menschenhandel heute.

kritische perspektiven auf die bekämpfung von menschenhandel

In der Presse: Appell für und gegen Prostitution

Am Montag veröffenlichten Alice Schwarzer und die EMMA-Zeitschrift ihren Appell gegen Prostitution. Am Tag darauf wurde der Appell für Prostitution durch Sexarbeiter_innen bzw. durch den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen veröffentlicht und von mir mitgezeichnet und unterstützt.

Warum unterstütze ich den Appell der Sexarbeiter_innen, obwohl ich mich gegen Menschenhandel engagiere? Ich müsste doch Prostitution auch abschaffen wollen? An dieser Stelle möchte ich ein paar kurze Gründe darlegen, warum ich mich für den Appell für Prostitution entschieden habe:

– Begriffliche Unterscheidungen sind notwendig – in der Wissenschaft, in der rechtlichen Praxis und auch in der Realität: Sklaverei, Prostitution und Frauenhandel sind nicht das gleiche. Egal wie oft Alice Schwarzer das Gegenteil wiederholt.

– Ich kann mich gegen Menschenhandel einsetzen (und gegen Vergewaltigung) und gleichzeitig die Forderungen von Sexarbeiter_innen nach mehr Rechten unterstützen. Ich muss ja auch nicht für die Abschaffung von Sex sein, wenn ich gegen Vergewaltigung bin. Oder für die Abschaffung der Ehe, wenn ich gegen Gewalt in der Ehe bin.

– Es gibt keine 700.000 Prostituierte in Deutschland. Diese Zahl ist erfunden. Die Schätzung der 400.00 Frauen ist fast 30 Jahre alt. Irgendwann sollten wir aufhören sie zu zitieren! Unter einer erfundenen Zahl sollte nicht mein Name stehen. Es ist schon unverständlich genug, dass namhafte Wissenschaftler_innen, wie Hans-Ulrich Wehler ihren Namen unter diesen Appell gesetzt haben.

– Eine Abschaffung der Prostitution (die ja auch nicht gelingen wird), wird die Armut in der „Armutsprostitution“ nicht abschaffen.

– Die vorgeschlagengen Maßnahmen gegen Menschenhandel (eine nicht näher definierte Aufenthaltserlaubnis für Zeuginnen) entspricht so ungefähr dem aktuellen status quo und verbessert in keinster Weise die Situation der tatsächlichen Opfer von Menschenhandel.

– Ganz allgemein geht es Alice und der EMMA nicht um Menschenhandel sondern um Prostitution, die für sie „Frauenhandel“ ist. Zum echten Menschenhandel hat Frau Schwarzer leider wenig zu sagen. Sinnvolle und konkret formulierte Maßnahmen des Opferschutzes bleben aus. Das könnte daran liegen, dass sich der Appel vor allem an die CDU richtet und dort der Opferschutz keine Rolle spielt (er wurde auch im Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie vergessen).

– Frauen kann man nicht kaufen. Egal wie oft Frau Schwarzer das Gegenteil betont. Sexarbeiter_innen verkaufen sexuelle Dienstleistungen, genauso wie Masseure und andere Menschen, die mit ihrem Körper am Körper anderer Menschen arbeiten, ebenfalls nur Dienstleistungen verkaufen und nicht ihren Körper.

– Ich lehne die Bestrafung der Freier ab. Was erwachsene Menschen einvernehmlich tun, egal ob sie nun homosexuell sind oder für Sex bezahlen oder sich bezahlen lassen, hat im Strafrecht nichts zu suchen.

Die Forderungen des deutschen Koordinierungskreises gegen Frauenhandel, der so ziemlich alle Beratungsstellen für Prostituierte und betroffene von menschenhandel als Mitglied hat, bleiben indes in der Presse unsichtbar. Ein schockierender und unsinniger Appell von Emma hat es geschafft, die sinnvollen Forderungen vom KOK gegen Menschenhandel unsichtbar zu machen.

Viele andere gute Argumente haben diese Woche schon viele andere Menschen vorgetragen. Hier eine Sammlung von Beiträgen, die mir sehr gefallen haben.

„Ein generelles Verbot der Prostitution sei insofern ausschließlich ein Verbot der freiwilligen Prostitution. Das sei ein Eingriff in die persönliche Freiheit der Frauen wie der Männer.“ (Kann Sexarbeit freiwillig sein?, Tagesspiegel)

Darf ich Ihren Namen erfahren?

