menschenhandel heute.

kritische perspektiven auf die bekämpfung von menschenhandel

BKA veröffentlicht Bundeslagebild Menschenhandel 2012

Opferzahlen BKA 2012 Menschenhandel
Quelle: BKA Bundeslagebild Menschenhandel 2012

Das BKA hat gerade das Bundeslagebild Menschenhandel für 2012 veröffentlicht. Dieses Jahr etwas später als sonst. Vermutlich wollte auch das BKA den Ausgang der Koalitionsverhandlungen abwarten, um schließlich selbst auch in der Pressemitteilung einen Kommentar zur den dort beschlossenen Punkten zum Thema Menschenhandel abzugeben.

Liest man den Bericht und dann die Pressemitteilung fällt auf, dass beide Texte nicht ganz deckungsgleich sind und in der Pressemitteilung einige Aspekte nicht genannt werden. Mit Blick auf das Bundeslagebild selbst, hätte man sich gewünscht, dass auch folgende Informationen genannt würden, die nun leider fehlen und somit weiterhin Gegenstand von Spekulationen sein können:

– Geschlecht

– Aufenthaltsstatus der Betroffenen sowie Tatverdächtigen

– Anzahl abgebrochener Verfahren und Gründe dafür (differenziert nach Herkunftsland der Betroffenen)

– Anzahl von Verdachtsfällen, die durch Razzien ermittelt wurden, die zu einem erfolgreichen Abschlusses der Verfahren führten

– Anzahl von Betroffenen, die weiterhin in Deutschland leben und Anzahle derjenigen, die in ihre Herkunftsländer zurückgebracht wurden

– In wie vielen Fällen kam es zu Entschädigungen bzw. Lohnnachzahlungen?

– Wie hoch sind die Verurteilungen der „Menschenhändler“? In wie vielen Fällen bleiben die Verurteilten auf Bewährung frei?

Abgesehen von diesen substantiellen Punkten, die hiermit ungeklärt bleiben, lassen sich die Ergebnisse so zusammenfassen:

Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung 

  • Die Zahl der Ermittlungsverfahren ist ungefähr gleich geblieben (Schwankungen von 2% sind nicht signifikant): 491 im Jahre 2012.
  • Die Zahl der Tatverdächtigen blieb ebenfalls konstant (pro Ermittlungsverfahren werden durchschnittlich weniger als zwei Tatverdächtige ermittelt): 769 im Jahre 2012 (2011: 753). 31 % der Tatverdächtigen waren Deutsche.
  • Die Zahl  der „Begleitdelikte, also der Straftaten, die im Zusammenhang mit den Verfahren wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ermittelt wurden, hat deutlich zugenommen“. Die Pressemitteilung verpasst es hier aber explizit das am häufigsten auftretende „Begleitdelikt“ zu nennen: „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“. Auch Gewaltdelikte und Freiheitsberaubung treten häufig auf.
  • Die Anzahl der Opfer liegt bei 612 (2011: 640). Sie kamen aus folgenden Ländern: Bulgarien (155 Betroffene, 25,3%), Rumänien (128 Betroffene, 20,9%), Deutschland (127 Betroffene, 20,8%), Ungarn (47 Betroffene, 7,7%), Polen (23 Betroffene, 3,8%), Türkei (10, 1,6%), Tschechische Republik (7, 1,1%). Aus Afrika kamen 31 Betroffene und darunter 13 (2,1%) aus Nigeria. Aus dem nicht weiter spezifizierten „Amerika“ und „Asien“ kamen jeweils 10 und 12 Betroffene. Von 14 Betroffenen (2,3%) ist die Herkunft nicht geklärt.
  • Interessant ist die Beurteilung der Rolle der Polizei bei der Verfolgung von Menschenhandel. Einerseits betont der Bericht, dass polizeiliche Kontrollmaßnahme eine „große Bedeutung“ hätten. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass sich Opfer der Polizei sich häufig nicht (!) anvertrauen. Statistisch gesehen waren knapp mehr als die Hälfte der Verfahren wegen polizeilichen Kontrollmaßnahmen möglich (271), von denen 116 „eigeninitiativ und anlassunabhängig“ (!) durchgeführt wurden.
  • In 41% der Fällen suchten die Betroffenen selbst Hilfe. In den meisten Fällen (101) meldeten diese sich alleine bei der Polizei. Manche von ihnen kamen in Begleitung von Beratungsstellen (24), anderen Prostituierten oder auch Freiern (74).
  • Auffällig ist, dass 60% der Betroffenen nicht (!) von Fachberatungsstellen betreut wurden. Man fragt sich, warum.
  • Die meisten Betroffenen von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung sind Erwachsene, also älter als 18 Jahre: Insgesamt 81% der Betroffenen. 45% der Betroffenen waren älter als 21. Dies ist aus er Statistik nicht sofort ersichtlich, weil das BKA Erwachsene in drei Unterkategorien aufspaltet und somit der Eindruck entsteht, die meisten Opfer seien zwischen 18-20 (223, 36%) .
  • Auch Jugendliche und Kinder sind von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung betroffen, davon 12 (2%) unter 14 Jahren und 88 (14%) zwischen 14 und 18 Jahren. Zum Vergleich sei hier die Zahl der Kinder genannt, die im gleich Jahr von „Sexuellen Missbrauch“ betroffen waren: 12. 623 (Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik)
  • Das Bundeslagebild differenziert in keiner Graphik nach Geschlecht. 96% der Betroffenen seien jedoch weiblich. Aus der Pressemitteilung erfahren wir zusätzlich, dass nahezu alle Betroffenen unter 14 Jahren „in einer regionalen homosexuellen „Stricherszene“ angetroffen“ wurden.
  • Die Statistik bestätigt das Ergebnis von Studien, dass nicht alle Betroffenen von Menschenhandel gegen ihren Willen als Prostituierte arbeiten. 30% der Betroffenen waren mit einer Tätigkeit in der Prostitution einverstanden – bei ihnen könnte man vielleicht auch von „Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung“ sprechen. Sie wurden über die „tatsächlichen Umstände“ und Bedingungen getäuscht. Entgegen verbreiteter Klischees wurde nur in 17% der Fällen wurde Gewalt angewandt.

