Sehr geehrte Frau Pantel,
letzte Woche haben Sie an einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Sexarbeits-Kongresses teilgenommen. Die Diskussion fand am Abend des ersten Tages statt. Insgesamt drei Tage lang gab es Vorträge und Austausch. Es waren unter ihnen nicht nur Sexarbeiter*innen sondern auch Sozialarbeiter*innen anwesend – auch jene, die vorwiegend mit Betroffenen von Menschenhandel arbeiten.
Vor der Veranstaltung haben Sie ein Interview gegeben und einen eigenen Blogbeitrag verfasst. Nicht nur dort sondern auch während der Veranstaltung haben Sie gezeigt, wie wenig Sie über das Thema wissen. Deshalb schreibe ich Ihnen diesen offenen Brief.
In ihrem eigenen Blogbeitrag sprechen Sie von den „anwesenden Prostituierten“ und gehen fälschlicherweise davon aus, dass nur Prostituierte diesen Kongress besucht haben. Sie gehen fälschlicherweise davon aus, dass sich niemand sonst aus der Zivilgesellschaft auch nur ansatzweise für das Thema Sexarbeit und Rechte von Sexarbeiter*innen interessiert. Sie unterstellen nicht nur allen anwesenden „Huren“ zu sein sondern sie unterstellen allen anwesenden mutmaßlichen Huren, nichts zu sagen, was man sinnvollerweise in einer Demokratie berücksichtigen sollte. Sie unterstellen allen anwesenden auch, nicht von Gewalt oder gar Menschenhandel betroffen gewesen zu sein.
Das Problem mit der Meldepflicht
In Ihrem Blogbeitrag schreiben Sie, dass „jeder, der einer Tätigkeit mit Einkünften nachgeht, dafür Steuern zahlen soll“. Frau Pantel, wissen Sie denn nicht, dass die Einkünfte aus der Prostitution seit 1964 besteuert werden? Wissen Sie nicht, dass Sexarbeiter*innen auch jetzt schon beim Finanzamt gemeldet sind? Wie mir heute das Finanzamt in Berlin bestätigt hat, müssen Sexarbeiter*innen nicht angeben, ob sie als „Prostituierte“ arbeiten. Hauptsache sie zahlen Steuern. Nur bei Sexarbeiter*innen, die in Bordellen eine Vorsteuer von 30€/Tag zahlen („Düsseldorfer Modell“), kann das Finanzamt mit Sicherheit auch sagen: Es handelt sich um Sexarbeiter*innen.Aber – machen Sie sich keine Sorgen – Ihre Forderung geht hier völlig an der Realität vorbei: Prostituierte zahlen schon längst Steuern – und zwar als Selbständige!
Ein anderer Punkt macht mir außerdem große Sorgen. Sie haben die Kritik an der Meldepflicht nicht ernst genommen. Sie scheinen gar nichts über die Geschichte der Meldepflicht in Deutschland zu wissen – vor, während und nach dem Nationalsozialismus und bis in die 1990er Jahre. Sie wissen nichts über die Schikane und Entrechtung, die diese Meldepflicht in der deutschen Geschichte bedeutet hat. Warum interessiert sie das nicht?
In Ihrem Interview mit dem Tagesspiegel haben Sie gesagt, dass die „Meldepflicht“ für andere Arbeitnehmer*innen völlig normal sei: „Auch wenn ich putzen gehe, muss ich mich anmelden“, sagten Sie.
Können Sie mir bitte einen Hinweis dazu geben, in welchem Bundesland es eine „Reinigungspolizei“ gibt, wo sich Reinigungskräfte anmelden, so wie es teilweise jetzt schon für Prostituierte der Fall ist? In Bayern wird seit langem eine „Meldepflicht“ bei der Polizei praktiziert. Sexarbeiter*innen sind in München der sogenannten „Sittenpolizei“ unterstellt, dem Kommissariat K35. Für welche anderen Arbeitnehmer*innen gibt es denn ein eigenes Kommissariat (Für Reinigungskräfte sicher nicht!)? Und wie kommen Sie auf die Idee, das sei nicht stigmatisierend?
Im Eckpunktepapier ist außerdem die Rede von einem „Nachweisdokument“ – einem sogenannten „Hurenausweis“. Dieser soll „gegenüber Bordellbetreibenden, Behörden und ggf. gegenüber Kunden vorgelegt werden“. Zu Recht haben Sexarbeiter*innen darauf hingewiesen, dass ein solches Sonderdokument, das es außerdem für keinen anderen Beruf gibt, Kunden und Betreibenden eine große Macht über Sexarbeiter*innen gibt. Warum sollten Kunden wissen, wie die Sexarbeiter*innen heißen oder wo sie wohnen? Warum müssen Sexarbeiter*innen eine Pflicht erfüllen, die sie zusätzlichen Gefahren ausliefert? Das wissen Kunden in einem Schuhgeschäft von den Angestellten ja auch nicht. Das ist Ungleichbehandlung. Diskriminierung.