Nein, ich habe keine Lust auf Beschimpfungen. Ich bin 38, und seit sechs Jahren Sexarbeiterin in Berlin und Bayern.“ (Interview mit einer Prostituierten „Ich finde meine Arbeit nicht entwürdigend“, Tagesspiegel)

„Das Prostitutionsgesetz muss nachgebessert und nicht umgekehrt werden, und wer es diesmal besser machen will, muss zwischen Prostitution, Menschenhandel und Sklaverei unterscheiden.“ (Prostitution als Glaubensfrage, Frankfurter Rundschau)

„Natürlich kann man nun argumentieren, Sexarbeiterinnen arbeiteten nicht freiwillig in dem Gewerbe. Es seien patriarchal dominierte ökonomische Strukturen, welche sie in ihre Situation drängen würden. Das ist eine legitime Überlegung. Doch die Konsequenz daraus müsste ziemlich genau dem Forderungskatalog von sexwork-deutschland.de entsprechen. „Aufklärung statt Zwang und Verbot, staatlich geförderte Weiterbildungsangebote für Sexarbeiter_innen“ etwa. Oder „Bleiberechte, Entschädigungen und umfassende Unterstützung für Betroffene von Menschenhandel.“ (Deutungshoheit gepachtet, Der Freitag)

„Männer, die zu Prostituierten gehen, generell zu kriminalisieren oder als geistig krank zu stigmatisieren, hat etwas Neonazistisches anhaften. Die generelle Diffamierung einzelner Gruppierungen hat erfahrungsgemäß im gesellschaftlichen Leben noch nie zu etwas Gutem geführt. Männer therapieren zu wollen, die nicht den regionalen oder ideologischen Vorstellungen von Sexualität, Moral und sonstigen Lebenseinstellungen entsprechen, hat was von Bigotterie und selbstherrlicher Selbstüberschätzung.“ (Der Freier das unbekannte Wesen, Der Freitag)

„Seit dem Prostitutionsgesetz können wir unserer Arbeit legal nachgehen, unseren Lohn einklagen und uns sozialversichern. Außerdem haben sich die Arbeitsplätze enorm verbessert, denn früher galt es als Förderung der Prostitution, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, und war strafbar. Das ist jetzt viel besser.“ (Lobbyistin für Prostitution: „Die meisten Frauen machen diesen Job selbstbestimmt“, Spiegel Online)

Sexarbeit ist kein machtfreier Raum, denn weder Sex noch Arbeit stehen außerhalb von Machtstrukturen. Weswegen es aus feministischer Perspektive nicht allzu weit führt, die eigene Position zum Thema ausschließlich am Narrativ der Freiwilligkeit auszurichten.  Was natürlich im Umkehrschluss nicht dazu führen darf, über die Köpfe von Betroffenen hinweg unmittelbaren Zwang, Gewalt und Abhängigkeit zu bagatellisieren. (Jenseits von “choosing my choice” und “käuflichem Geschlecht” – feministische Debatten über Sexarbeit, mädchenmannschaft.net)

„Die Gretchenfrage lautet: Was ist freiwillig? Glaubt man den Berichten von Polizei und Hilfsstellen, dann besteht die Prostitution in Deutschland größtenteils aus Migrantinnen, die wissen, dass sie hier als Hure arbeiten werden.“ (Kommentar über die Prostitutionsdebatte. Bildnisse einer Hure, taz)

„Nach Frauen, die selbst betroffen sind, sucht man auf der langen Liste der UnterstützerInnen vegebens. Denn die haben woanders unterschrieben. Mit einem »Appell für Prostitution« regt sich Widerstand gegen den Schwarzer-Aufruf. Die UnterzeichnerInnen fordern dort: »die Stärkung der Rechte und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen in der Sexarbeit.« Auch sie kritisieren die Diskriminierung und Stigmatisierung von Prostituierten. Fordern aber vor allem: »Sprecht mit uns, nicht über uns«. (Schwarzers weißer Feminismus, Neues Deutschland)

„Seien wir mal ehrlich: Ausbeutung findet niemand gut. Auch Gewalt, Krieg, Pestbeulen und lange Schlangen an Supermarktkassen rangieren auf der Beliebtheitsskala eher weiter unten. Würde man eine Umfrage in Auftrag geben und von den Befragten wissen wollen: »Finden Sie, dass Menschen eher unter Zwang oder eher freiwillig arbeiten sollten?«, würde eine Mehrheit nahe der hundert Prozent sich für die Freiwilligkeit aussprechen.

