Vor inzwischen fast drei Wochen löste Alice Schwarzer in der taz eine Debatte um Prostitution aus. Den eingeplanten, letzten Beitrag von Sabine Constabel hätte die taz nur nach einer Überarbeitung veröffentlicht. So kam der Beitrag in die EMMA – inklusive einer Zensur-Anschuldigung. Über diese ganze Debatte habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Eine kurze Einschätzung gibt es auch bei W&V.
Nachtrag: Am 11.09.2013 ist ein weiterer Artikel von Monika Frommel zu diesem Thema in der taz erschienen, den ich sehr empfehle.
Als ich Sabine Constabels Replik auf Dona Carmens Replik auf Alice Schwarzers etwas verkürzten Angriff auf die Grünen gelesen habe, war ich froh, dass diese in der EMMA erschienen war. Dort passt sie einfach besser hin. Wegen der angeblichen Zensur bei der taz kann man sich aufregen, aber vielleicht auch nicht. Mein Profil und meine Seite sind schon sehr lange auf Emma blockiert, nachdem Kommentare ohne Vorwarnung gelöscht wurden. Zensur habe ich von Seiten der EMMA erfahren, die sicherlich auch diesen kritischen Beitrag nicht veröffentlichen würde. Dennoch habe ich kein Recht darauf, einen Begriff wie „Zensur“ in diesem Kontext zu verwenden. Ich kann eben auch woanders schreiben und der Staat verbietet es mir (noch) nicht. Auch Constabels Ansicht ist letztendlich nach außen gekommen und sie ist sichtbar. Zensur heißt in meinen Augen etwas anderes, nämlich Unsichtbarmachung, bewusste und gezielte Unterdrückung von Meinungen – tendenziell durch den Staat. So lange es irgendeine Plattform gibt, auf der Frau Constabel sich äußern kann, ist das keine Zensur. Wenn Emma das Gegenteil behauptet, dann hat EMMA eben auch meine Beiträge zensiert. Aber darum geht es mir hier nicht. Hier möchte ich ein paar Begriffe und Themen anders aufrollen, als es in den letzten Jahren in Deutschland üblich ist – anders als es EMMA, Alice Schwarzer und Sabine Constabel tun.
Fangen wir von vorne an: Menschenhandel und Sexarbeit
Prostitution bedeutet, dass erwachsene Menschen anderen erwachsenen Menschen sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt anbieten. Dazu gehört nicht nur Geschlechtsverkehr, sondern auch Masturbation, Striptease/Dance, Online-Sex, oder SM-Praktiken (auch ohne Geschlechtsverkehr) und vieles mehr. Viele Menschen verdienen mit dieser Tätigkeit ihren Lebensunterhalt, mal nur für kurze Zeit mal über Jahrzehnte hinweg. Deshalb kann Prostitution auch als Sexarbeit bezeichnet werden, weil die „Sexarbeiter_innen“ ihre Tätigkeit als Job verstehen. Diese Selbstbeschreibung und die damit einhergehenden Forderungen, dass Sexarbeit als Arbeit anerkannt und reguliert wird, ist zu respektieren – genauso wie die Forderung nach Anerkennung der Existenz von Intersexualität, die Forderung nach der Gleichstellung der Homo-Ehe, die Forderung der Entkriminalisierung homosexueller Handlungen zwischen Erwachsenen.
Die Begriffe Sexarbeit und Prostitution enthalten die Idee der Freiwilligkeit. Unfreiwilliger Sex sollte niemals mit dem Begriff der Prostitution beschrieben werden, da unfreiwilliger Sex per se eine Vergewaltigung ist. Eine Vergewaltigung ist aber keine sexuelle Dienstleistung, und somit auch keine Prostitution!
Mit dem Begriff Menschenhandel beschreibt man hingegen unterschiedliche Formen des Zwangs und der Ausbeutung in verschiedenen Industrien und Branchen, darunter auch in der Sexindustrie. Prostitution ist nicht grundsätzlich mit „Frauenhandel“ gleichzusetzen, obwohl sich dies in vielen feministischen Kreisen durchgesetzt hat. Gleichzeitig gibt es Erfahrungen von Gewalt, die Sexarbeiter_innen erleben können, die nicht als Menschenhandel beschrieben werden sollten und die auch strafrechtlich nicht als solche bestraft werden können.
