Fluchthilfe ist kein Menschenhandel

Autor: Christian Jakob 

Nur mit Hilfe von Schleppern kommen Menschen, die Asyl beantragen wollen, noch in die EU – dafür hat das Europäische Grenzregime selber gesorgt. Gleichwohl bestraft es Fluchthelfer immer härter und treibt so viele Menschen in den Tod.

Ein Boot mit Geflüchteten vor der Insel Lampedusa. Foto: Vito Manzari. Creative Commons LizenzvertragDieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

Im Gerichtssaal von Mytilini auf der griechischen Insel Lesbos, 13. Oktober 2014, 9 Uhr. Der Angeklagte: Ahmad, ein minderjähriger Flüchtling aus Aleppo in Syrien. Im Mai dieses Jahres kam er mit 22 Menschen auf einem Boot von der türkischen Küste. Der Vorwurf: Menschenhandel. Fünf Monate hat er im Avlona-Gefängnis für Minderjährige in Athen auf den Prozess gewartet. Prozessbeobachter der Initiative „Welcome to Europe“ sehen, wie Ahmad in Handschellen gefesselt ins Gerichtsgebäude geführt wird. Küstenwächter sagen aus: Als sie sich dem Boot näherten, habe Ahmad telefoniert, Papiere zerrissen und ins Wasser geworfen. Dabei müsse es sich um Anweisungen seiner Hintermänner gehandelt haben, mit denen er offensichtlich gerade gesprochen habe. Weitere belastende Indizien gibt es nicht. Ahmad sagt aus, er habe seine Mutter angerufen. Nach 20 Minuten verkündet das Gericht das Urteil: sieben Jahre Haft.

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Pro Asyl: Italien unterhöhlt Flüchtlingsschutz

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen auf proasyl.de

Angesichts mehrerer Tausend in den letzten Tagen im Mittelmeer vor Italien geretteter Flüchtlinge sieht es so aus, als diene die italienische Operation „Mare Nostrum“ nicht nur der Lebensrettung, sondern auch dem Flüchtlingsschutz. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass Ziele des Einsatzes auch die Abschottung der Grenzen und Abwehr von Flüchtlingen sind.

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Vom Horn von Afrika zum Nahen Osten: grenzüberschreitender Menschenhandel mit eritreischen Asylsuchenden

Autorinnen: Laurie Lijnders und Sara Robinson; Übersetzung: Samantha Neu; ursprünglich erschienen im Anti-Trafficking Review antitraffickingreview.org

Abstract

Eritreische Flüchtlinge protestieren in Israel, Tel Aviv; Bild: Karen Zack / Physicians for Human Rights; (CC BY-NC-ND 2.0)

Jeden Monat fliehen Hunderte von Männern, Frauen und Kindern aus Eritrea wegen schwer-wiegender Verletzungen der Menschenrechte, die durch die eritreische Regierung begangen werden. Geschätzte 36.000 Eritreer wurden in den letzten sieben Jahren nach Israel geschmuggelt. Für 31% der für diese Forschungsarbeit Interviewten, beinhaltete die Migration unter anderem Entführung und Erpressung. Migrant/-innen/-innen wurden im östlichen Sudan, an der Grenze zu Eritrea, entführt und entlang der sudanesisch-ägyptischen Grenze an kriminelle Gangs verkauft. Die Gangs hielten die Migrant/-innen gewaltsam in der nördlichen Sinai-Wüste gefangen. Viele der Flüchtlinge berichteten, im östlichen Sudan und in der nördlichen Sinai-Wüste als Geiseln gehalten und brutal behandelt worden zu sein. Hierzu zählen auch Massenvergewaltigungen von Männern und Frauen, Auspeitschungen und zahllose andere Methoden von physischer und psychischer Folter. Obwohl es kein typisches Szenario von Menschenhandel ist, analysiert dieser Bericht das Phänomen in Relation zu Landesgrenzen. Durchorganisierte Menschenhandelsringe nutzten Flüchtlings-wellen aus Eritrea, um das sudanesische Gebiet an der sudanesisch-eritreischen Grenze zu einem Brennpunkt für Entführungen, verschärften Schmuggel und Menschenhandel zu verwandeln. Obwohl das Überqueren der Grenzen um Asyl zu beantragen einen gewissen Schutz vor den Übergriffen der eritreischen Regierung gewähren mag, kommen nun weitere Schwierigkeiten für die Migrant/-innen hinzu, die nun auch noch Schutz und Sicherheit vor den Entführern finden müssen. Während Flüchtlinge Grenzen überqueren müssen um Sicherheit zu finden, schaffen diese Grenzen gleichzeitig geeignete Umstände für Menschenhändler-ringe, um agieren zu können. Wenn sich nicht die Dynamiken der Beteiligten ändern, werden Menschenrechtsverletzungen wie Erpressung, Folter und Menschenhandel im östlichen Sudan und im Sinai weiter voranschreiten.

