Hausangestellte: „Wir sind Geiseln hier in Hongkong“

In vielen europäischen Ländern wird aktuell über sogenannte „Arbeitsmigration“ diskutiert. Doch auch in Asien gibt es erhebliche Probleme. Wie in Europa droht das Schicksal von tausenden von Hausangestellten übersehen zu werden. Das Beispiel Hongkong zeigt, wie dramatisch die Lebens- und Arbeitsbedingungen von etwa 320.000 Hausangestellten, zumeist Frauen, sind.

Mehr als 300.000 südostasiatische Hausangstellte leben in Hongkong. Sonntag ist der einzige arbeitsfreie Tag in der Woche. Die Indonesierinnen treffen sich im Victoria Park...

Mehr als 300.000 südostasiatische Hausangstellte leben in Hongkong. Sonntag ist der einzige arbeitsfreie Tag in der Woche. Die Indonesierinnen treffen sich im Victoria Park…

Der Autor: Tim Rühlig promoviert am Exzellenzcluster “Die Herausbildung normativer Ordnungen” der Goethe-Universität Frankfurt, ist derzeit Gastforscher am Schwedischen Institut für Internationale Beziehungen in Stockholm. Eine nur marginal veränderte englische Version dieses Beitrags ist auf dem Blog des Schwedischen Instituts für Internationale Beziehungen (ui) erschienen. Auf “menschenhandel heute” veröffentlichte Tim bislang: „Ai Weiwei erhält kein 6-Monatsvisum für Großbritannien“ sowie zwei Filmrezensionen: “Mama illegal” und “Roma in Frankfurt”.

Es ist ein feucht-heißer Sonntag in Central, dem Geschäftsviertel von Hongkong. Wie an den Tagen zuvor laufe ich durch die Straßen. Doch heute ist alles anders: Tausende von philippinischen Hausangestellten sitzen auf Pappkartons in den Straßen. Das gleiche Bild im „Victoria Park“. Hier treffen sich Indonesierinnen. Sie alle unterhalten sich, spielen Karten, essen und lachen. Ich hatte bereits zuvor gehört, dass die Hausangestellten Hongkongs sich an ihrem einzigen freien Tag, dem Sonntag, draußen versammeln. Aber vorstellen konnte ich mir nicht, dass tausende und abertausende von Menschen, die ich während der Woche – als ich im Rahmen meiner Feldforschung Interviews in allen Teilen der Stadt zu den „Regenschirmprotesten“ 2014 führte – hatte nicht gesehen hatte, plötzlich auftauchen sollten. Wie konnte das nur möglich sein?!

... und die Frauen von den Philippinen treffen sich auf den Straßen von

… und die Frauen von den Philippinen treffen sich auf den Straßen von „Central“.

Im Victoria Park treffe ich Rendy, eine Indonesierin. Ihre Geschichte erschüttert mich:
Seit 15 Jahren schon arbeitet Rendy als Hausangestellte in Hongkong. Sie arbeitet viel, verdient aber wenig. Trotzdem erklärt sie mir mit einem strahlenden Lächeln, sie habe Glück gehabt mit ihrem Arbeitgeber, der es ihr erlaube sich in ihrer Freizeit für eine Community-Organisation der indonesischen Hausangestellten namens „Association of Indonesian Migrant Workers in Hong Kong“ zu engagieren. Während viele von Rendys Freundinnen um ihr verbrieftes Recht kämpfen müssen einen Tag in der Woche frei zu haben, erlaubt es ihr Arbeitgeber hin und wieder, dass sie nach vorheriger Absprache das Haus für einige Stunden auch an anderen Tagen verlassen kann.
Ich kann gar nicht fassen, wie viel Optimismus Rendy trotz ihrer Situation ausstrahlt. Nur als sie mir davon erzählt, dass sie ihre Heimat und ihre Familie seit vielen Monaten nicht mehr gesehen hat, überfällt ihr Gesicht eine tiefe Traurigkeit.
Zwei Wochen später treffe ich Rendy sowie ihre Freundin und Kollegin Eni Lestari erneut, dieses Mal in einer Notunterkunft im Stadtteil „Jordan“ auf der Halbinsel Kowloon. Dort werden Hausangestellte, die sich gegen ihre Abschiebung zurück nach Indonesien juristisch wehren, mit dem Nötigsten versorgt.

