Mit Razzien gegen Menschenhandel?

Dieser Text ist eine Übersetzung eines Auszugs aus der Studie „The Use of Raids to Fight Trafficking in Persons“ (Die Verwendung von Razzien im Kampf gegen Menschenhandel). Die Studie wurde von Melissa Ditmore für SWP – Sex Workers Project in New York verfasst. Den vollständigen Bericht (Engl.) können Sie hier herunterladen.

Unscharfe Begriffe: „Razzia“ und „Rettung“

Die Begriffe „Razzia“ und „Rettung/retten“ werden oft verwendet, um Polizeiaktionen gegenüber Prostitution und Menschenhandel zu beschreiben. Während das Wort „Razzia“ impliziert, dass Täter verhaftet und bestraft werden, und das Wort „Rettung/retten“ sich darauf bezieht, dass jemand aus einer gefährlichen Situation geholt wird, werden die beiden oft synonym verwendet und und Unterschiede ausgeblendet. „Gerettete“ Menschen werden oft ähnlich behandelt wie jene, die in Polizeirazzien aufgegriffen werden. In Asien werden Prostitution und Menschenhandel von Polizei und NGOs […] so stark vermischt, dass sich dort der Begriff „Rettungs-Razzien“ verbreitet hat.[1] Jene Akteur_innen, die in diese „Rettungen“/Razzien involviert sind, erkennen auch an, dass deren Abläufe und Ergebnisse oft dieselben sind. Holly Burkhalter, derzeit Vizepräsidentin für Government Relations bei der International Justice Mission (IJM), einer religiösen Organisation, die Razzien in asiatischen Bordellen durchführt, schrieb in der Washington Post vom 8. Dezember 2003: „Es gab ein paar erfolgreiche Rettungen in Indien, Kambodscha und Thailand, bei denen die Polizei Razzien in Bordellen durchgeführt hat und die jüngeren Mädchen in Rehabilitationseinrichtungen gebracht hat. Aber die meisten Razzien in Bordellen haben auch dazu geführt, dass erwachsene Sexarbeiter_innen verhaftet und abgeschoben wurden.“[2]

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Der Yellamma Kult. Tempelprostitution in Indien – Gesetzesverbot wird übergangen

Karnataka

Die Region Karnataka, Indien.
Quelle: OpenStreetMap

Im indischen Bundesstaat Karnataka verheiraten Dalit Priester tausende junge Frauen und Mädchen der untersten Kaste mit der Göttin „Yellamma“.* Yellamma gilt als „Mutter der ganzen Welt“, als Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin. Fast in jedem Dorf in Karnataka lebt mindestens eine geweihte Frau – eine „Jogini“ –  in einem Tempel. Diese sind nicht nur für bestimmte rituelle Zeremonien zuständig. Sobald sie die Pubertät erreicht haben, müssen sie den Dorfbewohnern sexuell zur Verfügung stehen. Die meisten „Joginis“ müssen ihr Leben lang in Tempeln als „Prostituierte“ arbeiten. Manche von ihnen werden jedoch auch von Menschenhändlern in die Bordelle der nächsten Großstadt verschleppt. Dort zwingen sie die Frauen zur Prostitution. Diese  „Zwangsprostitution“ wird durch den „Yellamma Kult“ legitimiert.

Gesetzliche Verbote haben daran bis heute nichts geändert und der Kult findet weiter im Verborgenen statt. Es muss vermehrt Aufklärung betrieben werden, denn viele Menschen glauben weiterhin an diesen Kult. Es ist ein Teufelskreis, der sich nicht einfach durch Gesetzeserlasse durchbrechen lässt. Die Aktivistin Grace Nirmala vom „Andhra-Pradesh Komitee gegen das Jogini System“ formulierte es so:

„Die Leute müssen endlich verstehen, dass das Jogini-System nichts mit Spiritualität oder Religion zu tun hat. Es ist Ausbeutung, die durch das Kastensystem legitimiert wird.“

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The feminist and the sex worker: Lessons from the Indian experience

kracktivist

Himal Mag
Despite decades of tension between feminists and sex workers, it is finally becoming clear that the former has much to learn from the latter.
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Photo: Alessandro Vincenzi

From the earliest days of ‘second wave’ feminism, the issues of choice and consent have been central to feminist thought throughout the world. Much of early feminist analysis focused on how patriarchies manifested themselves in terms of male control over women’s lives: their sexuality and reproduction, their mobility, their work, employment and assets, and their access to and participation in the public realm. This control not only constricted the range of women’s choices, but often denied their right to make choices at all. The issue of consent was fraught with far greater political complexity, and viewed by many feminists with some suspicion, since it was widely used by anti-feminist and religious ideologues to justify gender discrimination. Feminist thinking…

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Sexarbeiter_innen fordern Respekt für ihre Grundrechte in einem parallelen Gipfel zur AIDS-Konferenz 2012 (crossposted)

Der ursprüngliche Artikel „Sex workers demand respect for their fundamental rights in a parallel summit to the AIDS 2012“ wurde am 25. Juli 2012 auf der Homepage von UNAIDS veröffentlicht und durch uns übersetzt. 