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Effektiv, human, nachhaltig: Wer von Prostitution redet, darf von Abschiebungen nicht schweigen

Autor: Thomas Schroedter. Dieser Beitrag wurde ursprünglich veröffentlicht in ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 589 / 17.12.2013

Die Maßnahmen zur Regulierung der Zuwanderung in die EU werden durch Aufrüstung und eine verbesserte Kommunikation zwischen den Staaten und der Grenzagentur Frontex zunehmend effektiver gestaltet. Scheinbar unabhängig davon werden aktuell in mehreren EU-Ländern Gesetze zur Regelung der Prostitution bis hin zum Verbot verschärft. Dabei stellt die Überwachung der Prostitution eine zusätzliche Maßnahme zur Migrationskontrolle dar.

Dies wird deutlich, wenn wir den Umfang des Anteils an migrantischer Sexarbeit betrachten. Z.B. besitzen in Frankreich 80 Prozent der Sexarbeiterinnen keinen französischen Pass, und in Berlin stellen Polinnen, Russinnen und Ukrainerinnen das größte Kontingent. Wie die Autorin und ehemalige Sexarbeiterin Lilli Brand schreibt, würden diese Frauen ihre Tätigkeit zu Hause »als Job im Sexbusiness begreifen, hier ist es jedoch eher ein Sprungbrett. Und ihr Problem ist dabei nicht die Anerkennung als Prostituierte, sondern Visum, Arbeitserlaubnis, Scheinehemann und so weiter«. (1)

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Studie von Pro Asyl: Völkerrechtswidrige Push Backs – europäische Komplizenschaft

Pressemitteilung von Pro Asyl

Der neue PRO ASYL-Bericht “PUSHED BACK” beleuchtet völkerrechtswidrige Zurückweisungen von Flüchtlingen an der türkisch-griechischen Land- und Seegrenze und stellt die Frage nach der Mitverantwortung der Europäischen Union.

„Zwei kamen mit uns. Zwei maskierte Männer und der Kapitän waren an Bord. Zwei standen am Strand. Sie befestigten eines unserer Boote mit einem Seil und zogen uns zurück ins Meer. Dann löschten sie die Lichter und ließen nur ein Rücklicht an. Sie riefen: „Geht!“ Sie drängten uns zurück auf unser Boot und behandelten uns wie Tiere. Sie verschwanden. Als sie etwa 100 Meter entfernt waren, machten sie ihre Lichter wieder an.“ (A.K.)

„Sie brachten uns bis in die türkischen Gewässer und warfen uns, einen nach dem anderen, auf unser Boot. Einer von uns fiel ins Meer und wir zogen ihn wieder aus dem Wasser. Sie warfen uns weg, als wären wir Abfall. Dann schnitten sie das Seil durch.“ (A.K.N.)

Push Back von Flüchtlingen

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EU-Gipfel nach den Katastrophen vor Lampedusa (Pro Asyl)

Presseerklärung von Pro Asyl, 23.10.2013

Betroffenheitserklärungen sind angesichts geplanter Maßnahmen unglaubwürdig
PRO ASYL appelliert: Tödliche Abschottungspolitik beenden

Vor dem morgen beginnenden EU-Gipfel in Brüssel zeichnet sich ab, dass Regierungen der EU-Staaten auch nach den Katastrophen vor Lampedusa die bisherige Abschottungspolitik weiter perfektionieren wollen. „Vor diesem Hintergrund sind die zu erwartenden Betroffenheitserklärungen absolut unglaubwürdig“, so Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

PRO ASYL appelliert an die Staats- und Regierungschefs der EU, die falsche Weichenstellung der EU-Innenminister zu korrigieren. Diese wollen Frontex weiter ausbauen, die Grenzüberwachung perfektionieren und Transitstaaten wie sogar Herkunftsstaaten in die Abwehr von Flüchtlingen einbinden. Im Entwurf der Abschlusserklärung heißt es, existierende Maßnahmen sollten effektiver genutzt werden, „insbesondere in Hinblick auf Kooperationen mit den Herkunfts- und Transitstaaten, Aktivitäten von Frontex und den Kampf gegen Schleusung und Menschenhandel“.

