrationsgesetzgebung in den letzten Jahren führte zu einem Anwachsen von Menschenhandel, mehr toten Flüchtlingen im Mittelmeer und Armutsmigration (das ist evident!). Daher müssen wir die Gewalt der Migration strafrechtlich bekämpfen. Aber ohne die Migrant_innen selbst zu kriminalisieren. Packen wir das Problem also an der Wurzel und setzen bei denen an, die billige migrantische Dienstleistungen in Deutschland nachfragen. Die Nachfrage muss strafbar werden! Es ist ein Skandal, dass linke Kreise die Gewalt in der Migration seit Jahrzehnten leugnen. Sie vertrauen den von Menschenhändler_innen gesteuerten Migrantenorganisationen und ihren Forderungen nach einer Deregulierung und Liberalisierung der Migration. Damit machen sie sich zu Helfer_innen des tödlichen Migrationssystems.

Würde eine linke Zeitschrift einen derart kruden Artikel über Migration veröffentlichen, wäre die Empörung groß. Denn mit dem Thema Migration beschäftigen sich viele Linke. In ak 616 erschien ein entsprechender Artikel über Sexarbeit (»Linke Helfer der Sexindustrie«) – entsprechend deshalb, weil die obige Parodie im Prinzip nur »Prostitution« durch »Migration« ersetzt. Die Autorin Gunhild Mewes vermengt darin aktuelle konservativ-feministische Thesen über Prostitution mit etwas 1970er-Jahre-Abolitionismus (2) à la Alice Schwarzer. Doch das ist leider nicht alles. Der Beitrag macht just in dem Moment Stimmung gegen Prostitution, als ein repressives Prostitutionsgesetz in der Mache ist (siehe Seite 8) und Sexarbeiter_innen Unterstützung der Linken bräuchten. Weiterlesen →

Kontrolle statt Schutz: Das geplante Prostituiertenschutzgesetz wird seinem Namen nicht gerecht

Das neue Gesetz soll Prostituierte besser vor Ausbeutung „schützen“. Für Sexarbeiter*innen ist die Einrichtung einer Sonderdatenbank mit Anmeldepflicht und Zwangsberatung geplant. Für sogenannte „Prostitutionsstätten“ – Orte, an denen Sexarbeit ausgeübt wird – sollen strenge Auflagen gelten. Beides ist gut gemeint, wird aber die Situation von Sexarbeiter*innen verschlechtern. Viele neue Pflichten werden eingeführt, aber kaum neue Rechte geschaffen – Sexarbeiter*innen stehen in der Pflicht, sich anzumelden, haben aber keinen nennenswerten Vorteil davon.

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Prostitution: Schwesig hält an Strafen für Prostituierte fest

Die Diskussion über ein neues Prostitutionsgesetz in der Großen Koalition geht inzwischen schon seit über zwei Jahren. Damals, im Oktober 2013, wurde die Diskussion durch Alice Schwarzers Kampagne gegen Sexarbeit geradezu erzwungen.

Besonders sachlich, empirisch und fundiert ging es in der Debatte deshalb nicht zu: Falsche Zahlen und Behauptungen werden seitdem in die Welt gesetzt mit dem einzigen Ziel die Legalität der Sexarbeit einzuschränken oder – wie es Schwarzer gerne sagt – die Prostitution „abzuschaffen“.

Natürlich nennt diese Absicht niemand beim Namen. In der Großen Koalition und im Ministerium von Manuela Schwesig spricht man daher auch von „Schutz“ – Schutz der Prostituierten. Und darüber streiten sich SPD und CDU seit Anfang an – darüber, wie man Prostituierte besser „schützen“ kann.

Worte wie „Selbstbestimmung“ fallen gerne bei der SPD. Bei der CDU ist man etwas ehrlicher und spricht von „Kontrolle“. Von „Rechten“ spricht niemand, weil das neue Gesetz keine neuen „Rechte“ schafft sondern – nach typisch deutscher Manier – nur neue Pflichten und Auflagen.

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Amnesty International fordert Entkriminalisierung von Sexarbeit in Namen der Menschenrechte

Ursprünglich veröffentlicht auf amnesty.ch

An ihrer internationalen Ratstagung 2015 in Dublin haben die Amnesty-Delegierten eine wichtige Entscheidung zum Schutz der Menschenrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern getroffen.

Mit einer Resolution beauftragten die Vertreterinnen und Vertreter der über 50 Sektionen aus aller Welt ihren Internationalen Vorstand, eine Positionierung zu diesem Thema zu entwickeln und zu verabschieden, die auch die Entkriminalisierung von Sexarbeit einschliessen soll.