Während diese Woche tausende von Delegierten für den XIX. Internationalen AIDS-Kongress (AIDS 2012) in Washington, DC zusammentreffen, findet ein paralleles Satelliten-Treffen, das „Sexworker Freedom Festival“, in Kolkata in Indien, vom 22. bis zum 26 Juli 2012 statt.

Die Veranstaltung bringt mehr als 600 Prostituierte, internationale und nationale Partner aus über 40 Ländern zusammen. Das Freedom Festival wurde von Sexarbeiter_innen als Reaktion gegen die umfangreichen Visa-Restriktionen für Prostituierte und Menschen, die Drogen benutzen oder benutzt haben, die vielen von Ihnen dem Besuch der Internationalen AIDS-Konferenz in Washington DC verhindert haben. Das fünftägige Festival gibt den Teilnehmer_innen die Möglichkeit, einen Teil der Washingtoner Veranstaltung durch eine Videoverbindung zu den großen Konferenz-Sessions und zum Global Village zu verfolgen.

„Das Sexworker Freedom Festival ist eine alternative Veranstaltung für Sexarbeiter_innen und unsere Verbündeten um gegen unseren Ausschluss von der Konferenz zu protestieren und um zu gewährleisten, dass die Stimmen der Ausgeschlossenen in Washington gehört werden“,

sagte Ruth Morgan, globale Koordinatorin des Global Network of Sex Work Projects (NSWP) und Mitorganisatorin der Veranstaltung in Kolkata.

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Ohne die Teilnahme von Sexarbeiter_innen werden wir das Blatt nicht wenden können (crossblogged)

Dieser Beitrag wurde am 23. Juli 2012 auf RHRealityCheck. Reproductive Health and Justice unter dem Titel „We Can’t Turn the Tide on HIV Without the Participation of Sex Workers“ veröffentlicht und für die Weiterveröffentlichung auf diesem Blog übersetzt.

Im Mai, als wir bis zum Hals in der Organisation für den „Sexworker Freedom Festival“ steckten, hörten wir, dass Sexarbeiter_innen in Griechenland zwangsweise auf HIV getestet und verhaftet wurden, wenn der Test positiv ausfiel. Zunächst einmal ist es eine Verletzung der Menschenrechte, jemanden mit Gewalt ohne ihre/seine Zustimmung zu testen. Das gilt auch für Sexarbeiter_innen. Was noch hinzu kommt: Eine Person in einem Gesundheitszustand zu verhaften, der behandelt werden muss  – wie würden Sie das nennen, wenn nicht eine Verletzung der Rechte des Einzelnen? Wie ein Mitarbeiter des Gesundheitswesens sagte: „Die öffentliche Gesundheit kann nicht durch die Bestrafung der Patienten geschützt werden.“

Die griechische Episode geht weit über das übliche Niveau von Rechtsverstößen, mit denen Sexarbeiter_innen regelmäßig konfrontiert werden, hinaus. In einer bizarren Wiederholung der „Verurteilung des Opfers“ wurden die Frauen, deren Testergebnisse positiv waren, wegen „vorsätzlicher schwerer Körperverletzung“ angeklagt, obwohl viele nicht wussten, dass sie HIV-positiv waren, da sie keinen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem oder freiwilligen Testeinrichtungen haben. Wie hätten sie wissentlich eine Infektion verbreiten können, von der sie nichts wussten?

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Fälle von Gewalt und Vergewaltigung von Prostituierten durch Polizei – Eine Auswahl

Die Vereinten Nationen (UN.GIFT) haben in einem Bericht Korruption unter Polizeibeamten als zentrales Element im „Menschenhandel“ identifiziert. Durch korrupte Polizisten werden Handlungen begünstigt, unterstützt oder ignoriert, die zu Menschenhandel führen.

Doch die Polizei spielt nicht nur eine Rolle im „Menschenhandel“ als organisierte Kriminalität. Oft nutzen Polizisten ihre Macht und die rechtliche Lage ihres Landes aus, um Sexarbeiter_innen und Migrant_innen zu misshandeln, vergewaltigen und erpressen. Einen Überblick über polizeiliche Gewalt gegen Sexarbeiter_innen liefert die US-Amerikanische Professorin Chi Mbako.

Laut dem Bericht der WHO-Weltgesundheitsorganisation „Violence against sex workers and HIV prevention“ wurden in Bangladesh über 50% der Sexarbeiter_innen durch Männer in Uniform vergewaltigt, in Namibia berichteten ca. 10% von sexuellen Übergriffen durch die Polizei und in Indien würden rund 70% der Prostituierten durch die Polizei geschlagen, während 80% ohne Grund verhaftet wurden. Die Ursache für die anhaltende Gewalt gegen Sexarbeiter_innen sieht die WHO in der anhaltenden Diskriminierung und im Stigma gegen Sexarbeiter_innen.

