menschenhandel heute.

kritische perspektiven auf die bekämpfung von menschenhandel

„Bordell Deutschland“ – Journalismus auf Lücke (SPIEGEL 22/2013)

Wie lückenhafter Journalismus dazu beiträgt, dass in Deutschland eine sachlich fundierte Auseindersetzung zum Thema „Menschenhandel“ ausbleibt. Team wallraff

Die Abbildung (siehe oben) ist kein echter Spiegel-Titel. (Graphik: Matthias Lehmann)
Der rote Regenschirm ist das Symbol der Bewegung für die Rechte von Sexarbeiter_innen. Die Abbildung (siehe oben) ist kein echter Spiegel-Titel. (Graphik: Matthias Lehmann)

Diese Woche erschien die Ausgabe DER SPIEGEL 22/2013. Obwohl der deutsche Verteidigungsminister De Mazière gerade um seinen Job bangt ob des Eurohawk- Skandals, wartet der Spiegel mit einem Titelblatt auf, das man eher von der BILD erwarten würde, nebst einer sachlich mehr als fragwürdigen Überschrift, die den Staat der Förderung des Menschenhandels bezichtigt. Die Kritik am Staat wäre angesichts der über 600 Millionen Euro an verschwendeten Steuergeldern an anderer Stelle weitaus passender gewesen.

Vorab möchte ich Ihnen einen Kommentar der im Spiegel interviewten Berliner Sexarbeiterin Carmen Amicitiae, die Stellungnahme der Prostituiertenorganisation Dona Carmen e.V (Frankfurt) sowie eine Stellungnahme auf internet-law.de empfehlen. Eine kürzere, englischsprachige Kritik gibt es hier.

Nachtrag 29.05: Den ungewollten Werbeeffekt möchten wir durch den Hinweis darauf entkräften, dass Ihnen der Spiegel-Artikel nach der Lektüre dieses Beitrages nicht mehr viel wird beibringen  können. Auch von der Länge dürfte das ungefähr ähnlich sein. Kaufen Sie den SPIEGEL also lieber nicht.

Das angeblich gescheiterte Prostitutionsgesetz (ProstG) und der Menschenhandel

Seit 1927 ist Prostitution in Deutschland legal. (Die NS-Zeit bedarf hierbei einer gesonderten Untersuchung). Bordelle gab es auch schon vor 2000 zu Genüge, was historische Strichführer belegen. Daher stellt die Legalität der Prostitution keine Besonderheit der Ära nach 2002 dar. Auch Steuern müssen Prostituierten in Deutschland schon seit 1964 zahlen, und so ist es nur gerecht, dass sie sich nun seit 2002 auch kranken-, sozial- und rentenversichern dürfen.

Der Staat, schreiben die Autor_innen, gerate in eine „merkwürdige Lage“, weil z.B. in Bonn Sexarbeiter_innen am Straßenstrich Steuern zahlen müssten, noch bevor sie etwas einnähmen. Merkwürdig sei dies, weil damit die Prostitution gefördert würde. Weniger merkwürdig scheinen die Autor_innen es finden, Prostituierte zu besteuern, wie es über 30 Jahre lang getan wurde, ohne im Gegenzug sozialstaatliche Gegenleistungen zu erbringen, oder jemanden überhaupt zu besteuern, bevor Einkünfte erzielt wurden. Wie wohl Investmentbanker auf so einen Vorschlag reagieren würden – Besteuerung vor Gewinn? Die Autor_innen moralisieren, kommen aber zu keinem richtigen Schluss, denn sie fordern z.B. nicht einmal die Abschaffung der Besteuerung der Prostituierten. Wollen sie das vielleicht gar nicht?

Die Tatsache, dass nicht viele Prostituierte die Möglichkeiten des ProstG in Anspruch nehmen, bedeutet mitnichten, so wie an vielen Stellen behauptet wird, dass das Gesetz schlecht ist. Die Professorin Rebeacca Pates der Universität Leipzig schrieb kürzlich im Artikel „Liberal Laws juxtaposed with rigid control: an analysis of the logics of governing sex work in Germany“ (2012), dass viele der Bundesländer, darunter insbesondere Bayern und Sachsen, alles getan hätten, um die Umsetzung des Prostitutionsgesetzes zu vermeiden bzw. unmöglich zu machen. Auf die gleichen Ergebnisse kam der erste Bericht der Bundesregierung über das ProstG aus dem Jahre 2007, ein Fazit, das die Autor_innen, die den Bericht erwähnen, „übersehen“ haben müssen.

Anstatt das Prostitutionsgesetz zu kritisieren, wäre es hilfreicher, es – auf Länderebene – genau zu untersuchen und sich zu fragen, warum die Umsetzung des Prostitutionsgesetzes in bestimmten Ländern besonders schlecht funktioniert. Pates vermutet, dass es z.B. aus moralischen Gründen unterbunden werden sollte.

