Ai Weiwei erhält kein 6-Monatsvisum für das UK

Es gibt Neuigkeiten von Ai Weiwei, dem bekannten chinesischen Künstler und Dissidenten, die die britische Regierung in keinem guten Licht erscheinen lässt: Warum verweigerte sie ihm zunächst ein Sechsmonatsvisum mit der fälschlichen Behauptung, er sei „straffällig“, um es kurz danach doch zu bewilligen? Ein Kommentar.

Dissident und Künstler aus China: Ai Weiwei wurde ein sechsmonatiges Visum ins Vereinigte Königreich verweigert. Quelle: Wikipedia.

Dissident und Künstler aus China: Ai Weiwei wurde ein sechsmonatiges Visum ins Vereinigte Königreich verweigert. Quelle: Wikipedia.

Der Autor: Tim Rühlig promoviert am Exzellenzcluster “Die Herausbildung normativer Ordnungen” der Goethe-Universität Frankfurt. Dieser Artikel wurde ursprünglich auf dem Bretterblog veröffentlicht. Auf „menschenhandel heute“ erschienen von ihm bislang zwei Filmrezensionen: „Mama illegal“ und „Roma in Frankfurt“.

Es war wohl für alle Beobachter eine Überraschung als Ai Weiwei auf Instagram sein Visum und die Begründung der britischen Behörden postete, die ihm erläuterten, warum er zwar ein Kurzzeit- aber kein sechs Monate gültiges Business-Visum erhalten hatte. Er sei, so schrieb ein britischer Visumsbeamte, in China „straffällig“ geworden, das sei öffentlich hinlänglich bekannt, Ai habe dies aber nicht in seinem Antrag angegeben. Im Wortlaut heißt es:

This is because you have failed to meet the business visitor rules under Appendix V – specifically, Part V3.6 (a), which states an application will be refused if “false representations have been made or false documents or information have been submitted (whether or not material to the application, and whether or not to the applicant’s knowledge)” […] It is a matter of public record that you have previously received a criminal conviction in China, and you have not declared this. Exceptionally, it has been decided to grant you entry clearance outside the Immigration Rules for your stated dates of travel to the UK.
While an exception has been made in this instance, any future application you submit must be completed as accurately as possible, otherwise there is a risk that future applications may be refused and a 10 year ban applied in line with paragraphs V3.7-V3.10 of Appendix V of the Immigration Rules. Should you wish to clarify any of the answers you state in a visa application form, there is a section at the end of the form (“Additional Information”) that allows you to do so.

Doch Ai Weiwei hat nichts zu korrigieren, denn was in dem Schreiben, das von einem britischen Beamten (Entry Clearance Manager) in Peking unterzeichnet wurde, steht, ist falsch. Gegen Ai Weiwei hat es in China tatsächlich niemals ein Strafverfahren gegeben, er ist daher auch nie verurteilt worden und kann dementsprechend auch nicht als straffällig gelten. Zwar zahlte Ai im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen die Künstleragentur „Fake“ wegen Steuerhinterziehung 2011 umgerechnet 2,4 Millionen US-Dollar. Doch das Verfahren war noch im Stadium polizeilicher Ermittlungen. Liu Xioyuan, ein Menschenrechtsanwalt, sagte gegenüber dem Guardian treffend:

I don’t know which county’s understanding of criminal conviction the rejection is based on. If it’s the Chinese one Ai certainly does not have a conviction. […] It’s very ridiculous. Aung San Suu Kyi and many other human rights activists have been kept under house arrest for years. Do those count as criminal convictions?

Und der Hongkonger Menschenrechtsexperte Joshua Rosenzweig fügte gegenüber dem gleichen Blatt an:

Being subjected to residential surveillance is not the same thing as a criminal conviction. It’s what the Chinese authorities call a coercive measure. You can’t have a conviction without facing a court – even in China.