Ist die Polizei wirklich notwendig um Menschenhandel zu entdecken? 

BKA Menschenhandel Polizei Beratungsstellen Opfer
Quelle: BKA Bundeslagebild Menschenhandel 2012

In der Pressemitteilung betonte das BKA, dass

Ohne Kontrollmaßnahmen können Opfer des Menschenhandels nicht identifiziert und das Dunkelfeld nicht aufgehellt werden. Dem steht gegenüber, dass sich gerade durch eine fehlende Regulierung ein vielschichtiges, wenig kontrolliertes Prostitutionsmilieu entwickelt hat, in dem es vielfältige Möglichkeiten der Ausbeutung gibt, zum Beispiel Terminwohnungen, Flatratebordelle und Straßenstrich.

Dem widerspricht aber nicht nur der Befund, dass sich 40% der Betroffenen selbst melden. Menschenhandel ist eben nicht NUR ein Kontrolldelikt und die Polizei ist NICHT notwendig, damit ein_e Betroffene sich bei der Polizei meldet. Die Tatsache, dass 40% der betroffenen selbst Hilfe suchen, deutet nochmals darauf hin, dass Informationen über Rechte und Hilfsangebote ausschlaggebend sind, damit es eben nicht auf eine Polizeirazzia ankommt, ob man „entdeckt“ wird oder nicht. Zuletzt betont das BKA selbst, dass Opfer Angst hätten, sich der Polizei anzuvertrauen. Das bestätigt das Ergebnis von einer Untersuchung, dass Razzien nur bedingt zur Entdeckung von Menschenhandel geeignet sind.

Interessant wäre es auch zu wissen, wie viele Prostituierte anlässlich dieser Razzien nicht „gerettet“ sondern verhaftet wurden. Dazu dürfte die Polizeiliche Kriminalstatistik zumindest ansatzweise Hinweise geben.

Bei der Lektüre des obigen Zitat entsteht der Eindruck, die Polizei habe gar keine Kontrollmöglichkeiten in Wohnungen oder bei der Straßenprostitution. Eine kurze Suchmaschinen-Recherche zum Thema „Polizei Razzia Prostitution“ dürfte des Gegenteils belehren. Auch scheint Prostitution in Wohnungen kein Hindernis zu sein, um Menschenhandel aufzudecken, da 191 aufgedeckte Fälle in Wohnungen stattfanden.

Hinsichtlich der Art der Prostitutionsausübung lag der Schwerpunkt wie in den Jahren zuvor auf Bar- und Bordellprostitution (301) sowie Wohnungsprostitution (191). Ebenfalls von Bedeutung waren die Straßenprostitution (81) sowie Haus- und Hotelbesuche (33).

Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung 

Beim Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung gehen die Zahlen weiter zurück: Lediglich 14 Opfer seien 2012 identifiziert worden. Interessanterweise betont das BKA hier nicht, dass es sich um ein „Kontrolldelikt“ handelt und dass es mehr Kontrollmaßnahmen geben müsse. Das BKA betont dennoch, dass

Im Bereich des Menschenhandels zur Ausbeutung der Arbeitskraft war erneut ein leichter Rückgang der ohnehin geringen Verfahrenszahlen festzustellen. Die geringen Fallzahlen lassen sich vermutlich auch auf die schwierige Handhabbarkeit des § 233 StGB in der Praxis zurückführen

Dass das BKA dieses Jahr den 17. Dezember abgewartet hat, um das Bundeslagebild Menschenhandel zu veröffentlichen, dürfte viel mit den Verhandlungen für die Große Koalition zu tun haben.

So wird am Ende der Pressemitteilung der BKA-Präsident Jörg Ziercke zitiert:

„Im Bereich des Menschenhandels müssen wir von einem hohen Dunkelfeld ausgehen. Ich begrüße daher ausdrücklich die Vorschläge im Koalitionsvertrag zum Schutz von Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution. Die beabsichtigte Schaffung ordnungsbehördlicher Kontrollmöglichkeiten wird dazu beitragen, mehr Fälle des Menschenhandels aufdecken und verfolgen zu können.

Die angestrebte Änderung des Straftatbestandes wird die Strafverfolgungsbehörden zudem weniger abhängig machen von den Aussagen der Opfer. Auch das wird unseren Kampf gegen diese Art der organisierten Kriminalität erheblich unterstützen.“

Anzahl Ermittlungsverfahren BKA Menschenhandel 2012
Quelle: BKA Bundeslagebild Menschenhandel 2012
BKA 2012 Opfer Täuschung
Quelle: BKA Bundeslagebild Menschenhandel 2012

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