„Arbeitsplätze müssen wohl etwas Tolles und Wünschenswertes sein!“. Auf diesen Gedanken könnte mensch zum Beispiel bei der Betrachtung des Berliner Wahlkampfes 2011 verschiedener Parteien um parlamentarische Mehrheit im Abgeordnetenhaus von Berlin und dem damit verbundenen Diskurses kommen. In diesem Wahlkampf wurde unter anderem mit dem Versprechen, neue Arbeitsplätze bzw. Lohnarbeitsverhältnisse, zu schaffen, auf Wähler_innenfang (1) gegangen. (2/3/4) Den Kampf um Arbeitsplätze haben alle etablierten Parteien gemein, ob z.B. NPD, CDU, Grüne oder die Linke, auch wenn die Details diesbezüglich durchaus variieren.
Aus diesem Grund sollte mensch sich die vielgepriesene „freie Arbeit“, also Lohnarbeit, vielleicht ein wenig genauer anzuschauen. Die wohl korrekteste Theorie der Lohnarbeit hat meines Erachtens Karl Marx Mitte des 19. Jahrhunderts formuliert (5). Auch wenn einiges, was er postuliert hat, durchaus kritikwürdig ist, z.B. die historische Abhängigkeit verschiedener Produktionsverhältnisse (6) oder die Frage nach Haupt- und Nebenwiderspruch (7), so erscheint mir die marxsche Analyse des derzeitig hegemonialen Wirtschaftssystems, sprich des kapitalistischen Produktionsverhältnisses, dessen Basis eben die Lohnarbeit ist, durchaus richtig.
Marx versteht unter Produktionsverhältnissen (8) ganz allgemein die Gesamtheit der sozial-ökonomischen Beziehungen. Sie werden dadurch bestimmt, in wessen Eigentum sich die Produktionsmittel (9) befinden und dementsprechend ob bzw. welche Klassenverhältnisse herrschen. Alle Menschen einer Gesellschaft sind im Prozess der Produktion, des Austausches und der Verteilung der materiellen Güter diesen Verhältnissen unterworfen, das heißt, das gesamte gesellschaftliche System wird durch die Produktionsverhältnisse bestimmt.
Im Kapitalismus lassen sich nach Marx zwei (Haupt-)Klassen identifizieren. Auf der einen Seite die Bourgeoise bzw. die Klasse der Kapitalist_innen, welche die zur Produktion notwendigen Produktionsmittel, also Fabriken, Maschinen etc. besitzen, und die heutigem Diskurs meist Arbeitgeber_innen genannt werden. (10) Diese Klasse sei mit der „herrschenden Klasse“ gleichzusetzen, nach deren Interessen die Gesellschaft strukturiert ist und deren Gedanken die öffentliche Meinung und Ideologie und somit das gesellschaftliche Bewusstsein bestimmen: „Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.“ (11)
Auf der anderen Seite identifiziert Marx sog. das Proletariat, bzw. die Klasse der Arbeiter_innen. Entscheidend ist hier, dass diese keine eigenen Produktionsmittel besitzen und deshalb gezwungen sind, Lohnarbeit zu verrichten. „Die Arbeitskraft ist also eine Ware, die ihr Besitzer, der Lohnarbeiter, an das Kapital verkauft. Warum verkauft er sie? Um zu leben.” (12) Ihr Lohn sei in etwa so bemessen, dass die eigene Arbeitskraft „reproduziert“ werden kann, also die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse garantiert wird. Der ökonomische Zwang ersetzt hier im Gegensatz zu früheren Produktionsweisen, wie z.B. in einer auf Leibeigenschaft basierenden Produktionsweise, nicht-ökonomische Zwänge, wie in etwa physischen Freiheitsentzug. Garantiert wird dies durch den Staat und das von ihm durchgesetzte Recht auf Eigentum, also auch auf Produktionsmittel.
Formell bzw. rechtlich sind in der bürgerlichen Gesellschaft alle Mitglieder frei und rechtsgleich, de facto aber können die Lohnarbeiter_innen nur wählen, an wen sie ihre eigene Arbeitskraft verkaufen, d. h. von wem sie sich die „ökonomischen Ketten“ anlegen lassen. Solange das Recht auf Eigentum an Produktionsmitteln besteht, bedeutet juristische Gleichheit somit zwangsläufig eine soziale und ökonomische Ungleichheit. Arbeiter_innen sind zwar von persönlichen, physischen und langfristigen rechtlichen Abhängigkeiten frei, denn die Lohnarbeiter_innen können einzelnen Kapitalisten_innen kündigen. Sie stehen aber in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der Kapitalist_innenklasse als Ganze.
Die_der Kapitalist_in hat ein Interesse an einem möglichst hohen Profit. (13) Dieser wird erreicht, indem die Differenz zwischen dem, was ein_e Arbeiter_in „kostet“ und dem, was das Produkt auf dem Warenmarkt kostet, das diese_r herstellt, möglichst hoch ausfällt. Diese Differenz nennt Marx den Mehrwert. Der Mehrwert wird von den Arbeiter_innen erwirtschaftet und von den Kapitalist_innen abgeschöpft. Damit teilt sich die Arbeitszeit in zwei Teile. Einerseits die Zeit in der der Gegenwert des Lohnes erwirtschaftet wird, andererseits die Zeit in der unbezahlte Mehrarbeit geleistet wird, also Profit geschaffen wird. Je weiter die_der Kapitalist_in den Arbeitslohn senkt, desto größer wird der Mehrwert und damit der Profit. Je mehr Profit die_der Kapitalist_in erwirtschaftet, desto mehr kann sie_er in weiteres Kapital reinvestieren, was wiederum zu noch größerem Profit und Vorteilen im zukünftigen Konkurrenzkampf mit anderen Kapitalist_innen führt. Dadurch kommt es zur sogenannten Akkumulation, also der Anhäufung, von Kapital. (14)
Im Gegensatz dazu hatten die Produktionsverhältnisse der auf Sklaverei und damit sogenannter unfreier Arbeit beruhenden Gesellschaft ihre Grundlage darin, dass nicht nur die Produktionsmittel Eigentum der Sklav_innenhalter_innen waren, sondern auch die Produzent_innen selbst, also die Sklav_innen. Auf diese Weise wurde die Verbindung von Produktionsmitteln und Produzent_innen hergestellt. Die_der Sklav_in galt als eine Sache – ein Besitz, sein_e Besitzer_in konnte relativ frei über sie_ihn physisch verfügen. Die Sklav_innen wurden nicht nur ökonomisch durch eine Mehrwertabschöpfung ausgebeutet, sie konnten auch wie eine Ware verkauft und gekauft werden. (15)
„Moderne“ Arbeiter_innen sind demgegenüber keine Ware, allerdings sind sie durch ökonomische Gründe gezwungen, ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen. Eine trennscharfe Unterscheidung von freier und unfreier Arbeit ist somit unter anderem deshalb fraglich.