Im Herbst 2013 hatte die französische Nationalversammlung (vergleichbar mit dem Bundestag) ein Gesetz zur „Bekämpfung des Prostitutionssystems“ verabschiedet, das entgegen verbreiteter Meinungen noch nicht in Kraft getreten ist und noch einen langen Weg vor sich hat. Der Senat hat nun nach mehreren Anhörungen die Paragraphen zur Kundenkriminalisierung aus dem Gesetz gestrichen. Das ist ein wichtiges Signal, dass der Kampf gegen Menschenhandel nicht mit einem moralisch motivierten Kampf gegen Sexarbeit einhergehen muss oder soll.
Das Gesetz der Nationalversammlung
Das Gesetz behandelt drei Themen auf einen Schlag: Prostitution, Zuhälterei und Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Dabei wird von vornherein davon ausgegangen, dass Prostituierte – die auch sprachlich ganz passiv als „prostituierte Personen“ beschrieben werden – nur „Opfer der Prostitution“ sein können und möglichst davon abgehalten werden sollen, der Prostitution nachzugehen.
Um Prostitution zu verhindern – wohlgemerkt: nicht um Prostituierte als Prostituierte zu stärken und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern – enthielt der ursprüngliche Gesetzesentwurf mehrere Maßnahmen:
- Es sollen Ausstiegshilfen zur Verfügung gestellt werden, wobei Prostituierte dann nicht wieder der Sexarbeit nachgehen dürfen. Problem: Da die Sozialhilfe und oft auch die Löhne sehr niedrig sind, ist diese Vorgabe sehr schwierig. Unterstützung durch Sozialarbeiter*innen sollte nicht an Bedingungen und einem faktischen Ausstieg gebunden sein.
- Betroffene von Menschenhandel erhalten einen provisorischen Aufenthaltstitel für die Dauer des Prozesses gegen Menschenhandel, aber auch nur wenn sie nicht wieder der Prostitution nachgehen. Problem: Auch dieser Aspekt ist problematisch, denn 1) sollte der Aufenthaltstitel bedingungslos und auch längerfristig gewährt werden und 2) es sollte irrelevant sein, ob und dass ein_e Betroffene_r von Menschenhandel weiterhin als Sexworker tätig ist. Das Gegenteil zu behaupten ist victim blaming – als sei der_die betroffene Prostituierte selber an der Ausbeutung schuld, wenn sie_er weiterhin mit Prostitution ihren Lebensunterhalt verdient. Prostituierte ohne Aufenthaltstitel, die nicht Opfer von Menschenhandel sind, erhalten keine Unterstützung und werden direkt abgeschoben.
- Positiv am Gesetz ist die Abschaffung des Straftatbestandes des „racolage passif„, was mit „passives Anmachen“ übersetzt werden kann. Bestraft werden hier Sexarbeiter*innen, die passiv um Kunden werben, was bedeutet, das die Polizei im Prinzip alle bekannten Prostituierten jederzeit verhaften kann, weil sie gerade auf der Straße gehen oder irgendwo sitzen, denn – so die Logik – auch das könnte ja passives Werben um Kunden sein. Das Gesetz wurde insbesondere gegenüber Migrant*innen durchgesetzt, die dann auch abgeschoben wurden. Außerdem hat das Gesetz zu einer weiteren Verlagerung der Sexarbeit in abgelegene Ecken geführt, was Sexarbeit gefährlicher und unsicherer machte. Gewalt konnte hier sowieso nicht angezeigt werden, weil Sexworker auch Straftäter*innen waren.
- Zuletzt enthält das Gesetz eine Bestrafung von Kund*innen von Sexarbeiter*innen, wobei auch schon das „Anmachen“ oder „Versprechen von Gegenleistungen“ strafbar ist. Obwohl ursprünglich eine Gefängnisstrafe vorgesehen war, wurde die Strafe auf eine Geldstrafe von 1500€ heruntergesetzt.
Seit Dezember 2013 liegt dieses Gesetz im französischen Senat, der nun ebenfalls über das Gesetz abstimmen muss. Der Senat hat deshalb eine Spezialkommission eingerichtet, die in den letzten Monaten viele Stimmen und Betroffene gehört hat. Die komplette Dokumentation der Tätigkeit der Kommission ist hier zu finden (auf französisch).
Kritik am Gesetz
Gestern, am 8. Juli, hat diese Spezialkommmission über den Gesetzestext abgestimmt, so wie sie dem Senat zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Ein Termin steht noch nicht fest. Dabei wurde gegen die beiden Paragraphen der Bestrafung von Kund*innen gestimmt und somit das Prinzip bestätigt, dass Unterstützung und Ausstiegshilfen für Prostituierte auch ohne Kriminalisierung von Sexkauf, der ja einvernehmlich ist, möglich ist.
