menschenhandel heute.

kritische perspektiven auf die bekämpfung von menschenhandel

Menschenhandel, Prostitution, Sexarbeit

Menschenhandel im Bereich der Prostitution wird strafrechtlich definiert als „Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung“ (StGB § 232). Sexarbeit bzw. Prostitution ist kein Menschenhandel, wie die Definition im Strafgesetzbuch zeigt:

(1) Wer eine andere Person unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder dazu bringt, sexuelle Handlungen, durch die sie ausgebeutet wird, an oder vor dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer eine Person unter einundzwanzig Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu den sonst in Satz 1 bezeichneten sexuellen Handlungen bringt. (StGB § 232)

Weder „Frauenhandel“ noch „Zwangsprostitution“ sind rechtliche Begriffe und sollten daher vermieden werden. Der Begriff „Frauenhandel“ schließt z.B. von vornherein aus, dass auch Personen anderer Geschlechter, z.B. Männer oder transsexuelle Personen Opfer von Menschenhandel werden können. Er lenkt auch den Blick weg von Menschenhandel, der in anderen Wirtschaftssektoren (u.a. Haushalt, Bau, Fischerei, Gastronomie, Bergbau, Landwirtschaft) stattfindet.

Einen Beitrag zur Einführung in die Thematik „Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung“ finden Sie hier. Unsere Beiträge zur Schnittstelle Menschenhandel, Prostitution und Sexarbeit finden Sie hier.

Aber ist nicht Prostitution immer Menschenhandel? 

Nein. Strafrechtlich gesehen ist Prostitution kein Menschenhandel und diese Unterscheidung ist sinnvoll und notwendig.

Es gibt jedoch kaum eine kontroversere und polarisiertere Debatte als jene um Prostitution und Sexarbeit und um das Verhältnis mit Menschenhandel. Wichtig ist: Es gibt einen breiten Konsens darüber, dass Prostitution nicht mit Menschenhandel gleichzusetzen ist und dass dies eine Vermischung von Begriffen darstellt, die so nicht geschehen darf. …als würde man einen Apfel als Birne beschreiben und umgekehrt.

So weist auch der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess – KOK e.V. darauf hin, dass:

Häufig wird Prostitution mit Frauenhandel und Zwangsverhältnissen gleichgesetzt. Beide Begrifflichkeiten werden vermischt und führen dadurch zu falschen Darstellungen und zu pauschalen Stigmatisierungen von Prostituierten. Prostitution ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Menschenhandel – nicht jede Prostituierte ist von Frauenhandel betroffen. (KOK e.V.)

Trotzdem gibt es weiterhin Streit darüber.

1.

Auf der einen Seite die „abolitionistische Position“ vertreten vor allem sogenannte „radikale Feministinnen“ (hier ein deutschsprachiger Link) , wie z.B. Alice Schwarzer und die Zeitschrift EMMA, Terre de Femmes oder auch die European Womens‘ Lobby, die Ansicht, dass Prostitution grundsätzlich eine Form von Ausbeutung sei, dass sie Ausdruck von ungleichen Machtverhältnissen im Patriarchat sei und dass niemand freiwillig dieser Tätigkeit nachgehen könne. Prostitution sei grundsätzlich als „Gewalt gegen Frauen“ aufzufassen und sei also immer „Zwangsprostitution“- auch wenn eine Prostituierte von sich sagt, dass sie freiwillig als „Sexarbeiterin“ arbeite. Prostitution sei grundsätzlich zu verbieten. Wer diese Position vertritt, setzt Prostitution mit Menschenhandel gleich und verwendet beide Begriffe als austauschbar. Es wird nicht zwischen freiwilliger und erzwungener Prostitution unterschieden, da es in diesem Ansatz keine freiwillige Prostitution gibt. Diese Position prägt das „schwedische Modell“ der Kriminalisierung der Kund_innen von Sexarbeiter_innen.

Die einzige Forderung dieser Position ist die Abschaffung der Prostitution.