Doch, ach, die Verhältnisse, sie sind nicht so.“ (Halt die Klappe, Hure! Theodora Becker über die Stigmatisierung Prostituierter, Neues Deutschland)

„Frauenkauf geht gar nicht“ findet das Magazin „Emma“ – Sexarbeiterinnen in Deutschland wehren sich mit Gegenpetition“ (Die Standard)

Blogbeiträge

„In der Landwirtschaft und in der Fleischindustrie kommt es bekanntlich immer wieder zu schweren Verletzungen elementarer Arbeitnehmerrechte. Für die körperlich harten, unangenehmen Tätigkeiten wie Erdbeeren ernten, Spargel stechen oder Tiere zerlegen gibt es wenige Arbeitnehmer, die diesen Job unter normalen Bedingungen als sozialversicherungspflichtig beschäftigte Arbeiter mit Arbeitsvertrag und halbwegs anständiger Bezahlung machen.“ (Stoppt Frau S., Sunflower22a)

„Freiwilligkeit ist nicht das Ende der Diskussion über Prostitution, sondern höchstens ihr Anfang. Denn alles, was nicht freiwillig geschieht, ist sowieso indiskutabel.“ (Fünf Thesen zur Prostitution, Antje Schrupp)

„Antwort auf Antje Schrupps 5 Thesen“ (courtisane.de)

„Dieser Appell ist nicht feministisch, sondern umgekehrt ein Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht aller Sexarbeiter_innen, von Menschen, die es sich aussuchen können ob und wenn ja welcher Tätigkeit sie nachgehen wollen.“ (Emma und das erfundene Frauehnhandelsparadies, Jusos Bamberg)

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Aktuell wird in Frankreich über ein Prostitutionsverbot diskutiert. Ein paar Artikel dazu. 

„Sex workers need support – but not from the ‚hands off my whore‘ brigade. Prostitutes need better allies than French men focused on their own sexual freedoms – but too often, feminists only make their lives harder“ (Selma Jones, The Guardian)

Manifest französischer Prominenter: „Hände weg von meiner Hure!“ (Der Spiegel)

Manifeste des 343 salauds: „Nous ne sommes pas vos putes“ (Morgane Mertueil, L’Express)
Nachträge:
Nachtrag (6.11):
“Die Beschreibung von Prostitution als Sklaverei oder „Weiße Sklaverei“ verharmlosen die Sklaverei und ihre Geschichte.

Warum ich den Appell gegen Prostitution der EMMA und von Alice Schwarzer ablehne http://kleinerdrei.org/2013/11/warum-ich-den-appell-gegen-prostitution-der-emma-und-von-alice-schwarzer-ablehne/

Der sonntaz-Streit. Sollen Freier bestraft werden?
http://taz.de/Der-sonntaz-Streit/!126858/

Die Revolution frisst ihre Kinder
http://www.feministisches-institut.de/die-revolution-frisst-ihre-kinder/

„Prostitutionsgesetz stärkt die Sexarbeiterinnen“
http://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastbeitrag-prostitutionsgesetz-staerkt-die-sexarbeiterinnen/9036676.html

Wie Schwarz-Rot Prostituierte schützen kann
Union und SPD verhandeln über neue Regeln für Prostitution. Was hilft im Kampf gegen Menschenhandel und zum Schutz von Sexarbeiterinnen? Experten und Betroffene streiten.http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-11/prostitution-gesetz-koalition/komplettansicht

“Schwarzers Aufruf ist alles andere als ein Vorstoß zu mehr Menschlichkeit, sondern ein gewaltiger Rückschritt in die frauenrechtliche Steinzeit, in der Prostituierte recht- und schutzlos waren.”
Prostitution: Kein deutscher Skandal. Evrim Sommer über den Appell von Alice Schwarzer zur Abschaffung der Prostitution http://www.neues-deutschland.de/artikel/838209.prostitution-kein-deutscher-skandal.html

Prostitution: “Emma” ist auf dem falschen Dampfer
http://www.frblog.de/prostitution/

Nachtrag 17.11:

“Das älteste Gewerbe der Welt macht derzeit wieder Schlagzeilen. Alice Schwarzer ruft in der Emma zum Kampf gegen die “moderne Sklaverei” auf. Derweil hofft die Union, zusammen mit der SPD schärfere Gesetze verabschieden zu können. Doch viele Vorschläge gehen am Problem vorbei und sind Ausdruck einer paternalistischen und verlogenen Politik, findet Margarete Gräfin von Galen.”
http://m.lto.de/recht/hintergruende/h/prostitutionsgesetz-reform-gewerbe-erlaubnispflicht/?mobile=1&utm_medium=email&utm_campaign=LTO+Mobile+Fusion+46%2F2013&utm_source=newsletter