Menschenhandel im Prostitutionsgewerbe, also Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, kann zwei Formen annehmen. Es kann sein, dass eine Sexarbeiterin ausgebeutet wird, die sehr wohl wusste, dass sie in der Sexindustrie gearbeitet hätte. Was sie (oder er oder *) nicht kannte, waren die ausbeuterischen Bedingungen. In Deutschland gehören ca. 30% der Betroffenen von Menschenhandel zu dieser Gruppe. Man könnte hier auch von sexueller Zwangsarbeit sprechen.
Die zweite Gruppe von Betroffenen wollte nie in die Prostitution. Ihnen wurde meist ein lukrativer Job in einer anderen Branche angeboten, den es aber nicht gab. Ihre ungewollte Tätigkeit in der Prostitution sollte man korrekterweise nicht als Prostitution beschreiben, sondern als kommerzielle sexuelle Ausbeutung bzw. kommerzielle Massenvergewaltigung. Auch „Zwangsprostitution“ beschreibt nicht was tatsächlich passiert. Eine Frau, die ungewollt in die Prostitution gebracht würde, ist keine Prostituierte, die sexuelle Dienste anbietet, sondern eine Person, die sexuelle Gewalt erfährt, womit jemand anders Geld verdient – jedoch nicht sie selber. Wer nie in die Prostitution wollte und trotzdem dort ausgebeutet wird, ist von kommerziellem sexuellen Missbrauch betroffen. Diese Person „prostituiert sich“ nicht sondern sie wird vergewaltigt und eine Vergewaltigung ist keine Dienstleistung. Es ist schon fast „victim blaming“ den Begriff der „Zwangsprostitution“ in diesem Kontext zu verwenden. Auch „Kinderprostitution“ gibt es in dem Sinne nicht – denn Kinder prostituieren sich nicht sondern sie erfahren kommerzialisierten sexuellen Missbrauch.
„Pädophilie“ hat nichts mit Prostitution zu tun
Diese Unterscheidung trifft auch auf die Pädophilie zu. Ich kann mir immer noch nicht erklären, wie Alice Schwarzer auf die Idee gekommen ist, im gleichen Artikel von Pädophilie und von Prostitution zu sprechen. So entsteht der Eindruck man könne sexuellen Missbrauch doch irgendwie mit Prostitution vergleichen und in einen Topf werfen. Vermutlich macht der Wahlkampf (den Schwarzer unausgesprochen führt) blind für ganz simple Sachverhalte und die kleinen Unterschiede. Denn auch hier gilt: Ein Kind, das gegen seinen Willen Sex hat, wird nicht „prostituiert“, es prostituiert sich auch nicht: Es wird vergewaltigt. Sexuellen Missbrauch auch nur in die Nähe kommerzieller Sexualität zu bringen, verharmlost diesen Missbrauch. Wir laufen hier nämlich das Risiko, dass eben sexuell missbrauchte Kinder, vor allem Mädchen, als „Schlampen“ und „Huren“ abgestempelt werden, dass ihnen nicht geglaubt wird, dass sie letztendlich als verführerische Täter_innen gesehen werden. Dass das auch heute noch der Fall ist, zeigt eine neulich geführte Debatte in Großbritannien. Also bitte, Frau Schwarzer, vermischen Sie diese Sachen nicht, denn Sie schaden damit auch Minderjährigen, die von sexueller Gewalt betroffen sind.