„The ProstG might in fact have the distinction of being the only federal law intentionally not implemented by Germany’s public administration (von Galen, personal communication).“ (S. 214)

„Das ProstG mag die Besonderheit haben, dass es das einzige bundesstaatliche Gesetz ist, das absichtlich nicht von der Verwaltung umgesetzt wird. (van Galen, persönliches Gespräch)“ (S.214)

Zuhälter

Wo der Artikel das Thema Zuhälter behandelt, drängt sich die Frage auf, ob die Autor_innen mit Beate Merk von der CSU telefoniert haben oder ihre Pressemitteilung schlicht abgeschrieben haben, und, falls dem so sei, warum sie dann die Quelle nicht nennen. Andererseits hat dieses Prinzip der Forschung ja ein bekannter CSU-Politiker vorgemacht… Die Abschaffung des Tatbestandes der „Förderung der Prostitution“ sei daran schuld, dass man jetzt nichts mehr gegen Menschenhandel und Zuhälterei tun könne. Dass es jedoch weiterhin ein Gesetz gegen Zuhälterei und eines gegen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung gibt, halten die Autor_innen offenbar nicht für erwähnenswert. Schließlich klingt es so, als wollten sie das alte Gesetz wieder einführen – jenes nämlich, für das Beate Merk sich auch einsetzt.

Die Autor_innen biegen die rechtliche Definition von Zuhälterei zurecht, um für alte, verstaubte Gesetze plädieren zu können. Das Gesetz aber definiert ganz eindeutig, dass ein Zuhälter ist, wer:

„seines Vermögensvorteils wegen eine andere Person bei der Ausübung der Prostitution überwacht, Ort, Zeit, Ausmaß oder andere Umstände der Prostitutionsausübung bestimmt oder Maßnahmen trifft, die sie davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben“ (§181a StGB)

Ein bisschen Geschichtsunterricht (und Rechercheunterricht)

Die Autor_innen kritisieren die Abschaffung der „Förderung der Prostitution“ als Tatbestand. Im Jahr 2000 seien noch 151 Zuhälter verurteilt worden, 2011 waren es nur noch 32. Für die Autor_innen scheint es sich dabei um einen Trend zu handeln.

Die Antworten einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung aus dem Jahre 1997 zeigt hingegen zweierlei: erstens war die Zahl der Opfer von Menschenhandel damals dreimal so hoch wie heute, und zweitens war die Zahl der verurteilten Zuhälter genauso hoch.

„Nach der vom Bundeskriminalamt erstellten Polizeilichen Kriminalstatistik sind 1995 919 und 1996 1.094 Fälle des Menschenhandels (Verstöße gegen § 180 b Abs. 1, § 190 b Abs. 2 Nr. 1, § 181 Abs. 1 Nr. 2 und 3 Strafgesetzbuch) bekannt geworden. Die Zahl der Opfer hat sich von 1.196 im Jahr 1995 (davon 1 158 weiblich) auf 1.473 im Jahr 1996 (davon 1.445 weiblich) erhöht.

Nach den Angaben in der Strafverfolgungsstatistik wurden im Jahre 1995 12 Personen wegen § 180 b Abs. 1 Strafgesetzbuch (Menschenhandel, Einwirken zwecks Prostitutionsausübung oder zwecks Vornahme sexueller Handlungen), 27 Personen wegen § 180 b Abs. 2 Strafgesetzbuch (Menschenhandel, Einwirken zwecks Prostitutionsausübung in Kenntnis auslandsspezifischer Hilflosigkeit oder auf eine Person unter 21 Jahren) und 81 Personen wegen § 181 Strafgesetzbuch (schwerer Menschenhandel) verurteilt.“ (Antwort auf eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung, 1997)

Dass der Menschenhandel in Deutschland nicht zunimmt sondern abnimmt, bestätigt auch die Auskunft der Bundesregierung vom März 2013: 2011 waren in Deutschland 640 Personen Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Selbst wenn man mit den potentiell höheren Dunkelziffern argumentiert, würden man für damals eine höhere Anzahl annehmen müssen als für heute.

Somit ist auch die These von Axel Dreher et al., die im Artikel erwähnt wird und die auf diesem Blog und andernorts schon vor einiger Zeit widerlegt wurde, hinfällig. Die Legalisierung der Prostitution führt nicht zu einer Zunahme von Menschenhandel – sie könne, so schreiben es selbst Axel Dreher und seine Kolleg_innen – auch zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen führen. Außerdem, wie schon gesagt, ist Prostitution in Deutschland seit 1927 legal – und nicht erst seit 2002..

Working conditions could be substantially improved for prostitutes—at least those legally employed—if prostitution is legalised. (Quelle)

Das Problem der Mieten: dass Frauen horrende Mieten zahlen, hat weder etwas mit dem Prostitutionsgesetz zu tun, noch ist es eine kürzliche Entwicklung. Vielmehr ist es u.a. die Folge davon, dass es keine Gesetze gegen Wuchermieten gibt. Selbst wenn Prostitution wieder verboten würde, würden irgendwo geeignete Räume gesucht und gefunden werden. Zu glauben, dass diese dann billiger für die Sexarbeiter_innen wären, ist mehr als nur naiv.

