Die EMMA, das Prostitutionsgesetz und die „Zuhälterlobby“

Das EMMA Magazin macht seit mehreren Jahren Druck für die Abschaffung des 2002 verabschiedeten Prostitutionsgesetzes. Es trage, so die EMMA, die „die Handschrift der Zuhälter und Menschenhändler.“

Seitdem Alice Schwarzer 2013 den „Appell gegen Prostitution“ veröffentlicht hat, scheint sich die öffentliche Debatte über Prostitution und Menschenhandel kaum noch sachlich führen zu lassen.

Zwar hat das Bundeskriminalamt in seinen Berichten wiederholt einen Rückgang der offiziellen Zahlen des Menschenhandels in Deutschlands feststellen müssen, dennoch behaupten alle immer wieder, dass der Menschenhandel seit 2002 zugenommen habe.

Zwar reden alle immer wieder von der „Legalisierung der Prostitution“ und vergessen (oder: wissen nicht), dass Prostitution schon längst legal ist. Nur die rechtliche Lage der Prostituierten hat sich verändert. Und zwar im positiven Sinne.

Egal. Alice Schwarzer, Sabine Constabel, Lea Ackermann und noch ein paar andere Trittbrettfahrer*innen der Anti-Prostitutionskampagne behaupten das Gegenteil. Alle drei halten nichts von Sexarbeiter*innen und arbeiten sogar aktiv und mit – in meinen Augen – extrem feindlichen Worten gegen ihre Selbstorganisation. Es handele sich doch nur um Marionetten von Zuhältern oder gar echten Zuhältern, so ihr Reden. Davon müsse man fernbleiben, das fordern sie vor allem von Politiker*innen. Wer will den schon mit Zuhältern assoziiert werden?

Extrem strategisch hatte sich Schwarzer und eine Reihe europäischer Anti-Prostitutionsaktivist*innen 2013 auf die Bundestagswahl vorbereitet. Nicht nur sie, sondern auch ein paar Wissenschaftler*innen sowie Panorama-Moderatorin Anja Reschke, ein paar politisch zu engagierte Journalist*innen beim Spiegel und bei der WELT haben im Aufbau in der Panik eine Rolle gespielt.

Sie alle wollten nur „etwas Gutes“ tun und auf die Schwächen des Prostitutionsgesetzes hinweise, sorgten damit aber für eine allzu vereinfachte und pauschale öffentliche Verurteilung des Prostitutionsgesetzes. Reschke hat als einzige öffentlich zugestanden, dass sie mit ihrem Beitrag keine Kampagne gegen Sexarbeit und Sexarbeiter*innen beabsichtigt hatte. Doch es war zu spät. Der Hinweis auf die Schwächen des Prostitutionsgesetzes war bereits manipulativ wiederverwertet und gegen Sexarbeiter*innen eingesetzt worden.

Es hatte gerade die Bundestagswahl stattgefunden und die Bundesrepublik konnte nur noch, wie in einem Ritual, wiederholen, die „Legalisierung der Prostitution den Menschenhandel gefördert“ habe. Dem konnte kaum jemand entkommen.

Wie dem auch sei: Während der Koalitionsverhandlungen im Oktober 2013 waren Prostitutionsgegner*innen darauf vorbereitet. Nein. Sie waren mehr als das. Das Thema auf die politische Agenda zu bringen, war ein politischer Schachzug, der besser nicht hätte gelingen können. Und keiner ahnte es. Schließlich sind wir alle gegen Menschenhandel – da könne keine Strategie dahinter stecken. Wenn so etwas auf die Agenda kommt, liegt es daran, dass es ein ernstes Problem ist – das werden die meisten gedacht haben.

Niemand war darauf vorbereitet mit der Wucht von Schwarzer umzugehen. Sexarbeiter*innen waren es nicht, obwohl sie schon länger geahnt haben, dass der politische Rückenwind abflaut und Richtung wechselt. 2013 wurden sie von der Anti-Prostitutionskampagne überrollt und, noch bevor klar war, was gerade passierte, war es schon zu spät. Der Koalitionsvertrag legte eine Reihe von mehr oder weniger klar formulierten Reformen fest und, mit der CDU und einer – zumindest in der Öffentlichkeit schwächelnden – SPD war (und ist) klar, dass nichts Gutes daraus werden konnte. Und kann.

