Das französische Gesetz gegen Prostitution: Wenn der Staat Freiheiten einschränkt – Bevormundung, Entmündigung und Zensur

Einvernehmliche sexuelle Handlungen unter Erwachsenen gegen Entgelt werden unter Strafe gestellt. Webseiten können einfach gesperrt werden. Mit einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit der Bürger_innen, will Frankreich angeblich für die Befreiung von Prostituierten kämpfen.

Am 28. November 2013 stimmt das französische Parlament über einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der Prostitution ab. Dieses Gesetz wird aus verschiedenen Perspektiven kritisiert. Insbesondere die pauschale Bestrafung von Kunden von Sexarbeitern wird von Organisationen ausverschiedenen Bereichen kritisiert, darunter Sexarbeiter-Organisationen, AIDS-Hilfen, aber auch Frauen-Organisationen.

Gegen den Gesetzentwurf äußern sich auch feministische Stimmen, wie z.B. das „Collectif du 8 mars pour toutES„. Das Kollektiv prangert in einem offenen Brief insbesondere die Exklusion von Prostituierten aus der Debatte, was sie als nicht-feministisch einstufen, sowie den repressiven Charakter des Gesetzes an.

Selbstbestimmte Prostituierte existieren nicht mehr. Sie sind de jure „Opfer“

Das erste Problem ist, dass Prostituierte durch dieses Gesetz de jure pauschal zu „Opfern der Prostitution“ degradiert werden – ihre eigene Sicht der Dinge wird per Gesetz als falsch deklariert. Selbstbestimmung in der Prostitution soll laut Gesetz gar nicht mehr möglich sein – Selbstbestimmung und Zwang seien das Gleiche.

Das Gesetz ist Ausdruck einer paternalistischen Bevormundung von Prostituierten, die perverse Züge annimmt. Denn um die Selbstbestimmung der Prostituierten wieder herzustellen (dass diese verloren wurde bzw. abwesend ist, ist die Grundannahme des Gesetzes), wird per Gesetz die Selbstbestimmung der Prostituierten zuerst geleugnet, und somit indirekt „verboten“. Die Perspektive und Selbstwahrnehmung einer ganzen Gruppe von Menschen wird per Gesetz ausgeklammert bzw. als inexistent deklariert.

Was daran problematisch ist, verdeutlicht ein Gedankenexperiment. Tauschen wir doch mal „Prostitution“ mit „Homosexualität“ aus. Wer glaubt, dass Homosexuelle krank seien und nur geheilt werden müssten (eine durchaus noch verbreitete Haltung), könnte – wie hier mit Prostituierten – irgendwann auch von „Opfern der Homosexualität“ (analog zu „Opfern von Prostitution“) sprechen und diesen dann per Gesetz eine Zwangsrettung vorschreiben. Egal was die Homosexuellen sagen und wie sie ihre Sexualität erleben, es könne ja nur falsch sein.

Was interessiert uns der Menschenhandel, wenn alle Prostituierten gerettet werden müssen?

Wenn plötzlich per Gesetz alle Prostituierte Opfer sind, bedeutet dies dass Betroffene von Menschenhandel mit selbstbestimmten Prostituierten gleichgestellt werden. Das wird zur Folge haben, das sich die Polizei auf die sichtbaren Prostituierten konzentrieren, sie von der Straße schaffen und als „Opfer von Menschenhandel“ deklarieren kann.

Die Betroffenen von Zwang und Ausbeutung in der Prostitution im Sinne der internationalen Definition von Menschenhandel können somit ganz legal ignoriert werden – schließlich gilt nun jede Prostituierte als Opfer. Niemand muss sich mehr die Mühe machen, genau hinzuschauen oder nach besonderes versteckten Orten zu suchen, wo vielleicht tatsächlich jemand gegen seinen/ihren Willen kommerziell sexuell ausgebeutet wird.

Das bedeutet zweitens, dass die französischen Statistiken zum Thema Menschenhandel explodieren werden – weil nun de jure alle Prostituierten Opfer sind. Wir sind gespannt, wie der französische Staat mit der statistischen Explosion des Menschenhandels umgehen wird – und ob die Zunahme als Erfolg oder Scheitern des Gesetzes interpretiert werden wird und welche Politiken dann gefordert werden.

