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Unsichtbare Ausbeutung: Die dunkle Seite des Reinigungsgewerbes

von Sonja Dolinsek

In Deutschland wird Arbeitsausbeutung oft als Randphänomen abgetan, doch eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt ein erschreckendes Bild: Besonders im Reinigungsgewerbe scheint Arbeitsausbeutung weit verbreitet zu sein – und das trotz gesetzlicher Regelungen. Seit der Reform des Strafgesetzbuches im Jahr 2016 gibt es zwar einen eigenen Straftatbestand zur Arbeitsausbeutung, doch die Realität sieht düster aus: Zwischen 2018 und 2022 wurden deutschlandweit jährlich nur 10 bis 30 Fälle von Arbeitsausbeutung erfasst. Das sind erschreckend wenige Fälle, die vermuten lassen, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegt.

Diese neue Studie beleuchtet genau dieses Dunkelfeld und kommt zu dem Schluss, dass es in Deutschland an einem stimmigen Konzept zur Bekämpfung von Arbeitsausbeutung fehlt. Es gibt zwar wissenschaftliche Definitionsversuche und gesetzliche Regelungen, doch in der Praxis sind diese wenig zielführend. Besonders Migrant:innen sind in Deutschland von Ausbeutung betroffen. Oft akzeptieren sie schlechte Arbeitsbedingungen, weil sie sich in prekären Lebenssituationen befinden und keine Alternative sehen.

Ein zentraler Befund der Studie ist, dass die ausbeuterische Unterschreitung von arbeitsrechtlichen Normen in Deutschland zur alltäglichen Praxis gehört. Doch strafrechtlich verfolgt werden nur extrem wenige Fälle. Viele Fälle bleiben im Dunkeln, entweder weil sie gar nicht erst angezeigt werden oder weil die Opfer den Zugang zu Beratungsstellen nicht finden. Diese Dunkelziffer wird auf 100.000 bis 200.000 Fälle pro Jahr geschätzt – eine alarmierende Zahl, die zeigt, wie groß das Problem sein könnte.

Die Studie identifiziert auch fünf Branchen, in denen Arbeitsausbeutung besonders häufig vorkommt: Gastronomie, Hotelgewerbe, Logistik, Gebäudereinigung und Baugewerbe. Unbezahlte Mehrarbeit, Nichtauszahlung von Löhnen, Entlassung bei Krankheit, Missachtung von Pausen- und Ruhezeiten sowie fehlende Lohnabrechnungen sind nur einige der häufigsten Formen der Ausbeutung, die von Beratungsstellen und Expert:innen genannt werden.

Graphik: Böhme, René, CC-BY.

Im Reinigungsgewerbe, einer Branche, die in der Studie genauer untersucht wurde, zeigt sich ein besonders ambivalentes Bild. Auf der einen Seite gilt das Reinigungsgewerbe als eine Branche mit starkem Tarifgefüge und positiven Lohnentwicklungen, die Menschen mit geringen Qualifikationen eine Perspektive bietet. Doch auf der anderen Seite scheint Arbeitsausbeutung hier zum „Markenkern“ zu gehören. Falsche Lohnabrechnungen, Schwarzarbeit und Verstöße gegen Arbeits- und Gesundheitsschutz sind in vielen Betrieben an der Tagesordnung.

Graphik: Böhme, René, CC-BY.

Ein wesentlicher Grund für diese Ausbeutung liegt im harten Wettbewerb zahlreicher Großbetriebe, die durch den zunehmenden Einfluss von Plattformökonomien ohne staatliche Kontrolle weiter angeheizt wird. Das öffentliche Vergabesystem, das oft nach dem Niedrigpreisprinzip funktioniert, trägt ebenfalls zur Verschärfung der Situation bei. Darüber hinaus erschwert die Fragmentierung der Arbeitszeiten in den frühen Morgenstunden und späten Abendstunden den Arbeitnehmenden den Zugang zu geregelten Arbeitsverhältnissen. Auch die Schwäche vieler Betriebsräte und der geringe gewerkschaftliche Organisationsgrad tragen dazu bei, dass sich ausbeuterische Praktiken in der Branche weiter ausbreiten können.

Die Studie zeigt klar, dass die derzeitigen Maßnahmen zur Bekämpfung von Arbeitsausbeutung in Deutschland nicht ausreichen. Zwar gibt es kleine Fortschritte, wie die personelle Stärkung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit oder das Lieferkettengesetz von 2023, doch diese sind vor dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es braucht eine umfassende Strategie, die von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam getragen wird. Vorbilder könnten hier Länder wie Österreich oder Belgien sein, die mit speziellen Arbeitsinspektionen und einer starken Finanzpolizei gegen Ausbeutung vorgehen.

Fazit: Arbeitsausbeutung in Deutschland ist kein Randproblem. Es ist ein systemisches Problem, das tief in einigen Branchen verwurzelt ist. Um die soziale Gerechtigkeit und den Schutz von Arbeitnehmenden zu gewährleisten, braucht es dringend neue und wirksame Maßnahmen. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch die am unteren Rand des Arbeitsmarkts Beschäftigten ihre sozialen Rechte in vollem Umfang wahrnehmen können.

Und zuletzt eine persönliche Anmerkung: Jobs im Reinigungsgewerbe werden oft als „Ausstiegsjobs“ für Prostituierte empfohlen. Angesichts dieser Studie kann man nicht mehr von Ausstieg sprechen, sondern höchstens von „Umstieg“ in nicht-sexuelle Ausbbeutung!

Die Studie:
Böhme, René: Arbeitsausbeutung im Reinigungsgewerbe. Forschungsförderung Working Paper, Düsseldorf, 88 Seiten