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Skandal im Sperrbezirk

Vergleichende Studie Prostitution Niederlande Österreich

von Anja Herberth

Eine internationale Vergleichsstudie nimmt die Prostitutionspolitik in den Niederlanden, Österreich und am Rande Schweden und ihre Folgen genauer unter die Lupe: Welchen Wirkungsgrad haben bestimmte politische Maßnahmen – mit welchem Effekt auf SexarbeiterInnen? Und haben ähnliche Maßnahmen in den verschiedenen Ländern auch einen vergleichbaren Effekt?

Die Städte Den Haag, Utrecht und Rotterdam initiierten aus diesen Fragestellungen ein Projekt, die Zusammenarbeit mit Österreich bot sich an: „Auf Grund des ähnlichen Systems und den Legalisierungstendenzen in beiden Ländern wurde Österreich als Vergleichsland herangezogen“, erklärt die Wiener Sozialwissenschafterin Helga Amesberger vom Institut für Konfliktforschung, die in Österreich die Forschungen leitete.

Schätzungen statt Fakten

In der Recherche stießen die ForscherInnen auf das erste Problem: Es gibt keine verlässlichen Statistiken. Daten aus offiziellen Quellen wie Steuerbehörden, Gesundheitsämtern oder Kriminalämtern weisen viele Defizite und Probleme auf. Es gibt bspw. keine einheitliche Definition was unter Sexarbeit gefasst wird; es kann von Mehrfachzählungen aufgrund von Mobilität ausgegangen werden; gleichzeitig auch eine „Überzählung“ aufgrund von Nichtbereinigung der Daten etwa bei Beendigung der Sexarbeit in Österreich etc. Zudem werden je nach Bundesland unterschiedliche Quellen herangezogen, zum Teil fußen sie auf Schätzungen oder ergeben sich beispielsweise aus polizeilichen Kontrollen. Denn Prostitutionspolitik ist Ländersache und damit heterogen – in den Niederlanden, wie auch in Österreich. Bereits rudimentäre Daten wie die Betriebsanzahl oder Alter bzw. Anzahl der tatsächlich (pro Tag) tätigen Prostituierten existieren nur als Schätzung oder gar nicht. Es ist also großer Skeptizismus bei allen Statistiken zu Prostitution angebracht.

Mangels aussagekräftiger Statistiken und auf Grund der Heterogenität des Sektors mussten für ein exakteres Bild qualitative Daten – wie Tiefeninterviews und Erfahrungsberichte – erhoben werden. So wurden daher alleine in Österreich 85 Prostituierte, 3 BordellbetreiberInnen und 29 „informierte Außenstehende“ aus Politik, Exekutive, Verwaltung, Gesundheitsämtern und NGOs befragt. Die gemeinsam mit LEFÖ und maiz umgesetzten Interviews mit den Sexarbeiterinnen geben Aufschluss über Migrationsprozesse, die Wege in die Sexarbeit (Motivation, Entscheidung und UnterstützerInnen) sowie die Arbeitsbedingungen und die Gründe für Mobilität.

„Resistent gegen politische Maßnahmen“

Die Studie zeigt, dass Gesetze zum Teil keine Auswirkungen haben. So hatte das Verbot der Prostitution in Schweden zwar Verschiebungen innerhalb des Sektors, aber mittelfristig keinen Rückgang der Prostitution zur Folge. „Es gab zwar nach der Einführung des Verbots einen Rückgang der Straßenprostitution von etwa 50 Prozent, durch Verlagerung von den Haupt- in Nebenstraßen ist sie auf etwa 2/3 wieder angestiegen“, führt Amesberger aus, in Summe seien die Prostitutionsangebote etwa gleich geblieben.