Drastische Preissteigerung für Kunden: +1500€

Wenn das Gesetz verabschiedet wird, müssen alle Kunden von Prostituierte mit einer Strafe von 1500€ rechnen. Wer die Strafe in Kauf nimmt und dennoch für Sex bezahlt (für die reichen Männer ist das durchaus denkbar), wird vermutlich noch mehr Leistungen von den Prostituierten verlangen, um das Risiko und die höhren Kosten zu kompensieren – mit dem perversen Effekt, dass die Prostituierten fremdbestimmter dastehen als jetzt. Ihre Kunden werden sie auch in wesentlich unsicherern Orten treffen müssen. Und falls diese Gewalt anwenden, werden sie sie nicht verklagen können. Prostituierte ist ja schon Opfer – ob sie also zusätzlich noch Gewalt erfährt (für die der Kunde dem Staat ja schon 1500€ zahlt), spielt keine Rolle. Die Strafe ist also sicher nicht direkt gegen die Prostituierten gerichtet, aber sie wird auf sie abgewälzt – ihre Arbeit wird negativ davon betroffen sein. Indirekt bestraft sie das Gesetz nicht nur durch Entmündigung sondern auch durch die erhöhte Gefahr von Gewalt.

Problematisch ist insbesondere, dass durch das Gesetz einvernehmliche sexuelle Handlungen unter Erwachsenen unter Strafe gestellt werden. Frankreich setzt so das sogenannte “Schwedische Modell“ um, wonach die Prostituierten (zumindest formal gesehen) straffrei blieben und nur die Kunden bestraft würden. Dass Sexarbeiter_innen, die weiterhin in diesem Bereich arbeiten wollen, dabei rechtlos bleiben, wird im Entwurf nicht berücksichtigt. Zu einer Verbesserung ihrer Lage wird er wohl eher nicht führen. Doch der „Ideologie“ des schwedischen Modells ist das egal.

Freiheit einschränken um Freiheit zu gewähren? Die Sperrung von Webseiten

Im ersten Artikel des Gesetzesentwurfes sind auch Maßnahmen zur Kontrolle und Sperrung von Webseiten enthalten. Der Knackpunkt ist, dass eine solche Sperrung ohne richterlichen Beschluss durchgeführt werden könne. Insbesondere soll der Zugang zu Webseiten, die gegen das neue Gesetz verstoßen, aber im Ausland basiert sind, durch die Provider gesperrt werden. Es ist unklar, welche Webseiten und Inhalte genau gegen das zukünftige französische Gesetz verstoßen werden – das wird im Wesentlichen von der Umsetzung und Auslegung des Gesetzes abhängen. Vermutlich handelt es sich um alle Seiten, die sexuelle Dienstleistungen anbieten oder durch Annoncen und Anzeigen darauf hinweisen, denn all das kann als „Zuhälterei“ ausgelegt werden. Auch ist unklar, ob persönliche bzw. beruflich eingesetzte Webseiten von Prostituierten oder gar Blogs von Aktivist_innen und Organisationen, die sich für die Rechte von Sexarbeiter_innen einsetzen, ebenfalls gesperrt werden dürfen. Letzteres wäre ein harter Schlag gegen die Demokatie.

Nach einer Prüfung des ersten Artikels des Gesetzentwurfes hat am 21. November der französische „Nationale Rat des Digitalen“ (CNN – Conceil Nationale du Numérique) eine Stellungnahme gegen diesen Artikel veröffentlicht. Die vorgesehenen Maßnahmen würden die „Grundrechte in Bezug auf Meinungs- und Informationsfreheit“ untergraben, sagte der Vorstand des Rates. Das Netz, seine Technologien und Verwendungen können und sollen diese Rechte ausbauen und sollten „nicht als Vorwand für ihre Einschränkung dienen“. Insbesondere die Möglichkeit ohne richterlichen Beschluss Webseiten zu filtern und zu sperren sei ein unverhältnismäßiger Angriff auf die Freiheit.

Ich kann es nur wiederholen: Der Kampf gegen Menschenhandel darf nicht auf den Schultern selbstbestimmter Sexarbeiter_innen und auf Kosten der Freiheiten aller Menschen ausgetragen werden.

Quellen:

Der Gesetzesentwurf zur „Stärkung des Kampfes gegen das System Prostitution“:

Die Stellungnahme des CNN

Artikel in Le Monde zur Stellungnahme des CNN

Proposition de loi d’abolition de la prostitution : la parole des prostituées (France Inter)

Prostitution: Interview avec Morgane Merteuil et Sophie Péchaud sur le projet de loi de pénalisation des clients