Dieser Artikel ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem kürzlich publizierten Artikel „Does Legalized Prostitution Increase Human Trafficking?“ von Eric Neumayer der London School of Economics and Political Science (LSE), Dr Seo-Young Cho des Deutschen Instituts für Wirtschaft und Axel Dreher der Universität Heidelberg.
Diese Studie wurde inzwischen auch von LEFÖ-IBF: Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel (Wien) und auf Forbes heftig kritisiert.
Die Ergebnisse dieser neuen Studie kursieren im Fernsehen bei Günther Jauch nach dem Tatort „Wegwerfmädchen„, im Internet und lassen wieder das schlimmste vermuten: Die sogenannte „Legalisierung“ der Prostitution führe zu mehr Menschenhandel. Doch – wie so oft bei diesem Thema – wird nur über Teile der Untersuchung berichtet. Und kritisch unter die Lupe genommen wird sie schon gar nicht.
Fangen wir also von vorne an. Fragen wir also danach, was der Artikel bzw. seine Autoren herausfinden wollen, wie sie was und wie herausgefunden haben. So sollte deutlich werden, dass dieser Text nicht so ganz einwandfrei ist, wie man ihn inzwischen dastehen lässt.
Was haben die Autoren herausgefunden?
Nein, die Autoren haben nicht widerspruchsfrei herausgefunden, dass die Legalisierung der Prostutition kausal, also notwendigerweise, zu Menschenhandel führt. Schaut man genauer hin, kommen die Autoren zum Ergebnis, dass es eine „positive Korrelation“ zwischen Legalisierung der Prostitution und Menschenhandel gibt. Eine Korrelation ist kein Kausalverhältnis. Doch, wie wir später sehen werden, ist auch diese These nicht ganz haltbar.
Worüber in der Presse nicht berichtet wird, ist, dass die Autoren auch darauf hinweisen, dass die Legalisierung der Prostitution positive Auswirkungen auf die Beschäftigten in der Sexindustrie hat – dadurch dass z.B. die Arbeitsbedingungen wesentlich verbessert werden. Die Autoren sprechen sich nicht für ein Verbot der Prostitution aus – das ginge über die Reichweite Ihrer Untersuchung hinaus, wie sie explizit schreiben.
„Working conditions could be substantially improved for prostitutes – at least those working legally – if prostitution is legalized“ (S. 76)
Die Autoren lehnen sich auch bei Schweden, wo Freier kriminalisiert werden, nicht aus dem Fenster. Da es für die Zeit vor 1999, als das neue Gesetz eingeführt wurde, keine Statistiken über Menschenhandel gibt, sind Vergleiche, die die Auswirkungen des neuen Gesetzes auf Menschenhandel aufzeigen, nicht möglich.
„However, whether or not human trafficking inflows have reduced after the prohibition in Sweden is a trickier question to answer because of the lack of sufficient time-series data on the number of victims.“ (pp. 75)
Das sind die Ergebnisse. Doch die Art und Weise, wie diese Ergebnisse erreicht werden, ist ebenfalls nicht grade lupenrein.
Wonach fragen die Autoren?
Laut Titel wollen die Autoren wissen, ob „legalisierte Prostitution Menschenhandel erhöht“. Doch im Artikel selbst, in der Einleitung, wird die Frage etwas breiter formuliert, nämlich: Welche Auswirkungen haben nationale Gesetzgebungen auf die Menschenhandelsströme, insbesondere der rechtliche Status von Prostitution.
„This article analyzes how one important domestic policy choice – the legal status of prostitution – affects the incidence of human trafficking inflows to countries.“ (pp. 67)
Nun gibt es drei Aspekte und damit verbundene Fragen, die man sich hier stellen sollte und die im Artikel nicht thematisiert werden:
1)
Die Autoren bleiben begrifflich vage, was sie mit „Menschenhandel“, bzw. „Menschenhandelsströme“ („human trafficking inflows“) und mit Prostitution meinen. Es ist jedoch notwendig für einen gewissen wissenschaftlichen Standard, dass solche Definitionen im Text auch explizit genannt werden.
Von welcher Definition von „Menschenhandel“ gehen also die Autoren aus? Wir wissen es nicht. Wissen die Autoren, dass es nicht nur Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeiutung gibt und dass in den Statistiken auch andere Formen von Menschenhandel einfließen? Wie kann ein „hochkarätiger“ Artikel, wie dieser, der u.a. von einem Forscher der Elite-Uni London School of Economics verfasst wurde, ohne Definition dessen, worüber sie schreiben, überhaupt veröffentlicht werden?
