menschenhandel heute.

kritische perspektiven auf die bekämpfung von menschenhandel

Sexarbeit, Maischberger und die Menschlichkeit

Ein vorab Kommentar zu einer noch nicht existierenden, aber ziemlich vorhersehbaren Folge von Menschen bei Maischberger (20.1.2015).

Die CDU will schnellstmöglich ein neues „Prostituiertenschutzgesetz“ auf die Wege bringen. Dadurch soll der angeblich explodierende Menschenhandel bekämpft werden, die Prostitution „menschlicher“ werden.

Der Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ist im Jahr 2013 um 11 % zurückgegangen. Während es 2012 noch 612 Opfer waren, sind es ein Jahr später 542. Auch die Zahl minderjähriger Opfer hat sich zwischen 2009 und 2013 halbiert: Von 145 auf 70 Opfer.

Der Hinweis findet sich im Bundeslagebild Menschenhandel des Bundeskriminalamtes (BKA) vom Herbst 2014. „Die Zahl der in Deutschland festgestellten Fälle von Menschenhandel […] hat im Jahr 2013 den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2006 erreicht“, so die Gesamtbewertung des BKA.

Bemerkt hat das niemand, schließlich veröffentlichte das BKA keine Pressemitteilung. Die Große Koalition und vor allem die CDU/CSU haben kein Interesse daran, die Öffentlichkeit über den Rückgang des Menschenhandels zu informieren. Schließlich würde ihr damit der Boden unter den Füßen wegbrechen, wenn es um die Einführung neuer Kontrollinstrumente geht, weil seit Einführung des Prostitutionsgesetzes im Jahr 2002 angeblich der Menschenhandel explodiert sei.

Maischberger, Maischberger…

Das alles werden wir bei Maischberger nicht hören. Schließlich steigt schon in der Ankündigung der Sendung die Ministerpräsidentin des Saarlandes Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) mit Behauptungen ein, die Schock, Empörung und Sprachlosigkeit auslösen sollen. „Die moderne Sklaverei wurde nicht zurückgedrängt“ und Deutschland sei eine „Drehscheibe für Frauenhandel“.

Frau Kramp-Karrenbauer meint damit jedoch nicht die echte „moderne Sklaverei“, sonst würde sie ja kaum an einer Sendung zum Thema „Sexarbeit“ sprechen. Die „moderne Sklaverei“, die vor allem in den Produkten steckt, die wir alltäglich konsumieren und die im Wesentlichen eine Kombination von Arbeitsausbeutung und Entrechtung in neoliberalen globalen Märkten ist, ist hier nicht das Thema.

„Moderne Sklaverei“ wird hier – so würde es der Sklaverei-Forscher Joel Quirk nennen – nur als „rhetorisches Mittel“ eingesetzt. Dadurch soll „moderne Sklaverei“ zwar auf die politische Agenda gebracht werden, aber ohne dass eine tiefgründige und sachliche Debatte über ein komplexes Thema stattfindet. Die Rhetorik der „modernen Sklaverei“ löst Schock und Entrüstung aus, präsentiert gleichzeitig extrem einfache Lösungen, die sich aber vor allem gegen Sexarbeiter*innen richten.

Kramp-Karrenbauer fordert eine „erhebliche Ausweitung des Sperrgebiets“. Sperrgebiete sind jene Teile deutscher Städte und Kommunen, in denen Sexarbeit verboten ist. Über dieses Verbot entscheiden die Kommunen selber – und zwar seit den 1960er Jahren. Grundlage ist der versteckte Paragraph im Strafgesetzbuch § 184e „Ausübung der verbotenen Prostitution“.

„Sperrgebiete“ dienen jedoch nicht dem Schutz und der Stärkung der Rechte von Sexarbeiter*innen oder, um in der Sprache von Kramp-Karrenbauer zu bleiben, der „modernen Sklav*innen“.

„Sperrgebiete“ stellen die deutsche Form der Kriminalisierung von Sexarbeiter*innen (oder: der „modernen Sklav*innen“) dar. Saarbrücken hat Sperrgebiete ausgeweitet und gerade letzte Woche auch Karlsruhe. Andere Städte, wie z. B. München, sind zu über 90% Sperrgebiet, d. h. dass Sexarbeit de facto illegal ist und Sexarbeiter*innen mit hohen Geldstrafen und teilweise auch mit einer Haft bestraft werden. Und das obwohl man uns in der anhaltenden Anti-Prostitutions-Panik weismachen will, wie unkontrollierbar legal Prostitution in Deutschland angeblich ist. De facto ist sie großflächig verboten.

Im Saarland erhielten schon im vergangenen Jahr nicht die Sexarbeiter*innen „mehr Rechte“ sondern die Polizei und Ordnungsämter – gegenüber den Sexarbeiter*innen. Eingeführt wurde auch eine Kondompflicht, die nicht umsetzbar ist. Ein ähnliches nicht umsetzbares Gesetz auf Bundeseben zu fordern, ist dann wohl Zeichen von Verzweiflung und fehlendem politischen Willen, sich ernsthaft mit Sexarbeit und Menschenhandel zu befassen.