Auch Betroffene von Menschenhandel können mit einem „Hurenausweis“ auf vielfache Art und Weise erpresst werden. Menschenhändler könnten nicht gemeldeten Prostituierten damit drohen, dass sie sie bei der Polizei melden. Gemeldeten Prostituierten kann man damit drohen, dass man ein Foto ihres „Hurenausweises“ an die Familie oder das ganze Dorf zu Hause schickt. Aus Angst und Scham, werden sie die Frauen ausbeuten lassen – dank unsinniger Vorgaben des Staates! Dank einer Pflicht, die Prostituierten Rechte nimmt.
Prostituiertenschutzgesetz: Nur Pflichten, keine Rechte
Die große Koalition argumentiert immer, dass Prostituierte mit dem Prostituiertenschutzgesetz mehr Rechte hätten und dass es Prostituierte schützen soll. Das trifft leider nicht zu. „Rechte“ zu haben bedeutet, dass es Gesetze gibt, die einer person ermöglichen sich selber zu helfen, wenn einem etwas geschieht oder auch einfach, dass man das Recht hat, etwas zu tun. Als Opfer von Menschenhandel sollte man idealerweise das Recht haben, einen unbefristeten Aufenthaltstitel zu bekommen – das ist aktuell nicht der Fall. Als Sexarbeiter*in sollte man das Recht haben, gegen Ausbeutung vorzugehen, ohne sich dabei selbst anzuzeigen, weil man bestimmte Pflichten nicht erfüllt hat. „Pflichten“ sind nämlich Dinge, die man tun MUSS (in der Regel dem Staat gegenüber), um nicht illegal zu handeln. Pflichten beinhalten nicht automatisch Rechte, Pflichten können Rechte sogar beschneiden. Die Unterscheidung ist wichtig und wird in der aktuellen Debatte unterlaufen und ignoriert.
In Ihrem Eckpunktepapier sind bisher ausschließlich Pflichten zu finden, die Prostituierte gegenüber dem Staat erfüllen müssen. Tun sie das nicht, müssen sie eine Strafe erwarten. Das gilt für die gerade erklärte „Meldepflicht“, von der nicht ganz klar ist, was sie bedeutet.
Frau Pantel, Sie schreiben in Ihrem Blogbeitrag, dass: „Viele Prostituierte werden in unserem Land ausgebeutet, genießen keinen Gesundheitsschutz, sprechen unsere Sprache nicht und haben keine Rechte“
Es gibt auch jetzt schon ein Recht und eine Pflicht, sich kranken zu versichern. Das Problem für selbständig tätige Migrant*innen in der Sexarbeit unterscheidet sich nicht groß von den Problem der selbständig tätigen Migrant*innen in anderen Bereichen: Krankenversicherung für Selbständige ist teuer, es ist viel Bürokratie, es ist unübersichtlich, es gibt kaum Informationen auf bulgarisch und rumänisch. Und das deutsche System der Krankenversicherung ist allgemein für Ausländer*innen, die nach Deutschland kommen, ziemlich kompliziert. Vereinfachen Sie das doch mal und erstellen sie einfache Leitfäden in allen EU-Sprachen. Wissen ist Macht
Und damit wären wir jetzt beim Thema „Sprache“. Sie müssen mir erklären, wie und an welcher Stelle das sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“ das Sprachproblem löst oder auch nur ansatzweise anspricht. Denn aus meiner Sicht macht Ihr Entwurf alles schlimmer.
Mitarbeiter*innen von Behörden können meistens nur Deutsch. Wie glauben Sie, werden diese Behörden die vielen Migrant*innen in der Sexarbeit beraten können, die sich dort anmelden müssen? Oder gedenken Sie zufällig deutschlandweit in jeder Stadt mit Sexarbeit mindestens zwei, aber besser wären fünf oder sechs Mitarbeiter*innen mit Sprachkenntnissen in bulgarisch, rumänisch, russisch, spanisch, englisch und französisch einzustellen? Es ist mir nämlich völlig unklar, wie Migrant*innen ohne Sprachkenntnisse verstehen sollen, was für Pflichten (nein, keine Rechte) die deutsche Politik ihnen auferlegt, ehe sie sich ihren Lebensunterhalt mit Sexarbeit verdienen können. Es würde mich nicht wundern, wenn sich die meisten dann entscheiden, das ohne Anmeldung zu machen – weil die deutsche Bürokratie undurchschaubar ist. Gerade wenn man kein Wort deutsch kann!
