Menschenhandel und Prostitution im Koalitionsvertrag – kaum Fortschritte

Gestern wurde der erste Entwurf des Koalitionsvertrags veröffentlicht. Darin werden auch die Themen Menschenhandel, Prostitution sowie andere Menschenrechtsverletzungen thematisiert. Die relevanten Abschnitte habe ich in dieser Datei kommentiert und mit einigen (sicherlich noch unvollständigen) Änderungsvorschlägen versehen.

Auch der KOK e.V. (Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess) äußert sich in einer ersten Einschätzung zum Koalitionsvertrags kritisch:

Gerade als Organisation, die sich für die Rechte von Betroffenen von Menschenhandel  unter Beachtung  frauenspezifischer Aspekte einsetzt, erachten wir es als sehr wichtig,  Frauen besser vor Menschenhandel  zu schützen. Aber nicht nur Frauen, sondern auch Männer, Minderjährige und Transsexuelle können von Menschenhandel betroffen sein und benötigen Schutz.

Wir begrüßen das Vorhaben, das Aufenthaltsrecht für Betroffene von Menschenhandel zu verbessern, bedauern es jedoch, dass das Vorhaben einerseits nicht klarer umschrieben wird und anderseits das Aufenthaltsrecht erneut im Zusammenhang mit der Mitwirkung bei der Strafverfolgung diskutiert wird. Betroffe­nen des Menschen­handels ist ein Aufenthaltstitel zu erteilen, unabhängig von ihrer Koope­rations­bereitschaft gegenüber den Strafverfolgungs­behörden und ihrer ZeugInneneigenschaft, auch über das Prozess­­ende hinaus. Den Vorschlag die intensive Unterstützung, Betreuung und Beratung zu gewährleisten, sehen wir als Bestärkung unserer langjährigen Forderung einer finanziell stabilen Sicherung und des Ausbaus eines flächendeckenden niedrigschwelligen, anonymen Unterstützungssystems von Frauenhäusern und Fachberatungsstellen.

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Eine ausführliche Stellungnahme des KOK e V. ist hier zu finden.

Keine Freierbestrafung, aber Bestrafung von Vergewaltigern von Menschenhandelsopfern

Die zukünftige Große Koalition möchte diejenigen bestrafen, die

„(…) die wissentlich und willentlich die Zwangslage der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution ausnutzen und diese zu sexuellen Handlungen missbrauchen.“

Das entspricht nicht unbedingt den Forderungen, aber dennoch den Inhalten des Appells für Prostitution, worin „Sex gegen den eigenen Willen“ als Vergewaltigung beschrieben wird. Somit hat auch die Koalition gezeigt, dass sie den notwendigen Unterschied zwischen Sexarbeit und sexueller Gewalt macht. Eine allgemeine und pauschale Freierbestrafung ist es nicht und das bleibt hoffentlich auch im Gesetzesentwurf so.

Die Gretchenfrage ist nun, wie dieser Straftatbestand bewiesen werden soll. Auch dürfte der oben beschriebene Straftatbestand eigentlich schon (wenn auch unzureichend) durch den §177 StGB (Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung) abgedeckt sein.

(1) Wer eine andere Person

1.mit Gewalt,
2.durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder
3.unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist,

nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (§177 StGB)

Hier ist zu hoffen, dass „Vergewaltiger“ von Betroffenen von Menschenhandel wesentlich härter bestraft werden (nicht nur ein Jahr). Es ist zu hoffen, dass Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung auch als solche geahndet werden und dieser Aspekt an dieser Stelle eingegliedert wird, anstatt neue Straftaten zu schaffen, die nur zusätzliche Verwirrung und unnötige Opferhierarchien schaffen. Auch Johanna Weber vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen sieht diesen Vorschlag kritisch:

Schon wieder ein Sondergesetz für unsere Branche, welches nicht notwenig ist. Es handelt sich dabei um einen Straftatbestand, der schon lange durch das Strafgesetzbuch als Vergewaltigung oder im minderschweren Fall als Nötigung geregelt ist. (Johanna Weber)

Strafverfolgung soll nicht mehr an den Opfern „scheitern“

Künftig sollen Verurteilungen nicht mehr daran scheitern, dass das Opfer nicht aussagt.