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Prostitutionsdebatte: Wie Sexarbeiter*innen und Betroffene von Menschenhandel gegeneinander ausgespielt werden

Dieser Beitrag erscheint anlässlich des Artikels von Ann-Katrin Müller gegen Sexarbeiter*innen (aus meiner Sicht ein „Hetzartikel“), der diese Woche in der Printausgabe des SPIEGELs unter dem Titel „Aus der Deckung. Dubiose Verbände kämpfen gegen Regeln in der Sexbranche“ erscheint. Dass DER SPIEGEL bei diesem Thema gerne „auf Lücke“ arbeitet und einseitig berichtet, wissen wir spätestens seit „Bordell Deutschland“

Sexarbeiter*innen sollen politisch neutralisiert werden. Sie sind unbequem in dieser ganzen Prostitutionsdebatte. Man kann sie nicht ausschließen – wie leben ja schließlich in einer Demokratie. Man will sie aber auch nicht ernst nehmen, ihnen auf Augenhöhe begegnen. Es sind ja schließlich „Huren“. Man lädt eine von ihnen ein, redet mit einer von ihnen, um einen Haken auf der Liste machen zu können. Aber letztendlich ist klar: Es sind Worte, die viele als wertlos betrachten. Das Narrativ steht eh schon fest. Was immer auch Sexarbeiter*innen sagen: Es ist den meisten egal. Das ist die neue politische Strategie gegen Sexarbeiter*innen und ihre Organisationen.

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Pressemitteilung – Koalitionspläne: Prostituierten drohen neue Gefahren

Pressemitteilung vom 28.01.2015, djb.de

Prostituiertenschutz paradox: Statt Prostituierte zu schützen, wie es die Bundesregierung angekündigt hat, würde sich ihre Situation mit der Einführung von Zwangsuntersuchungen, einem Mindestalter von 21 und einer Anmeldepflicht massiv verschlechtern. In einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesministerin Manuela Schwesig sowie die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen haben sich Frauenrechtsorganisationen, Sozialverbände sowie Beratungsstellen für Prostituierte und Opfer von Menschenhandel gegen die noch strittigen Maßnahmen ausgesprochen.

Statt Prostituierte zu kriminalisieren und zu stigmatisieren, sollen sie mit dem neuen Gesetz in ihren Rechten gestärkt und vor Gewalt und Demütigung geschützt werden – das ist Konsens in der Koalition. „Die Prostituierten, die diese Erwerbstätigkeit freiwillig und selbstbestimmt gewählt haben, sollen sich darauf verlassen können, dass der Gesetzgeber ihnen ein sicheres, angstfreies Leben ohne gesellschaftliche Ächtung ermöglichen will,“ so Susanne Kahl-Passoth, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrates. Umso unverständlicher ist die Diskussion um die Anhebung des Mindestalters auf 21. Die Unterzeichnerinnen sehen hier einen Verstoß gegen die Einheit der Rechtsordnung, denn in Deutschland gilt mit 18 Jahren die Volljährigkeit.

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Sexarbeit, Maischberger und die Menschlichkeit

Ein vorab Kommentar zu einer noch nicht existierenden, aber ziemlich vorhersehbaren Folge von Menschen bei Maischberger (20.1.2015).

Die CDU will schnellstmöglich ein neues „Prostituiertenschutzgesetz“ auf die Wege bringen. Dadurch soll der angeblich explodierende Menschenhandel bekämpft werden, die Prostitution „menschlicher“ werden.

Der Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ist im Jahr 2013 um 11 % zurückgegangen. Während es 2012 noch 612 Opfer waren, sind es ein Jahr später 542. Auch die Zahl minderjähriger Opfer hat sich zwischen 2009 und 2013 halbiert: Von 145 auf 70 Opfer.

Der Hinweis findet sich im Bundeslagebild Menschenhandel des Bundeskriminalamtes (BKA) vom Herbst 2014. „Die Zahl der in Deutschland festgestellten Fälle von Menschenhandel […] hat im Jahr 2013 den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2006 erreicht“, so die Gesamtbewertung des BKA. Weiterlesen →

Menschenhandel: Abschottung, Ausbeutung und Verbrechen

Autorin: Barbara Lochbihler 

Die EU kämpft gegen den Menschenhandel. Doch mangelnde Umsetzung und eine falsche Migrationspolitik lassen die Maßnahmen ins Leere laufen.

Ob sexuelle Ausbeutung, häusliche Sklaverei oder Organentnahme, bei Menschenhandel geht es immer um schwerwiegende Verbrechen. Oftmals stehen sie im Kontext der organisierten Kriminalität. Deutschland gehört für den internationalen Menschenhandel zu den bedeutsamsten Staaten und ist ein wichtiges Durchreiseland (DIW Berlin 2012). Die Gewinne aus dem Geschäft gelten als die lukrativsten des Organisierten Verbrechens. Sie können mit denen multinationaler Konzerne mithalten (Egan, Suzanne 2008). Das Geschäft blüht aber auch, weil das Risiko der Täter_innen sehr niedrig ist. Im Jahr 2013 wurden in Deutschland 425 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und 53 zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft abgeschlossen (Bundeskriminalamt 2013).

Veranstaltung „Gleichstellungsprojekt Europa?“, 21./22. März 2014, Heinrich-Böll-Stiftung Berlin. Foto: Stefan Rühl. Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

Besonders betroffen sind Frauen und Mädchen, die meist sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind und häufig zur Prostitution gezwungen werden. 67 Prozent aller in der Europäischen Union registrierten Opfer von Menschenhandel zwischen 2010 und 2012 waren Frauen, 13 Prozent Mädchen, 17 Prozent Männer und 3 Prozent Jungen (Europäische Kommission 2014). Diese Zahlen zeigen: Frauen brauchen besonderen Schutz. Im Zeitraum von 2010 bis 2012 wurden allein in der EU 30.146 Menschen als Opfer von Menschenhandel registriert. Davon wurden 69 Prozent sexuell ausgebeutet, darunter vor allem Frauen. 19 Prozent sind Opfer von Zwangsarbeit geworden, wobei es sich hier meist um Männer handelt. 12 Prozent der Betroffenen wurden in anderer Form ausgebeutet: Man zwang sie zum Betteln und kriminellen Aktivitäten oder sie wurden Opfer von Organ- und Kinderhandel (Europäische Kommission 2014).