Trügerische Hoffnung: Hongkong

Etwa 320.000 Migranten leben und arbeiten als Hausangestellte in Hongkong; das sind fast 5% der Bevölkerung. Jeweils eine knappe Hälfte von ihnen stammt aus Indonesien und den Philippinen, die anderen kommen aus Thailand, Sri Lanka, Nepal, Bangladesch und Myanmar. Die ersten Hausangestellten kamen Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre als Hongkongs Wirtschaft boomte und sich zu einer Dienstleistungsgesellschaft wandelte, die vom Wirtschaftswachstum der benachbarten Volksrepublik China profitierte. Die Hongkonger Frauen wurden damals ermutigt ebenfalls berufstätig zu werden. So stellte sich die Frage, wer sich um Haus und Kinder kümmern sollte. Es begann die Anwerbung von Hausangestellten aus Südostasien, auch weil viele angesichts des Wirtschaftswachstums bis spät in die Abende hinein arbeiteten und nach Hausangestellten suchten, die sich rund um die Uhr um Kinder und Haushalt kümmern sollten.

Jeden Sonntag versammeln sich unzählige Menschen aus Indonesien im Victoria Park.

Jeden Sonntag versammeln sich unzählige Menschen aus Indonesien im Victoria Park.

Obwohl der Wirtschaftsaufschwung längst Geschichte ist hat die Nachfrage nach Hausangestellten aus Südostasien seither nicht nachgelassen. Im Gegenteil: In den letzten Jahren hat die Regierung der chinesischen Sonderverwaltungszone die Sozialausgaben drastisch gesenkt und den Wohlfahrtstaat Hongkongs weitgehend privatisiert. Vor allem Altersheime sind für viele Hongkonger unerschwinglich geworden. So bleiben große Teile der lokalen Bevölkerung auf die Hilfe von ausländischen Hausangestellten angewiesen.

Eine Frage der Menschenrechte

Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der südostasiatischen Hausangestellten besorgt längst auch Menschenrechtsorganisationen, darunter amnesty international: Migrantinnen, die als Hausangestellte in Hongkong arbeiten, erhalten lediglich Zweijahresverträge, die verlängert werden können; ihr Visum läuft zwei Wochen nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, auch bei Kündigung, automatisch ab. Der Wechsel des Arbeitgebers ist unter diesen Bedingungen kaum möglich. De facto müssen Hausangestellte dazu Hongkong verlassen und vollkommen neu Visum und Arbeitserlaubnis beantragen. Das kostet sehr viel Geld, zumal das Gehalt der Hausangestellten jährlich vom Arbeitsministerium Hongkongs festgelegt wird und erheblich unter dem in Hongkong geltenden Mindestlohn liegt. In den letzten Jahren senkte die Behörde das Einkommen gar mehrfach. Aktuell erhalten die Hausangestellten etwa 500 US-$ monatlich. Darüber hinaus hat vor allem die Finanzkrise 2008 Hongkong hart getroffen, worunter auch viele Hausangestellte zu leiden hatten. Rendys Kollegin Eni Lestari erzählt mir von den grausamen Taktiken vieler Arbeitgeber:

„Viele Arbeitgeber beschuldigen ihre Hausangestellten des Diebstahls wenn sie den Lohn drücken wollen. Sie rufen die Polizei und sagen, sie hätten etwas Wertvolles verloren, das sie zuvor im Schrank ihrer Hausangestellten deponiert haben. Dort findet es dann die Polizei. Das Problem ist, dass die meisten Migranten sich nicht verteidigen können. Der Arbeitgeber kann ohne Mühe an den Schrank der Hausangestellten, denn die Räume und Schränke können normalerweise nicht abgeschlossen werden. Immer mehr Arbeitgeber nutzen diese Tricks um den Lohn zu drücken oder unliebsamen Hausangestellten kündigen zu können.“

Kämpfen für ihre Rechte: Eni (links) und Rendy (rechts) helfen ArbeitsmigrantInnen seit mehr als einer Dekade.

Kämpfen für ihre Rechte: Eni (links) und Rendy (rechts) helfen ArbeitsmigrantInnen seit mehr als einer Dekade.

