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Verletzt das „Nordische Modell“ die Menschenrechte? Die Kundenkriminalisierung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Bild: Juno Mac, 2018, Flickr, CC BY-NC-ND 2.0

Am 31. August 2023 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Berufung gegen das französische Prostitutionsverbot nach dem „Nordischen Modell“ wegen potenzieller Menschenrechtsverletzungen zugelassen. Die Dokumente sind in französischer Sprache zugänglich, hier ist die kurze Version für die Presse. Geklagt hatten 261 Sexarbeitende verschiedener Herkunft mit Unterstützung von Médecins du Monde und anderen Organisationen.

„Nach Angaben der Kläger*innen, die legal als Prostituierte arbeiten, hat die Kriminalisierung von Kund*innen der Prostitution Sexarbeitende in die Illegalität und Isolation gedrängt, sie einem erhöhten Risiko für ihre körperliche Unversehrtheit und ihr Leben ausgesetzt und beeinträchtigt ihre Freiheit, darüber zu entscheiden, wie sie ihr Privatleben führen möchten“, erklärte das Gericht in einer Stellungnahme, die France 24 vorliegt.“Sie verurteilen die Kriminalisierung des Kaufs sexueller Handlungen, die selbst mündige Erwachsene betrifft“, fügte es hinzu.

Zahlreiche Organisationen, darunter auch Amnesty International und die Anti-Menschenhandels-Organisation La Strada International begrüßten die Entscheidung. Auch Tlaleng Mofokeng begrüßte die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Mofokeng ist UN-Sonderberichterstatterin für das Recht eines jeden auf das erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit. Sie warnte davor, dass die Kriminalisierung der Sexarbeit das Recht auf Gesundheit behindert, insbesondere für Sexarbeitende.“Sexarbeit ist Arbeit“, sagte Mofokeng, die auch eine Stellungnahme als amicus curiae eingereicht hatte. „Ich hoffe, dass das zukünftige Urteil dieses Gesetzes durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf internationalen Menschenrechtsprinzipien und Standards beruhen wird“, sagte Mofokeng.

In Frankreich sind zahlreiche Handlungen rund um die Sexarbeit verboten, auch wenn das Anbieten von Sex gegen Geld ans sich straffreich ist. Seit 2016 ist insbesondere die Bezahlung für sexuelle Handlungen strafbar. Die klagenden Sexarbeitenden argumentieren, dass das Gesetz verheerende Auswirkungen auf ihre Lebensgrundlagen hat und ihre Arbeit in den Untergrund treibt.

In ihrer Intervention verdeutlichte die Sonderberichterstatterin, wie Gesetze, Richtlinien und Praktiken, die die Sexarbeit kriminalisieren, Hindernisse für das Recht auf Gesundheit darstellen, insbesondere für Sexarbeitende.

„Die Kriminalisierung von Sexarbeiterinnen und die Bestrafung ihrer Kunden beeinträchtigt die Gesundheit der Sexarbeitenden und ihren Zugang zu Unterstützungsangeboten, was sich negativ auf ihre körperliche und geistige Gesundheit auswirkt, einschließlich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit“, erklärte die UN-Expertin.

Mofokeng prangerte die „verengte Sichtweise an, die stereotype Vorstellungen über die Sexarbeit und die Sexarbeiterinnen hervorruft“, und betonte, dass Sexarbeiterinnen Gesundheitsbedürfnisse jenseits der HIV-Prävention oder -Behandlung haben, darunter Untersuchungen auf reproduktive Krebserkrankungen, Tests auf andere sexuell übertragbare Infektionen, Traumaberatung, Verhütungsmittel und sichere Abtreibungspflege.

In ihrer Stellungnahme bekräftigte Mofokeng, dass Staaten nach internationalem Menschenrecht verpflichtet sind, die Menschenrechte von Sexarbeitenden zu achten, zu schützen und zu verwirklichen, einschließlich ihres Rechts auf Privatsphäre, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Sicherheit der Person, das Recht, frei von Folter, grausamer und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zu sein, und das Recht auf Autonomie und Freiheit vor rechtswidriger Einmischung.

„Sexarbeit sollte nicht mit Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung verwechselt werden“, betonte die Sonderberichterstatterin. „Die Annahme, dass alle Sexarbeitenden Opfer von Menschenhandel sind, leugnet die Autonomie und Handlungsfähigkeit von Menschen, die Sex verkaufen“, sagte sie.

Mofokeng drängte die Staaten, das Wohlergehen von Sexarbeiterinnen im Einklang mit ihren Menschenrechtsverpflichtungen zu bringen, indem sie ihre Rechte auf Diskriminierungsfreiheit, das Recht auf Gesundheit, das Recht, den Lebensunterhalt aus der Arbeit zu bestreiten, und sichere Arbeitsbedingungen sicherstellen.

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