Anlässlich des internationalen Tages gegen Menschenhandel am 18. Oktober möchte ich eine Artikelserie vorstellen, die seit einigen Wochen und über einen Zeitraum von 12 Monaten auf Open Democracy erscheint. Unter dem Titel „Jenseits von Menschenhandel und Sklaverei“ stellen Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Fachgebieten und unterschiedlichen Ländern eigene Forschung und Überlegungen zu Menschenhandel vor. Ähnlich wie auch dieses Magazin verfolgen die Autor*innen einen kritischen Ansatz. Ihr Ziel ist es,
sowohl die leere Effekthascherei von Mainstream-Medienberichten über Ausbeutung und Herrschaft als auch die hohlen technokratischen politischen Reaktionen, die von Unternehmen und Politiker*innen beworben werden, kritisch zu hinterfragen. (Quelle)
Bisher sind insgesamt vierzehn Beiträge erschienen, die vor allem den Diskurs über Menschenhandel und moderne Sklaverei und die politischen Maßnahmen gegen Menschenhandel kritisch analysieren.
Der erste Befund wiegt schwer gegen Politiken und Kampagnen gegen Menschenhandel: Aktionen, Politiken und Kampagnen gegen Sklaverei und Menschenhandel hätten bisher kaum etwas bewirkt – oder zumindest gibt es keine Daten, die das irgendwie belegen. Aber, so fragen die Autoren, was bewirken denn diese Politiken dann, wenn sie diejenigen, die sie angeblich schützen, nicht wirklich stärken?
Weiter geht es mit dem Hinweis von Siobhán McGrath, dass internationale Anti-Menschenhandels-Bündnisse und Initiativen eher durch geopolitische Allianzen geprägt seien und eher zu einer Verschleierung entscheidender Faktoren von Ausbeutung beitragen: Anti-Menschenhandels-Initiativen weisen selten auf die Bedeutung von restriktiven Migrationspolitiken oder auch auf die Bedeutung neoliberaler Wirtschaftspolitiken hin, obwohl diese die Bedingungen für Ausbeutung und Misshandlung erst schaffen. McGrath hinterfragt auch den seit 2000 jährlich veröffentlichten TIP-Report – den offiziellen Bericht zu Menschenhandel der US-Regierung, der alle Länder gemäß ihrer Menschenhandelspolitik einordnet. Schon seit Jahren weisen Forscher*innen darauf hin, dass dieser Bericht eigentlich ein Instrument der Außenpolitik ist, in dem unbequeme Staaten grundsätzlich schlecht gerankt werden und dass er als Druckmittel in der internationalen Öffentlichkeit genutzt wird.
Annie Bunting und Joel Quirk stellen sich die Frage, warum Anti-Menschenhandel und „Abolition“ so erfolgreich sind und parteiübergreifende Unterstützung erfahren. Die Erklärung ist ernüchternd: Anti-Menschenhandel und Aboliton stellen keine größeren wirtschaftlichen und ökonomischen Interessen in Frage. Dies zeige sich insbesondere in der Bekämpfung von Prostitution einerseits und in der Restriktion von Migration andererseits. Prostitutionspolitiken würden keine Gefahr für dominante politische und ökonomische Interessen darstellen (anders als die historische Anti-Sklaverei-Bewegung) und eignen sich deshalb besonders gut für eine parteiübergreifende Anti-Menschenhandelspolitik – nicht zuletzt wegen den starken Emotionen, die das Thema generiert. Um das Argument zu verdeutlichen, nennen die Autoren Beispiele aus anderen Bereichen, die von den Regierungen viel stärker abgewehrt werden und keinen parteiübergreifenden Konsens erhalten: Verbesserung von Arbeitsrechten und Arbeitsbedingungen (gefordert durch Gewerkschaften), das Ende von Menschenrechtsverletzungen (insbesondere, wenn sie durch Staaten selbst begangen werden), Kritiken am globalen Kapitalismus. Warum also ist Anti-Menschenhandel so bequem?
Eine Erklärung dafür liegt in der sogenannten „Politik der Ausnahme“. „Moderne Sklaverei“ und Menschenhandel werden als Ausnahme dargestellt, als etwas horrendes, was zwar zunimmt, aber dennoch „nur“ eine kleine Zahl von Menschen betrifft. Sie sind nicht die Regel im Kapitalismus sondern die Ausnahme. Doch die Sprache der Ausnahme zementiert und billigt damit dominante ökonomische und politische Interessen – insbesondere jene des Globalen Norden. Anstatt auf globale Formen von Ausbeutung, Gewalt und Diskriminierung hinzuweisen, lenkt Anti-Menschenhandel den Blick auf das Schlimmste des Schlimmen. Damit bleiben Arbeitsbedingungen in den globalen Zulieferketten und in „freien“ Arbeitsverhältnissen unhinterfragt. Wer nur die ganz schlimmen Arbeitsbedingungen kritisiert, billigt alles, was auch nur einer wenig besser ist, als völlig akzeptabel und legitimiert und billigt damit das Verhalten von globalen Konzernen, die gerade mal so viel tun, dass sie über der Schwelle liegen. Und vor allem bleiben damit andere Ungerechtigkeiten – die politisch und wirtschaftlich unbequemen Ungerechtigkeiten – außerhalb des Blickfeldes.
