Jungen ohne Rechte – Missbrauch und Zwangsprostitution in Pakistan

Missbrauch an Jungen: Ein Thema, bei welchem viele Menschen sofort an die Missbrauchsskandale in kirchlichen Institutionen denken. Geschlechtertrennung, Zölibat und Ablehnung des Weiblichen werden oft als Erklärung für die begangenen Verbrechen herangezogen. Doch wie sieht es in Ländern aus, in denen Geschlechtertrennung zum Alltag gehört und nicht auf wenige Enklaven beschränkt ist?

Straßenkinder in Pakistan

In Pakistan, wie auch in vielen anderen islamischen Ländern, stellt die Abschottung von Frauen, dort purdah, genannt, eine weit verbreitete Tatsache dar.[2] Diese Trennung von Männern und Frauen wird von vielen Organisationen und AutorInnen für ein anderes weit verbreitetes Phänomen des pakistanischen Alltagslebens verantwortlich gemacht: Für den geradezu institutionalisiert zu nennenden Missbrauch und/oder Zwangsprostitution von Jungen. Statistiken sind schwer zu erstellen. Laut der NGO „Sahil“ sind 73% der 2010 in Zeitungen dokumentierten Missbrauchsopfer Mädchen.[3] Man kann aber davon ausgehen, dass gerade im Falle des Missbrauchs von Jungen die Hemmschwelle größer ist, TäterInnen anzuzeigen.[4] Vor allem aber ist in zwei Bereichen, in denen Missbrauch an Jungen häufig verübt wird, die Dunkelziffer besonders hoch: In den zumeist Jungen vorbehaltenen Madrassas (Koranschulen) und unter den meist männlichen Straßenkindern und Kinderarbeitern.[5]

Missbrauch in Madrassas ist ein Tabuthema im streng islamischen Pakistan. Wer Missbrauchsfälle dort publik macht, hat mit Todesdrohungen zu rechnen und die Fälle werden behördlich nicht verfolgt. Das verwundert nicht, wenn man berücksichtigt, dass Missbrauchsopfer unter den Straßenkindern angaben, dass 60% der Täter Polizisten gewesen seien. Insgesamt 90% der Kinder wurden bereits in der ersten Nacht auf der Straße missbraucht oder vergewaltigt.

Die niederländische Journalistin Betsy Udink beruft sich in ihrem Buch „Allah und Eva“ auf Syed Memood Asghar, den Direktor einer NGO, der von der Praxis berichtet, dass Hotelbesitzer und Lehrer zusammenarbeiten, um Schuljungen in Hotels zur Prostitution anzubietet. Die Hoteliers haben Karteien mit Fotos der Kinder ausliegen, Kunden können sich einen Schuljungen aufs Zimmer „bestellen“. Aber auch die Lehrer selber, nicht nur in den Koranschulen, missbrauchen Kinder und erpressen diese mit Androhungen schlechter Noten. Udink zitiert ein Mitglied der Kommission für Gesundheitswesen in Pakistan: „Missbrauch von Jungen komme auf so gut wie allen Grund- und höheren Schulen in Pakistan vor“.[9]

In einem Land, in welchem ca. 10 Millionen Kinder arbeiten müssen, ist auch die Institution männlicher Lustknaben (Bacha Bazi) vor allem in der North West Frontier Province weit verbreitet und wird größtenteils offen ausgelebt.[11]

Im Gegensatz zu Missbrauch an Mädchen ist keine unerlaubte Schwangerschaft zu befürchten und auch keine Racheakte von Seiten der Familie des Opfers. Ein Drittel der Pakistanis sieht den Geschlechtsverkehr mit minderjährigen Jungen noch nicht einmal als Unrecht an, trotz großer gesellschaftlicher Ächtung von Homosexualität zwischen Erwachsenen. Im Gegenteil – der aktive Part in homsexuellen Handlungen mit Jungen zu sein, kann sogar das Ansehen der Täter erhöhen und einen Statusgewinn bedeuten. Auch ist Pakistan wohl eines der wenigen Länder der Welt, in denen es mehr männliche als weibliche Prostituierte gibt – eine weitere Folge der Purdah, mit tragischen Konsequenzen für die männlichen Prostituierten, deren Einstiegsalter in die Prostitution bei 12 – 15 Jahren liegt.