Rechtlich kann jede Hausangestellte sich vor den ordentlichen Gerichten Hongkongs verteidigen. Doch Eni erklärt, dass die meisten Frauen auf die kostenlosen Pflichtverteidiger, die der Staat stellt, angewiesen sind. Einen Rechtsanwalt zu bezahlen, wäre angesichts des geringen Gehalts viel zu teuer. Doch die meisten Pflichtverteidiger kümmern sich kaum um die Verletzlichkeit und Nöte ihrer Klientinnen:

„Das Problem ist, dass die meisten denken: Es sind ja sowieso nur ausländische Hilfskräfte.“

Ein weiteres Problem ist, dass die Frauen nur zwei Wochen ohne gültigen Arbeitsvertrag in Hongkong sein dürfen. Da niemand in so kurzer Zeit in einer fremden Stadt einen Job findet, sind die Hausangestellten von lizensierten Agenturen abhängig, die für die Arbeitsvermittlung 1500-3000 US $ verlangen. Da kaum eine Hausangestellte diese Summe zahlen kann, ziehen die Agenturen die Pässe als Sicherheit ein. Eni erläutert:

„So werden wir zu Geiseln der Agentur. Es gibt keinen Ausweg. In den ersten Monaten zahlen die Frauen 70-80% ihres Einkommens an die Agentur. Wenn sie Glück haben, dann können sie zwei Jahre lang für den gleichen Arbeitgeber tätig sein und etwas Geld verdienen. Doch vor allem seit der Finanzkrise verlieren viele von ihnen ihren Job bereits nach wenigen Monaten erneut. Dann kommen sie nach Hongkong um Geld zu verdienen, arbeiten aber eigentlich nur für die Agentur.“

Bewundernswert: Eni in den Straßen von Hongkong.

Bewundernswert: Eni in den Straßen von Hongkong.

Eigentlich sollen diese Agenturen den Hausangestellten helfen und ihnen zur Seite stehen. Doch tatsächlich entlasten sie nur die indonesische Regierung, die sich um viele Probleme nicht selbst kümmert, sondern auf die Agenturen verweist. Neben Korruption ist dies wohl der zentral Grund, warum die Agenturen nicht abgeschafft und auch keine neuen Agenturen, die sich fair verhalten, zugelassen werden. (Die Philippinische Regierung agiert in dieser Hinsicht wesentlich besser.)

Die Arbeitsbedingungen

Durchschnittlich arbeiten die Migrantinnen 17 Stunden täglich; vielen wird ihr Recht auf einen freien Tag in der Woche verwehrt. Darüber hinaus sind die Bedingungen ihrer Unterbringung häufig miserabel wie Eni berichtet:

„Viele von uns schlafen auf dem Boden oder müssen ein Bett mit den Teenagern oder den alten Menschen, die sie pflegen, teilen. Rechtlich sind die Arbeitgeber dazu verpflichtet den Hausangestellten einen Platz zum Schlafen zu stellen. Das ist alles. Selbst Paragraphen in den Verträgen, die festlegen, dass Hausangestellte ein Recht auf ein Bett haben, sind rechtlich wirkungslos. Wenn sie auf dem Boden schlafen müssen, dann können sie juristisch dagegen nichts unternehmen.“

Über diese Ausbeutung und die unmenschlichen Lebensbedingungen hinaus berichten viele Zeitungen und Menschenrechtsorganisationen von physischen und sexuellen Misshandlungen durch die Arbeitgeber. Letzten Februar stand dabei vor allem Erwiana Sulistyanisgsih im Fokus der medialen Aufmerksamkeit als sie einen Prozess nach monatelanger Misshandlung gewann. Doch ich bin so schockiert von allem, was mir Eni und Rendy bis hierhin erzählt haben, dass ich mich nicht traue auch noch danach zu fragen.