Bisher sind Verurteilungen wegen Menschenhandel von der Aussage der Betroffenen abhängig. Entscheiden sich Betroffene gegen ein Aussage (aus Angst vor Repressalien oder weil sie von einer Aussage nichts haben, da sie sowieso abgeschoben werden), muss das ganze Verfahren eingestellt werden. Die Formulierung im Koalitionsvertrag suggeriert, dass die Opfer daran Schuld sind, dass die Verurteilungen „scheitern“. Das ist victim blaming. Nicht die Opfer sondern die Gesetze, die keine anderen Beweise zulassen, sind eventuell daran „schuld“. Einen ähnlichen Vorschlag hätte man ohne victim blaming in den Vertrag einbringen können, z.B mit folgenden neutralen Formulierungen – „neben der Aussage von Betroffenen von MH sind in Strafverfahren auch weitere Beweise zugelassen“ oder „eine Verurteilung wegen Menschenhandel soll unabhängig von der Aussage der Opfer von Menschenhandel“ möglich sein. Klingt das nicht besser und vor allem respektvoller den Betroffenen gegenüber und ihren Gründen, nicht auszusagen?

Minischritte beim „Opferschutz“

Ein Aufenthaltstitel für Betroffene von Menschenhandel soll nicht mehr von der Aussagebereitschaft der Opfern von Menschenhandel vor Gericht abhängen. Dennoch bleiben die Formulierungen vage und schwach, sodass Zweifel angebracht sind, dass hier der Opferschutz auch wirklich ausgebaut werden soll.

„Für die Opfer werden wir unter Berücksichtigung ihres Beitrags zur Aufklärung, ihrer Mitwirkung im Strafverfahren sowie ihrer persönlichen Situation das Aufenthaltsrecht verbessern sowie eine intensive Unterstützung, Betreuung und Beratung gewährleisten.

Hier steht nicht (!), dass Betroffene von Menschenhandel bedingungslos Schutz erfahren. Was konkret „unter Berücksichtigung“ heißt, weiß man nicht. Eindeutig ist, dass Opferschutz nicht bedingungslos ist – die Opfer müssen also was tun, um Opfer sein zu dürfen und den entsprechenden Schutz zu erhalten.

Konkret könnte das heißen: Wenn ein Opfer von Menschenhandel aus Angst oder anderen berechtigten Gründen nicht im Strafverfahren mitwirkt, dann gilt diese Person schlicht und ergreifend nicht mehr als Opfer und es dürfte somit jegliche Unterstützung entfallen. Es könnte sogar sein, dass die Betroffenen „re-trafficked“ werden (da sie keinen Schutz erfahren). In all diesen Fällen würde der deutsche Staat seine Pflicht verletzen, Menschenhandel und Sklaverei pro-aktiv zu verhindern. Nur ein bedingungslos erteilter Aufenthaltstitel würde dieses Problem lösen.

2010 erweiterte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte „die positiven Verpflichtungen der Staaten“ im Rahmen von Artikel 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Verbot der Zwangsarbeit). In diesem Urteil entschied das Gericht, „dass auch Rechtsvorschriften aus anderen Bereichen, wie zum Beispiel dem Ausländerrecht so zu gestalten sind, dass Menschenhandel nicht begünstigt wird.“ (Deutsches Institut für Menschenrechte)

Nur ein bedingungsloses Gewähren eines Aufenthaltstitel für Betroffene von Menschenhandel aus Drittstaaten kommt aus meiner Sicht dieser von EGMR geforderten positiven Verpflichtung des Schutzes vor Menschenhandel nach. Der Entwurf der Koalition genützt dem genauso wenig wie die aktuelle Gesetzeslage – an der vermutlich nicht wirklich etwas geändert wird.

Menschenhandel_Koalitionsvertrag_Seite_2Männer, Menschenhandel und Arbeitsausbeutung

Wir wollen Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution besser schützen.

Mit diesem Satz beginnt der Abschnitt zum Thema Menschenhandel. Dieser Satz ist diskriminierend (Kategorie: Geschlecht). Er verstetigt aber auch Vorurteile, dass nur Frauen von sexueller Ausbeutung betroffen sein können und reproduziert die Unsichtbarkeit von anderen Geschlechtern als Betroffene von Menschenhandel in den unterschiedlichsten Branchen. Auch wird hier indirekt gesagt, dass Frauen nicht auch in anderen Branchen von Menschenhandel betroffen sein können (wie z.B. Haushalten), da hier nur von „Zwangsprostitution“, also Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung die Rede ist.

Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung wurde zwar nicht vergessen, aber die Formulierung klingt floskelhaft.

