menschenhandel heute.

kritische perspektiven auf die bekämpfung von menschenhandel

Wer FEMEN nicht braucht: Betroffene von Menschenhandel und Sexarbeiter_innen

Vergangene Woche, am Freitag, den 24. Januar 3013, sind FEMEN-Aktivistinnen nackt durch die Herbertstraße in Hamburg gelaufen, um gegen Prostitution zu demonstrieren. „Fickt die Sexindustrie“ heißt die neue Kampagne – wo das „E“ in Sexindustrie ein Hakenkreuz ist und im Untertitel steht „The Sexindustry-Fascism of the 21st Century“. (Hier ein Link zu Femens Homepage, der als reine Quellenangabe dient und weder Unterstützung noch Sympathisierung bedeutet).

Der Bezug zum NS und die Nutzung von Hakenkreuzen wurden schon an anderer Stelle durch Blogger*innen angesprochen.

e*vibes – für eine emanzipatorische Praxis hat einen offenen Brief an FEMEN Germany verfasst und darin wichtige Fragen gestellt.

Was bitte ist der Inhalt der Kampagne „Fickt die Sexindustrie! – Der Sexindustriefaschismus des 21sten Jahrhunderts“? Wie definiert ihr Faschismus?
Ein Hakenkreuz als Zeichen für das „x“ in „Sexindustrie“?!
Wieso wurde die Aktion auf der Herbertstraße in Hamburg gerade in zeitlicher Nähe zum 27. Januar (Holocaustgedenktag, Befreiung von Auschwitz) durchgeführt? Die Bedeutung des Tages war euch sicher bewusst, da ihr die bekannteste KZ-Toraufschrit „Arbeit macht frei“ an das Eingangstor zur Herbertstraße geschrieben und Sätze wie „Prostitution is genocide“ verwendet habt.
Ihr setzt die Shoa und den Porajmos mit Prostitution gleich – als würden Frauen gezielt und industriell zu Millionen ermordet, weil sie Frauen sind. Das ist wirklich nicht zu fassen und in keiner Weise tragbar.
Faschismus, Genozid und Holocaust werden hier relativiert und verharmlost.
Die unhistorische Verwendung des Satzes „Arbeit macht frei“ erfüllt in Deutschland den Straftatbestand der Volksverhetzung. Zudem werden durch eure Verwendung des Hakenkreuzes und des besagten Satzes diese in feministischer Verpackung, in Deutschland, wieder hoffähig gemacht

Im Beitrag auf Mädchenmannschaft wird FEMEN Germany mit „Antisemitismus, Rassismus, Sexismus“ in Verbindung gebracht. FEMEN verharmlost durch Vergleiche mit dem Faschismus aber nicht nur den Holocaust und den Nationalsozialismus, sondern viel mehr.

FEMEN verharmlost Sklaverei. Indem FEMEN jegliche Form von Sexarbeit als „Sexsklaverei“ oder „sex slavery“ bezeichnet, wird Sklaverei verharmlost. Sklaverei war eine gesellscaftliche institution, die staatlich und rechtlich geschaffen, reguliert und legitimiert war und die Menschen als „Eigentum“ definierte. Sklav*innen in diesem Sinne waren rechtlos – ihnen wurde ihr Menschsein aberkannt, sie waren – so der Soziologe O. Patterson – sozial tot. „Sklav_innen werden von ihren Herr_innen zu Objekten degradiert, sie werden passiv und damit zu nicht-handlungsfähigen Opfern.“ Heutige Formen der Ausbeutung oder sogar der freiwilligen Sexarbeit mit historischen Formen der Sklaverei zu vergleichen, ist eine Verharmlosung der Sklaverei.

Menschenhandel

Selbst Betroffene von Menschenhandel, die sexuell ausgebeutet werden, sind keine Sklav*innen im engeren Sinne, denn sie werden rechtlich nicht als Eigentum oder Objekte gesehen. Objekten hört man nicht zu, Objekte haben keine Rechtsansprüche und so lange wir Betroffene von Menschenhandel mit dem Begriffe „Sklaverei“ in Verbindung setzen, wird auch kein menschenwürdiger Opferschutz möglich sein.