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„Moderne Sklaverei“ als Begriff in der Öffentlichkeitsarbeit im Kampf gegen Menschenhandel

Autor*innen: Paula Riedemann, Babette Rohner. Ursprünglich veröffentlicht auf boell.de

Der Verein Ban Ying arbeitet seit 25 Jahren als Berliner Koordinations- und Beratungsstelle gegen Menschenhandel. In diesem Vierteljahrhundert haben wir sehr viel Erfahrung in der Beratung von Betroffenen von Menschenhandel, in der Advocacy-Arbeit sowie auch in der Öffentlichkeitsarbeit gesammelt. Das Ziel unserer Öffentlichkeitsarbeit ist, Gesamtgesellschaft und Fachpublikum für die Problematik des Menschenhandels und ihre Auswirkung auf Betroffene zu sensibilisieren. Neben den Vorträgen und Interviews, die wir regelmäßig zu dem Thema halten und geben, haben wir seit 2005 auch mehrere Öffentlichkeitskampagnen durchgeführt. Bei diesen Kampagnen ist es uns besonders wichtig, Betroffene von Menschenhandel als entscheidungsfähige und schutzberechtigte Personen darzustellen. Unser unterstützender und menschenrechtsorientierter Ansatz, der auf den Schutz der Identität und auf die Interessen unserer Klientinnen achtet, ist der Grund dafür, warum wir bis heute immer – unter anderem auf unserer Webseite – auf fotografische Darstellungen verzichtet haben. In diesem Sinne benutzen wir auch in unserer Öffentlichkeitsarbeit den Begriff „Betroffene“ statt des Begriffes „Opfer“, da wir eine vereinfachende und paternalistische Reduzierung vermeiden möchten.

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Bericht zur Veranstaltung „Rotlicht im Fokus“ in Augsburg (20.11.2014)

Der/die Autor*in bleibt gerne anonym. Vielen Dank für den Bericht! 

Ca. 70 der 100 Plätze in der neuen Stadtbibliothek in Augsburg sind besetzt. Die Veranstaltung läuft von 18:30 bis 21 Uhr. Die Begrüßung übernimmt die Gastgeberin, MdB Ulrike Bahr wahr. Sie spricht zum Stand des Gesetzgebungsverfahrens bezüglich der Prostitution. Sie dankt dem Familienministerium, an der Expertenanhörung im Sommer teilnehmen zu dürfen. Sie sieht den Graubereich zwischen legaler und illegaler Sexarbeit durch die EU-Osterweiterung wachsen und appelliert auch jene zu schützen, die davon bedroht sind einmal Opfer von Menschenhandel zu werden.

Darauf folgt ein Schauspiel. Das von zwei Frauen entwickelte Stück „Der Nuttenbus von der A8“, was normalerweise in einem Kleinbus gehalten wird, um dem Publikum Enge zu vermitteln, wird aufgeführt. In Vorbereitung zu dem Stück wurde mit deutschen Prostituierten in einem Augsburger Bordell sowie Zuhältern gesprochen. Aus diesen Erzählungen machten sie ein Solostück. Porträtiert wird eine in die Jahre gekommene deutsche Sexarbeiterin, die Hand, Blasen oder „Quicki“ für jeweils 30 € macht und viele Kunden pro Tag braucht um ihre Kosten zu decken. Sie beschwert sich über die „Ostschlampen“ die schnell Kohle machen wollen. Sie erzählt, wie sie angelernt wurde, welche problematische Aspekte ihrer Arbeit hat und dass auch Männer zu ihr kommen, die wissen wollen wie man eine Frau befriedigt.

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Prostitution in Deutschland. Mehr Rechte verhindern Ausbeutung

Autorin: Irmingard Schewe-Gerigk. Dieser Beitrag wurde ursprünglich veröffentlicht auf b-republik.de und wird freundlicher Genehmigung der Autorin weiter veröffentlicht. 

Bis 2002 waren Prostituierte in Deutschland nahezu rechtlos. Das rot-grüne Prostitutionsgesetz hat diesen Zustand juristisch erstmals beendet. Dennoch bleibt viel zu regeln, um die betroffenen Frauen wirksam zu schützen. Dabei würde sich die Kriminalisierung der Prostitution als Irrweg erweisen.

Kaum ein gesellschaftspolitisches Thema erregt die Gemüter in Talkshows und Magazinen so sehr wie das Thema Prostitution. Zwei Positionen stehen sich unversöhnlich gegenüber: Die Vertreter eines Verbots verkünden missionarisch, dass Prostitution niemals freiwillig sein kann, sondern immer unter Zwang ausgeübt wird. Sie sprechen den Prostituierten die Entscheidungskompetenz ab, wollen Bordelle und Prostitution verbieten und Freier bestrafen. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die Prostitution tolerieren und als Teil des Selbstbestimmungsrechts von Frauen ansehen, wenn sie freiwillig erfolgt. Sie argumentieren, durch die Stärkung der Rechte von Prostituierten könne ihrer Ausbeutung entgegengewirkt werden.

