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Warum das Verbot der Prostitution nach dem „Nordischen Modell“ gescheitert ist

In Paris findet die prekärste Prostitution im städtischen Wald, den Bois de Boulogne, statt. Legale Bordelle gibt es in Frankreich schon seit 1946 nicht mehr. 2016 führte auch Frankreich das „Nordische Modell“ ein. Seitdem droht nun den Kunden eine Geldstrafe, wenn sie eine Prostituierte für Sex bezahlen. Um noch an Kunden zu kommen, müssen sich Kunden und Prostituierte verstecken. Sexarbeitende müssen sich nicht mehr nur um ihre eigene Sicherheit kümmern, sondern auch um jene der Kunden – vor der Polizei. Sonst gibt es kein Geschäft. Das ist das, was man Arbeit im „Untergrund“ nennt.

Seit Jahrzehnten gibt es eine Debatte darüber, wie der Tausch von Sex gegen Geld geregelt werden soll, ob diese Transaktion legal oder verboten sein soll und wie Legalität oder Verbot genau aussieht. Ob man diesen Tausch nun als Sexarbeit oder Prostitution beschreibt, ist dabei irrelevant. Letztlich geht es dem Luxus-Escort, dem Callboy wie auch der Migrantin aus Rumänien um die Sicherung des Lebensunterhalts. Und damit ist es sinnvoll, über Prostitution als Arbeit zu sprechen. Denn Arbeit dient nur den Privilegierten in dieser Gesellschaft der Selbstverwirklichung, für die meisten aber ist Arbeit notwendig, um über die Runden zu kommen.

Und dennoch tobt eine letztlich abgehobene Debatte über Begriffe. Die vielschichtige Bandbreite der Prostitution soll ein für alle Mal entweder auf Gewalt oder Spaß fixiert werden, obwohl der Großteil der Prostitution eher im großen Graubereich dazwischen liegt. Die meisten Nicht-Prostituierten fantasieren über Bordelle als Orte unendlicher Gewalt, während der Alltag der Sexarbeitenden eher aus Warten und Abwarten besteht – spricht, aus Langeweile. Das ist unsexy und verkauft sich bei Weitem nicht so gut, wie die sorgfältig gestrickten Geschichten von Sex und Gewalt -Geschichte, die man mit keiner bürgerlichen Frau als Protagonistin erzählen würde, aber bei „Huren“ kann man das noch. Sie gelten – auch in der angeblichen Prostitutionskritik – immer noch als Objekte öffentlicher Belustigung und Unterhaltung. Dass Sexarbeitende inzwischen selbst politische Teilhabe beanspruchen, ist, gelinde gesagt, für viele einfach unbequem. War es nicht schön, als man noch über Huren reden konnte und sich keine wehrte?

Aber zurück zur Debatte. Deutschland steht bekanntlich für einen liberalen Ansatz: Prostitution, Arbeitsorte, Steuern, Rechte und Pflichten werden explizit geregelt. Auf der anderen Seite stehen Länder wie Schweden und inzwischen Frankreich, wo die Ausübung der Prostitution unreguliert ist, Arbeitsorte illegal sind, Prostituierte in einer rechtlichen Grauzone arbeiten und die Vergütung für sexuelle Dienstleistungen verboten ist. Prostitution findet dennoch statt. Die rechtliche Ausgrenzung dient der Abschreckung – das gab die schwedische Regierung 2010 sogar offen zu.

Sexarbeit, das liest man immer wieder, sei ein Märchen, es gibt sie nicht und wenn, dann nur als Ausnahme. Prostitution sei auch nicht wie im lange vergessenen Film Pretty Woman. Prostitution, genauer, die Bezahlung für sexuelle Dienstleistungen, gehöre verboten. Das gebiete der Kampf um Geschlechtergerechtigkeit, so hört man. Doch das Märchen ist nicht die Sexarbeit. Das eigentliche Märchen ist, dass ein Prostitutionsverbot den Prostituierten hilft, dass ein Verbot wie in Schweden, Frankreich oder Irland Wunder wirkt, die Prostitution und mit ihr die Ausbeutung abschafft.

Egal, was man von den deutschen Groß- und Kleinbordellen hält, der Pariser Bois de Boulogne ist im Vergleich kein angenehmer Arbeitsplatz, mit einem warmen Zimmer, Duschen, einer Toilette und einem Sicherheitsknopf, falls was passiert. Der Bois de Boulogne ist zur Hauptarbeitszeit dunkel. Man kann man sich gut verstecken. Das gilt auch für die Kleinkriminellen, die in den wörtlich an den Rand der Gesellschaft gedrängten Prostituierten ein leichtes Opfer sehen.

Im Wald sind die Prostituierten allein und auf sich gestellt, kein Mensch weit und breit. Die Polizei ist, wenn sie irgendwo in der Nähe ist, eh nur an die Bestrafung der Kunden interessiert, nicht an den Arbeitsbedingungen der Prostituierten. Jedes Jahr werden in diesem Wald Prostituierte ausgeraubt, angegriffen, manche werden getötet. Legale Arbeitsorte gibt es in Frankreich nicht, niemand darf einer Prostituierten ein Zimmer vermieten. Eine Prostituierte darf in Frankreich nur illegal mieten oder muss auf der Straße oder im Wald arbeiten. Die Kundenkriminalisierung, die eigentlich ein Vergütungsverbot ist, verbietet, den Lohn einzuklagen.