Fakt ist, darüber schreibt Genevieve LeBaron, dass gerade im Bereich der Arbeitsausbeutung und der Zwangsarbeit in globalen Zulieferketten, kaum etwas getan wird. Weder die Politik noch die Wirtschaft nehmen das ernst und wälzen im Zweifel die Verantwortung auf die Konsument*innen ab. Diese könnten ja schließlich selber entscheiden, ob sie Produkte kaufen, in denen Ausbeutung oder Sklav*innenarbeit steckt oder nicht. Zwangsarbeit, das wissen wir, steckt in einer Vielzahl von Produkten: Cannabis, Schokolade, Gold, Baumwolle, Fisch, Shrimps, Pilze und Beeren. Und es handelt sich dabei nicht um Ausnahmen in einer ansonsten rosa Welt der Arbeitsbedingungen. Schwere Arbeitsausbeutung ist in der globalen Wirtschaft in manchen Branchen weit verbreitet – weil es zu einem Business-Modell gehört, das niedrige Kosten verursacht und große Produktmengen produziert. Doch anstatt die Arbeitsbedingungen zu verbessern, was den Interessen dieser Konzerne schaden würde, nimmt man es weiterhin in Kauf, dass Arbeiter*innen geschlagen und getötet werden, wie vor einigen Monaten der Guardian berichtete.
Ethischer Konsum kann das globale Problem der Arbeitsausbeutung nicht alleine Lösung, so lange nicht auch globale Konzerne und Regierungen mitmachen. Doch, so Neil Howard, die strukturellen Kräfte des Kapitalismus gehen weit über die Profitabhängigkeit einzelner Konzerne hinaus. Menschenhandel und Ausbeutung seien intrinsische und strukturelle Bestandteile eines globalisierten Kapitalismus. Der Druck nach unten auf Arbeitsbedingungen sei in der DNA des Systems eingeschrieben und an jeder Stelle im System gäbe es Anreize, um den Arbeitnehmer*innen noch mehr wegzunehmen. Und am Ende der Zulieferkette (in der alle von allen, die unter ihnen liegen, profitieren) gibt es Zulieferer, die nur noch wirtschaften können, wenn sie unfreie und unbezahlte Arbeit nutzen. Wenn wir Ausbeutungsverhältnisse abschaffen wollen, müssen wir uns globale Produktionsverhältnisse und ihre Bedingungen anschauen – darunter die extreme Ungleichheit – und dagegen kämpfen. Ethischer Konsum an sich, reicht da kaum aus.
Promis und Berühmtheiten, die sich plötzlich öffentlich nicht nur gegen Menschenhandel engagieren sondern auch die Lösungen dafür präsentieren, analysiert Dina Haynes. Mit dem Schwarzerschen „Appell gegen Prostitution“ haben wir auch in Deutschland beobachten können, wir sich Promis plötzlich zu einer politischen Lösung der Probleme in der Sexarbeit äußerten, ohne einen blassen Schimmer davon zu haben. Haynes kommt dabei eindeutig zum Schluss: Es ist besser nichts zu tun, als sich unkritisch den Forderungen von uninformierten Promis anzuschließen!
Doch was tun? Man kann doch nicht einfach nichts tun?! Mit dieser Frage befasst sich Anne Gallagher im Beitrag „Von der Empörung zur Handlung“ (From outrage to action). Es ist einfach in die Falle zu tappen, in der man sich gut fühlt, weil man sich gerade schlecht fühlt und über Menschenhandel aufregt, schreibt Gallagher. Es ist einfach zu glauben, dass man etwas gegen Menschenhandel tut, indem man darüber spricht. Petitionen, spenden, Tweets or „Likes“ – das alles bewirkt nichts. Veränderungen sind nicht einfach zu bewirken und Gallagher steht den großen Erzählungen, dem großen Geld von Anti-Menschenhandels-Kampagnen und jenen Menschen, die sich so sicher sind, dass ihre Meinung die einzig richtige ist, skeptisch gegenüber.
Was also sollte man tun? Gebühren internationaler Arbeitsvermittlung abschaffen; einen globalen Mindestlohn einführen; die Ausbeuter bestrafen und die Nachfrage nach billiger, unregulierter und ausbeutbarer Arbeitskraft und den Produkten dieser Arbeit reduzieren.
Dass die Diskussion über die Nachfrage von Ausbeutung im der Anti-Menschenhandels-Welt ausschließlich als Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen verstanden wird und ein Sexkaufverbot angeblich und plötzlich die sexuelle Ausbeutung abschaffen soll, sieht Gallagher als einer dieser „großen Erzählungen“, einer schnellen Lösung, der man misstrauen sollte.
Alle weiteren Artikel in der Serie „Jenseits von Sklaverei und Menschenhandel“ (auf Englisch) sind auf Open Democracy, Twitter und Facebook zu finden