Ai Weiwei, der sich aktuell bei seiner Familie in Deutschland aufhält, versuchte den Sachverhalt telefonisch zu klären. Doch zunächst erhielt er die Aussage von den britischen Behörden, sie hätten alles korrekt bearbeitet. Auch Innenministerium und britische Botschaft in Peking ließen wissen, die Anträge würden individuell und auf Grundlage der Gesetze bearbeitet. Schließlich schlatete sich jedoch die britische Innenministerin ein und Ai erhielt ein sechsmonatiges Visum. Dadurch kann Ai nun doch an der Eröffnung einer Retrospektive über ihn in der Royal Academy of Arts im September teilnehmen.

Ein weiterer Kotau von David Cameron?

Aber warum verweigerten die britischen Behörden dem Künstler ein sechsmonatiges Visum? Nach allem, was wir bislang wissen, gibt es zwei mehr oder weniger schlüssige Erklärungen:

Die erste besagt, die Behörden hätten eigenmächtig und fehlerhaft entschieden. Also alles nur ein Fehler eines „kleinen Beamten“ in Peking? Das erscheint angesichts der Entscheidung der Innenministerin durchaus als möglich. Doch scheint eine politische Vorgeschichte für die Beamten nicht unerheblich gewesen zu sein, die für die zweite Erklärung zentral ist.

David Cameron bei seiner Ankunft in Peking 2013. Quelle: Flickr-Account von Downing Street 10.

David Cameron bei seiner Ankunft in Peking 2013. Quelle: Flickr-Account von Downing Street 10.

Entsprechend ist die zweite Erklärung eine wesentlich politischere. Denn die Situation erinnert stark an eine Verhaltensweise von Großbritanniens Premierminister David Cameron vor zwei Jahren. 2012 hatte der Premier den Dalai Lama empfangen. Daraufhin sah sich Cameron nicht nur schwerwiegender Kritik aus China ausgesetzt, er war de facto auch zur „persona non grata“ im Reich der Mitte geworden, wurde nicht mehr eingeladen und gemieden. Die Kosten für die britische Wirtschaft, so unkte man auf der Insel, gingen in die Milliarden. Im Dezember 2013 – kurz vor einer China-Reise – ließ Cameron dann verlautbaren, er werde sich nicht mehr mit dem Dalai Lama treffen. Auf Drängen, er möge Menschenrechtsverletzungen in Tibet ansprechen, ließ Downingstreet No. 10 wissen:

This visit is forward looking. We have turned a page on that issue. It is about the future and how we want to shift UK-China relations up a gear.

Mit anderen Worten: Cameron wolle nur noch über Wirtschaft, nicht mehr über Menschenrechte sprechen.
Die Frage ist nun: Handelt es sich bei der Visumsverweigerung für Ai um einen weiteren Kotau der britischen Regierung gegenüber Peking? Möglich ist auch das. Denn: Das sechsmonatige Visum, das Ai Weiwei zunächst verweigert worden war, erlaubt es ihm zeitgleich in Großbritannien zu sein wenn auch Chinas Staatspräsident und Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Xi Jinping, London einen Besuch abstattet. Durchaus möglich, dass die britische Regierung es vermeiden wollte, dass das Thema beim Staatsbesuch Xis eine Rolle spielt. Sollte dies das Kalkül gewesen sein, so ist es nun nicht aufgegangen.

David Camerons Treffen mit dem Dalai Lama sorgte für fast zwei Jahre Funkstille des britischen Premiers mit China. Quelle: Flickr.

David Camerons Treffen mit dem Dalai Lama sorgte für fast zwei Jahre Funkstille des britischen Premiers mit China. Quelle: Flickr.

Wer auch immer zunächst die Entscheidung zur Verweigerung des Visums getroffen hat, ob es nun politische oder bürokratische Entscheidungsträger waren: Es erscheint in jedem Fall unwahrscheinlich, dass die Vorgeschichte mit dem Dalai Lama keine Rolle bei der Entscheidung zu Ai Weiwei gespielt hat. Die offene Frage ist jedoch, wer gegenüber China vorauseilenden Gehorsam demonstrieren wollte? Handelte es sich dabei um eine Entscheidung der britischen Bürokratie oder der Politik? Die Prominenz Ais spricht eher dafür, dass sich die Bürokraten der politischen Rückendeckung versichern wollten. Aber belegt ist dies nicht. Die Korrektur durch die Innenministerin stützt hingegen eher die These, die ursprüngliche Entscheidung sei von britischen Bürokraten getroffen worden.

