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Kinder gerettet? BBC-Investigativbericht über fragwürdige Rettungsaktionen der International Justice Mission in Ghana

Dieser Text beruht auf einer Investigativ-Recherche der BBC vom 10. Juli 2023.

Laut einer BBC Africa Eye-Recherche wurden ghanaische Kinder im Rahmen einer Rettungsaktion gegen Menschenhandel aus ihren Häusern verschleppt. Organisiert wurde die Aktion durch die International Justice Mission (IJM), einer bekannten christlichen Anti-Sklaverei-Organisation mit Sitz in den Vereinigten Staaten, die auch in Deutschland tätig ist. Die IJM, die jährlich über ein Budget von rund 100 Millionen Dollar verfügt, ist als globale Organisation zur Bekämpfung des Menschenhandels bekannt. Die IJM hat sich zum Ziel gesetzt, gehandelte Kinder zu retten und sie mit ihren Familien wieder zusammenzuführen, und „Sklaverei“ abzuschaffen. Inzwischen wurden Bedenken hinsichtlich der genutzten Methoden in Westafrika laut. Eine Recherche der BBC ergab, dass die IJM Kinder gewaltsam von ihren Familien getrennt hat – und zwar ohne ausreichende Beweise für Menschenhandel.

Im September 2022 kamen bewaffnete Männer in das kleine Dorf Mogyigna in Ghana und holten vier Kinder, darunter ein elfjähriges Mädchen namens Fatima, gewaltsam aus dem Zimmer ihrer Großeltern. Die Operation, bekannt als Operation Hilltop, wurde von ghanaischen Polizeibeamten auf der Grundlage des ghanaischen Gesetzes über Menschenhandel durchgeführt und von IJM initiiert. Aus internen Mitteilungen der IJM ging jedoch hervor, dass die Wohltätigkeitsorganisation bereits zu dem Schluss gekommen war, dass im Fall von Fatima und zwei anderen Kindern, die in dieser Nacht entführt wurden, „keine Anzeichen für Menschenhandel“ vorlagen. Nur bei einem Kind gab es laut dem Rechtsberater von IJM Anzeichen für Menschenhandel, eine Schlussfolgerung, die von der Familie des Kindes bestritten wurde.

IJM konzentriert sich auf die Rettung von Kindern, die verschleppt wurden, um mutmaßlich als „Sklavenarbeiter“ am Volta-See in Ghana zu arbeiten. Der See ist die Lebensgrundlage von rund 300.000 Menschen, und Kinderarbeit in der Fischereiindustrie ist in unterschiedlichem Ausmaß weitverbreitet. IJM begann 2015 mit der Rettung von Kindern, die in Kanus auf dem See gesichtet wurden, ging aber 2018 dazu über, auf eigene Faust nächtliche Razzien an Land durchzuführen. Die Razzia in Mogyigna war ein solcher Einsatz.

An der BBC-Untersuchung war ein Undercover-Reporter beteiligt, der in die IJM integriert war. Die Beweise, die aus internen Mitteilungen und Dokumenten der Sozialdienste gewonnen wurden, enthüllten Diskrepanzen in der Beurteilung der Fälle der Kinder durch IJM. Während die Wohltätigkeitsorganisation behauptete, die Kinder seien gehandelt worden, kam sie intern zu dem Schluss, dass es keine Anzeichen für Menschenhandel gab. Bei der Untersuchung wurden Fälle aufgedeckt, in denen Kinder aus ihren Familien gewaltsam entfernt wurden, ohne dass ausreichende Beweise für Menschenhandel vorlagen. Dieses aggressive Vorgehen könnte durch die Vorgehensweisen der IJM bedingt gewesen sein.

Während der Nachforschungen stellte sich heraus, dass die IJM im Fall von Fatima und zwei weiteren Kindern aus Mogyigna zu dem Schluss gekommen war, dass es „keine Anzeichen für Menschenhandel“ gab. Alle vier Kinder wurden jedoch de facto verschleppt, weil die IJM glaubte, dass sie von Kinderarbeit bedroht seien. Die Kinder waren über vier Monate lang von ihren Familien getrennt, bevor die ghanaischen Sozialdienste feststellten, dass sie nicht gehandelt worden waren und wieder mit ihren Familien zusammengeführt werden sollten.

Die Nachwirkungen der Operation Hilltop, des Einsatzes in Mogyigna, hinterließen bei den Dorfbewohnern ein nachhaltiges Trauma. Sie waren zwar froh, dass die Kinder zurückgekehrt waren, doch die Angst und das Trauma blieben. Vor allem Fatima erzählte von ihrem anfänglichen Schrecken während der Operation und dem anschließenden Leid, von ihrer Familie getrennt zu sein. Fatima dachte, sie sei entführt und würde getötet werden.

Die Untersuchung hat auch einen weiteren problematischen Rettungsfall ans Licht gebracht. Im Jahr 2019 wurde eine Mutter, Mawusi Amlade, im Rahmen einer Operation wegen Kinderhandels inhaftiert, nachdem ihre beiden Kinder aus der Familie genommen worden waren. Ihre Verurteilung wurde später aufgehoben, aber sie bleibt von ihren Kindern getrennt.

Der Undercover-Reporter entdeckte Gespräche innerhalb von IJM, die ein Licht auf die Vorgehensweisen der Wohltätigkeitsorganisation warfen. Den Mitarbeitern wurde gesagt, dass sie eine bestimmte Anzahl von Opfern retten und eine bestimmte Anzahl von Strafverfolgungen pro Jahr sicherstellen müssten, mit möglichen Konsequenzen, wenn sie diese Ziele nicht erreichen. Es wurden Bedenken geäußert, wie sich diese Kultur auf die Qualität und die Ethik der Arbeit auswirken könnte.

Die IJM verteidigte ihr Vorgehen und bestritt, Mitarbeiter für das Nichterreichen von Zielvorgaben zu bestrafen. Die Wohltätigkeitsorganisation betonte, dass das Wohl des Kindes für sie an erster Stelle stehe, und verwies auf die Hunderte Kinder, die durch ihre Unterstützung der ghanaischen Behörden in Sicherheit gebracht wurden.

Trotz der filmreifen Werbevideos und der erfolgreichen Spendenkampagnen von IJM zeigen die realen Folgen für Kinder wie Fatima und Familien wie die von Mawusi Amlade die Komplexität und die potenziellen Missstände in ihren Aktivitäten. Die Untersuchung wirft Fragen auf, die das Gleichgewicht zwischen der Erzielung von Ergebnissen und der Sicherstellung der ethischen Behandlung und des Wohlergehens der Menschen, die sie retten wollen, betreffen.

Kritiker*innen betonen außerdem, dass diese vermeintlichen Rettungskationen gegen besonders arme Familien gerichtet sind, deren Kinder arbeiten, um zu überleben. Diese Rettungsaktionen bewirken keine strukturellen Veränderungen und ändern an der Armut zahlreicher Familien überhaupt nichts. Im Gegenteil: Arme Familien werden durch diese Aktionen wegen ihrer Armut kriminalisiert.

Die International Justice Mission ist auch in Deutschland tätig.