Damit zusammenhängend: Warum sprechen die Autoren von „human trafficking inflows“? Menschenhandel ist zwar größtenteils mit Migration verbunden, aber Menschenhandel kann auch innerhalb eines Landes ohne Grenzübertretung geschehen. Denn was Menschenhandel auszeichnet, ist letztendlich nicht der Grenzübertritt sondern die Ausbeutung.
Es ist an dieser Stelle nicht klar, ob die Autoren nicht nur von Menschenhandel sprechen sondern auch von der Schleusung von Migrant_innen. Anders ist der Begriff „inflows“ kaum zu verstehen. Da diese begriffliche Unterscheidung aber nie getroffen wurde, ist zu vermuten, dass an dieser Stelle unsauber gearbeitet wurde.
2)
Die zweite Frage betrifft den Ausdruck des „legalen Status der Prostitution“. Wenn die Autoren dies schreiben, meinen sie, dass Prostitution erlaubt ist. Nun würde von man von wissenschaftlich arbeitenden Forschern jedoch etwas mehr begriffliche Feinfühligkeit sowie einen Blick für die Vielfalt von Regimen, in denen Prostitution erlaubt ist, erwarten.
So kann es sein, dass Prostitution (das Anbieten von sexuellen Dienstleistungen) zwar elaubt ist, aber bspw. kein rechtlicher Schutz für Prostituierte vorhanden ist, z.B. in arbeitsrechtlicher Hinsicht, wie aktuell in Norwegen. So war z.B. in Deutschland Prostitution auch vor dem ProstG erlaubt, aber es gab keinen arbeitsrechtlichen Schutz, da die Verträge ja als sittenwidrig galten.
Oder: Es kann sein, das Prostitution legal ist, aber in der Praxis viele andere Gesetze genutzt werden, um Sexarbeiter_innen ständig polizeilich zu kontrollieren oder gar zu verhaften. Dazu gehören auch Gesetze gegen Menschenhandel. Es ist begrifflich einfach etwas unscharf, von der „Legalisierung der Prostitution“ zu sprechen. Denn streng genommen ist auch in Schweden das Angebot von sexuellen Dienstleistungen, also Prostitution, legal. Nur diejenigen, die tatsächlich diese Dienstleistung in Anspruch nehmen, werden kriminalisiert.
Doch auch mit Blick auf Deutschland gehen die Autoren nicht auf das Gesetz an sich ein, d.h. es bleibt unklar welche Paragraphen und Bestimmungen genau besonders problematisch sein sollen. Man weiß also nicht wirklich, welche Paragraphen man jetzt konkret für diese „positive Korrelation“ verantwortlich machen soll.
Nicht zuletzt sind die Gesetze für ausländische und inländische Sexarbeiter_innen teilweise anders – trotz Legalität. Auch auf diese Unterschiede und Feinheiten gehen die Autoren nicht ein. Die Autoren differenzieren also nicht zwischen verschiedenen Regimen und Graden der „Legalisierung der Prostitution“, die vermutlich auch einen globalen Vergleich derselben schwierig machen würden. Denn Zahlen und Statistiken sind blind für die praktische Umsetzung von Gesetzen und für Unterschiede, die auf den ersten Blick gar nicht da sind.
3) Warum bewerten die Autoren nicht auch die nationale Gesetzgebung zum Schutz von Opfern von Menschenhandel? Eine empirisch handfeste Untersuchung über die Auswirkung verschiedener nationaler Gesetzgebungen auf Menschenhandel kann nicht nur auf die Beurteilung von Prostitutionsgesetzen basieren.
Aktuell gibt es einen allgemeinen europaweiten Konsens darüber, dass die nationalen Gesetze – inklusive in Deutschland – Opfer von Menschenhandel nicht hinreichend schützen. Es wäre also doch mal interessant zu fragen, welche Auswirkungen der Mangel eines solchen Schutzes auf Menschenhandel hat. Auch die Auswirkungen von Migrationsregimen müssten in solch einer Beurteilung mit einbezogen werden.