Gewalt in der Prostitution ist „Gewalt gegen Sexarbeiter_innen“
Wenn Alice Schwarzer und andere Organisationen von Prostitution sprechen, verwenden sie oft den Ausdruck „ Gewalt gegen Frauen“ um die Gewalt in der Prostitution bzw. ‚Prostitution als Gewalt‘ zu beschreiben. Der Ausdruck soll auf strukturelle Ausbeutung und Gewalt in der Prostitution hinweisen und verdeutlichen, warum diese abgeschafft gehört. Inzwischen haben sich sogenannte „Abolitionistinnen“, die sich für eine Abolition (Abschaffung) der Prostitution einsetzen, darauf geeinigt, dass sie zu diesem Zweck gerne das „Schwedische Modell“ hätten: Dort werden Kunden von Sexarbeiterinnen kriminalisiert und bestraft – das sieht zumindest das Gesetz vor (in der Praxis werden kaum Haftstrafen verhängt, so der neueste Polizeibericht in Schweden). Doch inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die auf die Schwächen des schwedischen Modells hinweisen und die zeigen, dass auch der Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung (laut EU Statistik) nicht viel niedriger ist als in Deutschland (0.8 Opfer pro 100.000 Einwohner in beiden Ländern im Jahre 2010).
Doch zurück zum Gewaltproblem. Die Vorstellung von Prostitution als „Gewalt gegen Frauen„ ist problematisch. Prostitution wird nämlich als „black box“, als Generalisierung aller erdenkbarer Lebens- und Arbeitsbedingungen von Prostituierten verwendet. Darin liegt der Fehler, denn Prostitution ist vielfältig.
Forscher_innen und Forscher, die sich mit Sexarbeit befassen, zeigen immer wieder, wie vielfältig diese Industrie ist, wie vielfältig auch Erfahrungen, Motivation und Gründe für diese Arbeit sind. Dabei untersuchen Wissenschaftler_innen auch immer auch die Handlungsräume der Sexarbeiter_innen sowie die Zwänge und strukturellen Faktoren, die sie – mal mehr mal weniger – dazu bringen, weiterhin in der Sexarbeit tätig zu sein. Freiwilligkeit und Zwang sind in den meisten Fällen gleichermaßen vorhanden und diese Verhältnis ist am besten so zu verstehen, dass Sexarbeiter_innen das Beste aus den Zwängen machen, mit denen sie aufgrund gesellschaftlicher Verhältnisse nun mal leben müssen. Das Stigma der Prostitution und ihre moralische Ablehnung gehören übrigens auch zu diesen Zwängen.
Entgegen der Behauptung von Frau Constabel, dass Sexabeiter_innen Gewalt in der Prostitution leugnen, kann eindeutig gesagt werden: Nicht nur diese Wissenschaftler_innen sondern auch Sexabeiter_innen und ihre Organisationen weisen immer wieder auf Gewalterfahrungen hin, die sie als Prostituierte machen. Es gibt, wenn man nur danach suchen würde, eine große Fülle an Berichten und Untersuchungen, die sich mit dem Thema „Gewalt gegen Sexabeiter_innen“ (violence against sex workers) befassen, nicht zuletzt auch die Weltgesundheitsorganisation. Wenn Frau Constabel Dona Carmen und anderen Prostituiertenorganisationen vorwirft, Gewalterfahrungen in der Sexarbeit zu leugnen, dann kann man ihr zurecht vorwerfen, dass sie wahrscheinlich noch nie nach diesen Perspektiven gesucht hat und dass sie sich noch nie mit Prostituiertenorganisationen über dieses Thema ausgetauscht hat. Gewalt gegen Sexarbeiter_innen zu reduzieren, gerade wenn diese aufgrund der Kriminalisierung unbestraft bleibt, ist eines der zentralen Anliegen der globalen Prostituiertenbewegung und ihrer Organisationen.
Aber vielleicht hat Constabel das mit Absicht nicht gesehen. Schließlich setzt der Ausdruck „Gewalt gegen Sexarbeiter_innen“ die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit voraus und führt zu entgegengesetzten politischen Forderungen. So wirft der Ausdruck heteronormative Vorstellungen über Bord, es seien nur Frauen in der Prostitution tätig, die nur heterosexuellen Männern Sex anbieten und Prostitution ist plötzlich nicht mehr nur ein „Frauenthema“ sondern , streng genommen, ein Gender- und LGBT, sowie Menschenrechtsthema. Der Ausdruck verweist auch auf das Stigma, das Sexarbeiter_innen anhaftet und das als Ursprung von Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung identifiziert wird. Auch die multiple Ausgrenzung und Diskriminierung, die z.B. transsexuelle Sexarbeiter_innen trifft, kann hiermit beschrieben werden, während der Begriff „Gewalt gegen Frauen“ dafür blind bleibt. Zuletzt liegt der Hauptgrund in der Diskriminierung von Sexarbeiter_innen nicht in ihrem „Frausein“ sondern darin, dass sie eben nicht der Norm der „Frau“ und weiblichen sexuellen Verhaltens entsprechen. Prostituierte erfahren Diskriminierung, gerade weil sie dieser Norm nicht entsprechen, gerade weil sie Sex als Dienstleistung anbieten. Der Begriff „Gewalt gegen Frauen“ ist hingegen blind für diese spezifische Diskriminierung.