Nun gut. Das ist Vergangenheit und dagegen können wir nichts tun. Was mich aber weiterhin schockiert ist, wie viele Frauen die EMMA lesen und ihr beim Thema Prostitution volles Vertrauen schenken, obwohl jeder Artikel im Prinzip nur eine platte Erfindung ist (aber dazu komme ich noch). Es schockiert mich auch, wie wenig Wissen es über Sexarbeit gibt und wie sehr alle letztendlich immer die gleichen vereinfachten, sexualisierten Geschichten erzählen. Das ist doch zutiefst unpolitisch. Denn aus Gewalterfahrungen lassen sich keine eindeutigen politischen Forderungen ablesen, die über ein „das darf nicht geschehen“ hinausgehen. Politische Forderungen müssen formuliert und gesellschaftliche verhandelt werden.

Lange dachte ich, dass es doch offensichtlich sei, dass die EMMA hier keine fundierten Informationen liefert und teilweise sogar in populistisch anmaßende Darstellungen rutscht. Aber wie ich feststellen musste, ist die Geschichte der absolut willenlosen Migrantin, die zur Prostitution gezwungen wird und unbedingt das Engagement der privilegierten deutschen Frau aus der Mittel- und Oberschicht braucht, um endlich „frei“ zu sein, sehr mächtig.

Dass wir in der Wissenschaft von Strategien des „Othering“ sprechen, wonach die Migrantin in der Sexarbeit u. a. deshalb als „die Andere“ stilisiert wird, weil dadurch die eigene Identität als weiße, westliche Frau mit Handlungsmacht hergestellt und gefestigt werden kann, interessiert die EMMA-Leser*innen nicht. Dass wir von Prozessen der Selbstvergewisserung in Zeiten sozio-ökonomischer Unsicherheit sprechen, die vor allem die Mittelschicht nach Stabilität und Sicherheit, aber auch einer Identität, suchen lässt, ist bestenfalls eine Zustandsbeschreibung, die kaum kritisches Potential entfalten kann.

Dass wir in der Wissenschaft Anti-Menschenhandelsdiskurse und -politiken kritisch hinterfragen und auf ihre (auch negativen) Folgen und Implikationen für die (mutmaßlich) Betroffenen fragen, erscheint den meisten sogar als Frontalangriff des Zieles der Menschenhandelsbekämpfung, die doch nur gut sein könne. Wie kann es schlecht sein, etwas gegen Menschenhandel tun zu wollen? Wie kann es schlecht sein, etwas gegen die Ausbeutung von migrantischen Prostituierten tun zu wollen? Diese und viele andere Fragen wurden mir im Laufe meiner Arbeit für dieses Blog oder auf Twitter vorgetragen.

Selbst gestandene Wissenschaftler*innen, ja, gar Professor*innen, deren Analyseinstrumente eigentlich einen entsprechend differenzierten Umgang mit medialen Repräsentationen mutmaßen lassen, konnten mit eben genau diesen medialen Diskursen wenig anfangen. So sei die Prostituiertenbewegung doch nur eine Erfindung von Maischberger. Oder: Was ist denn mit den Kinderprostituierten in Asien? Fragen über Fragen, die nicht nur ein moralisches Unbehagen bezüglich sexueller Arbeit zum Ausdruck bringen, sondern auch das Fehlen einer Sprache und von Argumenten, die den Umgang mit den widersprüchlichen Emotionen, die erzwungene Prostitution hervorruft, ermöglichen. Denn hier geht es offensichtlich nicht nur um die gerechtfertigte Ablehnung von sexueller Gewalt sondern auch um die Frage, die immer auch mitschwingt, welche Sexualität Frauen leben dürfen (sollen) und ob Sexarbeit dazu gehört oder nicht.