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Sexarbeit in Hamburg, St. Georg: Ätzende Spritzer und starke Frauen

Autorin: Leyla Yenirce, ursprünglich veröffentlicht auf boell.de

Die Sexarbeiterinnen im Hamburger Bahnhofsviertel führen ein Leben auf der Straße, geprägt von Sucht und Ausgrenzung. Der Verein Ragazza hilft ihnen, den Alltag zu bewältigen. Porträt eines Milleus

Hamburg, ein gedrungenes Haus in einer unscheinbaren Seitenstraße: Hier arbeitet Ragazza, ein Verein, der sich um drogenabhängige Sexarbeiterinnen kümmert. Der Aufenthaltsraum ist versehen mit Fotos der Mitarbeiterinnen, auf der Küchentheke steht ein Korb mit Brötchen für das Abendessen. Die Mitarbeiterinnen führen eine FSJgruppe  durch die Räume: Schlafraum, Konsumraum, Wundversorgungsraum. Es sieht aus wie im Ikea-Katalog, grelle Farben und helle Holzmöbel.

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Neues Forschungsprojekt zu Menschenhandel in Deutschland und Frankreich

Pressemitteilung der Universität Leipzig, 14.10.2014 

Nicht immer sind sie jung und stammen aus osteuropäischen Ländern wie Rumänien, Bulgarien oder Ungarn. „Opfer von Menschenhandel können auch ältere Frauen aus der Bundesrepublik sein, die sich in einer Zwangslage befinden und dadurch zur Prostitution gezwungen werden“, sagt Prof. Dr. Rebecca Pates, Politikwissenschaftlerin an der Universität Leipzig. „Unser alltägliches Verständnis von Menschenhandel ist geprägt durch popkulturelle Phänomene wie Spielfilme, die allerdings mit der Realität in vielen Fällen nicht übereinstimmen.“ Pates forscht derzeit zum Thema „Menschenhandel im Lichte institutioneller Praktiken“ und vergleicht dabei Deutschlands und Frankreich.

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Prostitution: Ein offener Brief an Sylvia Pantel, MdB für die CDU

Sehr geehrte Frau Pantel,

letzte Woche haben Sie an einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Sexarbeits-Kongresses teilgenommen. Die Diskussion fand am Abend des ersten Tages statt. Insgesamt drei Tage lang gab es Vorträge und Austausch. Es waren unter ihnen nicht nur Sexarbeiter*innen sondern auch Sozialarbeiter*innen anwesend – auch jene, die vorwiegend mit Betroffenen von Menschenhandel arbeiten.

Rechte von Sexarbeiter*innen sind Menschenrechte.

Vor der Veranstaltung haben Sie ein Interview gegeben und einen eigenen Blogbeitrag verfasst. Nicht nur dort sondern auch während der Veranstaltung haben Sie gezeigt, wie wenig Sie über das Thema wissen. Deshalb schreibe ich Ihnen diesen offenen Brief.

In ihrem eigenen Blogbeitrag sprechen Sie von den „anwesenden Prostituierten“ und gehen fälschlicherweise davon aus, dass nur Prostituierte diesen Kongress besucht haben. Sie gehen fälschlicherweise davon aus, dass sich niemand sonst aus der Zivilgesellschaft auch nur ansatzweise für das Thema Sexarbeit und Rechte von Sexarbeiter*innen interessiert. Sie unterstellen nicht nur allen anwesenden „Huren“ zu sein sondern sie unterstellen allen anwesenden mutmaßlichen Huren, nichts zu sagen, was man sinnvollerweise in einer Demokratie berücksichtigen sollte. Sie unterstellen allen anwesenden auch, nicht von Gewalt oder gar Menschenhandel betroffen gewesen zu sein.

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Gesetze zu Prostitution und Menschenhandel: Stellungnahme des Juristinnenbundes

Autor*in: Deutscher Juristinnenbund e. V.

Stellungnahme zur Reform der Strafvorschriften des Menschenhandels, Verbesserung des Schutzes der Opfer von Menschenhandel und Regulierung der Prostitution vom 15.09.2014 (djb.de)

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) hat zur Frage der Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU und zur Diskussion weiteren rechtspolitischen Handlungsbedarfs zur Bekämpfung des Menschenhandels, Unterstützung der Opfer von Menschenhandel, Stärkung der Prävention und Regulierung des Prostitutionsgewerbes einen Arbeitsstab eingesetzt, der von Februar bis August 2014 gearbeitet und sich mit aktuellen Forderungen zu Reformen in den genannten Bereichen auseinandergesetzt hat. Der Arbeitsstab hat darüber hinaus eine Anhörung durchgeführt, bei der Vertreterinnen von Beratungsstellen, die mit Opfern von Menschenhandel arbeiten, sowie Vertreterinnen der Verbände von Sexarbeiterinnen anwesend waren. Die Ergebnisse und Empfehlungen aus der Arbeit des Arbeitsstabs fasst diese Stellungnahme zunächst zusammen, das ausführliche Gutachten folgt im Anschluss.

