Wir sind alle Migrant_innen! – 18. Dezember: Internationaler Tag der Migranten (International Migrants Day)

„When their rights are violated, when they are marginalized and excluded, migrants will be unable to contribute either economically or socially to the societies they have left behind or those they enter. However, when supported by the right policies and human rights protections, migration can be a force for good for individuals as well as for countries of origin, transit and destination.“ UN-Generalsekretär Ban Ki-moon

International Migrants Day
International Migrants Day

Im Jahr 2000 haben die Vereinten Nationen den Internationalen der Migranten eingeführt. Anlass dafür war die stetig wachsende Zahl an Menschen, die nicht an ihrem Geburtsort ihr Leben führen.  Das Ziel: Die grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten von Migrantinnen und Migranten zu schützen und  auf ihren positiven Beitrag in den Zielländern hinzuweisen. Ein wenig salopp gesagt – das Ziel ist es, Migration positiv zu konnotieren.

Das versucht auch die EU-Kommissarin für Innenpolitik.

„On the occasion of International Migrants Day (Sunday 18 December), let me reiterate that the diversity brought by immigrants is a source of dynamism and of cultural richness for our economies and societies.

Europe is changing. We cannot afford to ignore the role immigration plays for our growth and for European competitiveness in the global arena – Migrants contribute to the economies of their receiving countries, as employees, entrepreneurs, consumers and investors, while increasing the diversity of our societies.“ Cecilia Malmström, EU-Kommissarin für Innenpolitik

Sie schreibt über den positiven Beitrag von Migrant_innen für „unsere“ Gesellschaften. Der Versuch ist lobenswert, aber sie rutscht dabei in ein Muster, das einer positiven Darstellung von Migration eher im Wege steht. Sie spricht von „ihnen“ und „uns“  und merkt dabei nicht, dass sie selbst zur Zeit nicht an ihrem Heimatort arbeitet, sie merkt nicht, dass sie selbst Politiken für Orte und Menschen macht, die hunderte oder tausende Kilometer von ihrer nordischen Heimtstadt entfernt sind. Sie hat vergessen, dass Europa der Inbegriff freier Bewegung – also der Migration – ist. Sie macht den Fehler, nur eine kleine Gruppe der Migrant_innen tatsächlich als solche anzuerkennen – also jene Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, ihres Aussehens und ihres sozio-ökonomischen Status auch diskriminiert werden. Migrant_innen sind die Anderen, aber nicht wir – das ist ihre Botschaft, eine falsche Botschaft. Denn wir sind alle Migrant_innen. Ist sie, Frau Malmström, nicht auch eine  Migrantin?

“We are all migrants and as such are contributing to the global economy and to global cultural diversity,” he noted. “How many of us live today in the city of birth of our four grandparents? Not many. We are all children, grandchildren or great-grandchildren of migrants. Rare are those who have settled in one and the same place for numerous generations.” François Crépeau, Special rapporteur on the human rights of migrants

Ohne Migration wäre unsere Welt, diese Gesellschaft – ohne Migration wäre Europa, wären die Vereinigten Staaten von Amerika heute nicht das, was sie sind. Historiker_innen und Migrationsforscher_innen sind sich in dem Punkt einig: Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Migration. Das bedeutet nicht nur, dass historisch gesehen schon immer Menschen z.B. nach Europa und nach Deutschland gekommen sind. Das bedeutet auch, dass Europäer_innen und und Deutsche schon immer auch ausgewandert sind – auf der Suche nach einem anderen, besseren Leben. Heute noch ziehen viele Deutsche ins Ausland, und viele Deutsche ziehen innerhalb von Deutschland und Europa um.

Auch Binnenmigration ist Migration und wir sind auch Migrant_innen. Das wird aber nie als Problem thematisiert. Wir gehen davon aus, dass wir woanders hinziehen dürfen und können, ohne dass wir daran gehindert werden. Viele von uns haben im Ausland als Au-Pair gearbeitet, haben dort ein Auslandssemester verbracht, ja vielleicht sogar ein ganzes Studium absolviert oder länger gearbeitet. Manche von uns hatten vielleicht auch schon eine transnationale Partnerschaft und die meisten von uns haben Freunde, die im Ausland leben, oder Freunde, für die Deutschland ein Ausland ist.

Aber wir werden stutzig, wenn wir über Migration nach Deutschland sprechen, wenn wir über sogenannte „Menschen mit Migrationshintergrund“ sprechen. Wir regen uns nicht auf, wenn andere Menschen, die migrieren wollen, im Mittelmeer ums Leben kommen und setzen dabei weiterhin voraus, dass uns das nie passieren wird. Wir haben das Recht auf Migration – nicht aber die Flüchtlinge aus (Nord-)Afrika. Flüchtlinge werden als Bedrohung wahrgenommen, Flüchtlinge sind gar keine Flüchtlinge mehr, sondern illegale Einwanderer, für die keine Menschenrechte gelten – das ist eine inzwischen sehr verbreitete Auffassung. Dass auch Deutsche Flüchtlinge waren, haben viele vergessen. Das ist ein unberechtigtes, diskriminierendes Verhalten.

