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kritische perspektiven auf die bekämpfung von menschenhandel

Kollektiver Rücktritt: Tiefgreifende Missstände im Internationalen Überlebendenrat zum Menschenhandel der OSZE

Im März 2024 entschieden sich mehrere Mitglieder des Internationalen Überlebendenrats zum Menschenhandel (ISTAC), ihre Ämter niederzulegen. Dieser Schritt markierte einen kritischen Moment in der Geschichte der Organisation, die sich dem Kampf gegen Menschenhandel widmet. Die Gründe für diese kollektive Resignation sind vielschichtig und beleuchten grundlegende Schwächen innerhalb der Strukturen der Organisation sowie des übergeordneten Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Seit 2021 hatten sich die OSZE-Staaten verpflichtet, die Stimmen der Überlebenden von Menschenhandel in ihre Bemühungen gegen Menschenhandel einzubeziehen und zu fördern (MC.DEC No. 6/18; MC.DEC No. 6/17). In Erfüllung dieser Verpflichtungen gründete das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) der OSZE den Internationalen Beratungsrat der Überlebenden von Menschenhandel (ISTAC). Dieses Gremium bestand bis März 2024 aus 21 Überlebenden und beachtet dabei die Diversität in Expertise, Geschlecht und geografischer Herkunft. Der ISTAC berät das ODIHR und damit indirekt die OSZE-Mitgliedstaaten in Fragen der Gesetzgebung, Politik, Staatspraktiken und der Umsetzung relevanter Verpflichtungen im Kampf gegen Menschenhandel. Zudem unterstützt der Rat bei der Entwicklung von Bildungs- und Kapazitätsaufbaumaßnahmen und fördert die Standardisierung von Begrifflichkeiten im Kontext von Überlebenden in Anti-Menschenhandels-Rahmenwerken.

Ein zentrales Problem, das zum Rücktritt führte, war das Fehlen einer kontinuierlichen Führung und klaren Mission nach dem Weggang der Schlüsselberaterin Tatiana Kotlyarenko. Dieser Verlust der Orientierung traf besonders hart, da keine adäquate Nachfolge oder strategische Neuausrichtung erfolgte. Hinzu kam das Auslaufen der Verträge der Mitglieder im Dezember 2023, ohne dass konkrete Pläne für eine weitere Finanzierung oder Vertragsverlängerung vorlagen. Dies schuf insbesondere für diejenigen, die sich auf Traumaarbeit spezialisiert hatten, eine prekäre Situation.

Die Anwendung von trauma-informierten Praktiken blieb weit hinter den Bedürfnissen der Mitglieder zurück. Trotz offensichtlicher Notwendigkeit und wiederholter Anfragen wurde dieser Ansatz vernachlässigt, was zu zusätzlichem Stress und der Re-Traumatisierung unter den Ratsmitgliedern führte. Zusätzlich verschlechterte sich das Arbeitsumfeld merklich; Misstrauen und Feindseligkeit prägten zunehmend die Atmosphäre, ohne dass von der OSZE/ODIHR geeignete Maßnahmen ergriffen wurden.

Ein weiterer gravierender Kritikpunkt war das Gefühl der Ignoranz seitens der ODIHR gegenüber den Mitgliedern des ISTAC. Versuche, wichtige Themen wie Führung, Entschädigung und das Engagement der Mitgliedstaaten zu diskutieren, wurden wiederholt ignoriert, was das Gefühl der Respektlosigkeit und Unterstützungslosigkeit verstärkte. Die Mitglieder fühlten sich zu bloßen Symbolfiguren degradiert, ohne dass ihre Erfahrungen und Fähigkeiten wirklich genutzt wurden.

Die anhaltenden Führungsprobleme, gepaart mit unzureichenden Maßnahmen während einer Untersuchung bezüglich eines Falles sexualisierter Gewalt, unterstreichen das Ausmaß der Missstände innerhalb der Organisation. Diese Vernachlässigungen führten zu einem kollektiven Rücktritt, der sowohl als Protest als auch als Aufruf zu dringend benötigten Veränderungen zu verstehen ist.

Die Ereignisse um den ISTAC sind mehr als nur interne Vorkommnisse; sie sind symptomatisch für größere strukturelle Probleme innerhalb der OSZE und des ODIHR. Der kollektive Rücktritt fordert eine gründliche Überprüfung der Arbeitsweisen und Führungsstrukturen, um sicherzustellen, dass die Stimmen und das Wohlergehen der Überlebenden angemessen berücksichtigt und gefördert werden. Im April 2024 sind von 21 nur noch 7 Überlebende Mitglied des ISTAC.

Dieser Vorfall zeigt deutlich, dass echte Veränderungen erforderlich sind, um die Integrität und Wirksamkeit der Bekämpfung von Menschenhandel zu gewährleisten. Er zeigt auf, dass Überlebende des Menschenhandels oft für die Agenda bestimmter Institutionen instrumentalisiert werden. Die Forderungen der zurückgetretenen Mitglieder nach respektvoller Einbeziehung und Anerkennung ihrer Erfahrungen und Bedürfnisse sollten nicht nur gehört, sondern aktiv in die Gestaltung der zukünftigen Richtungen des ISTAC und ähnlicher Organisationen einbezogen werden. Nur so kann verhindert werden, dass die wertvolle Arbeit dieser mutigen Individuen durch institutionelle Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit untergraben wird.

Texte und Stellungnahmen im Original (Englisch):

Webseite zu den „ISTAC Resignations“: https://www.intsurvivorleaders.com/

Resignation from the OSCE’s International Survivors of Trafficking Advisory Council: Betrayal & Resilience, Alisa Gbiorczyk, medium.com, 17.4.2024.

Exposing the OSCE Anti-trafficking (Account auf X: @exposeosceodihr)

Webseite von ISTAC/OSZE: https://www.osce.org/odihr/istac

Archivierte Webseite ISTAC/OSZE: https://web.archive.org/web/20240216192004/https://www.osce.org/odihr/istac

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