Die 16-jährige Sina im Flatrate-Bordell

Dass die Qualität des Artikel zu wünschen übrig lässt, wird spätestens bei der Erzählung von Sinas Geschichte klar. Es ist laut § 180a verboten „einer Person unter achtzehn Jahren zur Ausübung der Prostitution Wohnung, gewerbsmäßig Unterkunft oder gewerbsmäßig Aufenthalt“ zu gewähren. Eine 16-jährige in einem Bordell arbeiten zu lassen, ist verboten und ihre „Arbeit“ zu schützen, war nicht Ziel des ProstG – es ist ja verboten. Das hält die Autor_innen nicht davon ab, die folgende Suggestivfrage zu stellen.

„Hat das deutsche Prostitutionsgesetz die Lage von Frauen wie Sina verbessert?“

Die Situation, in der Sina sich befindet, ist rechtlich verboten. Daher müsste die ehrliche Frage lauten: hat dieses Verbot etwas gebracht, und falls nicht, was sind die Gründe hierfür?

Implizites „victim blaming“: Letztendlich sind doch die Opfer selbst schuld…

…. wenn sie nicht aussagen. Oder eben das Prostitutionsgesetz. Beides ist falsch. Dass Verfahren gegen Menschenhändler nur aufgrund der Aussagen der Opfer geführt werden können, hat nichts mit dem Prostitutionsgesetz oder mit dem Paragraphen zur Zuhälterei zu tun, sondern mit den Bestimmungen darüber, welche Beweismittel zugelassen sind. Die Wiedereinführung alter, untauglicher Gesetze oder eine Kriminalisierung der Kunden würde daran auch nichts ändern, denn die schwierige Beweisführung bei Fällen von Zuhälterei oder Menschenhandel hat mit den Arbeitsrechten von Prostituierten nichts zu tun. Das Problem der Beweisführung hat das schwedische Modell auch nicht gelöst.

Darüber hinaus würde eine Gesetzesänderung im Bereich Prostitution die Aussagebereitschaft der Opfer nicht erhöhen. Hierzu sind Änderungen an anderen Gesetzen nötig, z.B. beim Aufenthaltsrecht oder dem Opferentschädigungsrecht. Beide lassen die Autor_innen gänzlich unerwähnt. Wenn Opfer nicht aussagen, haben sie im Allgemeinen gute Gründe dafür – oft bestehen Zusammenhänge mit der rechtlichen Lage des betreffenden Landes – und gute Journalist_innen sollten versuchen, diesen Gründen nachzuspüren. Stattdessen erinnert die Argumentation der Autor_innen an den Spruch: „Eine Lösung hatte ich, aber sie passte nicht zum Problem.“

Die Klagen der Polizeibeamten, die glauben, zu wenig Eingriffs- und Abhörrechte zu haben, sind wenig überzeugend. Wie im eingangs empfohlenen Beitrag von Dona Carmen nachzulesen ist, ist die „Razzien- und Kontrolldichte im bundesdeutschen Prostitutionsgewerbe so hoch wie in keinem anderen Wirtschaftszweig.“ Razzien in Bordellen finden ständig statt und meistens werden keine Opfer von Menschenhandel entdeckt.

Wer möchte, dass die Polizei überwachen kann, wen und wann sie will, und ohne richterlichen Beschluss, der oder dem sei ein Umzug in einen Polizeistaat empfohlen. Ganz gleich auf welcher Seite der oft hitzigen Prostitutionsdebatte man steht, Übereinstimmung sollte bei einem Punkt herrschen: ein moralischer Dissens in der Gesellschaft über das Für und Wider von Prostitution darf nicht zur Aushebelung von Bürgerrechten und der Unschuldsvermutung führen.

Lästige Interessenvertretungen und das demokratische Ideal

Prostitutiertenorganisationen, im Englischen „sex workers’ rights groups“ genannt, wie z.B. das International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe und zahlreiche andere Organisationen, werden von den Autor_innen als „lautstark[e] Minderheit“ bezeichnet. Sie vermitteln dabei den Eindruck, als hätten diese Organisationen mehr Macht als mancher Konzern. Kein Gesetz, das die Wirtschaft betrifft, wird ohne vorheriges (und teures) Lobbying der Wirtschaftsunternehmen verabschiedet. Sexarbeiter_innen, jedoch, die sich am politischen Prozess beteiligen wollen, werden von den Autor_innen als Anomalie abqualifiziert.

Spätestens an dieser Stelle entsteht beim Lesen des Artikels der Eindruck, als hätte Alice Schwarzer den Beitrag redigiert, sodass selbstbestimmte Sexarbeit wieder einmal nur als Zerrbild dargestellt wird; Fakten stören da nur. Selbstbestimmte Sexarbeiter_innen werden als Gegner_innen stilisiert, obwohl sie als direkte Betroffene von Prostitutionsgesetzen die Ersten sein sollten, die in den demokratischen Prozess miteinbezogen werden. Aber offensichtlich hat Der Spiegel noch immer ein Problem damit, dass Prostituierte in einer Demokratie mitwirken wollen, und dass ihre politische Partizipation die Erfüllung des demokratischen Ideals darstellt. Das wöchentliche Nachrichtenmagazin mit der bundesweit höchsten Auflage setzt somit einen repressiven Diskurs fort, in dem Prostituierte ausgeschlossen, stigmatisiert, kontrolliert und degradiert werden – so wie es auch nach wie vor der LGBT-Community widerfährt.