Nicht ohne Grund sind politische Diskussionen über erzwungene Prostitution fast immer auch Diskussionen über Sexarbeit, die um die Frage kreisen, wie Frau nun damit umzugehen habe, dass es (meist andere) Frauen gibt, die Geld für Sex nehmen und das (aus meist sehr unterschiedlichen Gründen) gut finden. Die widersprüchlichen Gefühle, die „erzwungene Prostitution“ auslöst, beziehen sich auf den ganzen Bereich der Sexualität und insbesondere der Sexualität von Frauen. Wie viel Freiheit und Selbstbestimmung will man weiblicher Sexualität wirklich zugestehen?

Ja, auch mein erstes Gefühl bei der Begegnung mit Menschenhandel war tief im Bauch, weil es hier immer auch die eigenen Sexualität und den Umgang damit geht. Der Auslöser für mein Interesse war, wie für viele andere auch, ein Bericht in der Presse. Auch ich habe damals noch mitten im Studium irgendwann ganz überzeugt und nichtsahnend gesagt: „Ich will mich mit Menschenhandel beschäftigen“. Dann las ich die Artikel von Melissa Farley und konnte das bedrückende Gefühl im Bauch gar nicht mehr loswerden. Ich war entrüstet und schockiert. Das, was Farley beschreibt, darf doch nicht passieren.

Doch wo andere stehen geblieben sind (und das ist ihr gutes Recht), habe ich weitergedacht, weitergelesen, weitergefragt. Und irgendwann hat es geklickt. Die Gefühle reichten nicht mehr und vor allem sind Gefühle unpolitisch. Das habe ich verstanden, als ich über die sogenannten „Kollateralschäden“ von Anti-Menschenhandelsmaßnahmen gelernt habe.

Im Namen des Kampfes gegen die Ungeheuerlichkeiten, die Farley graphisch (zu graphisch, fast schon pornographisch) beschreibt, werden andere Ungeheuerlichkeiten begangen. Sexarbeiter*innen werden kriminalisiert, inhaftiert, durch Beamte sexuell ausgebeutet und erpresst, durch (manche) NGOs zwangskonvertiert. Und das systematisch.

Zwölf Jahre lang hat die US-amerikanische Regierung nur noch Entwicklungshilfeorganisationen gefördert, die die sogenannte „prostitution pledge“ unterzeichneten. Sie mussten sich vertraglich darauf festlegen, als Organisationen nicht für legale Sexarbeit einzustehen und im Ausland (wofür sie die Förderung erhielten) nicht mit Organisationen zusammenzuarbeiten, die legale Sexarbeit auf irgendeine Art und Weise „förderten“.

Die US-amerikanische Regierung unter Bush zählte auch HIV-Präventions-Projekte dazu, die Prostituierte über HIV und andere Geschlechtskrankheiten aufklärte. Solche, die Kondome verteilten. Das alles galt als „Unterschützung“ von Prostitution. Leider hatte diese Vorgabe immer noch spürbare Folgen für gesundheitspolitische Projekte im Bereich der Sexarbeit, da dadurch eine Vielzahl von Organisationen der Geldhahn abgedreht wurde. Doch das ist nur das kleinere Übel. Denn die Kosten zahlen letztendlich die Menschen, die dadurch krank wurden.

Die „prostitution pledge“ wurde 2012 vom Supreme Court als verfassungswidrig erklärt.

Das alles wurde mit dem Kampf gegen Menschenhandel und Prostitution gerechtfertigt. Vermutlich waren an der Lobbyarbeit für die „prostitution pledge“ alle führenden Anti-Prostitutionaktivistinnen beteiligt. Spätestens seitdem die Anti-Prostitutionsaktivistin Janice Raymond 1997 angefangen hatte, Prostituiertenorganisationen, wie COYOTE, als „Zuhälterlobby“zu bezeichnen, konnte jede Organisation, die sich für legale Sexarbeit einsetzte, in der Öffentlichkeit der Zuhälterei beschuldigt werden.