Wir werden die Ausbeutung der Arbeitskraft stärker in den Fokus der Bekämpfung des Menschenhandels nehmen.

Anstatt den Opferschutz und alle oben genannten Maßnahmen für alle Betroffenen von Menschenhandel vorzuschlagen (unabhängig von der Branche), wird eine Differenzierung vorgenommen, die auch rechtlich nicht haltbar ist. Menschenhandel ist Menschenhandel und alle Opfer haben die gleichen Rechte – egal in welcher Branche es zur Ausbeutung kam!

Die Frage, wie die EU-Richtlinie gegen Menschenhandel umgesetzt werden kann und soll, ist ebenfalls völlig aus dem Blickwinkel geraten und ist nicht Gegenstand des Vertrages, obwohl genau das ansteht.

Es bleibt zu hoffen, dass die Große Koalition wieder zurück zur Erde kommt und sich im bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren etwas sachlicher mit dem Thema befasst und vielleicht auch mal ein paar Worte mehr mir Prostituierten spricht und ein paar Worte weniger mit der schwarzen Schwarzer.

Und was sagen die Sexarbeiter*innen dazu?

Sexarbeiterinnen stehen dem Entwurf sehr kritisch gegenüber. Stephanie Klee vom Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e.V. (BSD) ist zum Beispiel dieser Ansicht:

„Wir denken, dass die in der Koalitionsverhandlung beschlossene Bestrafung von „bestimmten“ Kunden von SexarbeiterInnen der falsche Weg ist, um gegen Kriminalität und Gewalt und Zwang in der Prostitution vorzugehen. Die „Tat“ = Kunde von „Zwangsprostituierten“ zu sein, ist tatsächlich kaum nachzuweisen. Aber sollte ein entsprechendes Gesetz verabschiedet werden, das dann einen abschreckenden Charakter haben soll, wird sich das Klima weiter gegen Prostituierte verschlechtern und die ganze Branche wird noch stärker mit dem Vorwurf der Kriminalität konfrontiert werden. Diese „Sippenhaft“ kennen wir; sie hat nichts Gutes bewirkt. Rechte, Transparenz und Aufklärung scheinen für uns erfolgsversprechender.“

Johanna Weber vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen schreibt:

In Anbetracht von Euro-Krise, Flüchtlingsproblematiken an den EU-Außengrenzen, Armutsgefällte in Deutschland, Mindestlohn und Frauenquoten, finde ich es sehr erstaunlich, dass ein Thema wie Prostitution Bestandteil der Koalitionsverhandlungen werden konnte. Angestachelt durch die aktuelle Medienberichterstattung zeugt es natürlich von Handlungsfähigkeit und Volksnähe eines Politikers, sich dieses Themas anzunehmen.
Unsere feministische Übermutter, Alice Schwarzer, tut ihr Übriges. Unser gemeinsames Thema füllt aktuell ganze Zeitungen und Talk-Shows. Unser Berufsverband kann sich vor Presseanfragen nicht mehr retten. Während wir Sexarbeiterinnen in Deutschland zwangsgerettet werden, sterben vor Lampedusa Tausende von Flüchtlingen. Und das alles unter dem Deckmantel den armen „Zwangsprostituierten“ zu helfen und die Arbeitsbedingungen in unserer Branche zu verbessern.
Schade ist dabei, dass uns niemand fragt, was wir denn als Verbesserung sehen würden. Und noch weniger wurden die vielen Migrantinnen gefragt, die hierher nach Deutschland gekommen sind um sich eine finanzielle Basis für ihr Leben Zuhause oder auch hier zu erwirtschaften. Pauschal wird davon ausgegangen, dass diese alle nicht in der Lage sind ihre Situation einzuschätzen, und so wissen andere, was für sie das beste ist.
Nur vor diesem Hintergrund erklären sich die zum Teil sehr abenteuerlichen ersten Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen. Ein Beispiel ist die Freierbestrafung für diejenigen, die mit einer eindeutig unter Zwang stehenden Sexarbeiterin verkehren. Schon wieder ein Sondergesetz für unsere Branche, welches nicht notwenig ist. Es handelt sich dabei um einen Straftatbestand, der schon lange durch das Strafgesetzbuch als Vergewaltigung oder im minderschweren Fall als Nötigung geregelt ist.
Leider führt dieser Überaktionismus der Politiker zur Verunsicherung unserer Kunden. Denn nicht nur die Polizei wird ein Problem haben mit dem Erbringen des Nachweises für dies Straftat, sondern auch die Freier können nicht einschätzen, welche Frau arbeitet selbstbestimmt und welche vielleicht nicht. Die bulgarische Mutter, die nach Deutschland gekommen ist, um Prostituierte das Geld für das Studium ihrer Kinder zu erwirtschaften, hat dabei dann leider schlechte Karten und wird wesentlich weniger Kunden haben. So werden genau die bestraft, denen man eigentlich helfen wollte.