Als Historikerin kann ich sagen: das ist nichts Neues. Was wirklich neu und berichtenswert ist, ist die immer erfolgreichere Selbstorganisation von Sexarbeiter_innen, um für ihre Rechte einzutreten. Dafür verdienen sie positive Anerkennung – nicht paternalistische Ablehnung. Dass Organisationen, die sich für die Rechte von Sexarbeiter_innen einsetzen, nicht nur wichtig sondern dringend notwendig sind, zeigen die immer zahlreicheren Berichte, z.B. von der WHO, über Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung von Sexarbeiter_innen (oft durch die Polizei) – in den USA, in China, Südafrika, Uganda, Kenia, Ghana, Großbritannien, Kanada, in Zentral- und Osteuropa, sowie in Zentralasien und Südkorea (- und das ist nur eine Auswahl an Beispielen).

In den meisten Ländern müssen Prostituierte gar durch die Polizei Gewalt und sexuelle Übergriffe in Kauf nehmen, weil Prostitution verboten ist und Prostituierte teilweise als Menschen zweiter Klasse, und somit als Freiwild angesehen werden. Die Spiegel-Autor_innen verschließen vor diesen Tatsachen die Augen und erwähnen die Diskriminierung, der sich Sexarbeiter_innen meist ausgesetzt sehen, mit keiner Silbe.

Völlig vergessen haben die Autor_innen des Spiegel auch die wichtige Arbeit der Beratungsstellen gegen Menschen- und Frauenhandel, wie z.B. den bundesweiten Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess (KOK e.V.). Doch das hätte vermutlich den reißerischen Erzählstil durcheinandergebracht, in den die schon seit einer Ewigkeit gestellte Forderung nach einer unbegrenzten Aufenthaltsgenehmigung für Menschenhandelsopfer, die nicht an eine Kooperation mit den Behörden bei der Strafverfolgung gekoppelt ist, nicht passt. In Italien ist diese Regelung bereits Wirklichkeit geworden, wie ich auch im Rahmen eines Podcast des Europarats argumentiert habe. Nicht ohne Grund hat Italien die europaweit höchste Rate an identifizierten Opfern von Menschenhandel.

Stattdessen wird der Ausdruck „migrantische Sexarbeiterinnen“ in Anführungszeichen gesetzt und als Trugbild einiger Politker_innen und Sozialwissenschaftler_innen abgetan. Es wird eine häufig als xenophobe und rassistische Haltung eingestufte Vorstellung von Migrant_innen in der Sexarbeit als Opfer suggeriert.

Feminismus und Sexarbeit

Es gibt kaum eine kontroversere und polarisiertere Debatte als die um Prostitution und Sexarbeit und um das Verhältnis mit dem Menschenhandel. Wichtig ist, dass es einen breiten Konsens darüber gibt, dass Prostitution nicht mit Menschenhandel gleichzusetzen ist, und dass die Vermischung dieser Begriffe einen Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen darstellt, dem endgültig Einhalt zu gebieten ist. Auch die EU-Kommissarin Cecilia Malmström bestätigt, dass Menschenhandel und Prostitution keine Synonyme sind – erst recht nicht, wenn es um Statistiken geht.

Der KOK e.V. weist darauf wie folgt hin:

„Häufig wird Prostitution mit Frauenhandel und Zwangsverhältnissen gleichgesetzt. Beide Begrifflichkeiten werden vermischt und führen dadurch zu falschen Darstellungen und zu pauschalen Stigmatisierungen von Prostituierten. Prostitution ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Menschenhandel – nicht jede Prostituierte ist von Frauenhandel betroffen.“ (KOK e.V.)

Im Spiegel-Artikel wird auch vorgetäuscht, dass es keine feministische Stimmen von Nicht-Sexarbeiter_innen gibt, die sich für eine Stärkung der Rechte von Prostituierten einsetzen. Diese Darstellung ist falsch. Feministische Argumente für Sexarbeit und Rechte in der Sexarbeit sind zahlreich und die Debatte ist wesentlich komplexer und differenzierter, als es die deutsche Presse hier wieder einmal glauben lässt. Wer die Aussagen von Alice Schwarzer als feministische Leitkultur betrachtet, wird andere Strömungen und Feminismen, der Plural ist hier angebracht, nicht bemerken.

Auch die Beratungsstellen gegen Frauenhandel setzen sich für eine Stärkung der Rechte von Sexarbeiter_innen ein, wie z.B. Ban Ying e.V. in Berlin, Lefö in Österreich, oder die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) in der Schweiz. Letztere hat erst kürzlich einen Gasteitrag auf diesem Blog zum Thema „Sexarbeit im Kontext der Geschlechtsverhältnisse“ veröffentlicht.

In Kanada setzt sich die Feminist Alliance in Solidarity for Sex Workers‘ Rights (FAS) für die Rechte von Sexarbeiter_innen ein, während die Journalistin Julia Seeliger auf Twitter einen #Aufschrei für Sexarbeiter_innen forderte – ein Aufruf, der längst überfällig war und nur zu unterstützen ist. Wir brauchen endlich auch in Deutschland selbstbewusste Feministinnen, die Sexarbeiter_innen zuhören und sie unterstützen, wie es die Jura-Professorin Chi Mgbako in den USA bereits tut.