So verbreitete sich nach und nach die höchst wirksame Strategie des „negative campaigning“ im Bereich der Sexarbeit. Politische Forderungen nach legaler Sexarbeit wurden nicht nur als persönliche Verfehlung stilisiert sondern wurden in eins mit der Beschuldigung der Zuhälterei gesetzt. Wer Sexarbeit nicht verbieten und abschaffen will, so die Logik, muss notwendigerweise daraus profitieren und war somit „Zuhälter“. Kein vernünftiger (und moralischer) Mensch, so die Annahme, würde für legale Sexarbeit sein.

So schaffte es die Antiprostitutionskampagne schnell Ängste auszulösen. Vor allem unter jenen, die keine Ahnung von den Hintergründen der Debatte hatten und mit den Argumenten kaum vertraut waren. Und da schließlich alle Politiker*innen gegen Menschenhandel sind (wie könnte es denn anders sein?), hatten die Aktivist*innen eine hochwirksame Strategie gefunden, um ihre politischen Gegner*innen durch eine persönliche (und falsche) Anschuldigung anzuschwärzen und politisch, zumindest vorübergehend, zu neutralisieren. Vor allem auf Politiker*innen konnte man mit einer solchen Strategie gut Druck machen und sie davon abhalten, sich auch mal sachlich zu informieren.

Die EMMA schafft es leider immer noch, Unterstützer*innen entkriminalisierter Sexarbeit sowie Kritiker*innen des von ihnen hochgelobten schwedischen Prostitutionsverbotes, als Handlanger*innen von Menschenhänder*innen und Zuhälter*innen darzustellen. Viele Leser*innen nehmen das der EMMA völlig unhinterfragt ab, was ich krass finde.

Doch der Begriff der Zuhälterlobby ist eigentlich nur eine clever eingesetzte Schmierkampagne gegen die legitimen Interessen von Sexarbeiterinnen. Und von Betroffenen von Menschenhandel.

Denn – denkt man genauer darüber nach – profitiert die organisierte Kriminalität in jenen Bereichen am meisten, die staatlichen Verboten unterliegen: Drogen, Waffen, Prostitution. Eine Entkriminalisierung der Sexarbeit würde daher eher Licht ins Dunkel bringen und Frauen ermöglichen endlich ohne Schutz und Erpressung durch organisierte Kriminalität zu arbeiten.

Die Tatsache, dass trotz fast globaler Prostitutionsverbote, die Prostitution und der Menschenhandel weiter existieren, zeigt eines: Die organisierte Kriminalität profitiert von einem Verbot. Denn dort wo der Staat nicht regeln will, dort wo der Staat Prostituierte durch direkte oder indirekte Kriminalisierung schutzlos lässt, füllt die Organisierte Kriminalität den Raum. Sie wird Regeln aufstellen und die Kontrolle übernehmen. Dass diese Regeln nicht im Sinne der Betroffenen Frauen sind, versteht sich von selbst.

Dennoch bestehen Antiprostitutionaktivistinnen auf unterschiedliche Varianten des Verbotes. Dort wo Sexarbeit legal ist, wollen sie ein Teilverbot einführen und Kunden von Sexarbeiter*innen pauschal kriminalisieren. Dort wo Sexarbeit komplett verboten ist, wie in den USA, wollen sie eigentlich nichts verändern. Die Forderungen nach einer Entkriminalisierung von „nur“ den „prostituierten Frauen“ bleiben dort leere Worte. Ein prohibitionistisches Modell, in dem täglich hunderte von Frauen wegen Prostitution verhaftet werden und in dem wiederum andere hunderte von Frauen sich von korrupten Polizisten vergewaltigen lassen müssen, weil sie damit einer Strafanzeige entkommen können, scheint Prostitutionsgegnerinnen lieber zu sein, als Legalität.

Ich frage mich also: Wer ist hier die Zuhälterlobby?

— Fortsetzung folgt. 

Anmerkung: Links werden (irgendwann) nachgetragen.

2 Kommentare

  1. Interessant. Das habe ich so noch nie gesehen. Ich werde die EMMA jetzt etwas kritischer lesen.

  2. Toller Kommentar von dem ich viel gelernt habe, danke fuer die Arbeit!

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.