Violence is a manifestation of the stigma and discrimination experienced by sex workers. (World Health Organisation, S. 1)

Einige Fälle möchte ich hier auflisten – weitere Fälle können als Kommentar gepostet werden:

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Warum die Frauenbewegung Sexarbeiter_innen zuhören muss (crossblogged)

Sexarbeiter_innen durch Kthi Win organisiert.
Quelle: RHRealit

Dieser Beitrag wurde am 16. Mai 2012 auf RHRealityCheck. Reproductive Health and Justice veröffentlicht und für die Weiterveröffentlichung auf diesem Blog übersetzt.

Vor einem gedämpften Publikum von über 2000 Frauenrechtler_innen aus über 140 Ländern stand Kthi Win, eine Sexarbeiterin und Leiterin einer nationalen Organisation von weiblichen, männlichen und transgender Sexarbeiter_innen in Burma. Mit ruhigem Selbstvertrauen sagte sie:

„Die Hauptforderung der Sexarbeiter_innenbewegung in Burma, in Asien und auf der ganzen Welt ist einfach. Wir fordern die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit. Aber wir haben eine weitere zentrale Forderung, die sich spezifisch an bestimmte Teile der Frauenbewegung richtet. Wir fordern, dass wir nicht als Opfer gesehen werden.“ (Link zur vollständigen Rede)

Die freche Zurückweisung der Opferrolle durch eine Sexarbeiterin, die im Namen der globalen Sexarbeiter_innenbewegung (global sex workers’ rights movement) sprach, geschah anlässlich des kürzlich stattgefundenen Internationalem Forum für Frauenrechte in Entwicklung (AWID International Forum on Women’s Rights in Development), eines der größten Zusammenkünfte von Frauenrechtler_innen auf der Welt. Es war ein außergewöhnlicher Moment, weil es in manchen Teilen der Frauenbewegung eine Tendenz gibt, Sexarbeiter_innen, wie Kthi, auszuschließen, weil sie die monolithische und einfältige Erzählung, dass alle Menschen in der Prostitution auf Rettung warten, bestreitet.

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Zwangsheirat als Form von Frauenhandel? Beispiele aus Anatolien und Indien

 Unter Frauenhandel ist eine spezielle Form von Menschenhandel zu verstehen. Eine allgemein gültige und einheitliche Definition des Begriffes „Frauenhandel“ gibt es jedoch nicht. Versuche, das Phänomen des Frauenhandels in wenigen Sätzen zu erfassen, scheitern an der Komplexität und Weitläufigkeit des Phänomens. Ein Definitionsversuch seitens der Vereinten Nationen 1994 zeigt uns, dass diese Definition nicht alle Umstände und betroffene mit einbezieht. Ebenso wenig diejenigen Frauen und Mädchen, mit deren Verheiratung Handel betrieben wird, um die es in diesem Beitrag gehen soll.

Die Generalvollversammlung der Vereinten Nationen definierte 1994 Frauenhandel als

„die unerlaubte und heimliche Verbringung von Personen meist aus Entwicklungsländern und einigen Übergangsstaaten über nationale und internationale Grenzen mit dem Endziel, Frauen und Mädchen in sexuell und wirtschaftlich unterdrückende und ausbeuterische, für Anwerber, Händler und Verbrechersyndikate jedoch gewinnbringende Situationen sowie in andere illegale Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Frauenhandel, wie erzwungene Beschäftigung als Hausangestellte, Scheinehen, heimliche Beschäftigungsverhältnisse und Scheinadoptionen zu drängen.“

Das Ausnutzen einer Frau für einen finanziellen Zweck ist nicht nur im Bereich der Prostitution, Scheinehe oder Scheinadoption verbreitet. Viele Gesellschaften in den unterschiedlichsten Orten der Welt vereinbaren und rechtfertigen das Phänomen des Frauenhandels mit ihren seit Jahrhunderten bestehenden Kulturen, Sitten und Traditionen. Auch die bestimmte Interpretationen von religiösen Vorschriften ebnen den Weg zum Frauenhandel. Dabei sind die Erwartungen jener, die ihre Töchter zur Zwangsverheiratung frei geben, nicht nur auf das Papiergeld reduziert. So verlangen viele Familienväter, vor allem im orientalischen Raum, Gold, Grundstücke, Nutztiere oder ein Haus für die Zustimmung zur Ehe. Da eine Tochter, die ohne die Zustimmung ihrer Brüder oder des Vaters eine Ehe mit einem Mann ihrer Wahl eingeht, ihre Familie entehrt, wird sie sowohl von ihrer Familie als auch von der Gesellschaft ausgestoßen. Weil die meisten Väter an dem größten finanziellen Einsatz für ihre Töchter interessiert sind, werden Bedürfnisse und Zustimmung der Töchter nicht beachtet. Dieser Teufelskreis mündet oft in der Zwangsheirat, welche auf Migrantinnen betrifft.

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