Fassen wir also zusammen: Kramp-Karrenbauer will „Moderne Sklaverei“ reduzieren, indem sie die „modernen Sklav*innen“ durch die Ausweitung von Sperrgebieten kriminalisiert, die Armutsprostituierten zu hohen Geldstrafen bis hin zur Haft zwingt und die Berufsfreiheit der Sexarbeiter*innen einschränkt.

Groß-Bordell Deutschland statt Straßenprostitution?

Darüber werden sich insbesondere die Betreiber*innen großer Bordelle freuen. Aber auch diese etwas schräge Allianz zwischen CDU/CSU und Bordellbetreiber*innen wird bei Maischberger wohl kaum thematisiert werden. Auch die Tatsache, dass sich CSU-Politiker*innen in Dachau laut Presseberichten an der Finanzierung eines Bordells beteiligen, wird bei Maischberger eher untergehen. Die CDU/CSU will Prostituierte ja schützen – am besten in höchst profitablen Bordellen, die von ihren Politiker*innen mitfinanziert werden.

Große Betriebe sollen auch in der Prostitution zur Regel werden – zu Lasten derjenigen, die dort arbeiten. Die Verdrängung der Sexarbeiter*innen aus den Straßen und Wohnungen deutscher Städte kommt damit direkt den Großbordellen zugute. Kleine Bordelle, die durch Sexarbeiter*innen geführt werden, werden langsam aussterben – als Folge der „strengeren Auflagen für Bordellbetreiber“(*innen).

„Strengere Auflagen für Bordellbetreiber“(*innen) sind an sich ja nichts Schlechtes. Abgesehen davon, dass auch jetzt schon Bordelle geschlossen werden können, werden diese hochgelobten „strengeren Auflagen“ Sexarbeiter*innen nicht unbedingt helfen. Warum? Ganz einfach.

„Strengere Auflagen“ bedeuten, dass der bürokratische Aufwand zur Eröffnung eines Bordells – und zwar auch eines Wohnungsbordells, das sich nur zwei Sexarbeiter*innen teilen – erheblich steigen wird. Wie bei jeder Bürokratie und ihrem unverständlichem Verwaltungsdeutsch, wird das kompliziert, undurchschaubar.

Auflagen und Erlaubnispflicht gehen also mit höheren Hürden einher, die im Zweifel nur durch Unterstützung von Rechtsanwälten und anderen Expert*innen genommen werden können. Und hier kommt der Klu: Großbordelle werden sich diese Expertise leisten können. Sie verfügen vermutlich auch über die nötigen Netzwerke in Politik und Verwaltung, um eine Erlaubnis etwas schneller zu erhalten. Siehe Dachau.

Benachteiligt werden durch diese Erlaubnispflicht jene Sexarbeiter*innen, die selbständig, quasi genossenschaftlich arbeiten wollen, und nicht in einem Großbordell. Zusammen mit der Einführung von Sperrgebieten werden alle Sexarbeiter*innen wortwörtlich in die Hände (oder Gebäude) von Großbordellen gedrängt.

Uns erwartet Groß-Bordell Deutschland – mit freundlicher Unterstützung der CDU/CSU.

Bei Maischberger wird auch das kein Thema sein. Denn, so ein bisschen wie bei Pegida, wird man die Ängste besorgter Bürger*innen ernst nehmen wollen, die doch bitte keine Prostituierten in ihrem Umfeld und auf benachbarten Straßen sehen wollen – auch wenn so manche*r besorgte*r Bürger*in selber Sex kauft. Es ist die Rückkehr der Doppelmoral, wonach Prostitution dringend nötig ist, aber Sexarbeiter*innen möglichst unsichtbar und rechtlos sein sollen.

Die Sexarbeiter*innen

CC BY-NC-SA 2.0 , by Kaytee Riek

Sexarbeiter*innen, wie Undine de Riviére, passen hier nicht ins Bild. Schon alleine ihre Existenz weist auf die Absurdität der Frage der Sendung hin, ob denn Prostitution menschlicher wird – als seien Sexarbeiter*innen keine Menschen, als seien sie bloß eine „Ware“, die nicht für sich sprechen kann und die möglichst bei jedem Schritt und Tritt polizeilich überwacht werden sollen.

Dass Menschen wie de Riviére sichtbar sind, irritiert Anti-Prostitutions-Feminist*innen und konservative Doppelmoral-Fanatiker*innen gleichermaßen. Daher greift man zu Strategien, die unter der Gürtellinie liegen. Man wirft ihnen vor, dass sie privilegiert seien und nicht ausgebeutet werden – als sei es wünschenswerter, dass sie ausgebeutet würden. Man wirft ihnen vor, andere Sexarbeiter*innen zu unterdrücken – und vergisst dabei die Betreiber*innen der echten Großbordelle, inklusive jene, die CSU-Politiker*innen finanzieren. Die Angriffe gegen Sexarbeiter*innen kommen ebenfalls den Betreiber*innen von Groß-Bordellen zugute – die tragische Ironie des Kampfes gegen Menschenhandel.