Die strukturelle Gewalt, die mit dem Begriff „Gewalt gegen Sexarbeiter_innen“ angesprochen wird, ist auch nicht das Patriarchat sondern diskriminierende strukturelle Rahmenbedingungen, wie z.B. Gesetze, die es Sexabeiter_innen in vielen Ländern unmöglich machen, Gewalttaten und sexuelle Übergriffe anzuzeigen, Gesundheitsdienste in Anspruch zu nehmen oder rechtlichen Beistand zu erhalten, weil diese Gesetze Prostituierte meist als Kriminelle identifizieren. Strukturelle Gewalt ist auch, wenn Sexarbeiter_innen nicht aussteigen können, weil sie als Kriminelle gelten, weil die Gesellschaft sie als „Abschaum“ und Menschen zweiter Klasse betrachtet – eine Haltung, die im Übrigen in Ländern, wo Prostitution verboten ist, besonders stark verbreitet ist. Das ist die strukturelle Gewalt auf die Sexabeiter_innen hinweisen, wenn sie von „Gewalt gegen Sexabeiter_innen“ sprechen. Fordert Constabel also ein Verbot der Prostitution, dann fordert sie auch eine stärkere Diskriminierung, Stigmatisierung und Exklusion von Sexabeiter_innen aus dem Rechtssystem. Das verwundert nicht, denn das ist die Gewalt, die Constabel und Schwarzer ignorieren, indem sie noch mehr Verbote und noch mehr Polizeikontrollen und -befugnisse fordern und indem sie behaupten, Sexabeiter_innen würden Gewalterfahrungen leugnen. Genau das tun Sexarbeiter_innen nicht – im Gegenteil: Sie sind laut. Man muss nur hinhören, Frau Schwarzer und Frau Constabel, man muss nur hinhören.
Sabine Constabel über Prostitution und die Prostitutionslobby
Mit den Aussagen von Sabine Constabel (auch in diesem Beitrag) möchte ich mich näher beschäftigen. Constabel, Sozialarbeiterin in Stuttgart, betreut dort regelmäßig eine Anlaufstelle für Straßenprostituierte der Caritas. Diese ist jedoch nur zweimal pro Woche jeweils drei Stunden lang geöffnet und bietet u.a. Kleider, Essen, „Hilfen zur Prävention“ und Gespräche. In einem früheren Artikel für EMMA schrieb Constabel: „Jeden Tag kommen Frauen zu uns, die Alternativen zur Prostitution suchen.“
Es ist unheimlich wichtig, dass es Anlaufstellen und Beratungsangebote für Sexarbeiter_innen gibt – im Übrigen auch für Männer und LGBT-Menschen – , die aus er Prostitution aussteigen wollen. Denn wenn ich der Meinung bin, dass jeder Mensch das Recht hat in einem (rechts-)sicheren Umfeld sexuelle Dienstleistungen anzubieten (meinetwegen als Berufsfreiheit), so bin ich auch der Ansicht, dass damit das Recht und die Freiheit einhergeht, diesen Job jederzeit zu verlassen, ohne dafür kriminalisiert, ausgegrenzt oder stigmatisiert zu werden. Das ist übrigens auch eine Ansicht welche die Sexarbeiterin Stephanie Klee im Rechtsausschuss im Bundestag vertreten hat, wo sie auch das fehlende Angebot von Ein- und Ausstiegshilfen betont hat. So liegt Constabel in ihrer Kritik falsch, wenn sie schreibt, dass es heute keine (Prostituierten-)Organisation mehr gibt, die den Ausstieg aus der Prostitution für wichtig hält. Vermutlich hat sie auch einfach nicht mit diesen Prostituierten gesprochen, denn sonst wüsste sie, dass ihre Ansicht falsch ist. Von den wenigen Sexarbeiter_innen, die ich kenne, würde wahrscheinlich keine gegen Ausstiegsberatungen kämpfen – solange dieser Ausstieg nicht erzwungen wird, u.a. mit moralischen Argumenten und unfairen Angriffen auf die Sexarbeit.