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Menschenschmuggel ist eine Reaktion auf Grenzkontrollen, nicht die Ursache der Migration

Autor: Hein de Haas; Urpsrünglich erschienen unter dem Titel „Smuggling is a reaction to border controls, not the cause of migration„)

Die Katastrophe des Untergangs eines Bootes am 3. Oktober vor der Küste von Lampedusa, die Hunderten von Flüchtlingen und Migranten das Leben kostete, hat bei Regierungen und internationalen Organisationen bereits zu Forderungen nach einem härteren „Durchgreifen gegen Schmuggel“ geführt. Im vergangenen Jahrzehnt war dies die übliche Reaktion, wenn solche Tragödien an den südlichen Küsten Europas geschahen.

Allerdings dreht eine solche Argumentation die Kausalität der Dinge auf den Kopf. Es sind die Grenzkontrollen, die Migranten gezwungen haben, gefährlichere Routen zu nehmen und die sie immer mehr von Schmugglern abhängig machten, um die  Grenzen zu überqueren. Schmuggel ist mehr eine Reaktion auf Grenzkontrollen, als eine Ursache der Migration an sich. Ironischerweise werden weitere Verschärfungen der Grenzkontrollen Migranten und Flüchtlinge dazu zwingen, noch mehr Risiken einzugehen und sie werden ihre Abhängigkeit von Schmugglern nur erhöhen.

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Österreich: Flüchtlinge, angebliche Schlepper und ein zynischer Wahlkampf

Schlepperverdacht: Polizei durchsuchte Servitenkloster

Schlepperverdacht: Polizei durchsuchte Servitenkloster

Flüchtlinge werden gerne instrumentalisiert, gerade im Wahlkampf. So hat vergangene Woche das österreichische Innenministerium zusammen mit krone.at angebliche Zahlen und Fakten in die Welt gesetzt, die Flüchtlinge als Schlepper, d.h. als Kriminelle, brandmarken, die unglaubliche Profite erwirtschaftet hätten (die falschen Zahlen reproduzieren wir hier nicht). Diese Zahlen wurden dann von fast allen Medien übernommen – ein unkritisches Kopierverhalten, das auch in deutschen Medien beim Thema Menschenhandel sehr beliebt ist.

So werden Flüchtlinge plötzlich als Menschenhändler gebrandmarkt, die Unmengen an Geld verdienen. Die Vorwürfe wurden in diesem Fall u.a. genutzt, um acht pakistanische Flüchtlinge abzuschieben – mehr Abschiebungen sollen folgen. Flüchtlinge wurden zum Instrument des österreichischen Wahlkampfs. Weiterlesen →

Asylsuchende immer häufiger schon bei Einreise inhaftiert

Der Anteil von Asylsuchenden in Abschiebungshaft wird immer größer. Das zeigt eine vom Diakonischen Werk in Hessen und Nassau und PRO ASYL durchgeführte bundesweite Recherche zur Situation in Abschiebungshaft in Deutschland.

In Deutschland werden Asylbewerber grundsätzlich nicht in Haft genommen“, behauptete Bundesinnenminister Friedrich anlässlich der Verabschiedung der neuen EU-Asyl-Regelungen Anfang Juni. Das wäre schön, doch die Realität sieht anders aus. Denn obwohl die Zahl der Abschiebungshäftlinge insgesamt zurückgeht, steigt unter ihnen der Anteil von Menschen, die eben erst als Asylsuchende eingereist sind.

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Amnesty International: Griechische Küstenwache setzt das Leben von Flüchtlingen aufs Spiel

Laut einem neuen Amnesty Bericht sind im vergangenen Jahr über 100 Menschen auf dem Weg nach Griechenland ertrunken. Die EU sei mitverantwortlich. 

BERLIN/ATHEN, 09.07.2013 – Die griechische Küstenwache macht Flüchtlingsboote manövrierunfähig und schiebt sie in türkische Gewässer zurück. Sie setzt damit das Leben von Männern, Frauen und Kindern aus Ländern wie Syrien und Afghanistan aufs Spiel, das stellt ein heute vorgestellter Amnesty-Bericht fest. Über 100 Menschen sind seit August 2012 ertrunken als sie versuchten, Griechenland zu erreichen.