„Unser Beruf ist weder psychisch schädlich, noch muss man uns vor uns selbst schützen“, sagt de Riviére in der Sendungs-Ankündigung. Dass das vor allem der CDU/CSU schwer fällt, zeigt die Forderung der Erhöhung des Mindestalters. Junge Frauen zwischen 18 und 21 – davon scheint die CSU/CSU auszugehen – sind einfach noch zu dumm, um entscheiden zu können, was sie mit ihrem Körper tun. Männliche Sexarbeiter existieren in ihrem Bild gar nicht – das mag wohl an der latenten Homophobie liegen. Organspende und Bundeswehr – alles kein Problem. Aber Sexarbeit, das will man nicht haben.

Arbeit aus „purer Freude“?

„Es gibt keine Frau, die das aus purer Freude macht“. Dieser Satz könnte auf jeden Job angewandt werden, ohne dass dabei die Existenz einer ganzen Branche in Frage gestellt wird, ohne dass damit Rechte abgeschafft oder z. B. „Sperrgebiete“ für Reinigungskräfte oder Wissenschaftler*innen eingeführt werden.

Bei der Prostitution sollen aber plötzlich Maßstäbe gelten (Arbeit aus purer Freude), die bei keinem anderen Beruf auch nur annähernd in Betracht gezogen werden. Bei allem Respekt für die Erfahrung und Selbstdeutungen der ehemaligen Prostituierten Marie Merklinger, fällt es mir schwer ihre politische Position nachzuvollziehen. Und darum geht es mir: Um ihre politischen Forderungen.

In 116 Ländern dieser Welt ist Sexarbeit verboten, indem Sexarbeiter*innen auf irgendeine Art und Weise bestraft werden. Das trifft auch auf Schweden zu: Wer Kinder hat, wird das Sorgerecht verlieren; Vermieter*innen werden durch die Polizei ermutigt die Wohnung, in denen Sexarbeiter*innen leben, zu kündigen, um nicht selber wegen Zuhälterei angeklagt zu werden; Migrant*innen aus EU-Drittstaaten werden gnadenlos abgeschoben. Steuern zahlen müssen Sexarbeiter*innen in Schweden trotz allem – obwohl sie keine Rechte haben und per Gesetz zu unmündigen Opfern erklärt wurden, die viele Entscheidungen treffen dürfen, aber bitte nicht jene, mit Sexarbeit den Lebensunterhalt zu verdienen.

Merklinger geht nun davon aus, dass ein Verbot sie davon abgehalten hätte, in der Prostitution zu arbeiten. Das ist eine kontrafaktische Spekulation, die niemand wirklich beantworten kann. Die Erfahrung aus den 116 Ländern mit Prostitutionsverboten zeigt aber exakt das Gegenteil: Sexarbeiter*innen verdienen trotz teilweise krassen Verboten mit Sexarbeit ihren Lebensunterhalt – bloß unter wesentlich schlechteren Bedingungen.

Während in Deutschland Morde und Gewalt an Sexarbeiter*innen durch die Polizei verfolgt und geahndet werden, ist das mit einem Prostitutionsverbot kaum möglich. Dort gelten Prostituierte grundsätzlich als Täter*innen und wer sich an die Polizei wendet, um Schutz zu suchen, läuft Gefahr durch die Beamten erpresst oder gar vergewaltigt zu werden.

Der „Zugang zum Recht“ wird mit einem Prostitutionsverbot de facto außer Kraft gesetzt – einer Prostituierten kann man dann antun, was man will, denn wenn sie (oder er!) Anzeige erstattet, wird sie wegen der Prostitution bestraft. Auch in Schweden kamen Fälle ans Licht, in denen Polizeibeamte Opfer von Menschenhandel vergewaltigt haben.

Meine Frage an Maria Merklinger ist ganz einfach: Warum müssen Sexarbeiter*innen Prostitution aus „purer Freude“ machen müssen, damit sie nicht kriminalisiert werden, damit sie diesen Job ausüben können, ohne als psychisch kranke und unmündige Menschen zweiter Klasse angesehen werden? Seit wann ist „pure Freude“ ein Kriterium für Menschlichkeit und für die Gewährung von Arbeitsrechten?

Und was ist mit den Sexkäufer*innen?!

Olaf Forner zahlt für Sex und sagt: „Einen One-Night-Stand finde ich viel verlogener“. Dem würde ich hinzufügen: Heterosexuelles Balzverhalten allgemein ist verlogen – vor allem dann, wenn es nur um Sex geht, aber die Beteiligten um den heißen Brei herumreden.

An dieser Stelle wäre es angemessen, für mehr Ehrlichkeit und Offenheit in unseren nicht-prostitutiven Sexkontakten zu plädieren, denn – so habe ich gehört – so manche*s Sexkäufer*in sucht bei Sexarbeiter*in die Kommunikation, das Sich-Fallen-Lassen, die man angeblich in der privaten Beziehung nicht hat.

Nun ja, Sperrgebiete, Großbordelle und sonstige repressive Gesetze werden an der Tabuisierung und Verlogenheit von Sexualität in dieser Gesellschaft nichts ändern. Das scheint ja auch nicht gewollt zu sein (siehe die Debatte über Sexualpädagogik).

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