In einer Gesellschaft, in denen sexuelle Kontakte zum anderen Geschlecht streng geahndet werden, in denen Kinder, vor allem aus armen Familien, keinerlei Schutz durch Institutionen und Staat genießen, in denen ein Unrechtsbewusstsein der TäterInnen (denn auch Täterinnen gibt es – laut Statistiken ca. 20%) nur selten vorhanden und die gesellschaftliche Akzeptanz von Missbrauch an Jungen erschreckend hoch ist, ist der sexuellen Ausbeutung von männlichen Kindern und Heranwachsenden Tür und Tor geöffnet. Zweifelsohne werden in Pakistan Jungen in die Prostitution verkauft, wird also Menschenhandel der schlimmsten Form betrieben. Doch auch der verbreitete Missbrauch in Schulen, Madrassas und auf der Straße stellt nicht nur ein Verbrechen an den Opfern dar, sondern generiert auch neue Täter. Viele Lastwagenfahrer in Pakistan halten sich Lustknaben, die als Gegenleistung für sexuelle Dienste zu Fahrern ausgebildet werden. Die Fahrer haben selber auf diese Weise ihr Handwerk gelernt, und später werden die heutigen Opfer sich selber neue Jungen suchen und die Kette der sexuellen Ausbeutung fortsetzen. Wer diese katastrophalen Umstände ändern will, muss nicht nur den Opfern zu ihrem Recht verhelfen, sondern vor allem die Wurzel allen Übels angehen: Die Abschottung der Frau und die rigide Geschlechtertrennung, die nicht nur Frauen vom gesellschaftlichen Leben ausschließt, sondern auch Jungen dem Missbrauch preisgibt.


[2]Barlas, Asma (2002): „Believing Women“ in Islam. Unreading Patriarchal Interpretations of the Qur’an, Austin: University of Texas.

Mernissi, Fatima (1989): Der politische Harem. Mohammed und die Frauen, Neuauflage 1992, Freiburg am Breisgau: Herder.

[9] Udink, Betsy (2006), Allah und Eva. München: Beck, S.66ff..


4 Kommentare

  1. […] Jeder homosexuelle Mann, und ich gebrauche bewußt diese männliche Form (um Frauen* geht es nämlich, wieder einmal und in diesem Falle zum Glück, nicht) sollte hier empört aufschreien, wenn ein solches Verhalten als homosexuell bezeichnet wird. Jede Person überhaupt sollte sich Gedanken machen, ob dieses Verhalten als homosexuell bezeichnet werden darf und kann. Ganz sicher nicht, wenn man Homosexualität als Zuneigung, Begehren oder Handlung Gleichaltriger bzw. Erwachsener definiert. Denn hier geht es nicht um Erwachsene; noch nicht einmal um junge Männer. Hier geht es um die auch von den Griechen überlieferte Tradition sexualisierten Mißbrauchs an präpubertierenden und pubertierenden Jungen, welche in unverzeichlich beschönigender Weise als “Knabenliebe” bezeichnet wurde und wird. Diese Tradition lebt übrigens noch heute – als bacha bazi bezeichnet oder auch als namenloser institutionalisierter Mißbrauch wird sie (nicht nur) in vielen Gebieten Pakistans und Afghanistans praktiziert und dort tatsächlich weitgehend toleriert. (Vgl. z.B. https://menschenhandelheute.wordpress.com/2012/03/03/jungen-ohne-rechte-missbrauch-und-zwangsprostitu…) […]

  2. Interessanter Artikel! Praegnant und klar formuliert.

    Nur beim Schlussappell habe ich ein wenig Magenschmerzen:
    Ich glaube ebenfalls, dass die Abschottung der Frau ein grundlegendes
    Problem darstellt, und deren Bekaempfung zu deutlich mehr Gerechtigkeit beitragen wuerde. Dieses aber im hiesigen Zusammenhang als Wurzel allen Uebels zu beschreiben, ist verharmlosend. Kinderschutz ist ein davon unabhaengiges Thema und muss deshalb auch davon losgeloest bekaempft werden.

    1. Danke für Dein Feedback.

      Ich würde nicht behaupten, dass die Purdah den einzigen Grund für den Mißbrauch an Jungen darstellt. Andere Gründe – wie das mangelnde Unrechtsbewußtsein der TäterInnen, den fehlenden Schutz durch Institutionen, die gesellschaftliche Akzeptanz, aber auch den Faktor, dass Mißbrauch nur zu oft neue TäterInnen generiert, etc. – habe ich ebenfalls genannt. Trotzdem erkenne ich in der Trennung der Geschlechter und der Abschottung der Frau, welche heterosexuelle Sexualkontakte zwischen Erwachsenen fast unmöglich macht, einen wichtigen Grund, wenn nicht den wichtigsten, für die sexuelle Ausbeutung von Jungen, zumal diese leichter zu erreichen und keine Konsequenzen von Seiten der Familie des Opfers zu befürchten sind. Ich möchte ganz sicher nichts verharmlosen, wohl aber aufzeigen, welche möglichen Ursachen es geben könnte.

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