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„Sie heißen nicht Natasha“ – Fotoserie auf ZEIT ONLINE

Auf Zeit Online wurde vor einigen Tagen eine Fotoserie mit dem Titel „Sie heißen nicht Natascha“ veröffentlicht. Abgebildet werden junge Frauen und Kinder, Zimmer und Räumlichkeiten, in denen angeblich Zwangsprostitution stattfindet und ein Mann mit einem Baby im Arm, der sagt: „Ich weiß, was mit meiner Frau passiert ist. Es ist nicht ihre Schuld, niemand hat das Recht, über sie zu urteilen“.

Die Fotoserie soll auf das Leid vieler Frauen hinweisen, die einen Wunsch nach einem besseren Leben hatten, der aber gebrochen wurde – von skrupellosen Menschen, die sie stattdessen sexuell ausgebeutet und vergewaltigt haben. Andere Inhalte bleiben hingegen unkommentiert stehen, verdienen aber mehr Aufmerksamkeit und hätten kritisch hinterfragt werden sollen.

Victim Blaming

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Flüchtlingspolitik als Lagerpolitik (crossposted)

von Tobias Pieper. Dr. Tobias Pieper, Politikwissenschaftler und Psychologe, arbeitet bei der Opferperspektive Brandenburg und als Lehrbeauftrager an der FU Berlin. Er engagiert sich in der Antirassismusarbeit und ist Autor des Buches „Die Gegenwart der Lager“ (2008). Seine Dissertation kann auch hier gefunden werden.  — Dieser Text wurde ursprünglich im Juli 2011 auf www.migration-boell.de veröffentlicht. 

Immer noch werden geduldete MigrantInnen und Flüchtlinge in lagerähnlichen Unterkünften auf Jahre verwahrt. Seit 1980 ist die Verschlechterung der Lebensverhältnisse von MigrantInnen im Asylverfahren durch einen Einschluss im Lager (west-)deutsche Realität. Derzeit wird vermehrt über die Internierungslager für MigrantInnen an den südlichen Grenzen Europas diskutiert; die unhaltbaren Lebensbedingungen dort und die tödlichen Folgen der militärischen Grenzsicherung geraten in die menschenrechtliche Kritik. Über die Lebensbedingungen in den hiesigen Lagern redet die breite Öffentlichkeit jedoch nur ungerne, es ist einfacher, die Menschenrechtsverletzungen bei den anderen zu suchen und anzuprangern. Weiterlesen →

Fluchthilfe und Menschenhandel

Wenn vonMenschenhandeldie Rede ist, denken viele an kriminelle Banden und brutale Mafiosi, die sich auf Kosten schutzlos ausgelieferter Opfer bereichern. In der DDR transportierte der Begriff ähnliche Bilder. Mit ihm wurden Menschen bezeichnet, die anderen Menschen bei der unerlaubten Ausreise aus der DDR halfen. Ganz anders war allerdings die Bewertung dieser „Menschenhändler“ in der BRD. Als „Fluchthelfer“ bezeichnet wurde ihre Hilfe bei der unerlaubten Ausreise aus der DDR im Allgemeinen positiv bewertet. Auch wenn dieseFluchthilfemit dem Ende der DDR verschwunden ist, kann uns die unterschiedliche Bewertung interessante Perspektiven auf heutige Bilder, Diskurse und den staatlichen und gesellschaftlichen Umgang mit Migration ermöglichen.

Am 22. Juni 2010 wurde Hartmut Horst das Bundesverdienstkreuz alsAuszeichnung für seine großen Verdienste in der Fluchthilfeverliehen. Er habemaßgeblich dazu beigetragen, dass mehr als 60 Menschen aus der damaligen DDR ihr Leben in Freiheit und Unabhängigkeit fortsetzen konnten. Tatsächlich war Hilfe zur illegalen Ausreise aus der DDR – in der BRD damals wie heute gemeinhinalsFluchthilfebezeichnetfür Tausende, die die DDR verlassen wollten, unverzichtbar. Denn ohne Genehmigung aus der DDR auszureisen, wurde von der DDR als Weiterlesen →