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Was geschieht mit all den Daten? Europäische Datenschutzgesetze und der Schutz der persönlichen Daten von gehandelten Menschen

Autorin: Marjan Wijers. Dieser Beitrag wurde in Berlin, am 25. September 2013 im Rahmen der datACT – Konferenz zu Datenschutz und Menschenhandel vorgetragen. Die englische Originalversion ist hier zu finden. 

Einleitung

Während der letzten Jahre ist ein gesteigertes Interesse an der Erhebung der persönlichen Daten der Opfer von Menschenhandel zu verzeichnen. Personenbezogene Daten gehandelter Menschen werden nicht nur im Kontext polizeilicher Untersuchungen und strafrechtlicher Verfolgungen, oder der Koordination nationaler und nationenübergreifender Hilfsaktionen, gesammelt und ausgetauscht, sondern aus den verschiedensten Gründen auch durch nationale Regierungen, zwischenstaatliche Organisationen, NGOs und private Unternehmen.

Ein Beispiel für die staatlich organisierte Sammlung von Daten sind die National Rapporteur Mechanisms in Europa. Einige beruhen auf der Sammlung anonymisierter, nicht-personifizierbarer Daten über Menschenhandelsopfer, während andere sich auf die Erhebung individuell zuordbarer Opferdaten konzentrieren. Ein Beispiel für eine privat betriebene Unternehmung ist das Polaris Projekt, das federführend von einem in den USA ansässigen Unternehmen durchgeführt wird, und das die Analyse von Trends im Bereich des Menschenhandels zum Ziel hat.1 Letzgenanntes Beispiel zeigt, daß die Daten gehandelter Menschen zunehmend einen wirtschaftlichen Wert darstellen.

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Von Zwangspolitikern und der Registrierungspflicht für Sexarbeiter/-innen (Gastbeitrag)

Autorin: Johanna Weber. Ursprünglich veröffentlicht auf johannaweber.de

Vor einigen Jahren habe ich noch drüber nachgedacht, selber eine politische Laufbahn einzuschlagen. Das kann ich mir jetzt nicht mehr vorstellen. Wie die Jungfrau kam ich zum Kinde und wurde Politische Sprecherin des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen. Verändern kann ich in der Position nicht viel, aber ich habe sehr tiefe Einblicke in den Arbeitsalltag der Bundespolitiker bekommen. Menschen, die vermeintlich die Geschicke unseres Landes in der Hand haben. Menschen, die klug und weise zum Wohle aller handeln sollten.

Aber wie frei sind diese Menschen in ihren Entscheidungen? Nun gut, mit der Korruption hält es sich in unserem Lande in Grenzen, aber es gibt hier ganz andere Grenzen, die freie und oftmals vernünftige Entscheidungen fast komplett verhindern. Ich sehe unter welchen Zwängen Politiker Tag täglich arbeiten. Selbst wenn sie wollten, können sie nicht wirklich die sinnvollste Lösung anstreben, sondern müssen immer taktieren mit dem Koalitionspartner, den Lobbyisten, den verschiedenen Schichten von Parteigenossen… und am Ende geht es gar nicht mehr um die eigentliche Sache.

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DIE HURE SPRICHT – eine Reflexion über Sexarbeit, Solidarität und politische Wirksamkeit anlässlich der Konferenz „Fantasies that matter- Images of Sexwork in Media and Art“

Autorin: Kristina Marlen arbeitet als tantrische Domina in Berlin. Sie studierte Jura und Physiotherapie bevor sie sich entschloss, ihren Schwerpunkt auf Sexarbeit zu legen. Sie ist ausserdem Tänzerin, Sängerin und Performerin. Webseite: marlen.me Eine englischsprachige version dieses Textes ist erschienen auf Research Project Germany

Ich bin Sexarbeiterin aus Berlin und seit etwa zwei Jahren in der Sexarbeitsbewegung aktiv. Der Kampf gegen die Verschärfung unseres deutschen, bisher glücklicherweise relativ liberalen Prostitutionsgesetzes liegt mir am Herzen.

Am Wochenende vom 8. bis 10. August besuchte ich die Konferenz „Fantasies That Matter, Images of Sex Work in Media and Art“ im Rahmen des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg.

Was mich als Sexarbeits-Aktivistin mit am meisten beschäftigt und bedrückt, ist die Präsenz und die Schieflage medial reproduzierter Mythen, die sich um Prostitution drehen. Seitdem ich mich politisch engagiere, ist mir klargeworden, dass das, was meinen politischen Zielen am meisten entgegensteht, die planmäßige Verbreitung eines Horrorszenarios um sexuelle Dienstleistungen ist. Sowohl die Öffentlichkeit als auch die Akteur*innen in der Politik, mit denen wir verhandeln, auch wenn sie fortschrittlich sind, scheinen rationalen Argumenten gegenüber völlig resistent zu sein, weil ein emotional aufgeladener Mythos, an die Stelle sachlicher Analysen gerückt ist – und dieser fußt auf Propagandalügen.