Opfer oder Femme Fatale?
Die Debatte über das Prostitutionsgesetz wird ohne die Betroffenen, dafür mit einer gehörigen Portion Moral geführt. Stefanie Lohaus erklärt, warum sie als Feministin Alice Schwarzers Appell zur Abschaffung der Prostitution nicht unterschreiben kann.
http://blogs.faz.net/10vor8/2013/11/15/opfer-oder-femme-fatale-32/

Sozialwissenschaftlerin über Prostitution: “Menschenhandel ist gerade ein Hype”
Aufklärungsarbeit anstatt schärferer Prostitutionsgesetze fordert die Sozialwissenschaftlerin Emilija Mitrovic.
http://www.taz.de/!127156/

Diskussion um Prostitution: „Mein Beruf gehört mir!“
Alice Schwarzer hat eine Art Sexkrieg entfacht. Ist Prostitution eine Menschenrechtsverletzung oder ein Spezialberuf? Huren protestieren.
http://www.taz.de/Diskussion-um-Prostitution/!127576/

SPD-Politikerin will Rechte der Frauen stärken
Eva Högl im Gespräch mit Christoph Heinemann
Ein Verbot der Prostitution würde diese nur in dunkle und nicht mehr kontrollierbare Ecken drängen, sagt Eva Högl, Frauenpolitikerin der SPD.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2320990/

Nachtrag 21.11

“Auf http://www.sexwork-deutschland.de gibt es einen hörenswerten “Appell für Prostitution”, der sich für die Stärkung der Rechte und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen in der Sexarbeit einsetzt. Die erste Forderung lautet: “Beteiligung von Sexarbeiterinnen an politischen Prozessen, die sich mit dem Thema Prostitution befassen”. Damit sollten wir nun anfangen.”
http://www.zeit.de/2013/46/prostitution-abschaffung-pro-contra/seite-2

“Es geht nicht darum, ob man Prostitution moralisch verwerflich findet oder nicht. Man kann gegen bezahlten Sex sein und trotzdem für eine Legalisierung, einfach, weil sie die Situation der betroffenen Frauen verbessert. Zu guter Letzt kann eine Frau, die ihrem Gewerbe legal nachgeht, auch leichter aussteigen, als wenn sie als Kriminelle gebrandmarkt und in die Halbwelt verstrickt ist.” http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/gruenes-licht-fuers-rotlicht-1.18189427

Eine Feministin auf Abwegen”Halt die Klappe, Alice!”
“Prostitution ist Menschenhandel und Huren sind Opfer – das behauptet Alice Schwarzer in ihrem neuesten Werk. Die Sexarbeiterinnen selbst sehen das ganz anders, sprengen kurzerhand die Buchvorstellung und führen die Feministin nach allen Regeln der Kunst vor.” http://www.n-tv.de/panorama/Halt-die-Klappe-Alice-article11736506.html

Prostitution Tun Sexarbeiterinnen ihre Arbeit gern?
“Wie kann das sein, dass alle so eine klare Meinung zum Thema Prostitution haben? Ist es nicht eher menschenunwürdig, an der Supermarktkasse für nichts zu arbeiten? Muss man nicht erst mal alles ändern, bevor man die Prostitution abschafft?” http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/prostitution-tun-sexarbeiterinnen-ihre-arbeit-gern-12667719.html

Firefly
“Prostitution sei immer Missbrauch, argumentieren KritikerInnen. Aber Prostituierte per se zu Opfern zu erklären, stigmatisiert jene, denen geholfen werden soll.” http://missy-magazine.de/2013/11/19/firefly/

Aus den Augen, aus dem Sinn. Warum Alice Schwarzers Kampagne gegen Prostitution so gut funktioniert http://www.gwi-boell.de/web/denkraeume-alice-schwarzers-kampagne-gegen-prostitution-feministischer-zwischenruf-5132%20.html

Relevante Beiträge, die auf „menschenhandel heute“ erschienen sind:

Zehn Jahre Prostitutionsgesetz und die Kontroverse um die Auswirkungen

Warum die Frauenbewegung Sexarbeiter_innen zuhören muss

White Slavery – ein Begriff mit problematischen Implikationen

Deutschland – Schweden: Unterschiedliche ideologische Hintergründe in der Prostitutionsgesetzgebung

Die schwedische Prostitutionspolitik

Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung in Deutschland

Deutsches Institut für Menschenrechte zu Menschenhandel: Rechte der Betroffenen stärken

Alice Schwarzer und Sabine Constabel polarisieren die Debatte um Prostitution – in die falsche Richtung

Rechtfertigung und Legitimation von Kolonialismus

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