Auch die Geschichte Deutschlands ist eine Migrationsgeschichte, obwohl sich darüber sehr wenige Menschen bewusst sind. In einem aufschlussreichen Artikel betont der Historiker Thomas Mergel, dass etwa nur ein Viertel aller in Berlin ansässigen Personen aus Berlin kommen. Egal ob diese nun aus Italien, den USA, aus Japan oder aus Baden-Würtemberg kommen – aus Berlin kommen sie nicht. Dennoch werden in Berlin nur Migrant_innen türkischer Herkunft als „Einwanderer“, als Migrant_innen betrachtet. Alle anderen seien ja schon immer da gewesen…. Kein Wunder, dass dadurch Rassismus, Diskriminierung und Exklusion geschürt werden.

„Zur Jahrtausendwende wird mit dem Bekenntnis, Deutschland sei ein Einwanderungsland, die eingeschränkte doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt und ein Zuwanderungsgesetz entworfen. Dieses Gesetz polarisiert jedoch stark zwischen verschiedenen MigrantInnengruppen, indem es auf der einen Seite auf Integration, auf der anderen auf Ausschluss setzt.“ Kleine Migrationsgeschichte Deutschlands 

Mein Plädoyer: Wir sind alle Migranten, denn sehr wenige von uns leben heute noch dort, wo sie geboren oder aufgewachsen sind. Das trifft auch auf unsere Eltern und Großeltern zu. Und dennoch sprechen wir nicht über die „Integrationsprobleme“ unserer Eltern und Großeltern, über unsere eigenen „Integrationsprobleme“, dennoch strengen wir uns nicht an, das Positive ihrer und unserer Migration hervorzuheben. Warum? Weil es nichts besonderes ist.

Und wir haben Recht: Migration ist die Regel und nicht die Ausnahme. Wir, die als Nicht-Berliner in Berlin leben, sind nicht anders als die türkischen Familien, die schon vor Jahrzehnten hierher gezogen sind. Man könnte sicherlich behaupten, dass die Abfälligkeit, mit der z.B. Studierende über die Berliner_innen und den Berliner Akzent  sprechen, eine Form von fehlender Integration ist. Als Problem oder Fehlverhalten wird das leider nicht thematisiert.

Heute ist der Internationale Tag der Migranten. Es ist unser aller Tag – der Bayern, der Italiener, der Schwaben, der Berliner, der Türken, der Amerikaner, die nicht mehr dort leben, wo sie geboren sind. Wir sind alle Migranten. 

„Migration ist der Normalfall menschlicher Existenz“ Jochen Oltmer

Und was hat das mit Menschenhandel zu tun? 

Legale Möglichkeiten der Migration werden weltweit zunehmend beschnitten und eingeschränkt. Migration wird als Bedrohung wahrgenommen. Aus diesem Grund nehmen viele Menschen das Risiko in Kauf, auf anderem Wege in ein Land zu migrieren. Meistens bedeutet das, die Hilfe von Schleppern oder Flüchtlingshelfern in Anspruch zu nehmen. Dadurch begeben sie sich meistens in die Illegalität, sobald sie in ihr Zielland ankommen. Sie haben Schulden und müssen das Geld zurückbezahlen. An dieser Stelle können sie erpresst und ausgebeutet werden. Sie werden Opfer von Menschenhandel. 

Menschenhändler nutzen gezielt den Migrationswillen von Menschen aus, um sie auszubeuten. Das ist aber nur deshalb möglich, weil Migrant_innen nicht mehr unabhängig migrieren dürfen. Europa und die USA und viele andere Länder auch schotten sich ab. Sie schotten sich gegen bestimmte Menschen ab, von denen sie glauben, sie seien nicht gut genug. Eine derartige Migrationspolitik stellt eine inhärente Form der Diskriminierung dar, die auf willkürliche Formen der Exklusion beruht. Wer migrieren will, muss in vielen Fällen sein eigenes Leben aufs Spiel setzen.

Das Recht auf Migration ist heute nicht mehr gewährleistet. Innerhalb von Europa ist es ein Privileg, das so selbstverständlich geworden ist, dass wir vergessen haben, dass auch wir Migrant_innen sind. Nein, wir müssen keine Schleuser bezahlen, um an einem Strand in Übersee zu liegen. Wir wissen, dass wir das so einfach tun können. Warum aber regt es uns so dermaßen auf, dass auch andere Menschen migrieren wollen? Warum gibt Europa so viel Geld aus, um Migration zu verhindern? Warum ist es Europa dabei egal, dass Menschen sterben und Opfer von Ausbeutung werden?

Oder würden wir es etwa akzeptabel finden, wenn wir für eine Reise in einen anderen Kontinent auch mal ein paar Monate zur Zwangsarbeit gezwungen würden – als Preis für unsere Reiselust?

Weitere Links: 

http://www.december18.net/