Bilder

Was haben die im Artikel verwendeten Bilder von leeren Zimmern mit Sexarbeit oder Frauenhandel zu tun? Was sollen sie aussagen?

Vor einiger Zeit wurde eine Untersuchung in Auftrag gegeben, um Bilder, die im Kontext von Berichten über Prostitution verwendet werden, zu analysieren. Fazit: Es werden immer die gleichen Bilder gezeigt, ganz gleich ob es Berichte über Sexarbeit oder Menschenhandel sind. Zitat:

„Der reduzierte und voyeuristische Blick dieser Symbolbilder, so Aeby, gebe die Vorurteile mancher Leser und wohl auch mancher Redaktoren wieder – und zementiere sie.“

Menschenhandel ist vielmehr als nur Frauenhandel – Ohne Scheuklappen durch die Welt

Menschenhandel ist per definitionem ein transnationales Problem. Um so mehr sollte man sich damit befassen, wie das Problem woanders aussieht – und wie es woanders diskutiert wird. Während die deutsche Presse das Problem weiterhin im Sumpf der Prostitutionsdebatte belässt, sind in der internationalen Presse immer häufiger besonders gute und differenzierte Analysen über Menschenhandel zu finden sind. (Dazu empfehlen wir unseren englischsprachigen Twitter-Auftritt.)

So gibt es sowohl kritische Beiträge zu statistischen Berichten (und nicht nur die Reproduktion von unhinterfragten Zahlen), als auch menschenrechtsbasierte Forschungsprojekte wie rightswork.org, The Trafficking Research Project (UK und Singapur), ein interdisziplinäres Forschungsprojekt mit Beteiligung der Harvard University, das Projekt Focus on Labour Exploitation, und die Anti-Trafficking Review.

Auch wir haben inzwischen ein neues Blog erstellt, um wissenschaftliche Forschung einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Um der Vermischung der Bereiche entgegenzuwirken, haben wir für Sie separate Blogs zum Thema Menschenhandel und Sexarbeit erstellt. Dabei wird deutlich, wie überholt, oberflächlich und unsachlich die Debatte über Sexarbeit und Menschenhandel in Deutschland geführt wird.

Formen von Menschenhandel team wallraff

Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung stellen genauso Formen von Menschenhandel dar, wie Fälle sexueller Ausbeutung es tun. Einen Info-Film zu diesem Thema hat das Deutsche Institut für Menschenrechte erstellt. Für eine Titel-Story im Spiegel fehlt diesem Thema jedoch das Tabu des Sexuellen, das die Prostitution verspricht, und mit dem Der Spiegel seine Verkaufszahlen kalkuliert in die Höhe treibt.

In Deutschland gibt es nahezu keine Verurteilungen wegen Menschenhandel zu Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit. Auch hier wäre ehrlich zu fragen: Warum? Liegt es auch hier an der Schwierigkeit das zu beweisen? Und warum fragen die Autor_innen nicht nach? Der Begriff Zwangsarbeit fällt tendenziell nur im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. In den USA ist dies anders. Dort hat inzwischen die American Civil Liberties Union (ACLU) einen Prozess gestartet, um gegen Menschenhandel und Arbeitsausbeutung von migrantischen Arbeitnehmer_innen zu kämpfen. Zwangsarbeit ist kein Relikt der deutschen Geschichte sondern ein hochaktuelles Problem.

Das schwedische Modell – Freier kriminalisieren

Fälle von Menschenhandel und Zwangsarbeit gibt es auch in Schweden, wo versucht wurde, Menschenhandel durch eine Kriminalisierung der Freier zu bekämpfen. Dabei wurde übersehen, dass es nicht nur in der Sexindustrie Menschenhandel gibt. So waren dort z.B. migrantische Beerenpflücker und Holzfäller Opfer von Menschenhandel. Wird Schweden als nächstes den Konsum von Holz und Beeren verbieten, um die Nachfrage nach diesen Produkten einzuschränken? Oder wird vielleicht eine sachlichere Debatte über Menschenhandel (und nicht über Sexarbeit) angestoßen werden?

Doch auch abgesehen davon gibt es inzwischen zahlreiche Studien, die die Schwächen der schwedischen Prostitutionspolitik beleuchten und sie als gescheitert ansehen. Weder bei echten Fällen von Menschenhandel, noch in den Fällen, in denen Freier bestraft werden sollen. Auch in Schweden kann man – mangels Beweisen – nicht rechtlich gegen die Täter vorgehen. Bisher gibt es nämlich kaum Haftstrafen für Freier, so ein neuer Bericht vom Mai 2013. Prostitution sei weniger sichtbar – doch was sagt das aus? Dass sich alle über das angeblich „nette“ Straßenbild freuen?

Das schwedische Modell wird gelobt, weil es mit Blick auf die „Gleichberechtigung von Mann und Frau“ formuliert worden sei. Das ist schön – aber à propos Gleichberechtigung: in Schweden sind Prostituierte auch „weniger gleich“ als Nicht-Prostituierte. Wie sonst ist es begründbar, dass man Prostituierte aus jenem demokratischen Prozess ausschließt, der zu einem Gesetz führte, der sie direkt betrifft? Selbst in Schottland, wo ein ähnliches Gesetz eingeführt werden sollte, wurde eine Konsultation über das Gesetzesvorhaben ausgeschrieben – die zweite, übrigens, nachdem das Gesetzesvorhaben in erster Instanz abgeschmettert wurde. Sexarbeiter_innen konnten so Stellung beziehen. Diese Chance der politischen Partizipation, die zentral für jegliche politische Willensbildung in einer Demokratie ist, hatten Sexarbeiter_innen in Schweden nicht.