Angesichts dessen, dass die Behörden auch auf Nachfragen der Presse zunächst noch auf ihrem Standpunkt beharrten, lässt eine einsame Entscheidung eines einzelnen Beamten der britischen Visumsbehörde in Peking insgesamt als unwahrscheinlich erscheinen.

Wer auch immer die Entscheidung traf. Großbritannien scheint das Gefühl zu haben, sich der wirtschaftlichen Stärke Chinas beugen zu müssen. Das aber ist ein Verrat an den Werten, für die Europa und Großbritannien zu stehen vorgibt: die Menschenrechte. Cameron bleibt wohl ein Angsthase.

Peking verschärft den Kampf gegen Menschenrechtsaktivisten

Zhang Miao, die Mitarbeiterin der ZEIT, wurde auf dem Weg zu einer Dichterlesung als Unterstützung für die Regenschirmproteste in Hongkong im hier abgebildeten Pekinger Kunstdistrikt 798 verhaftet. Quelle: Flickr.

Zhang Miao, die Mitarbeiterin der ZEIT, wurde auf dem Weg zu einer Dichterlesung als Unterstützung für die Regenschirmproteste in Hongkong im hier abgebildeten Pekinger Kunstdistrikt 798 verhaftet. Quelle: Flickr.

Mutig sind hingegen viele Chinesen: In Chinas Gefängnissen sitzen unzählige Menschenrechtsaktivisten, Anwälte und Journalisten in Haft, viele von ihnen erleiden schlimmste Folterungen. Erst vor kurzem waren mehr als einhundert Rechtsanwälte verhaftet worden, darunter auch Zhou Shifeng, Anwalt von Zhang Miao, der ZEIT-Mitarbeiterin, die im Zusammenhang mit den pro-demokratischen „Regenschirmprotesten“ in Hongkong verhaftet worden und erst kurz vor der Verhaftungswelle ohne Prozess freigekommen war. Zwar sind die meisten von ihnen mittlerweile wieder auf freiem Fuß (nicht allerdings Zhou Shifeng, der stattdessen im Staatsfernsehen öffentlich gedemütigt wurde). Doch handelte es sich dabei um die größte Verhaftungswelle gegen Menschenrechtsanwälte in der Geschichte der Volksrepublik. Unzweifelhaft hat Xi Jinping sein Vorgehen gegen Menschenrechtsaktivisten, Oppositionelle, Anwälte, Journalisten und Aktivisten jedweder Couleur im Vergleich zu seinem Vorgänger Hu Jintao noch einmal erheblich verschärft. Dafür spricht auch die Erlassung eines neuen „Sicherheitsgesetzes“, dass die „nationale Sicherheit“ dermaßen vage definiert, dass die Behörden nun mit Berufung auf dieses Gesetz willkürlich gegen Andersdenkende vorgehen können.

Die Bundesregierung äußerte sich dazu zwar klar. Doch ein wirklicher lauter Aufschrei war es auch von deutscher Seite aus nicht.

Richtig bleibt zwar, dass von solchen Maßnahmen nur ein sehr geringer Teil der chinesischen Bevölkerung betroffen ist während sich der große Rest weitgehend unbehelligt und frei bewegen und äußern kann. Aber die Menschenrechte stehen jedem einzelnen Individuum zu und können nicht mit der relativen Freiheit einer Mehrheit „verrechnet“ werden.

Dass Ai Weiwei doch noch ein Visum erhalten hat, sollte man den Briten nicht sonderlich hoch anrechnen; es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einem Rechtsstaat. Doch Ais Situation erinnert an die Rückratlosigkeit David Camerons und seiner Regierung im Falle des Dalai Lama. Es wäre an der Zeit sich klar zu positionieren.

 

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Bretterblog erschienen. Das Bretterblog kommentiert regelmäßig Themen internationaler Politik.

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