Kritik an diese Position:

  • Es wird nur über Frauen als Prostituierte gesprochen, d.h. es ist eine heteronormative Theorie. Dass es auch mann-männliche sowie weibliche (heterosexuelle und homosexuelle) und transexuelle Prostituierte gibt, wird in diesem Ansatz nicht thematisiert. Somit beruht der Ansatz auf eine Fehleinschätzung der Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind.
  • Der abolitionistischen Position zufolge wird Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind, grundsätzlich die Fähigkeit abgesprochen, freiwillig diese Tätigkeit gewählt zu haben. Die Theorie hat deshalb eine Tendenz zum Paternalismus und zur Bevormundung von Sexarbeiter_innen. Die Bevormundung geht teilweise soweit, dass Sexarbeiter_innen nicht zu Diskussionen über Gesetze über Sexarbeit eingeladen werden. Das ist u.a. auch in Schweden der Fall gewesen. Die Bevormundung führt zum Ausschluss aus dem politischen, demokratischen Prozess jener Personen, die am meisten davon betroffen sind.
  • Vertreter_innen dieser Position haben in vielen Ländern, vor allem in den USA (2009 wurden Prostitution und Prostituierte in Rhode Island kriminalisiert, u.a. mit Unterstützung der Anti-Menschenhandels-Aktivistin Donna Hughes) auch die Kriminalisierung von Prostituierten unterstützt. Es ist also unklar, ob die Verfechter_innen der Abschaffung der Prostitution nicht auch ein „moralisches“ Problem mit Prostituierten haben. Denn letztendlich bedeutet die Abschaffung der Prostitution auch die Abschaffung der Prostituierten.
  • Die Abschaffung der Prostitution soll zwar ohne Kriminalisierung der Prostituierten geschehen, aber es gibt einen Konsens darüber, dass die Kriminalisierung von Kunden oder Kuppelei oder anderer Tätigkeiten rund um Prostitution auch die Lage der Prostituierten wesentlich verschlechtert und Prostitution in den Untergrund treibt, wo sie keinen Schutz mehr haben.
  • Die Abschaffung der Prostitution zu verlangen, bedeutet jegliche Form von arbeitsrechtlichen Schutz von Prostituierten abzulehnen, da dies eine Form von Billigung und Legitimierung der Prostitution sei. Diese Position lehnt also alle Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Prostituierten ab und fordert stattdessen nur Verbote.
  • Kritik an das „schwedische Modell“ gibt es auch reichlich.

„Das Bild von der Prostituierten als Opfer schränkt die denkbaren und realen Handlungsspielräume der Sexarbeiterinnen ein. Es wird ihnen nicht zugestanden, selbst ihre Situation zu reflektieren und Forderungen zu stellen, die nicht auf den Ausstieg aus der Prostitution, sondern auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen abzielen. (Martina Schuster, Kampf um Respekt, S. 9)“

2.

Auf der anderen Seite wird Prostitution als legitime Form der Arbeit und Erwerbstätigkeit angesehen, die auch als solche geregelt werden soll. Man spricht also von „Sexarbeit“. Sexarbeiter_innenorganisationen sowie Beratungsstellen für Prostituierte, wie z.B. Madonna e.V. (weitere sind in unserer Linkliste zu finden) nehmen diese Position ein. Diese Position unterscheidet zwischen erzwungener Prostitution, die als Form von sexueller Gewalt gesehen wird, und freiwilliger Prostitution, die sie als „Sexarbeit“ bezeichnet. Sexarbeit ist eine Arbeit, wie jede andere auch und sie soll auch als solche anerkannt werden. Das bedeutet auch, dass gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung (die in vielen Ländern sogar rechtlich erlaubt ist und oft bis hin zu einer Kriminalisierung der Sexarbeiter_innen geht) gekämpft werden muss. Ausbeutung in der Sexarbeit könne durch die Gewährung rechtlicher Instrumente, wie z.B. stärker verankerten Arbeitsrechten, verhindert werden. Diese Position fordert eine Stärkung der Rechte von Sexarbeiter_innen – eine Stärkung von  Zivil-, Arbeits- und Menschenrechten.

Forderungen:

  • die dauerhafte Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern
  • die rechtliche und soziale Gleichstellung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern mit anderen Erwerbstätigen
  • die Gleichstellung der Sexarbeit mit anderen Erwerbstätigkeiten
  • die Entkriminalisierung der Sexarbeit und Entstigmatisierung der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (BUFAS e.V.)