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Was ist denn diese Pro-Prostitutions-Lobby? Plädoyer für eine Differenzierung

Seit circa einem Jahr und insbesondere seitdem Alice Schwarzer im November letzten Jahres ihren „Appell gegen Prostitution“ zeitgleich mit ihrem Buch veröffentlichte, redet Deutschland verstärkt über Prostitution. Es kam zu vielen Diskussionen, Debatten und Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Gruppen, die sich mit dem Thema befassen. Es ist die Rede von den Prostitutionsgegner*innen und den Pro-Prostitution-Lobbyist*innen. Gerade von der sogenannten „Pro-Prostitutions-Fraktion“ wird oft eher abfällig geschrieben, ohne sich näher zu fragen, was denn da genau dahinter steckt. Da ich auch gerne unter die letzte Kategorie gepackt werde und viele sich damit die Mühe ersparen, sich tatsächlich mit Argumenten und Inhalten auseinanderzusetzen, werde ich hier ausbuchstabieren, was denn diese „Pro-Prostitutions-Lobby“ eigentlich ist, warum das ein missverständlicher Begriff ist und warum er sogar gegensätzliche Interessen in einen Topf wirft und somit vor allem Sexarbeiter*innen schadet.

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Auch Stuttgart bestraft „Zwangsprostituierte“ zu ihrem Schutz – wissentlich und willentlich!

Ach, Stuttgart! Schon lange denke ich über Dich und Deine Verbotsstimmen nach. Schon lange bin ich der Meinung, dass diese Verbotsstimmen weniger mit dem offiziell angekündigten „Schutz“ der Prostituierten zu tun haben und mehr mit der so langsam ausufernden Sexualpanik, die seit mehreren Monaten vor allem beim Thema Homosexualität und LGBTI zu spüren ist. Bestrafung und Verhaftung schützt nicht, egal wie oft Leute sagen, dass das doch „zum Schutz der Frauen“ ist. Weder in Stuttgart, noch in Augsburg, Hamburg oder oder in Wien.

Als ich nun heute einen Artikel in den Stuttgarter Nachrichten las, wie Anwohner*innen nun gegen den Straßenstrich protestieren, war das zu viel. Obwohl diese Anwohner*innen in den eigenen Augen natürlich nicht gegen Prostituierte vorgehen, wollen sie den Straßenstrich loswerden. Dieser ist im Übrigen schon verboten. Weiterlesen →

Veranstaltung am 9.12 in Berlin “Daten und Fakten zur Prostitution, die vielleicht überraschen“

Prostitution Menschenhandel Daten Fakten _Seite_1Veranstaltung 1: 09.12.13 18 Uhr Urania Berlin, Humboldt – Saal

Tickets kann man unter (030) 218 90 91 telefonisch reservieren & an der Abendkasse bezahlen.

“Daten und Fakten zur Prostitution, die vielleicht überraschen”

Vortragende:

Percy MacLean, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht (2002/2003 beurlaubt für das Amt des Direktors des Deutschen Instituts für Menschenrechte)

Christiane Howe, Sozialwissenschaftlerin aus Berlin, Studien Geschlechterverhältnisse im globalisierten Kontext, Prostitution und Menschenhandel, Anwohnerprojekt Straßenstrich Kurfürstenstraße in Berlin

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Vortrag von Ina Hunecke zum Prostitutionsgesetz, seine Hintergründe und Geschichte

Die Rechtswissenschaftlerin Ina Hunecke und Autorin von „Das Prostitutions­gesetz und seine Umsetzung“ hielt am 29.01.2013 einen Vortrag zum Thema „Die Entstehung und Umsetzung des Prostitutionsgesetzes“ an der Universität Kiel. Sie spricht u.a über die Geschichte der Prostitution, das deutsche Prostitutionsgesetz, den Umgang der Medien und zuletzt über das schwedische Modell.

Der Vortrag kann hier als Video gefunden werden.

Warum ich den Appell gegen Prostitution der EMMA und von Alice Schwarzer ablehne

Dieser Beitrag wurde ursprünglich veröffentlicht auf kleinerdrei.org.

90 Prominente aus den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft haben Alice Schwarzers Appell gegen Prostitution unterzeichnet. Am 7. November 2013 erscheint Alice Schwarzers neues Buch „Prostitution – Ein deutscher Skandal. Wie konnten wir zum Paradies der Frauenhändler werden?“ Weder das Buch, die ausgezeichnet geplante PR-Kampagne oder die Unterschriften der Prominenten machen die Forderungen und Argumente im Appell sinnvoller.

Prostitution ist keine Sklaverei   

In der Presse: Appell für und gegen Prostitution

Am Montag veröffenlichten Alice Schwarzer und die EMMA-Zeitschrift ihren Appell gegen Prostitution. Am Tag darauf wurde der Appell für Prostitution durch Sexarbeiter_innen bzw. durch den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen veröffentlicht und von mir mitgezeichnet und unterstützt.

Warum unterstütze ich den Appell der Sexarbeiter_innen, obwohl ich mich gegen Menschenhandel engagiere? Ich müsste doch Prostitution auch abschaffen wollen? An dieser Stelle möchte ich ein paar kurze Gründe darlegen, warum ich mich für den Appell für Prostitution entschieden habe:

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Menschenhandel und legale Prostitution: Ein Interview mit Axel Dreher (Uni Heidelberg)

Anmerkungen der Redaktion: Axel Dreher, Professor für Internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik an der Universität Heidelberg, ist Mitautor einer viel zitierten Studie über den (theoretischen) Zusammenhang zwischen legaler Prostitution und Menschenhandel „Does Legalized Prostitution Increase Human Trafficking?“. Über diese Studie gibt es auch auf „menschenhandel heute“ zwei kritische Beiträge jeweils von mir und von LEFÖ, Wien Ein kritischer Beitrag ist auch auf Forbes erschienen. 

