Erfährt mensch heute etwas zu Haiti, so sind es meist negative bis katastrophale Nachrichten über das Erdbeben 2010, den andauernden Kampf gegen den Hunger großer Teile der Bevölkerung oder die allgemeine instabile politische Situation und westliche Gegenmaßnahmen. (1/2) Wenig Aufmerksamkeit erhält dagegen die Geschichte des Landes mit dem wohl einzigen „erfolgreichen“ Sklav_innenaufstand in der Geschichte.
1791 begann die haitianische Revolution mit einem Sklav_innenaufstand (3) in der französischen Kolonie Saint-Domingue. Sie führte im Jahr 1804 zur Gründung des Staates Haiti und der Umbenennung St. Domingues in Haiti. Die Revolution war nicht nur auf die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich gerichtet, sondern auch durch grundlegende Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur in Bezug auf Klassenwidersprüche und Rassismus gekennzeichnet.
Die Revolution in Haiti stand im Spannungsfeld mehrerer ineinander verschränkter Konflikte: der Französischen Revolution, dem Streit um die Abschaffung der Sklaverei, innere Konflikte in Saint-Domingue wie auch dem Kampf der Imperialmächte Frankreich, Spanien und England um globalen Einfluss. Ebenso ist hier auch die komplexe Sozialstruktur Saint Dominguez zwischen den sog. „freien Weißen“, den sog. „gens de couleur libres“ wie den Sklav_innen und deren unterschiedliche soziale Stellungen zu nennen.
Dem Ausbruch des Aufstandes 1791 voraus ging der Konflikt zwischen den sog. „gens de couleur libres“, einem kleinen, nicht-Weißen Teil der haitianischen Bevölkerung, der zum Teil selbst Plantagen und Sklav_innen besaß, und der französischen Kolonialmacht. Die „gens de couleur libres“ forderten die in der französischen Revolution (4) ausgerufen Freiheitsansprüchen für sich ein. Frankreich hingegen verweigerte sie ihnen. Die Frage nach der Abschaffung der Sklaverei stand zwar nicht im Zentrum der Auseinandersetzung, schwächte aber die Sklavenhalter_innen und verhalf der Verbreitung revolutionären Gedankenguts unter den Sklav_innen. An die Spitze des ersten Sklav_innenaufstand setzte sich Toussaint Louverture (5), ein ehemaliger Sklave, der versuchte die Aufstände zu organisieren. 1794 erklärte die französische Nationalversammlung offiziell die Sklaverei für abgeschafft und Louverture trat in die französische Armee ein. 1799 schlug Louverture einen Aufstand der „gens de couleur libres“ nieder, bevor er 1801 in einer Verfassung für die ganze Insel Hispaniola (6), also inklusive dem bis dahin spanisch und nun vorübergehend von Louverture beherrschten Ostteil Santo Domingo, die Sklaverei, wie auch jegliche Rassendiskriminierung für illegal erklärte. Bis 1802 konnten er und seine Armee sich gegen die Versuche Frankreichs unter Napoleon, die Sklaverei wieder einzuführen wehren, wurde jedoch gefangen genommen und verstarb in einem französischen Gefängnis. Am 1. Januar 1804, nach jahrelangen blutigen Kämpfen, denen tausende Menschen auf allen Seiten zum Opfer gefallen sind, erklären aufständische Generäle die Unabhängigkeit von Frankreich und benennten St. Domingue offiziell in Haiti um. (7/8) Der weitere Verlauf der haitianischen Geschichte ist anschließend geprägt von politischer Unsicherheit, materieller Armut und Gewalt, was durch jahrelange Gewalterfahrungen der Bevölkerung, und dem Heranwachsen und der Etablierung einer „militärischen“ Führungsschicht begründet ist. (9)
Die Gründe, warum die Ereignisse um die Revolution in Haiti in der westlichen ausgerichteten Geschichtschreibung relativ unbekannt sind, sind vielschichtig und komplex. Um 1800 war wohl die Verhinderung der Verbreitung revolutionären Gedankenguts über haitianische Grenzen hinaus u. a. mit Hilfe eines „Einfuhrverbots“ von Sklav_innen aus Saint-Domingue oder der Isolation Haitis auf internationaler Ebene zentral. Eine westliche, eurozentrische Perspektivische Geschichtsschreibung (10) mit den damit verbundenen Widersprüchen zwischen Abolitionismus (11) und eigenständig handelnden Sklav_innen wie auch verschiedene Interpretationsmodelle erschweren/erschwerten ebenfalls die Erwähnung der Ereignisse um 1800 in Haiti in späteren politischen Diskursen. So findet sich z. B. in Frankreich und dessen Gründungsmythos kaum ein Hinweis auf die Sklav_innenrevolution Haitis. (12) Des Weiteren sind auch erst im 20. Jh. die Verschränkungen zwischen Klassenwidersprüchen und rassistisch begründeter Widersprüche, die die haitianische Geschichte prägen/prägten im politischen Denken mehr und mehr in den Fokus der Analyse gerückt worden.
Haitis Geschichte ist geprägt vom Kampf um Emanzipation und Unabhängigkeit wie auch dem teils widersprüchlichen Umgang „westlicher“ Befreiungsbewegungen mit eben diesem. Ebenso zeigt die Revolution von 1804, dass vermeintliche Opfer, durchaus in der Lage sind, sich selbst zu ermächtigen und die eigene Emanzipation selbstorganisiert vorantreiben zu können. U.a. deshalb sollte auch durchaus ein längerer kritischer, Blick auf die Geschichte bzw. die Geschichtsschreibung und Auslegung der Geschichte bezüglich dieses Landes gelegt werden. Aus Geschichte sollte mensch lernen!