Frauenhandel mit Hausangestellten

Hausangestellte, die fast ausschließlich Migrantinnen sind, werden häufig Opfer von Menschenhandel – in Deutschland, in Europa, in den USA und vor allem in den reichen Golfstaaten. Untersuchungen haben gezeigt, dass Hausangestellte in den Golfstaaten oft flüchten und lieber als Sexarbeiterinnen arbeiten, da sie als Hausangestellte wie Gefangene behandelt werden und meist den Hausherren auch jederzeit sexuell zur Verfügung stehen müssen. Das Rechtssystem sieht sogar vor, dass eine Frau, die aus einem Arbeitsverhältnis als Hausangestellte flüchtet, bestraft wird – der gewalttätige Arbeitgeber bleibt straffrei. Hausangestellte werden weltweit nicht behandelt wie andere Arbeitnehmer_innen und verfügen nicht über die gleichen Arbeitsrechte, die andere Arbeitnehmer_innen innehaben.

Zwar wurde inzwischen ein neues Internationales Abkommen über die Rechte von Hausangestellten verabschiedet und Deutschland plant, das Abkommen zu ratifizieren. Doch viele Länder – auch Deutschland – weigern sich es auch konsequent durchzusetzen. Vor allem für Hausangestellte ohne regulären Aufenthaltstitel wird sich wenig ändern.

So erfuhr ich auf einer Veranstaltung der Böckler-Stiftung, dass die Bundesregierung die Konvention für die sogenannten „live-in Hausangestellten“, also solche, die am gleichen Ort leben und arbeiten, nicht gelten soll. Über Gründe konnte nur spekuliert werden, aber angeblich sei es problematisch mit rechtlichen Vorschriften bei diesen Arbeitnehmer_innen Freizeit von Arbeitszeit zu trennen. Was für die Arbeitszeit (und Freizeit) der Frauen impliziert, können Sie sich leicht vorstellen…

Während also viele nach dem Verbot der Prostitution rufen, wenn Sexarbeiter_innen dort leben, wo sie auch arbeiten, interessiert es niemanden, dass das bei Hausangestellten sogar erwünscht ist.

Arbeitsrechte und Arbeitsbedingungen stärken

Ein Ergebnis eines Panels des Symposiums „Verletzte Leben – verwehrte Rechte. Menschenhandel im 21. Jahrhundert” an der Humboldt-Universität zu Berlin war, dass die begriffliche Trennung zwischen Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung wenig sinnvoll ist, ja gar kontraproduktiv ist. Diese Trennung habe man ohnehin nur vorgenommen, um den Begriff „Arbeit“ zu verdrängen und somit eine Gleichstellung von Sexarbeit mit anderer Arbeit zu vermeiden.

Prostitution als Sex-arbeit anzuerkennen und die Menschen- und Arbeitsrechte von Sexarbeiter_innen und migrantischen Arbeitnehmer_innen zu stärken, gemeint sind hier alle Arbeitnehmer_innen, ist die einzig erfolgversprechende Strategie gegen Menschenhandel.

Arbeitsrechte zu stärken bedeutet, dass ein Mindestlohn eingeführt werden muss – in allen Branchen. Arbeitsrechte zu stärken bedeutet auch, dass Arbeitskontrollen auch Arbeitsbedingungen kontrollieren, was aktuell nicht der Fall ist. Solange das nicht geschieht, wird die auch im Spiegel-Artikel erwähnte Forderung nach mehr Polizeibefugnissen mitnichten zu einer Stärkung von Arbeitsrechten führen – schließlich ist es ja auch nicht die Aufgabe der Polizei für die Einhaltung von Arbeitsrechten zu sorgen.

Menschenhandel, globale Konzerne und Zulieferketten

Das Problem von Arbeitsbedingungen in Zulieferketten globaler Konzerne verbindet man in Deutschland vor allem mit dem Apple-Zulieferer Foxconn und den Fabrikbränden und -unfällen in Bangladesh, oder aber mit von Kinderhand gepflückten Kakaobohnen. Dabei ist das Problem eines von weitaus größerem Ausmaß.

Seit 2012 müssen in Kalifornien Großkonzerne auf ihrer Webseite Informationen darüber veröffentlichen, ob es in ihren Zulieferketten Formen von Menschenhandel, Zwangsarbeit oder Kinderarbeit gibt – wissen sie es nicht oder können sie es nicht ausschließen, muss das ebenfalls angegeben werden. Das schreibt das Supply Chain Transparency Act vor. Beispiele für diesen Ansatz können Sie auch den Webseiten von einigen Firmen nachlesen. Auch wenn den dort aufgeführten Informationen noch einige Substanz fehlt, müssen sich die Firmen nun aber zumindest mit dem Problem befassen.