Und gerade deshalb brauchen Betroffene von Menschenhandel FEMEN nicht: Weil FEMEN keine politischen Forderungen stellt, die auf die konkrete Situation von Betroffenen eingeht. Was ist mit der Forderung nach einer Aufenthaltserlaubnis? Was ist mit der Forderung nach einem menschenrechtsbasierten Ansatz (anstatt eines sicherheitspolitischen Ansatz, der in erster Linie sogenannte „illegale“ Migrant*innen abschieben will)? Was bietet FEMEN Betroffenen von Menschenhandel? – Gar nichts.

Sexarbeit

Sexarbeiter*innen als Sklav*innen zu bezeichnen, kann hingegen sogar als Form der Versklavung gesehen werden. Indem FEMEN zu Sexarbeiter*innen sagt „Du bist eine Sexsklavin“, spricht FEMEN ihnen Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit (die berühmte agency) ab. Indem FEMEN Sexarbeiter*innen als Sklav*innen beschreibt, entmenschlicht FEMEN Sexarbeiter*innen und ermöglicht eine Sichtwiese, die sie als Objekte – und nicht Subjekte –  identifiziert.

Deshalb brauchen Sexarbeiter*innen FEMEN nicht, weil FEMEN Sexarbeiter*innen entmündigt, sie als Objekte und Eigentum beschreibt anstatt sie als Bürger*innen mit Rechten und berechtigten politischen Forderungen zu sehen – oder einfach nur als Menschen, die in der Sexindustrie arbeiten und in Ruhe gelassen werden wollen.

Prostitution im NS

Und zuletzt zur Geschichte: FEMEN hat wohl keine Ahnung, wie Prostituierte im Nationalsozialismus (siehe hierhier, hier, hier und hier) behandelt wurden und dass Zwangsprostituierte bis heute nicht entschädigt wurden.

Die Prostitutionspolitik im NS war rigide. Gesetze, die Prostitution betrafen, wurden ab 1933 immer wieder verschärft. Die Definition von Prostitution wurde derart geändert, dass Frauen, die sich sexuell unangepasst verhielten, leicht unter Prostitutionsverdacht gerieten. Mit dieser Kriminalisierung war jedoch nicht beabsichtigt, Prostitution abzuschaffen. Im Gegenteil: Prostitution wurde ausdrücklich als notwendig erachtet, aber sie sollte öffentlich nicht sichtbar sein. Gleichzeitig war die Prostitutionspolitik im NS eines der Instrumente, mit denen „abweichendes“ sexuelles Verhalten von Frauen insgesamt sanktioniert wurde. Frauen, die unter Prostitutionsverdacht standen und gegen die Gesetze und Auflagen verstießen, drohte Haft im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Dort gab es eigens einen sogenannten Dirnenblock. Bei der Errichtung der Bordelle in den Konzentrationslagern war vorgesehen, dass dort Frauen arbeiten sollten, die aufgrund ihres „sexuellen Fehlverhaltens“ verhaftet worden waren und aus „sittlichen Gründen“ ohnehin für die „Volksgemeinschaft verloren waren“. (Quelle)

Ein Vergleich von Sexarbeit heute und Faschismus ist eine Zumutung und Verharmlosung der Prostitutionspolitik und der „Sex-Zwangsarbeit“ im Nationalsozialismus – nicht zuletzt, weil es im NS keine politischen Organisationen von Sexarbeiter*innen, wie sie es heute gibt, gab. Aber ich vergesse – für FEMEN ist auch die Selbstorganisation von Sexarbeiter*innen nicht berechtigt, denn diese vertreten ja angeblich auch die „faschistische Sexindustrie“. Und das ist die Spitze der Entmündigung von Sexarbeiter*innen heute – dass sie gar nicht als Subjekte gesehen, repräsentiert und porträtiert werden. Das sollte man Versklavung nennen.

Nachtrag: Auch dieser Beitrag von Ramona Ambs ist empfehlenswert.

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