Oder anders formuliert: Die Beurteilung der Legalisierung der Prostitution (die konkreter definiert werden muss) und ihrer Auswirkung auf Menschenhandel muss auch andere nationale Gesetze einbeziehen – wie z.B. Opferschutz oder Ausländergesetze. Der Umgang mit Migrant_innen und Opfern von Menschenhandel ist nun mal leider eine zentrale Variable im Menschenhandel. Diese zu vernachlässigen ist schlicht und einfach nicht wissenschaftlich. Somit ist höchst fraglich, ob diese Untersuchung als mehr als nur eine statistische Spielerei auf hohem Niveau anzusehen ist.
Wie finden die Autoren das alles heraus?
Nun muss ich zu meiner Schande gestehen: Das kann ich nicht nachvollziehen oder nachprüfen. Der Text ist mit Formeln und ökonomischem Jargon gefüllt, die ihn auch für wissenschaftlich gebildete Menschen unzugänglich machen. Aufgrund der Mängel, auf die ich gerade hingewiesen habe, ist jedoch zu vermuten, dass auch im quantitativen Teil ähnliche Mängel vorhanden sind.
Wie finden die Autoren das alles heraus (Teil 2)?
Um zu ihren Ergebnissen zu kommen, gehen die Autoren am Ende des Artikels so vor:
Auf Seite 75 der Untersuchung vergleichen die Autoren die (geschätzten) Zahlen der Prostituierten in Schweden, Dänemark und in Deutschland mit den (geschätzten!) Zahlen der Opfer von Menschenhandel im jeweiligen Land. Diese Schätzungen seien in diesem Text zu finden und würden für Deutschland 32000 Opfer schätzen. Diese Zahl ist dort aber nicht explizit vorhanden.
Dennoch nutzen die Autoren den Vergleich dieser Zahlen um zu ihrer Konklusion zu kommen, dass es eine „positive Korrelation“ zwischen rechtlichem Status von Prostitution und Menschenhandel gibt.
Obwohl es offizielle Zahlen des Bundeskriminalamts über die Anzahl von Opfern von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung (Zwangsprostitution) gibt, weisen die Autoren nur in einer Fußnote auf die Existenz solcher Zahlen hin, ohne sie jedoch überhaupt zu nennen. Leser_innen des Artikels, die also nicht wissen, dass es diese Zahlen gibt und die, z.B. auch nicht über deutsche Sprachkenntnisse verfügen, um selber alles nach zu recherchieren, werden also „getäuscht“. Ihnen wird der Eindruck vermittelt, dass es wohl doch 32000 Opfer von Menschenhandel in Deutschland gibt. Es wäre an dieser Stelle doch ethisch und wissenspolitisch geboten, zumindest diese Zahlen explizit zu nennen.
Stattdessen arbeiten und argumentieren die Autoren mit Schätzungen. Warum ist das aber ein Problem?
Nun ja – ganz einfach: Die Ergebnisse Ihrer Untersuchung würden ganz anders ausfallen. Nimmt man die Schätzungen, hat man ca. 32000 Opfer von Menschenhandel in Deutschland. Nimmt man die offizielle Statistik des BKA, hat man weniger als 1000. Ja – tausend.
Hinzukommt, dass die Schätzungen von der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation, sind, also wahrscheinlich Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung einschließen. Die ILO befasst sich nämlich auch mit Zwangsarbeit, wo auch Prostitution als Arbeit, also Sexarbeit, betrachtet wird. Ob diese Zahlen also überhaupt das beschreiben, was die Autoren zeigen wollen, bleibt also unklar.
Diese Untersuchung zeigt also keineswegs, dass die Legalisierung zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen von Prostituierten führt – ganz im Gegenteil. Sie zeigt auch nicht, dass der legale Status von Prostitution Menschenhandel verursacht.
Liebe Journalisten – beachten Sie das, wenn Sie darüber schreiben!!!
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Für weitere Hinweise und kritische Anmerkungen bin ich dankbar.
Ein weiterer Beitrag zu den Auswirkungen des ProstG auf Menschenhandel und eine intensive Diskussion dazu finden Sie hier.