Nike (und hier ); Ford (und hier); General Electric; Bayer; P&G;

Es ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden, dass Formen der Zwangsarbeit und des Menschenhandels in Zulieferketten von Konzernen vorkommen können. Deshalb ist es unablässig, diese Konzerne dazu zu bringen, sich dafür einzusetzen, diesen Trend umzukehren. Die schier endlos scheinende Debatte über das Prostitutionsgesetz, gepaart mit der Vermischung der Prostitution mit Menschenhandel, wird einen ähnlichen Gesetzesentwurf in Deutschland vermutlich bis auf weiteres verhindern, denn am Ende einer Debatte, die nicht auf das richtige Problem abzielt, wird kaum ein sinnvolles Gesetz gegen den Menschenhandel auf den Weg gebracht werden können.

Das Pentagon, der Irak-Krieg und Menschenhandel

Während des Irak-Krieges kamen Fälle von Menschenhandel ans Licht, die von Sub-Unternehmen zu verantworten waren, die die US-Regierung beauftragt hatte. Sub-Unternehmen wurden beauftragt, billige Arbeitskräfte aus Drittstaaten einzustellen, um die für den Krieg notwendige Logistik aufzubauen. So wurden geschätzte 70.000 Köche, Reinigungskräfte, Bauarbeiter und andere Arbeitskräfte rekrutiert. Diese wurden oft mit falschen Versprechungen in den Irak gelockt. Es war für sie unmöglich, aus den einmal unterzeichneten Verträgen auszusteigen. Daher forderte US-Präsident Obama im September 2012 eine stärkere Kontrolle der durch die US-Regierung beauftragten Sub-Unternehmer.

Würde Der Spiegel Nachforschungen anstellen, ob ähnliche Verhältnisse auch in Afghanistan herrschen, wäre das ein wichtiger, investigativer Journalismus!

Die Armut ist an allem Schuld.

Ein Prostitutionsverbot wird die Wirtschaftskrise und das Problem der steigenden Armut in Deutschland nicht lösen. Anstatt für eine inklusive Sozialpolitik in den Herkunftsstaaten und eine Einbindung von Betroffenen von Menschenhandel in die politischen Prozesse in Deutschland zu plädieren, wird in den Medien und der Politik immer lauter und pauschal gegen die Prostitution gewettert. Nur: nach einem Verbot der Prostitution wird es die Armut, den Willen zur Migration, die Hoffnung auf ein besseres Leben in einem EU-Staat, Zuhälter_innen und Menschenhändler_innen immer noch geben.

Was es aber nach einem Verbot nicht mehr gäbe, sind arbeitsrechtliche Schutzmechanismen für Sexarbeiter_innen, was übrigens auch die Lage der Betroffenen von Menschenhandel verschlimmert, denn schließlich fürchten diese, als Kriminelle angesehen und abgeschoben zu werden. Die Stimmungsmacher_innen vom Spiegel gaukeln den Leser_innen jedoch vor, ein Prostitutionsverbot wäre die Wunderwaffe, die mit einem Schlag alle Probleme löse.

Menschenrechtsverletzungen im Namen des Kampfes gegen Menschenhandel

Die Überschrift mag Sie verwundern, aber im global geführten Kampf gegen Menschenhandel sind Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung – und geschehen ironischer Weise mit der Begründung Menschenrechte schützen zu wollen. Ein paar Beispiele.

In Nigeria werden Frauen, die so aussehen (sic!), als könnten sie Opfer von Menschenhandel werden, an der Grenze gestoppt und in Gewahrsam genommen. Obwohl es ein Menschenrecht auf das Verlassen des eigenen Landes gibt, wird inzwischen in vielen Ländern die Migration von Frauen eingeschränkt, damit diese nicht Opfer von Menschenhandel werden.

Andere berichten über „shelters“, Unterkünfte für Opfer von Menschenhandel, in denen ihre Bewegungsfreiheit “zu ihrem Schutz” ebenfalls eingeschränkt wird. In diesem Fall vergleicht die Autorin die Unterkünfte mit den irischen „Magdalenen Heimen“, in denen sogenannte „gefallene Mädchen“, gemeint sich sexuell freizügige Frauen, sowie Prostituierte unter der Vorgabe, ihre Moral zu verbessern, zur Arbeit gezwungen wurden. Die taz bezeichnete diese Heime als „moderne Sklaverei„.

An einer Stelle erwähnt der Spiegel-Artikel Kriminalhauptkommissar Paulus aus Ulm, der „in Bulgarien und Weißrussland Frauen davor warnt, sich nach Deutschland locken zu lassen“. Pauls hält damit die Mär aufrecht von Frauen, die sich „locken“ lassen, als hätten sie keinen eigenen Willen zur Migration, und wären schon von vornherein willenlose Marionetten potentieller Zuhälter_innen, die nur auf den alten deutschen Mann warten, der sie vor dem Übel in der Welt warnt. Dass die Autor_innen, denen offenbar das Wohl von Frauen am Herzen zu liegen scheint, dieses sexistische und frauenfeindliche Weltbild des Herrn Kommissars unkommentiert lässt, spricht Bände.