Und: Wo bleiben denn die vom Staat finanzierten Deutschkurse? Wie sonst wollen Sie das Sprachproblem der „Armutsprostituierten“ lösen und ihnen auch die Chance geben, in anderen Branchen zu arbeiten? Oder ist Ihnen das eventuell zu teuer? Sind die fehlenden Deutschkenntnisse ein gutes „Problem“, Politik zu machen, aber ein Problem, das man möglichst ignorieren sollte, wenn es um die Umsetzung geht? So sieht es nämlich gerade aus!
Das Verbot von Gang-Bang-Parties und Flat-Rate-Bordellen
Verboten werden sollen auch sogenannte „menschenunwürdige“ Praktiken, wie Gang-Bang-Parties und „Flatrate-Bordelle“. Was ist denn das überhaupt? Eine Gang-Bang-Party ist eine Sex-Party mit einer oder wenigen Frauen und vielen Männern; es ist keine „Gruppenvergewaltigung“. Nicht alle, aber manche Frauen auf diesen Partys lassen sich bezahlen. Auf dem Sexarbeits-Kongress wurden Sie gefragt, ob Sie denn auch kostenlose Gangbang-Parties verbieten wollen. Sie sagten: „Was Sie im eigenen Schlafzimmer machen, ist mir egal“ (so ungefähr). Die Frage ist also: Ist eine Gang-Bang-Party nur dann menschenunwürdig, wenn man sich dafür bezahlen lässt? Das klingt schon etwas willkürlich, meinen Sie nicht?
Und was ist mit Flat-Rate-Bordellen? Es gibt viele Modelle von Flat-Rate. Eines davon ist genau das, was Sie sich zu wünschen scheinen: Prostituierte sind als Arbeitnehmer*innen angestellt, erhalten ein tägliches Gehalt und sind über den Arbeitgeber kranken- und sozialversichert. „Flatrate“ bedeutet hier, dass Sexarbeiter*innen manche Leistungen standardmäßig anbieten, während sie für zusätzliche Leistungen extra vom Kunden bezahlt werden. FlatRate bedeutet nicht, dass Kunden alles machen dürfen. Und schon gar nicht, dass sie stundenlang ohne Unterbrechung Sex haben und Sexarbeiter*innen das mitmachen müssen. Wir wissen ja alle, dass dieses Durchhaltevermögen bei Männern nicht existiert.
Sie müssen sich also entscheiden: Angestelltenverhältnis oder Selbständigkeit? Was wollen Sie, Frau Pantel? Und da tatsächlich eine Minderheit der Prostituierten von Menschenhandel betroffen ist, sollten Sie hier durchaus auch mal Sexarbeiter*innen fragen – vor allem auch diejenigen, die in Flat-Rate-Bordellen arbeiten.
Dennoch verzweifle ich nicht, schließlich ist nicht alles so sinnlos: Der einzige Vorschlag im Eckpunktepapier, der Prostituierten wirklich hilft und sie in ihrer Position stärkt, ist das Verbot von Werbung für Sex ohne Kondom durch Bordelle und Betreiber. Das ist gut so!
CSU-Politiker in Dachau an Bau von Bordell beteiligt
Und zu allerletzt möchte ich Sie fragen, wie Sie dazu stehen, dass laut einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung Ihre Kollegen aus der CSU in Dachau am Bau eines Bordells beteiligt sind. Konnten Sie sicherstellen, dass es zu keinen Überscheidungen zwischen Politik und Bordellbetreibenden gekommen ist? Konnten Sie sicherstellen, dass die Vorschläge der CSU nicht den Großbordellbesitzern mehr nützen als den selbständig arbeitenden Sexarbeiter*innen? Haben Sie das alles geprüft? Oder vertrauen Sie ihren Kollegen einfach, auch wenn sie ziemlich offensichtlich mit Betreibern unter einer Decke stecken
Respektlos: Sexarbeiter*innen gegen Betroffene von Menschenhandel gegeneinander ausspielen
Respektlos, übergriffig, diskriminierend. Das ist der neue Trend in der Debatte über Menschenhandel und Prostitution. Sexarbeiter*innen, die angeblich nie von Gewalt betroffen sein können, werden gegen Betroffene von Gewalt und Menschenhandel ausgespielt. Es wird davon ausgegangen, dass wenn man Sexarbeiter*innen respektlos behandelt und sie ausgrenzt, damit den Betroffenen von Menschenhandel hilft. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Wer in der Öffentlichkeit Sexarbeiter*innen angreift und so tut, als sei es völlig überflüssig sie zu respektieren, schürt Gewalt gegen sie. Sexarbeiter*innen, ja auch die privilegiertesten unter ihnen, sind immer auch dem Risiko von Gewalt ausgesetzt. Dieses schwarz-weiß Bild, in dem die einen völlig unversehrt ihrem Job nachgehen, während die anderen ständig Gewalt erfahren, geht an der Realität vorbei. Gewalt bedeutet außerdem nicht immer „Menschenhandel“. Es würde sich lohnen, wenn sie sich mal das „Merseyside Model“ anschauen würden, wo Gewalt gegen Sexarbeiter*innen als hate crime behandelt wird
Gewalt gegen Sexarbeiter*innen trifft alle, auch die Edel-Escort, die ihre Gäste im 5-Sterne Hotel besucht – auch sie können ermordet werden. Und wenn Sie ernsthaft glauben, dass sie für diese Frauen und Männer keine Gesetze machen müssen oder dass sie diese Frauen und Männer in der Öffentlichkeit respektlos behandeln dürfen, dann schüren Sie genau diese Gewalt.