Zu Bedenken ist, dass nur ein geringer Teil der Menschenhandelsopfer durch die Polizei aufgedeckt werden, sondern durch Selbstanzeige, Kolleginnen oder aufmerksame Freier erfolgt. Letzteres wird durch das neue Gesetz komplett wegfallen.

Carmen Amicitiae, ebenfalls vom  Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, kritisiert den Entwurf mit Verweis auf die negativen Folgen für ausländische Prostituierte und der damit zusammenhängenden Fremdenfeindlichkeit:

Die von der Koalition geplante Freierbestrafung wird zu mehr Fremdenfeindlichkeit und zu Geschäftseinbußen bei ost-europäischen Sexarbeiter_innen führen. Osteuropäische Sexarbeiter_innen, die hier vollkommen legal arbeiten (§ 2 FreizüG/EU [Recht auf Einreise & Aufenthalt Selbstständiger]), weil Prostitution hier erlaubt ist, weil sie hier mehr Geld verdienen können und das Risiko eines Outings vor ihren Familien hier geringer ist, werden aus Mangel an zahlungswilliger Kundschaft noch elender dran sein als bisher. Denn so wird es kommen: Deutscher Wohlstand den Deutschen, Ausländer sollen gefälligst in ihren Herkunftsländern glücklich werden! Das kann nicht toleriert werden, dass die sich hier legal ihren Lebensunterhalt verdienen!

Den vollständigen Kommentar des KOK e.V. möchte ich hier ebenfalls veröffentlichen:

Der KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess – erachtet es als wesentlich,  in Bezug auf das Thema Menschenhandel konkrete Maßnahmen und Ziele in dem Koalitionsvertrag aufzunehmen. Dies ist nach einer ersten Durchsicht des vorläufigen Vertrages leider nur zum Teil gelungen. Das Thema Menschenhandel ist sehr komplex und daher existieren verschiedene thematische Anknüpfungspunkte im Koalitionsvertrag zu den Themen Menschenhandel und Stärkung der Opferrechte, wie zum Beispiel unter den Aspekten Allgemeine Mindestlohnregelung, Pflege, Gewalt gegen Frauen, Flüchtlingsschutz, humanitäre Fragen, Effektive Strafverfolgung, Opferentschädigungsgesetz, Datenschutz. Der KOK wird in Kürze eine ausführliche Stellungnahme erarbeiten.

Folgende Anmerkung zum Abschnitt Menschenhandel, Prostitutionsstätten auf Seite 95 möchten wir bereits zu diesem Zeitpunkt abgeben:

Gerade als Organisation, die sich für die Rechte von Betroffenen von Menschenhandel  unter Beachtung  frauenspezifischer Aspekte einsetzt, erachten wir es als sehr wichtig,  Frauen besser vor Menschenhandel  zu schützen. Aber nicht nur Frauen, sondern auch Männer, Minderjährige und Transsexuelle können von Menschenhandel betroffen sein und benötigen Schutz.
Wir begrüßen das Vorhaben, das Aufenthaltsrecht für Betroffene von Menschenhandel zu verbessern, bedauern es jedoch, dass das Vorhaben einerseits nicht klarer umschrieben wird und anderseits das Aufenthaltsrecht erneut im Zusammenhang mit der Mitwirkung bei der Strafverfolgung diskutiert wird. Betroffe­nen des Menschen­handels ist ein Aufenthaltstitel zu erteilen, unabhängig von ihrer Koope­rations­bereitschaft gegenüber den Strafverfolgungs­behörden und ihrer ZeugInneneigenschaft, auch über das Prozess­­ende hinaus. Den Vorschlag die intensive Unterstützung, Betreuung und Beratung zu gewährleisten, sehen wir als Bestärkung unserer langjährigen Forderung einer finanziell stabilen Sicherung und des Ausbaus eines flächendeckenden niedrigschwelligen, anonymen Unterstützungssystems von Frauenhäusern und Fachberatungsstellen.

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