Kritik an diese Position:

  • Diese Position wird oft kritisiert, weil sie „Menschenhandel“ und ähnliche Formen des Zwangs und der Ausbeutung verharmlose.

Eine tabellarische sowie eine ausführliche Übersicht und Diskussion verschiedener Positionen zum Thema Prostitution kann hier gefunden werden (allerdings auf Englisch).

Hier eine Vorlesung am University College London über Mythen über Sexarbeit – „Sex work today: myths, morals and health“

Der rechtliche Umgang mit Prostitution

Die aktuelle Debatte um Prostitution suggeriert es gäbe nur zwei mögliche Umgangsformen mit Prostitution: Die Legalisierung und das Verbot. Doch so einfach ist das nicht – der Staat und seine Gesetzgebung können auf fast unendlich vielfältige Art und Weise mit Prostitution umgehen und haben das historisch gesehen auch getan. EIn nicht vollständiger Überblick über Prostitutionspolitiken ist hier zu finden. (In Bearbeitung)

Dass in Deutschland die Abschaffung der Sittenwidrigkeit der Prostitution und das Prostitutionsgesetz nicht zu einer Zunahme des Menschenhandels geführt haben, belegen nicht nur die Statistiken des Bundeskriminalamtes sondern auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage über Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes auf die Entwicklung beim Menschenhandel im März 2013.

Nein, die „Legalisierung“ der Prostitution in Deutschland hat nicht zu einer Zunahme des Menschenhandels zu sexuellen Ausbeutung geführt.

Am 21. April 2013 wurde auf WDR eine spannende Diskussion zum Thema Prostitution in Deutschland gesendet. Sie können Sie hier schauen.

Podcast mit Melissa Gira Grant „Hure spielen: Die Arbeit der Sexarbeit

Organisationen gegen Menschenhandel 

Genauso wie die Debatte über Prostitution allgemein gespalten ist, gibt es auch unter den Organisationen, die sich gegen Menschenhandel engagieren, solche die

1) gegen Prostitution allgemein kämpfen, also jede Prostituierte als Zielgruppe sehen:

– International Justice Mission

– European Women’s Lobby

– Emma

– Equality Now

– Coalition against Traffic in Women (CATW)

2) Sexarbeit als Arbeit anerkennen und sich im Bereich der erzwungenen Prostitution bzw. der Ausbeutung von Sexarbeiter_innen engagieren.

– der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess – KOK e.V.

Global Alliance Against Traffic in Women (GAATW)

La Strada International

– diese Webseite, also „menschenhandel heute“

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Kritische Auseinandersetzungen mit (medialen) Repräsentationen von Menschenhandel, Prostitution und sog. „Zwangsprostitution“, d.h. Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung

Symposium mit Volltexten: „Der involvierte Blick. Zwangsprostitution und ihre Repräsentation“

„Füdli, Stöckelschuhe und viel, viel Fleisch“ (NZZ, Dezember 2012)

„Mit ‚Frischfleisch‘ gegen Frauenhandel?“ zur Kampagne von Terre des Femmes (Mädchenmannschaft, Oktober 2012)

***

Quellen: 

Sammlung von Forschung über Sexarbeit auf Englisch und auf Deutsch.

Sammlung von Forschung über Menschenhandel (Human trafficking) auf Englisch.

Joyce Outshoorn: The Political Debates on Prostitution and Trafficking of Women PDF (2005)

Sexarbeit ist Arbeit (Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, Zürich)

Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess – KOK e.V.

International Approaches to Decriminalising or Legalising Prostitution (Elaine Mossmann, 2007)

Criminal, victim, social evil or working girl: legal approaches to prostitution and their impact on sex workers (Marjan Wijers)

Körper unter Kontrolle – Prostitution als ›soziales Problem‹ der Geschlechterordnung (Renate Ruhne)

Boulevard und Sperrbezirk. Urbane Ideale, Prostitution und der Kampf um den öffentlichen Raum der Stadt (Renate Ruhne)

Empfehlenswerte Artikel aus der Presse: 

Die rechtliche Seite der Prostitution (18.12.2012)

In Bearbeitung (20.12.2012)

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