
Am 27. Juni 2023 nahm der FEMM-Ausschuss des Europäischen Parlaments den vorläufigen „Bericht“ mit dem Titel „EU-Prostitutionsverordnung: Prüfung der grenzüberschreitenden Auswirkungen, der Gleichstellung der Geschlechter und der Rechte der Frauen“ an. Dieser Bericht wurde von der deutschen Abgeordneten der SPD , Maria Noichl, initiiert. Bei der Abstimmung stimmten 16 Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEP) dafür, 10 dagegen und 3 enthielten sich – es war eine knappe Abstimmung.
Es sei darauf hingewiesen, dass dieses Policy-Dokument zwar „Bericht“ heißt, aber keine wissenschaftliche Studie darstellt. Es ist ein politisches Dokument, worüber Abgeordnete abstimmen und somit handelt es sich hier nicht um gesichertes wissenschaftliches Wissen, sondern teilweise schlicht und ergreifend um Vorurteile über Sexarbeit und Menschenhandel.
Die Anti-Menschenhandelsorganisation La Strada International hat sich in einer Mitteilung sehr besorgt über dieses Abstimmungsergebnis geäußert. Zusammen mit Menschenrechtsorganisationen (darunter auch Amnesty International und Human Rights Watch) und Organisationen, die sich für die Rechte von Sexarbeitenden einsetzen, hatte La Strada International die Europaabgeordneten aufgefordert, gegen den Bericht zu stimmen und alle Formen der Kriminalisierung der Sexarbeit abzulehnen. Ziel war es, Unterstützung für den Schutz der Menschenrechte von Sexarbeitenden zu gewinnen. Der angenommene vorläufige Bericht, der aufgrund des Abstimmungsergebnisses noch überarbeitet werden kann, enthält verschiedene Abschnitte, die sich als nachteilig für Sexarbeitende erweisen. Es scheint ein bewusster Versuch zu sein, ein Prostitutionsverbot nach dem „nordischen Modell“ in anderen Regionen der Europäischen Union (EU) zu erzwingen – ganz unabhängig davon, ob dieses „Modell“ funkioniert oder nicht. Und tatsächlich scheint es nicht zu funktionieren.
Wie La Strada betont: In dem Bericht wird nicht nur Sexarbeit fälschlicherweise mit Menschenhandel gleichgesetzt, sondern erstaunlicherweise auch die Auslegung der Definition von Menschenhandel in Artikel 2 der Richtlinie 2011/36/EU bewusst verzerrt. Dem Bericht zufolge ist die Zustimmung eines Opfers von Menschenhandel zur Ausbeutung, unabhängig von Absicht oder Realität, irrelevant, wenn sie durch den Austausch von Zahlungen oder Vorteilen erreicht wird. Die eigentliche Definition innerhalb des Rahmens zur Bekämpfung des Menschenhandels besagt jedoch eindeutig, dass die Zustimmung eines Opfers von Menschenhandel zur Ausbeutung, unabhängig von der Absicht oder den tatsächlichen Umständen, irrelevant wird, wenn eines der in der Definition des Menschenhandels genannten Mittel eingesetzt wird. Zu diesen Mitteln gehören Gewalt, Täuschung oder Nötigung. Es sei bemerkenswert, so La Strada, dass die Mitglieder des FEMM-Ausschusses nun für eine falsche Auslegung dieser Definition gestimmt haben.
Ferner beruhe der Bericht auf fehlerhaften Annahmen, die nicht durch empirische, wissenschaftliche Befunde gestützt werden. Er stellt Sexarbeit als eine Form der Gewalt gegen Frauen dar und lässt dabei die Erfahrungen jener Sexarbeitenden außer Acht, die zwischen der Sexarbeit und der Gewalt im Rahmen der Sexarbeit differenzieren. Es wird behauptet, dass der Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung zunimmt, während die jüngsten verfügbaren Daten tatsächlich auf einen leichten Rückgang der Zahl der identifizierten Opfer des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung in der EU hinweisen. In dem Bericht wird auch behauptet, dass Länder wie Schweden, Irland und Frankreich, die den Kauf von Sex unter Strafe gestellt haben, „keine bedeutenden Märkte“ für den Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung mehr darstellen. Die verfügbaren Daten stützen diese Schlussfolgerung jedoch nicht.
Trotz des Fehlens zuverlässiger Daten schlägt der Bericht vor, dass die EU-Mitgliedstaaten die Vergütung für sexuelle Dienstleistungen unter Strafe stellen, neben anderen Maßnahmen, die darauf abzielen, die vermeintlich negativen Auswirkungen von Sexarbeit auf Sexarbeitende zu reduzieren. Demgegenüber gibt es zahlreiche wissenschaftliche und gemeinschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass die pauschale Kriminalisierung von Kund*innen die Rechte von Sexarbeitenden nicht schützen kann. Im Gegenteil, sie hat zu mehr Gewalt und Verletzlichkeit bei Sexarbeitenden geführt. Die angekündigte Reduzierung des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung in Schweden, Irland und Frankreich bieb indes aus.
Auch die angesehene Fachzeitschrift The Lancet hat einen Leitartikel veröffentlicht, in dem die Abgeordneten des Europäischen Parlaments aufgefordert werden, den Bericht abzulehnen und stattdessen die Entkriminalisierung der Sexarbeit zu unterstützen, um die Gesundheit und die Rechte von Sexarbeitern zu schützen.
La Strada International hat angekündigt, gemeinsam mit anderen Menschenrechtsorganisationen und Organisationen, die sich für die Rechte von Sexarbeitenden einsetzen, die Abgeordneten des Europäischen Parlaments aufzufordern, den Prostitutionsbericht bei der für September geplanten Abstimmung im Plenum abzulehnen.
Dieser Text ist eine leicht abgewandelte Zusammenfassung der Mitteilung von La Strada International.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.