Es ist offensichtlich, dass Praktiken, die sich ausschließlich gegen Frauen richten, die zutiefst frauenverachtenden Elemente einer auf Sicherheitspolitik fixierten Anti-Menschenhandelspolitik sind. Selbst der Einsatz von FRONTEX und Grenzkontrollen werden mit Verweis auf Menschenhandel begründet, obwohl Menschenhandel, der eine Form der Ausbeutung ist, an der Grenze per definitionem nicht erkannt werden kann. Wer dort aber erkannt wird, sind unerwünschte Migrant_innen, die man auf diese Weise rechtzeitig von der Einreise abhalten kann. Wie oben erwähnt, gehen manche Länder einen Schritt weiter, in dem sie die schon die Ausreise verhindern – eine Verletzung des Menschenrechts, das eigene Land verlassen zu dürfen. Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte besagt, dass:

1. Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen.

2. Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.

Nicht-intendierte Folgen von Anti-Menschenhandelspolitiken wurden bereits häufig untersucht. Frauen im Migrationsprozess spüren sie am stärksten – egal welcher Arbeit sie im Ausland nachgehen wollen.

Auch die Anthropologin Pardis Mahdavi weist auf negative Folgen von Anti-Menschenhandelspolitiken hin – vor allem jene, die nur „Sexarbeit“ in den Blick nehmen. Ein verengter Blickwinkel, wie ihn auch der Spiegel-Artikel verbreitet, führe nämlich dazu, dass andere Opfer unerkannt bleiben – das sind oft Hausangestellte, aber auch männliche Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und zur Arbeitsausbeutung.

So ein reißerischer Artikel, wie der Spiegel Artikel, trägt also im Zweifelsfall dazu bei, dass sich die Öffentlichkeit, die Politik, die Polizei noch weniger für jene anderen Formen von Menschenhandel und Ausbeutung interessieren, die nicht ins Skandal-Raster der jungen, unschuldigen, vergewaltigten, zur Prostitution gezwungenen Frau passen.

Migration und Menschenhandel

Der Spiegel-Artikel erweckt den Eindruck, als ginge es beim Menschenhandel alleine um die Folgen von unglücklich gestalteten, liberalen Prostitutionsgesetzen. Gleichzeitig wird das Prostitutionsgesetz auch für die Unzulänglichkeiten anderer Gesetze und Kontexte verantwortlich gemacht. Die existierenden Migrations- und Ausländer_innengesetze scheinen in der Frauenhandelswelt des Spiegels schlichtweg nicht zu existieren.

Increasingly stringent immigration and anti-trafficking laws have the opposite of their intended effect as some of the survivors of various sectors of illicit networks articulated. (Quelle)

Wie die amerikanische Soziologin Rhacel Salazar Parreñas feststellte, sind es nicht Prostitutionsgesetze, sondern Migrationsgesetze, die die Migration von jungen, alleinstehenden Frauen einschränken und Abhängigkeiten und Menschenhandel Vorschub leisten. Auch der Kampf für mehr Rechte von Migrant_innen ist zentral für die Stärkung der Rechte von Opfern von Menschenhandel und seiner Prävention.

In Deutschland ist die Lage nicht anders. Opfer von Menschenhandel aus Nicht-EU-Drittstaaten oder aus Rumänien und Bulgarien werden abgeschoben, wenn sie nicht mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren. Selbst wenn sie aussagen, werden sie sofort nach dem Prozess abgeschoben, zurück dahin, wo sie von Menschenhändlern rekrutiert wurden. Für die Autor_innen des Spiegel-Artikels scheint es unerklärlich zu sein, dass unter diesen Umständen keine Zusammenarbeit mit Betroffenen von Menschenhandel zu erreichen ist, und ihr Staunen ist an Naivität, die sie allerdings bei anderen vermuten, wohl kaum zu übertreffen. Die Forderung des KOK e.V. und anderen Frauenorganisationen nach einer Aufenthaltserlaubnis für Opfer von Menschenhandel war im vergangenen Jahr kaum zu überhören: den Spiegel-Autor_innen ist es dennoch gelungen.

Epilog

Dieser Text ist sehr lang geworden, und an mancher Stelle mag sich der eine oder die andere Leser_in gedacht haben, ich schweifte ab. Der Text spiegelt jedoch nur das wider, was ich im Titel angekündigt hatte: die allzu breiten Lücken in einem reißerisch und sachlich uninformierten Artikel über „Menschenhandel“, der sowohl das wirkliche Ausmaß, sowie die Probleme und ihre Ursachen, als auch die wachsende Bewegung für die Rechte von Sexarbeiter_innen und Migrant_innen unerwähnt lassen.

Danksagung:

Ich möchte mich herzlich bei Matthias Lehmann bedanken, der für diesen Text als sehr engagierter Lektor verantwortlich zeichnete. Meine Entrüstung über die eklatanten Schwächen der journalistischen Arbeit der Spiegel-Autor_innen, die im ursprünglichen Entwurf dieses Textes noch deutlicher zu spüren war, lenkte er geschickt in, wie er es nannte, „Wendy Lyonsche“ Bahnen. Matthias Lehmann ist ein unabhängiger Forscher, der sich insbesondere für die Rechte von Sexarbeiterinnen in Südkorea engagiert. Den Blog über sein Forschungsprojekt finden Sie hier.

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