Das „Nordische Modell“, das hierzulande von einigen als Wunderpille gegen Ausbeutung verkauft wird, hat sich in Frankreich (und nicht nur dort) als Märchen erwiesen. Der Staat verweigert jegliche Regulierung des Marktes, der nun vollständig in den Händen Krimineller liegt. Die versprochenen Ausstiegshilfen für Prostituierte bleiben aus, sowieso geht es nur um Grundsicherung – in Deutschland wäre das Hartz IV. Die Prostitution Minderjähriger sei laut einem Bericht des zuständigen Ministeriums zwischen 2016 und 2020 um 340 % gestiegen, in absoluten Zahlen sind zwischen 7000 und 10.000 Jugendliche erfasst. Und das, obwohl die Befürworter des Gesetzes an vorderster Front im Kampf gegen die Regulierung und Akzeptanz der „Sexarbeit“ waren. Nun ernten sie die Früchte ihrer Naivität: Gewalt, Ausbeutung, Mord, Rechtlosigkeit. Und, machen wir uns nichts vor, bei einem Verbot dürfen sich Prostituierte erst recht nicht krankenversichern, das geht eben nur, wenn Sexarbeit Arbeit ist.

Ein verbreitetes Argument gegen die Legalität der Prostitution ist, dass die meisten Prostituierten als Kind verschiedene Formen von Gewalt erfahren haben und daher auch als Erwachsene nicht in der Lage sind, eine mündige Entscheidung für Prostitution zu treffen. Nun ist das für eine liberale Gesellschaft eine gefährliche Argumentation.

Es geht letztlich um die Frage: Welche Entscheidungen dürfen erwachsene Menschen treffen, die in ihrem Leben gelitten haben und traumatisiert wurden, und vor welchen Entscheidungen soll der Staat sie schützen? Frauen sollen kein Geld für Sex nehmen, Männer, die Frauen dafür bezahlen – egal wie einvernehmlich das zwei mündige Erwachsene tun –, sollen in den Knast. Die Stoßrichtung dieses Gedankens könnte paternalistischer kaum sein. Was werden Frauen demnächst nicht mehr tun dürfen, weil sie traumatische Erfahrungen gemacht haben? Traumata dürfen nicht als Argument für Entmündigung herhalten. Wer dieses Tor öffnet, wird staunen, wie viele Frauenrechte mit dem Trauma-Argument noch abgeschafft werden können.

Gerade angesichts der erschreckenden Statistiken zu häuslicher Gewalt und zur sexuellen Ausbeutung von Kindern sind andere Ansätze nötig. Ein Prostitutionsverbot für Erwachsene ist mit Blick auf Gewalt an Kindern nicht mal Symptombekämpfung, geschweige denn eine Lösung.

Es gibt gute Gründe, warum zahlreiche Organisationen in Deutschland und in Ländern wie Frankreich und Schweden einem Verbot – auch nach dem schwedischen Vorbild – kritisch gegenüberstehen. Zahlreiche Beratungsstellen und Organisationen, darunter auch die Diakonie und Mitternachtsmission, haben sich in einem Papier gegen dieses Modell ausgesprochen. Selbst die Pariser Polizei steht dem inzwischen nicht mehr so neuen Verbot kritisch gegenüber. Die Forschung und Menschenrechtsorganisationen, wie Amnesty International, haben das Verbot noch nie unterstützt.

Prostitution zu verbieten, weil Prostitution Gewalt sei, ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Denn wenn wir aus der Forschung eines wissen, dann ist es, dass Verbote zu einer Steigerung von Gewalt und Ausbeutung gegen Prostituierte führen. Je stärker Prostituierte in einer Gesellschaft geächtet sind, desto eher geraten sie ins Visier von Kriminellen.

Die Legalität der Prostitution wirkt sicher auch keine Wunder. Auch in Deutschland lässt sich die jahrhundertealte Ausgrenzung der Prostitution nicht von heute auf morgen beseitigen. Manche mögen sich über das „Bordell Deutschland“ aufregen, dabei ist noch gar nicht klar, ob es hier in Deutschland wirklich so schlecht aussieht, ob eine Deregulierung nach dem nordischen Verbotsmodell wirklich etwas verbessern würde. Prostituierte haben Rechte, schon allein deshalb, weil sie legal arbeiten können. Und das ist und bleibt – egal, welcher Parteilinie man folgt – eine wichtige Errungenschaft. Wer dies in frage stellt, fordert einen Rückschritt.

Seit 2017 werden alle legal arbeitenden Prostituierten über Rechte und Pflichten beraten. Auch die Migrantinnen, die hierzulande arbeiten und die deutschen Bordelle den französischen Wäldern oder den italienischen, spanischen, tschechischen oder bulgarischen Landstraßen vorziehen. Denn es ist ein europaweites Phänomen, dass der Großteil der Prostituierten Migrantinnen sind. Ist es dann wirklich so verwunderlich, dass Prostituierte lieber unter Bedingungen der Legalität arbeiten als dort, wo dies nicht möglich ist, wo die Polizei oft korrupt ist und selbst zu den Tätern gehört? Sollen Prostituierte auch in Deutschland in Wäldern, auf Bundesstraßen und ausschließlich in illegalen „Bordellen“ arbeiten? Ich glaube nicht.

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