Die Migrantinnen kommen weiterhin nach Hongkong…

Trotz dieser grauenhaften Bedingungen kommen weiterhin tausende Indonesierinnen nach Hongkong. Vor allem in den Dörfern des südostasiatischen Landes fehlt nicht nur jedwede Industrie, sondern auch die Landwirtschaft ist unrentabel geworden. Allein die Kosten für das Saatgut sind ins Unermessliche gestiegen. Die wachsende Präsenz von international finanzierten Landwirtschaftsunternehmen mit maschineller Massenproduktion trägt ebenfalls zur Perspektivlosigkeit der Menschen in Indonesiens Dörfern bei. Selbst in der Hauptstadt Jakarta verdienen ungelernte Arbeitskräfte kaum mehr als 200-300 US-$ monatlich. Die Tatsache, dass das zweitgrößte Einkommen Indonesiens sich aus den nach Hause geschickten Einkünften von im Ausland tätigen Bürgerinnen zusammensetzt, lässt erahnen, warum so viele junge Frauen nach Hongkong kommen, obwohl sie dort katastrophale Zustände erwarten.
All das können Rendy, Eni und ihre Freunde von der „Association of Indonesian Migrant Workers“ natürlich strukturell nicht verändern. Doch sie leisten eine unglaublich bewundernswerte Arbeit. Sie klären die Hausangestellten über ihre Rechte auf, organisieren das Community-Leben in Hongkong und fördern so ein Gemeinsamkeitsgefühl und die Bereitschaft sich gegenseitig zu helfen. Eni und ihre Freundinnen sind jederzeit für die Migrantinnen erreichbar, nicht nur am Sonntag, wenn sie sich alle im Victoria Park treffen:

„Einige der Frauen können nicht viel telefonieren, weil es die alten Menschen, die sie pflegen, nervt, wenn sie den Gesprächen zuhören müssen. Aber wir haben auch WhatsApp und können dort miteinander sprechen.“

In einer Notunterkunft im Stadtteil

In einer Notunterkunft im Stadtteil „Jordan“ treffen sich die Frauen zum Singen und Essen.

Am Ende unseres Gesprächs laden Eni und Rendy mich zum Abendessen ein. „Du musst das großartige indonesische Essen probieren,“ überredet mich Rendy mit einem strahlenden Lächeln zum Bleiben. Eine Stunde später lachen, singen und essen etwa 100 indonesische Frauen um mich herum. Sie haben sich alle hier in Hongkong kennengelernt und Freundschaft geschlossen. Eni und Rendy stellen mich vielen ihrer Freunde vor. Ich bewundere ihre Energie und ihren Optimismus. Wie schaffen sie es nur unter diesen widrigen Umständen all dies auf die Beine zu stellen? Wie kann es sein, dass sie selbst unter solch unmenschlichen Lebensbedingungen zu leiden haben, gleichzeitig aber ihren Mitmenschen mit selten erlebter Wärme, Offenheit und Herzlichkeit begegnen?

Eni (zweite von links) mit ihren indonesischen Freundinnen nach dem gemeinsamen Essen.

Eni (zweite von links) mit ihren indonesischen Freundinnen nach dem gemeinsamen Essen.

Meine Gedanken wandern zurück ins heimische Europa. Dort wächst in jenen Tagen die Angst vieler Menschen vor Migrantinnen und vor möglichen Wohlstandsverlusten. Pegida demonstriert und Rechtsradikale attackieren Flüchtlingsunterkünfte. Ich schäme mich, denn wir leben in solchem Reichtum während diese Frauen um mich herum hart arbeiten und um Anerkennung und Würde kämpfen müssen. Wie kann es sein, dass wir ihr Schicksal vergessen? Wie kommt es, dass wir in Europa klagen?
Doch am Ende des Abends werden auch Rendys sonst so vergnügte Augen tief traurig. Sie erzählt mir:

„Meine Mutter fragt mich häufig wann ich nach Hause komme und heirate. Aber ich muss hier bleiben und ihr sagen, dass der richtige Zeitpunkt für eine Rückkehr in die Heimat noch nicht gekommen ist.“

Unglaublich optimistisch: Rendy arbeitet seit 15 Jahren in Hongkong.

Unglaublich optimistisch: Rendy arbeitet seit 15 Jahren in Hongkong.

In diesem Moment traue ich mich nicht Rendy zu fragen, welche Hoffnungen sie hat, worauf sie wartet und wann dieser „richtige Moment“ gekommen sein könnte. Was kann sich hier nach 15 Jahren in Hongkong für sie zum Besseren entwickeln?
Doch nur eine Minute später strahlt Rendy erneut. Ich fühle großes Erstaunen vor allem aber unendliche Bewunderung und Hochachtung für sie und Eni in mir aufsteigen.