Schon im Mai hatte die Nationalkommission für Menschenrechte ein Gutachten veröffentlicht, in dem sie den Ansatz des Gesetzes und insbesondere auch die Bestrafung von Kund*innen kritisierte. Ein paar Punkte und Begründungen:
- Das Gesetz entspricht in den Augen der Kommission eher einer prohibitionistischen Logik (also einer Komplett-Kriminalisierung) und weniger eine „abolitionistischen“ Richtung (es soll lediglich die Regulierung von Prostitution abgeschafft werden)
- Die Kommission kritisiert, dass Prostitution und Menschenhandel vermischt und in einen Topf geworfen werden. Dieser Ansatz wird der komplexen und vielfältigen Realität der Sexarbeit nicht gerecht. Die Kommission kritisiert, dass das Gesetz Prostitution als „homogen“ definiert und grundsätzlich davon ausgeht, dass Sexarbeit nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist. Die Kommission weist auf „Grade von Zwang und Freiwilligkeit“ hin, die in einer strafrechtlichen Diskussion nicht ignoriert werden dürfen, weil sie konkrete Folgen für die Betroffenen Personen haben.
- Weil sich Prostitution zunehmend differenziert hat und auch Männer Sex verkaufen, sei es schwierig Prostitution als „Gewalt gegen Frauen“ zu definieren und als Problem von „Gleichheit“ zu behandeln.
- Die Kommission kritisiert, dass Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung durch dieses Gesetz nicht mal ansatzweise angesprochen wird sondern nur Prostitution und sexuelle Ausbeutung. Auch das wird der komplexen Realität von Menschenhandel nicht gerecht.
- Die Kommission unterstützt die Kriminalisierung von Personen, die Sex von Minderjährigen kaufen und weist darauf hin, dass das Gesetz keine zusätzlichen Maßnahmen zur Bekämpfung von Menschenhandel Minderjähriger enthält.
- Eine allgemeine Kriminalisierung von Sexkäufer*innen wird abgelehnt, weil erstens dadurch auch die Prostituierte indirekt kriminalisiert werden und auch Betroffene von Ausbeutung und Menschenhandel noch stärker in den Untergrund gedrängt würden.
Tatsächlich hätte die Bestrafung der Kunden notwendigerweise auch Folgen für die prostituierte Person, da die verbotene Handlung eine*n Partner*in erfordert, der/die die Prostitution ausübt. Somit neigen die Vorschriften indirekt dazu, die Prostitution allgemein als illegitime Tätigkeit zu beschreiben, auch wenn nur Kund*innen und nicht die Person, die sich prostituiert, bestraft werden.
Cependant, la pénalisation du client aura nécessairement des répercussions sur la personne prostituée, puisque l’acte interdit requiert un partenaire exerçant la prostitution. Ainsi, même si c’est le client qui est pénalisé et non la personne qui se prostitue, ces dispositions tendent indirectement à considérer la prostitution comme une activité illicite (Punkt 19)
Die Angemessenheit der Maßnahmen zur Bestrafung von Kund*innen erscheint außerdem zweifelhaft, da sie kontraproduktiv sein kann. Tatsächlich würde eine Kriminalisierung der Kund*innen prostituierte Personen an abgelegenere und gefährlichere Orte verdrängen. Die Verhandlungsmacht mit Kund*innen und die Auswahl an Kund*innen würde zurückgehen; Sozialarbeiter*innen und Gesundheitsämter hätten größere Schwierigkeiten, Zugang zu diesen Personen zu finden. Außerdem läuft man Gefahr, das Misstrauen gegenüber den Polizeikräften zu erhöhen und dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass Gewalt bei der Polizei angezeigt wird, geringer wird, was in diesem Fall einen rechtlichen Rückschritt darstellen würde. Dieses widersprüchliche Wohlwollen würden also zu Umgehungsstrategien führen, die nicht ohne schwere Auswirkungen für die Gesundheit und die Rechte der prostituierten Personen bleiben würden.
La pertinence de la disposition visant à pénaliser le client semble de surcroît discutable tant elle risque d’être contreproductive. En effet, la pénalisation des clients relèguerait en fait les personnes prostituées vers des lieux plus reculés et donc plus dangereux. Le pouvoir de « négociation » avec les clients et de choix du client seraient diminués ; les acteurs médico-sociaux auraient plus de difficultés à accéder aux personnes. On risque également d’observer une plus grande défiance vis-à-vis des forces de l’ordre et donc un moindre réflexe d’y recourir en cas de violence subie, ce qui constituerait de fait un recul du droit. Cette bienveillance paradoxale induirait donc des stratégies de contournement qui ne seraient pas sans grave incidence sur la santé et les droits des personnes prostituées (Punkt 22)
- Zuletzt weist die Kommission daraufhin, dass die erfolgreiche Umsetzung dieser repressiven Maßnahmen eine Einrichtung von Überwachungsinstrumenten bedeutet, die wiederum nicht den Anforderungen einer freien Gesellschaft entsprechen. (Enfin, l’efficacité de la répression impliquera la mise en place de dispositifs de surveillance dont la nécessaire généralisation contredira évidemment les exigences d’une société libre, Punkt 25)
- Die Kommission erinnert daran, dass das Strafrecht Gewalt, Ausbeutung und andere Formen von Zwang, insbesondere auch gegenüber Minderjährigen, bestrafen soll. Dazu ist es nicht nötig, Kunden von Sexarbeiter*innen strafrechtlich zu disziplinieren.
Die Vorschläge, Empfehlungen und Kritiken der Kommission könnte noch viel ausführlicher dargestellt werden, aber das würde – wieder mal – zu einem viel zu langen Text führen. Hier ist eine Übersicht der nächsten Schritte durch das französische Parlament.
Quellen:
Entwurf des Gesetzes gegen das System Prostitution
Gutachten der Menschenrechtskommission