Auch in Wien hatte das 2011 neu gegossene Prostitutionsgesetz Auswirkungen auf die Anzahl der Arbeitsplätze:  Nachdem von den offiziell geschätzten 500 Bordellen – illegale Standorte inkludiert – zur Zeit nur etwa 120 Betriebe genehmigt sind (ca. 200 Genehmigungsverfahren laufen noch), wurde ein Teil der SexarbeiterInnen durch den Wegfall legaler Arbeitsplätze plötzlich unsichtbar. Arbeiten in der Illegalität erhöht die Abhängigkeit der SexarbeiterInnen von Dritten und macht sie dadurch ausbeutbarer und verletzlicher.

Ein weiteres Beispiel ist die Möglichkeit in den Niederlanden, Sexarbeit innerhalb normaler Arbeitsverhältnisse anzubieten – als Angestellte eines Bordells. Die BordellbetreiberInnen wehrten sich erfolgreich gegen die Anwendung dieses Gesetzes mit dem Verweis auf die sexuelle Autonomie der Sexarbeiterinnen. So dürfen sie Sexworker nicht dazu zwingen, mit einem Freier zu schlafen. Die gesamten Pflichten, aber nur ein Teil der Rechte? Sie vermieten heute daher nur die Zimmer an die nach außen hin als selbständig deklarierten SexworkerInnen . An den Arbeitsbedingungen der SexarbeiterInnen hat sich nicht viel verbessert, auch nicht hinsichtlich ihrer sozialen Absicherung.

Die Studie ergibt in ihrer Gesamtheit folgendes Bild:

  • Die Betroffenen, also die SexworkerInnen selbst, werden nur ungenügend in den Gesetzgebungsprozess eingebunden. Für Amesberger wären sie jedoch die eigentlichen ExpertInnen, die es zu befragen gelte: „Es gibt Ansätze, SexworkerInnen einzubinden. Es fragt sich aber immer, wie und in welchem Ausmaß sie integriert werden.“
    In Wien gab es anlässlich der gesetzlichen Änderung 2011 mit dem Dialogforum den ersten Versuch, sogenannte Networkinginstrumente mit hineinzunehmen –  NGO’s, aber auch die Betroffenen selbst wurden angehört.  Trotzdem wurde etwa bei der Regulierung des Straßenstrichs, so die Sozialwissenschafterin, in erster Linie auf die Bedürfnisse der AnrainerInnen geachtet. Bei der Anwendung neuer politischer Instrumente – wie dies die Einbindung von Sexarbeiterinnen darstellt – müsse jedoch den Behörden auch ein Lernprozess zugestanden werden, so Amesberger.
  • Die Implementierung politischer Maßnahmen lässt oft zu wünschen. Die Wirkung von Gesetzen und Regelungen ist aber maßgeblich von der Umsetzung auf der lokalen Ebene abhängig – diesem Prozess und der Weiterentwicklung der beteiligten Organisationen habe man bis dato aber noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die exekutiven Organe habe immer einen Handlungsspielraum, um auf die individuellen Situationen eingehen zu können. Und dieser, so Helga Amesberger, ist neben dem individuellen Arbeitsverständnis mit gesellschaftlichen und moralischen Vorstellungen gefüllt. Es wäre daher dringend notwendig, Wissen zu vermitteln.
  • Die politischen Maßnahmen werden nicht zu Ende gedacht. Amesberger: „Es werden zwar Ziele formuliert, aber diese geraten durch gesellschaftliche und moralische Diskurse oft aus den Augen.“
  • Das Rotlichtmilieu ist auf Grund seiner Heterogenität und soziodemografischen Merkmale nur schwer regulierbar. Unternehmen und SexworkerInnen agieren weitgehend im Schattenbereich der Wirtschaft, fundierte Informationen zum Sektor sind rar. Aus reinen Annäherungsdaten und Schätzungen sowie für alle unterschiedlichen Sektoren der Prostitution wirksame Maßnahmen zusammenzustellen, ist äußerst schwierig bis nicht möglich.
  • Prostitution wird wesentlich von externen Einflüssen wie etwa der Migrationsgesetzgebung beeinflusst.
  • Die AutorInnnen lehnen zudem den Begriff „Menschenhandel“ (trafficking) ab, weil es ein sehr vager Begriff und gerade in der Debatte über Prostitutionspolitiken nicht nur unbrauchbar sei, sondern sogar negative Folgen habe. Während beim Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung der strafrechtliche Fokus auf den Arbeitgebern liegt, werden beim Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung paradoxerweise  die SexarbeiterInnen strenger kontrolliert und letztendlich davon abgehalten zu arbeiten, obwohl sich auch SexarbeiterInnen als ArbeitsmigrantInnen sehen. Um diese Ungleichbehandlung abzuschaffen, schlagen sie vor, von jeweils sexueller und ökonomischer Ausbeutung zu sprechen (und nicht von Menschenhandel) – beides sei auch schon strafbar.