Das größte Problem in Constabels Beitrag sind jedoch ihre pauschalen Verallgemeinerungen. Das möchte ich an zwei Beispielen zeigen, die auf zwei Beiträge in der EMMA basieren.
Prostituierte als (il-)legitime politische Akteur_innen
Wenn Constabel Dona Carmen und Prostituiertenorganisationen angreift, spricht sie von den „Lobbyisten der Prostitutionswirtschaft“, die Prostituiertenorganisation Dona Carmen zählt sie auch dazu. Dabei geraten jedoch eine Vielzahl unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure in einen Topf, die unterschiedlicher nicht sein und unterschiedlichere Interessen nicht haben könnten. Allen voran setzt sie politisch aktive und politisierte Sexarbeiter_innen mit anderen Interessensvertretungen gleich: Bordellbetreiber, Vermieter, Investoren, Agenturen, Internet- und Anzeigenportale, Zuhälter. Alle seien Teil der Prostitutionslobby, die unbedingt bekämpft werden sollte. Und die „professionellen Huren“, die es aus der Sicht Constabels heute gar nicht mehr gibt, gehören eben dazu. Sie gilt es anzugreifen und zu bekämpfen – im Namen des Feminismus und der Frauenrechte.
Doch Prostituierte werden durch Sätze wie „Prostitutionslobby“ nicht nur als illegitime politische Akteure mit illegitimen politischen Interessen stilisiert und mit anderen „Interessensvertretern“ gleichgesetzt. Sie werden dadurch auch diskursiv aus der politischen Sphäre ausgeschlossen. Man könnte fast sagen: Prostituierte werden „zwangs-entpolitisiert“. Als Feministin kann ich es in keinster Weise unterstützen, dass Frauen im Namen des Feminismus andere Frauen (und Sexarbeiter_innen anderer Geschlechter) zum Schweigen bringen, nur weil sie mit ihrer Ansicht nicht einverstanden sind. Ich selbst wurde schon auf Twitter mit dem Kommentar „Sei still“ konfrontiert. Deutlicher könnte der Versuch bestimmte Ansichten zum Thema „Prostitution“ zu unterdrücken und verstummen zu lassen, kaum sein. Man könnte ja gar weiter gehen und sagen: Das ist Zensur – das ist wahre, echte politische Zensur, die spätestens im Bundestag sichtbar wird, wenn plötzlich Prostitutionsgesetze verabschiedet werden, ohne wirklich ausführlich mit Sexarbeiter_innen in den verschiedenen Sparten der Branche gesprochen zu haben und damit auch auf ihre Belange eingehen zu können.
Die gute Absicht, Prostituierte in Not, die so schnell wie möglich aus der Prostitution aussteigen wollen, zu unterstützen, ist wahrlich lobenswert und wichtig. Und das meine ich ohne Ironie. Doch die Welt ist bunt, Menschen sind eben verschieden und Constabel und Schwarzer verpassen es, einen Großteil jener Personengruppe, für die sie sich einsetzen möchten, mitreden zu lassen. Selbst wenn nur 20% oder auch nur 5% der Sexarbeiter_innen in Deutschland mit ihrem Job glücklich sind, ist das kein Grund diese Gruppe von Menschen als entweder „inexistent“ oder „böse“ zu verpönen. Damit reproduzieren beide die historische Exklusion von Sexarbeiter_innen aus der Gesellschaft. Doch auch Sexarbeiter_innen haben legitime politische Interessen und nicht alle Sexarbeiter_innen sind, wie Constabel es behauptet, osteuropäisch und analphabet – ein fremdenfeindliches Vorurteil, das sich leider erfolgreich in die Köpfe der deutschen Bürgerinnen und Bürger eingenistet hat. Und an dieser Stelle scheint mir der Vorwurf des Rassismus nicht ganz unbegründet zu sein.