Die Grenze zwischen Sexarbeit und Menschenhandel kann (muss aber nicht) fließend sein. Vor einem Jahr berichtete die FAZ über einen Fall in Berlin, wo eine Sexarbeiterin von Menschenhandel betroffen war. Sie wurde irgendwann nur noch ausgebeutet und erhielt keinen Lohn mehr. Sie war freiwillig in die Sexarbeit eingestiegen und wurde erst dann ausgebeutet – laut Bundeskriminalamt trifft das auf rund 30% der Betroffenen von Menschenhandel zu. Bemerkenswert hier ist, dass diese Frau auch nach der „Befreiung“ weiterhin freiwillig in der Sexarbeit tätig ist. Können Sie ausschließen, dass diese Frau mit im Publikum saß und sie kritisiert hat? Wollen Sie wirklich so tun, als könne man nur entweder Sexarbeiter*in sein oder von Menschenhandel betroffen? Vergessen Sie bitte auch nicht: Ein Großteil der Betroffenen von Menschenhandel sind deutsche Bürger*innen. Ob Sie das wollen oder nicht: Sie machen auch Politik für diejenigen, die an dem Abend da saßen. Das Gegenteil zu behaupten ist sexistisch, respektlos und diskriminierend!
Sie schützen Betroffene von Menschenhandel nicht, indem Sie gegen Sexarbeiter*Innen wettern. Sie schützen niemanden, wenn Sie Betroffene von Menschenhandel und Sexarbeiter*innen gegeneinander ausspielen. Sie schaden ihnen.
Sonja Dolinsek
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Zwangsprostitution. Ein Anruf, und die Frauen spurten (FAZ) FKK-Club in Dachau. Schwarze im Rotlicht (sueddeutsche.de) BKA Bundeslagebild Menschenhandel Juristinnenbund gegen Verbot von Prostitution und Freierbestrafung Studie: Prostitution in Deutschland – Fachliche Betrachtung komplexer Herausforderungen Was geschieht mit all den Daten? Europäische Datenschutzgesetze und der Schutz der persönlichen Daten von gehandelten Menschen —- „Equal rights“ – Gleiche Rechte
Frau Pantel spricht über priviligierte Sexdienstleisterinnen..
Sexarbeiterinnen, die auch alleinerziehende Mütter, und in der Sexarbeit tätig sind, um ihren Kindern die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, Frauen und Männer, die sich nicht von einem Amt abhängig machen möchten und den Launen von Sachbearbeitern ausgesetzt sein wollen, die darüber entscheiden ob und wann Anträge auf finanzielle Unterstützung bewilligt werden …
Menschen, die stolz sind und lieber menschenwürdig selbst für ihren finanziellen Bedarf sorgen.
Menschen, die selbstbestimmt für sich und ihre Familien sorgen, trotz und vor allem weil es nicht genug gut bezahlte Jobs gibt, in denen man zeitlich flexibel ist, um auch noch die eigene Familie betreuen zu können, Menschen, die durch soziale Netze fallen, weil sie die Voraussetzungen entweder nicht erfüllen oder sie zusätzlich Schulden abbauen müssen…
Denen zu sagen, sie sind priviligiert klingt fast schon überheblich und zynisch.
Frau Pantel, ich habe nicht das Gefühl priviligiert zu sein im Gegensatz zu Ihnen, die auch aus meinen Steuergeldern bezahlt wird.
Danke Sonja, du sprichst mir mit diesem Brief aus dem Herzen.
LG Tanja