LEFÖ: „Wissenschaftliche Aufarbeitung“

Für den Verein LEFÖ, der gemeinsam mit maiz die Interviews mit den SexarbeiterInnen umsetzte, waren die Studienergebnisse keine Überraschung, so Pressesprecherin Renate Blum. Sophia Shivarova, kulturelle Mediatorin und Streetworkerin mit bulgarischen Wurzeln, war Teil des Teams, das an der Studie mitwirkte: „Wir bekommen sonst nicht die Gelegenheit, mit den SexarbeiterInnen so ausführlich zu reden.“ Die Studienergebnisse decken sich mit ihren Erfahrungen und Geschichten, die sie im Zuge ihrer Arbeit Tag für Tag höre. Durch die wissenschaftliche Aufarbeitung stünde ihnen aber nun ein systematisierter Bericht in allen Details zur Verfügung.

Die Studie bestätigt die Forderungen des Vereins. So fordert der Verein, dass Sexarbeit als Arbeit betrachtet wird und nicht mit Kriminalität ,Frauenhandel und Zwangsprostitution gleichgesetzt wird. „Die Registrierungen der SexarbeiterInnen erfolgen in Wien beispielsweise bei der Polizei, damit werden sie per se kriminalisiert“, so Blum. Weiteres Beispiel: In Salzburg ist das Prostitutionsgesetz Teil des Landessicherheitsgesetzes. Um diese Stigmatisierung der SexarbeiterInnen zu brechen, müsste sich die Perspektive ändern. Dabei ändere sich durch die Involvierung der Exekutive gar nichts: „Der echte Kampf gegen Frauenhandel wird damit nicht ausgefochten, dieser erfordert andere Maßnahmen“, so Blum.

Vorbild Neuseeland

Als Vorbild in der Prostitutionsgesetzgebung nennt Helga Amesberger das neuseeländische Modell: Die Prostitution wurde im Zuge des Prostitution Reform Act in das Arbeitsrecht integriert, und es gibt eine Anlauf- und Schlichtungsstelle, die sich um SexworkerInnen und BetreiberInnen gleichermaßen kümmert. Die Polizei hat keinen Zugriff auf Bordelle, dies ist anderen Instanzen vorbehalten. „Beim neuseeländischen Modell hat man sich überlegt, wie dieses Recht um- und durchsetzbar ist und das nationale Sexarbeiterinnen-Kollektiv NZPC war von Beginn an eingebunden“, erklärt sich Amesberger den Erfolg dieses Modells.

Mag. Dr. Helga Amesberger ist eine österreichische Ethnologin, Soziologin und Politikwissenschaftlerin. Seit Anfang der 1990er Jahre ist sie am Wiener Institut für Konfliktforschung tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Rassismus, , Frauen und NS-Verfolgung (insb. Ravensbrück und Mauthausen), Oral History und Erinnerungspolitik, sowie die feministische Forschung.

Der Verein LEFÖ ist eine Organisation von und für MigrantInnen, die 1985 von exilierten Frauen aus Lateinamerika gegründet wurde. Das Konzept des Vereins basiert auf Partizipation, Empowerment und Selbstorganisation der MigrantInnen und leistet Unterstützung in rechtlichen, psychosozialen und gesundheitlichen Belangen.

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