Armuts- und Zwangsprostitution: Und was ist mit Armutsarbeit?
Die Vermischung von Armuts- und Zwangsprostitution stellt die zweite Verallgemeinerung dar, die Constabel macht: Fast alle Prostituierten (sie schreibt von 90%) seien „Armuts- und Zwangsprostituierte“. Es mag sein, dass sie durch ihre Erfahrung im Prostituierten-Cafe genau diesen Eindruck gewonnen hat. Das Angebot der Beratungsstelle richtet sich in der Tat genau an jene Frauen, denen es nicht gut geht und die eine Alternative suchen. Es ist also nicht überraschend, dass Constabels Erfahrung darauf hindeutet, dass es Prostituierten mehrheitlich schlecht geht. Warum sollte ihr in ihrem beruflichen Alltag die selbstständige Prostituierte begegnen, die glücklich ist mit ihrem Job?
Constabel sollte jedoch nicht einfach aufgrund ihrer Erfahrungen in der Beratungsstelle auf alle Erfahrungen in der Prostitution schließen. Eine Beratungsstelle hat nun mal nicht mit dem ganzen Spektrum an sexuellen Dienstleistungen zu tun, die aktuell in Deutschland angeboten werden. Ich verdeutliche das mal am Beispiel einer Beratungsstelle gegen häusliche Gewalt: Nicht jede Frau wendet sich an eine solche Beratungsstelle, weil nicht jede Frau von dieser Gewalt betroffen ist. Es ist selbstverständlich, dass sich nur Betroffene von häuslicher Gewalt an diese Beratungsstelle wenden und natürlich haben die Sozialarbeiterinnen dann nur mit Fällen von häuslicher Gewalt zu tun. Das heißt aber noch lange nicht, dass plötzlich alle Frauen von häuslicher Gewalt betroffen sind, weil die entsprechenden Beratungsstellen nur tatsächlich Betroffene beraten. Ähnlich ist es bei Prostituiertenberatungsstellen.
Armutsprostitution? Armutsarbeit!
Frau Constabel hat es sicherlich gut gemeint, als sie angefangen hat von „Armutsprostitution“ (insbesondere im Begriffspaar „Armuts- und Zwangsprostitution“) zu sprechen: Das sind Frauen, denen es ökonomisch so schlecht geht, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als in die Prostitution zu gehen. Diese ökonomische Notwendigkeit wird dann als Zwang gedeutet und mit „Zwangsprostitution“ verglichen.
Mit dem Begriff „Armutsprostitution“ verhält es sich aber ein bisschen wie bei „Armutsmigration“. Man denkt dabei an unerwünschte rumänische und bulgarische Migrant_innen, die – dank Deutschlands zeitlicher Aufschiebung des Schengen-Beitritts der beiden Länder – immer noch nicht regulär in Deutschland arbeiten dürfen. Diese Migrant_innen kommen aber trotzdem nach Deutschland, sie versuchen trotzdem hier ein Leben aufzubauen und es ist wahrscheinlich, dass viele von ihnen sehr arm sind. Manche wählen die Prostitution (ja, mehrheitlich Frauen), andere gehen auf den „Arbeiterstrich“ – beide tun dies aufgrund fehlender Alternativen. Aber was ist daran sonderbar und verurteilenswert? Warum muss man einen abwertenden Begriff dafür schaffen, dass Menschen (nur) aus ökonomischen Gründen arbeiten? Warum muss man diese Begriffe auch noch mit einer Konnotation der Illegitimität verknüpfen? Weder Migration noch Prostitution sind illegitim – auch nicht, wenn Armut die Motivation ist. Um die Sinnlosigkeit der beiden Begriffe zu verdeutlichen biete ich wieder ein Beispiel:
Würden Sie von „Armutsarbeit“ sprechen, wenn jemand irgendeinen Job nur deshalb annimmt um wortwörtlich zu überleben? Oder ist und bleibt es nicht auch dann einfach „Arbeit“?