Die Studie von Axel Dreher & Co. wird gerne zitiert, um das Scheitern des deutschen Prostitutionsgesetzes zu verkünden oder, im Ausland, um gegen eine Legalisierung bzw. Entkriminalisierung von Prostitution zu argumentieren. Auch entsteht der Eindruck, dass in den deutschen Medien die Studie eingesetzt wird, um insbesondere die SPD und Bündnis90/Die Grünen für die empirisch nicht belegbare Zunahme des Menschenhandels verantwortlich zu machen, obwohl damals die CDU ein umfassenderes Prostitutionsgesetz blockierte, wodurch viele Schwächen von vornherein vermieden hätten werden können.

Vor diesem Hintergrund habe ich mich dazu entschlossen, Prof. Axel Dreher für ein Interview anzufragen. Schließlich ist die oben genannte Studie differenzierter als die schockierende Meldung, die es in die Medien schafft. Auch habe ich mich gefragt, ob Herr Dreher nicht vielleicht auch mehr zu sagen hat, als „legale Prostitution fördert Menschenhandel“. Ich hoffe, dass dieses (schriftlich geführte) Interview dazu beiträgt, einige Ansichten von Herrn Dreher der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Antworten von Herrn Dreher werden vollständig und unverändert veröffentlicht. Die Fragen wurden von Sonja Dolinsek gestellt.

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Zum medialen Umgang mit dem Thema Menschenhandel im Jahr 2013 – ein kritischer Zwischenruf

Autorin:  Dorothea  Czarnecki,  KOK  e.V.

Mitarbeit:  Jennifer  Pross

Der bundesweite Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess – KOK e.V. setzt sich für Betroffene von Menschenhandel und für gewaltbetroffene Migrantinnen ein. Der KOK e.V. bildet nicht nur bundes‐, sondern auch europaweit die einzige Koordinierungsstelle mit diesem Fokus und vernetzt erfolgreich alle in diesem Bereich tätigen deutschen NGOs.

1987 von Fachberatungsstellen gegründet, die Betroffene von Menschenhandel unter‐stützen, und 1999 als Verein eingetragen, vereint der KOK e.V. heute 37 Mitgliedsorganisationen unter seinem Dach. Im KOK sind dabei neben den in Deutschland arbeitenden spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel auch andere Organisationen, die sich mit diesem Themenbereich auseinandersetzen, vertreten. Dies sind u.a. Frauenberatungsstellen, Migrantinnen‐Projekte, Frauenhäuser, Prostituiertenberatungsstellen und Wohlfahrtsverbände. Gemeinsames Ziel ist es, für wirksame Verbesserungen der bestehenden Verhältnisse im Bereich von Menschenrechtsverletzungen einzutreten, wie zum Beispiel für einen würdigen Umgang mit den Betroffenen.

Hochs und Tiefs des medialen Interesses

Inwieweit Personen, die dem Menschenhandel zum Opfer gefallen sind, von der Gesellschaft und den Behörden Respekt und Achtung entgegengebracht wird, hängt nicht unerheblich davon ab, wie Presse und Medien über das Thema berichten. Menschenhandel und Ausbeutung stellten lange Zeit keine Themen dar, die bei der Presse auf großes Interesse stießen. Noch 2009 bemerkte Hestermann, Menschenhandel geschehe im Schatten medialer Aufmerksamkeit (1). Lediglich Großereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft 2006 holten das Thema kurzzeitig ans Tageslicht. Doch nach einer medial inszenierten Drohkulisse (2), die vorwiegend auf die Gefährdung der inneren Sicherheit Deutschlands durch irreguläre Migration abzielte, verschwand der Menschenhandel größtenteils wieder aus der Presse. Was blieb, sind die medial vermittelten und gesellschaftlich verbreiteten Opferbilder von „Zwangsprostituierten“, gegen die sich der KOK e.V. alsFachverband an dieser Stelle kritisch äußern möchte.

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Alice Schwarzer und Sabine Constabel polarisieren die Debatte um Prostitution – in die falsche Richtung

Vor inzwischen fast drei Wochen löste Alice Schwarzer in der taz eine Debatte um Prostitution aus. Den eingeplanten, letzten Beitrag von Sabine Constabel hätte die taz nur nach einer Überarbeitung veröffentlicht. So kam der Beitrag in die EMMA – inklusive einer Zensur-Anschuldigung. Über diese ganze Debatte habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Eine kurze Einschätzung gibt es auch bei W&V.
Nachtrag: Am 11.09.2013 ist ein weiterer Artikel von Monika Frommel zu diesem Thema in der taz erschienen, den ich sehr empfehle.