Menschenretter_innen und Menschenhändler_innen

Zum Umgang der EU mit Migrant_innen und ihren Helfer_innen

Die EU stellt sich als sicherer Zufluchtsort für verfolgte Menschen dar. Teil dieser Darstellung ist der proklamierte Schutz von Flüchtlingen vor „Schleusern“ und „Menschenhändlern“, weshalb deren Verfolgung verstärkt wird. Migrant_innen werden allerdings erst durch Grenzen und Abschottungsmaßnahmen der EU gezwungen, auf gefährliche Mittel und Wege der Migration zurückzugreifen und ihr Leben für viel Geld anderen Menschen anzuvertrauen. Die staatliche Verfolgung und ein kriminalisierender Diskurs gegenüber Fluchthelfer_innen dienen aber nicht in erster Linie dem Schutz von Flüchtlingen, sondern sind vielmehr Teil der Abschottungspolitik ihnen gegenüber.

Im September 2009 wurden die tunesischen Fischerei-Kapitäne Abdelkarim Bayoudh und Abdelbassit Zenzeri von der italienischen Justiz zu zweieinhalb Jahren Haft und 440’000 Euro Strafe verurteilt. Ihr Vergehen: Sie hatten zwei Jahre zuvor 44 Menschen aus hoher See im Mittelmeer gerettet und an die nahegelegene italienische Küste gebracht. Das Gericht sah es Weiterlesen →

Macht der Asylant beim Klauen auch noch Lärm?

Meine etwas provokative Überschrift hat ein Ziel: die Darstellung einer verbreiteten Haltung gegenüber AsylbewerberInnen, die sich bei genauerer Betrachtung als unhaltbar erweist.

Kommen Flüchtlinge aus Kriegsgebieten nach Europa, haben sie Erfahrungen hinter sich, die für uns kaum vorstellbar sind. Zum einen die Zustände in der Heimat, die sie zur Flucht gezwungen haben. Zum anderen die Reise in das Sicherheit und Frieden verheißende Zielland. Oft werden Schlepper bezahlt, um Grenzen zu überwinden, oft gestaltet sich die Ankunft anders als erwartet und führt zu Ausbeutung, zu Menschenhandel. Für diejenigen, die Asyl beantragen, beginnen Monate und Jahre der Unsicherheit, des Wartens und Bangens. Wird der Asylantrag akzeptiert? Solange dies nicht feststeht, müssen AsylbewerberInnen einen weiteren ‚Kampf‘ führen – den Kampf gegen Vorurteile und Ängste der Einheimischen am Unterbringungsort.

Vor einem Monat erforschte ich in meiner Heimatstadt in Bayern (ca. 14.000 EinwohnerInnen) die Haltung von Menschen, in deren Nachbarschaft ein AsylbewerberInnenheim eingerichtet wurde. Meine erste Erkenntnis: DER Asylant stellt in den Augen vieler ‚Betroffener‘ eine Gefahr dar. Schlagwort Kriminalität und Lärmbelästigung. Meine zweite Erkenntnis: Sind die AsylbewerberInnen erst einmal da – und verhalten sich wider Erwarten ganz ‚ungefährlich‘ – bröckelt die aus Ängsten und Vorurteilen gebaute Opposition schnell und macht Platz für Akzeptanz.

In diesem Beitrag beschreibe ich den Wandel der Haltung einer gegnerisch eingestellten Nachbarschaft gegenüber AsylbewerberInnen. Eine Haltung, die zwar nicht repräsentativ für die gesamte Stadt ist, zunächst aber den öffentlichen Diskurs prägte.

Vorurteile bis Ankunft

Offenbar ist die Angst vor AsylbewerberInnen ein Synonym für Angst vor Kriminalität und Lärm. Nachdem bekannt geworden war, dass ein AsylbewerberInnenheim eingerichtet werden soll, wandten sich besorgte BürgerInnen aus der Nachbarschaft mit einer Petition an den Bürgermeister. Ingesamt unterzeichneten 58 Menschen das Pamphlet. Hier ein Ausschnitt:

Die Bürger haben bereits heute allergrößte Ängste um den Wert ihres Eigentums, ihrer Gesundheit, ihres Hab und Gutes und vor einer möglichen Kriminalität. Weiter befürchten sie starke Lärmbelästigungen am Tag und in der Nacht und insgesamt das Entstehen eines furchtbaren No-Go-Viertels.