[…] und der London School of Economics. Nach genauerer Betrachtung durch verschiedene Vereine und Blogs und auch bei Forbes wurden grobe wissenschaftliche Fehler […]
[…] das Verhältnis von legaler Prostitution und Menschenhandel, die ja schon so oft kritisiert wurde, auch bei uns. Andere Studien, die differenzierter sind und auch zahlreicher sind, werden einfach ignoriert. Man […]
Bestätigungsfehler (confirmation bias)
Definition lt. Wikipedia: „Der Begriff Bestätigungsfehler (confirmation bias) bezeichnet in der Kognitionspsychologie die Neigung, Informationen so auszuwählen, zu suchen und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen. Unbewusst ausgeblendet werden dabei Informationen, die eigene Erwartungen widerlegen (disconfirming evidence).“
Ich habe Hinweise auf einen solchen verzerrenden Fehler in dem in Frage stehenden Artikel von Cho et al. gefunden.
Auf die Problematik der geschätzten Zahlen, ihr Nicht-Vorhandensein in der angegebenen Quelle und der nur in Fußnoten erwähnten Differenz zu den Zahlen des Bundeskriminalamtes weisen Sie ja bereits hin. Auch mir ist diese Stelle aufgefallen, da mir der Verdacht kam, daß der Erkenntniswille, nämlich die Ergebisse der qualitativen Analyse durch Zahlen zu belegen, größer war als die Fakten hergaben. Deshalb habe ich in dem in Frage stehenden Abschnitt etwas Quellenforschung betrieben.
Es heißt am Ende des Abschnitts 6, p.75 bei Cho et al.:
„Additionally, Di Nicola et al. (2005) provide annual estimates of trafficking victims used for sexual exploitation in Germany over the 1996–2003 period, which can shed some light on the changing number of trafficked prostitutes. The estimates show that the number of victims gradually declined during 1996–97, the first years of data collection, and 2001, when the minimum estimate was 9,870 and the maximum 19,740. 37 However, this number increased upon fully legalizing prostitution in 2002, as well as in 2003, rising to 11,080–22,160 and 12,350–24,700, respectively.38 This is consistent with our result from the quantitative analysis indicating a positive correlation between the legal status of prostitution and inward trafficking.“ (Die Nummern 37 und 38 sind die Referenzen zu denen von Ihnen bereits bemängelten Fußnoten.)
Es wird erwähnt, daß die Zahl der Opfer zwischen 1996/7 und 2001 sinkt und ab 2002 steigt. Als Quelle wird DiNicola et. al. angegeben. Diese Quelle habe ich mir besorgt (und dieser Mail angehängt). Die von Cho, Dreher und Neumayer erwähnten Zahlen sind auf Seite 113, Tabelle 49 zu finden. Es wird deutlich, daß 1996 die geschätzen Opferzahlen höher liegen als 2003, und daß schon ab 2000 (!) vor der sogenannten „vollen Legalisierung“ ein Anstieg zu verzeichnen war. Cho et al. übernehmen aber nur die Zahlen, die ihre Argumentation stützen. Sie diskutieren nicht, daß die Zahlen schon 1996 verhältnismäßig hoch waren und ob und, wenn ja, welche politischen Vorgänge Einfluß auf das temporäre Absinken hatten. Es ist offensichtlich, daß die von DiNicola et al. referierten Schätzungen keinen direkten Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des ProstG erkennen lassen. In der Fußnote 37 wird ja auch – in Bezug auf die offiziellen Zahlen des BKA – verhalten zugegeben, daß die Zahlen keinem Muster zu folgen scheinen.
Der Schluß, daß die Zahlen die Ergebnisse der qualitativen Analyse stützt, legale Prostitution hätte eine positive Relation zu einem Anstieg von Menschenhandel, ist falsch, da verschwiegen wird, daß die Zahl vor Inkrafttreten des ProstG schon anstieg und der Verdacht naheliegt, daß die Gründe dafür in Wirklichkeit im Dunkeln liegen.
Diese wissenschaftlich unsaubere Argumentation stützt Ihre im o.g. Artikel geäußerte Vermutung, die Leserinnen und Leser würden getäuscht. Das Erkenntnisinteresse scheint hier Vorrang gehabt zu haben.
[…] gibt es auch auf “menschenhandel heute” drei Beiträge: zwei kritische Beiträge (von mir und von LEFÖ, Wien) und eine positive Rezeption der These der […]
[…] ist auch die These von Axel Dreher et al., die im Artikel erwähnt wird und die auf diesem Blog und andernorts schon vor einiger Zeit widerlegt wurde, hinfällig. Die Legalisierung der […]