Als ich Sabine Constabels Replik auf Dona Carmens Replik auf Alice Schwarzers etwas verkürzten Angriff auf die Grünen gelesen habe, war ich froh, dass diese in der EMMA erschienen war. Dort passt sie einfach besser hin. Wegen der angeblichen Zensur bei der taz kann man sich aufregen, aber vielleicht auch nicht. Mein Profil und meine Seite sind schon sehr lange auf Emma blockiert, nachdem Kommentare ohne Vorwarnung gelöscht wurden. Zensur habe ich von Seiten der EMMA erfahren, die sicherlich auch diesen kritischen Beitrag nicht veröffentlichen würde. Dennoch habe ich kein Recht darauf, einen Begriff wie „Zensur“ in diesem Kontext zu verwenden. Ich kann eben auch woanders schreiben und der Staat verbietet es mir (noch) nicht. Auch Constabels Ansicht ist letztendlich nach außen gekommen und sie ist sichtbar. Zensur heißt in meinen Augen etwas anderes, nämlich Unsichtbarmachung, bewusste und gezielte Unterdrückung von Meinungen – tendenziell durch den Staat. So lange es irgendeine Plattform gibt, auf der Frau Constabel sich äußern kann, ist das keine Zensur. Wenn Emma das Gegenteil behauptet, dann hat EMMA eben auch meine Beiträge zensiert.  Aber darum geht es mir hier nicht. Hier möchte ich ein paar Begriffe und Themen anders aufrollen, als es in den letzten Jahren in Deutschland üblich ist – anders als es EMMA, Alice Schwarzer und Sabine Constabel tun.

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Sondernutzungsgebühr für „Lustmobile“? (Gastbeitrag)

Anmerkung der Redaktion: Seit einigen Monaten wird zunehmend über die Besteuerung von sogenannten „Lustmobilen“, also von Prostitution in Wohnwagen, gesprochen. Besonders intensiv wird aktuell in Koblenz darüber debattiert. Dabei geraten Themen und Argumente oft durcheinander. So wird diese Besteuerung auch mit Verweis auf die Bekämpfung des Menschenhandels gerechtfertigt – eine Verknüpfung, die fragwürdig und empirisch nicht fundiert ist.

Vor diesem Hintergrund veröffentlichen wir die kritische Stellungnahme der in Koblenz vor Ort tätigen Beratungsstelle für Prostituierte ‚Roxanne‘. Die Stellungnahme kann auch auf der Homepage von Roxanne abgerufen werden.

Stellungnahme zum aktuellen Geschehen in Koblenz

In den vergangenen Wochen ist das Thema „Prostitution“ immer wieder in der Koblenzer Medienlandschaft aufgegriffen worden und eine entsprechende Diskussion ist augenscheinlich in Bewegung gekommen.

Mit Bedauern stellt die Koblenzer Prostituiertenberatungsstelle ROXANNE allerdings fest, dass – wie so oft – Begriffe wie Menschenhandel, Kriminalität und Zwangsprostitution mit der Sexarbeit synonym gesetzt werden. Weiterlesen →

Motive der männlichen Nachfrage nach käuflichem Sex (crossposted)

Autor: Udo Gerheim für bpb.de (19.2.2013)

In diesem Beitrag beschäftige ich mich mit der Frage, aus welchen empirisch bestimmbaren Gründen, heterosexuelle Männer käuflichen Sex nachfragen. Trotz unzureichender Datenlage vertrete ich die These, dass nur ein geringer Teil der bundesrepublikanischen Männer Prostitutionssex dauerhaft nachfragt. Die Gründe hierfür können aus der hybriden und „zerrissenen“ Struktur des Prostitutionsfeldes abgeleitet werden, die zum einen Zugänge zur Prostitution rechtfertigt, zum anderen aber die Nachfragepraxis mit delegitimierender Ambivalenz belegt. Dieser Artikel wird einige dieser Aspekte näher beleuchten und im Schwerpunkt ergründen, welche spezifische Anziehungskraft Prostitution auf die männliche Nachfrageseite ausübt, wie sich der individuelle Weg in dieses Feld hinein im Konkreten gestaltet und wie sich die dortigen Machtverhältnisse darstellen.[1]

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Stellungnahme zur Studie „Does Legalization of Prostitution Increase Human Trafficking“ (Gastbeitrag)

Diese Stellungnahme wurde verfasst durch LEFÖ-IBF: Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel des Vereins LEFÖ. Eine Kurzbeschreibung von LEFÖ finden Sie am Ende des Beitrages. 

Stellungnahme zur Studie  Does Legalization of Prostitution Increase Human Trafficking (Discussion Paper No. 96) durchgeführt am Courant Research Centre -`Poverty, Equity and Growth in Developing and Transition Countries: Statistical Methods and Empirical Analysis`  der Georg-August-Universität Göttingen (Stellungnahme als PDF)

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In dieser Studie formulieren Cho, Dreher und Neumeyer (vgl. 2011) die zentrale These, dass die Legalisierung von Prostitution eine Zunahme von Menschenhandel bedeutet. Anhand des vorliegenden Papers, das die Studie zusammenfasst, ist diese zentrale Erkenntnis der Autoren aufgrund der vorliegenden Datenlage kritisch zu betrachten. Menschenhandel ist ein noch wenig empirisch erforschtes Thema. Die große Herausforderung, wie es auch Cho, Dreher und Neumeyer (vgl. 2011) beschreiben, liegt in der lückenhaften Datenlage, die eine wissenschaftliche Analyse in ihrer Aussagekraft einschränkt. Insofern ist das Paper dieser Studie als ein enormer wissenschaftlicher Beitrag in diesem Bereich zu sehen. Zudem fand die quantitative Auswertung und Interpretation der Daten auf hohem wissenschaftlichem Niveau statt.

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