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Wir sind alle Migrant_innen! – 18. Dezember: Internationaler Tag der Migranten (International Migrants Day)

„When their rights are violated, when they are marginalized and excluded, migrants will be unable to contribute either economically or socially to the societies they have left behind or those they enter. However, when supported by the right policies and human rights protections, migration can be a force for good for individuals as well as for countries of origin, transit and destination.“ UN-Generalsekretär Ban Ki-moon

International Migrants Day
International Migrants Day

Im Jahr 2000 haben die Vereinten Nationen den Internationalen der Migranten eingeführt. Anlass dafür war die stetig wachsende Zahl an Menschen, die nicht an ihrem Geburtsort ihr Leben führen.  Das Ziel: Die grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten von Migrantinnen und Migranten zu schützen und  auf ihren positiven Beitrag in den Zielländern hinzuweisen. Ein wenig salopp gesagt – das Ziel ist es, Migration positiv zu konnotieren.

Das versucht auch die EU-Kommissarin für Innenpolitik.

„On the occasion of International Migrants Day (Sunday 18 December), let me reiterate that the diversity brought by immigrants is a source of dynamism and of cultural richness for our economies and societies.

Europe is changing. We cannot afford to ignore the role immigration plays for our growth and for European competitiveness in the global arena – Migrants contribute to the economies of their receiving countries, as employees, entrepreneurs, consumers and investors, while increasing the diversity of our societies.“ Cecilia Malmström, EU-Kommissarin für Innenpolitik

Sie schreibt über den positiven Beitrag von Migrant_innen für „unsere“ Gesellschaften. Der Versuch ist lobenswert, aber sie rutscht dabei in ein Muster, das einer positiven Darstellung von Migration eher im Wege steht. Sie spricht von „ihnen“ und „uns“  und merkt dabei nicht, dass sie selbst zur Zeit nicht an ihrem Heimatort arbeitet, sie merkt nicht, dass sie selbst Politiken für Orte und Menschen macht, die hunderte oder tausende Kilometer von ihrer nordischen Heimtstadt entfernt sind. Sie hat vergessen, dass Europa der Inbegriff freier Bewegung – also der Migration – ist. Sie macht den Fehler, nur eine kleine Gruppe der Migrant_innen tatsächlich als solche anzuerkennen – also jene Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, ihres Aussehens und ihres sozio-ökonomischen Status auch diskriminiert werden. Migrant_innen sind die Anderen, aber nicht wir – das ist ihre Botschaft, eine falsche Botschaft. Denn wir sind alle Migrant_innen. Ist sie, Frau Malmström, nicht auch eine  Migrantin?

“We are all migrants and as such are contributing to the global economy and to global cultural diversity,” he noted. “How many of us live today in the city of birth of our four grandparents? Not many. We are all children, grandchildren or great-grandchildren of migrants. Rare are those who have settled in one and the same place for numerous generations.” François Crépeau, Special rapporteur on the human rights of migrants

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Lebensgefährliche Flucht aus Nordkorea

Im Jahr 2009 veröffentlichte der WDR einen Dokumentarfilm, der die lebensgefährliche Flucht vieler Nordkoreaner_innen aus dem Grenzgebiet von Nordkorea und China thematisiert. Alexandre Dereims, Hark Jun Lee und In Taek Jung haben hierfür eine Gruppe nordkoreanischer Flüchtlinge auf ihrem Fluchtweg bis nach Thailand (Bangkok) begleitet, oftmals riskierten sie dabei ihre eigene Sicherheit (wie ein Fall zweier amerikanischer Journalistinnen verdeutlicht).

Der Kollaps der nordkoreanischen Wirtschaft Anfang der 1990er Jahre, der mit einer Hungersnot einherging die schätzungsweise 2 Millionen Menschen das Leben gekostet hat (Filmpart: 1), veranlasste Tausende die Flucht nach China und darüber hinaus zu wagen (International Crisis Group 2006: 1). Hunger und Armut sind auch heute noch die hauptsächlichen Push-Faktoren bzw. Gründe und Ursachen für die Flucht vor der nordkoreanischen Diktatur, die ihre Bevölkerung gefangen hält (vgl. ICG 2006: 8). Einem UNO-Bericht vom Oktober 2009 zufolge benötigen neun Millionen Nordkoreaner_innen, d.h. mehr als ein Drittel der Bevölkerung, Hilfe in Form von Lebensmitteln. Jedoch erreicht das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen nur zwei Millionen Menschen (vgl. Amnesty International).

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