Gegen Menschenhandel – oder nur gegen Sexarbeit?

Lange ist nichts mehr passiert auf diesem Blog. Anders als im englischsprachigen Raum, wo mit dem Themenportal „Beyond Trafficking and Slavery“ eine kritische Masse an Menschen aus Wissenschaft, Praxis und NGOs an einer kritischen Reflektion von Anti-Menschenhandelsmaßnahmen zusammenkam, bleibt die öffentliche Debatte in Deutschland platt. Daher kam auch der Entschluss, diese Seite fallen zu lassen. Das Interesse und die Bereitschaft sich mit der Komplexität von Menschenhandel auseinanderzusetzen, fehlte an vielen Ecken. Selbst auf Sexarbeit bezogene kritische Analysen waren nur dann erfolgreich, wenn sie gleichzeitig sich mit Figuren, wie Alice Schwarzer, auseinandersetzten. Das Blog und seine Beiträge wurde zwar oft aufgenommen, aber in der Debatte schlugen sie sich kaum nieder. Selbst wer mir privat versicherte, dass es doch eine wichtige Info-Seite sei, blieb in der Rezeption und Anerkennung dieser arbeitsintensiven Seite zurückhaltend.

Und so habe ich irgendwann aufgehört, hier zu bloggen. Denn die Arbeit erschien sinnlos – suchte doch die Mehrheit der Leser*innen nach reißerischen Dekonstruktionen, platten Behauptungen und eher einfachen, zugespitzen Thesen. Die wichtigen Hintergrundanalysen wurden hingegen kaum beachtet.

Dass man auch Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels kritisch betrachten muss und dass es nicht automatisch gute und gut funktionierende Maßnahmen sind, weil da „gegen Menschenhandel“ drauf steht, scheint für viele Leser*innen und vor allem Aktivist*innen da draußen ein wenig vertrauter Ansatz zu sein. Gerade jene, die sich neu mit dem Thema befassen, entdecken „Menschenhandel“ und wollen etwas dagegen tun. Hauptsache „etwas“. Ob und inwiefern dieses „Etwas“ überhaupt sinnvoll ist, wird selten reflektiert. Wie viel man über Menschenhandel weiß und ob man eventuell über den einen Pressartikel hinaus etwas breiter recherchieren sollte, sind Fragen, die sich die wenigsten stellen.

Diese unkritische Haltung gegenüber Maßnahmen gegen Menschenhandel fällt besonders dort auf, wo dieser Kampf eigentlich nur als Kampf gegen legale Sexarbeit geführt wird. Man bezieht sich auf fragwürdige Studien, die angeblich bewiesen hätten, dass die Legalität von Sexarbeit zu mehr Menschenhandel führe. Kaum jemand fragt danach, ob und wie das Verbot von Sexarbeit Ausbeutungsstrukturen fördert, die auch zu Menschenhandel führen können.

Mit dem gesellschaftlichen Rechtsruck wurde die Debatte zudem verkompliziert. „Menschenhandel“ wird selbst von offizieller Seite (und von der Presse sowieso) oft mit „Menschenschmuggel“ vermischt. Auch rechtsradikale Besucher*innen fanden hierher, indem sie Suchbegriffe, wie „Menschenhandel“, in Suchmaschinen eingaben. Manchester verlinkten die Seite – vermutlich ohne side verstanden zu haben.  Einige Beiträge wurden verlinkt, um gegen den Islam und gegen Geflüchtete Stimmung zu machen. Von progressiven Stimmen hingegen wurde das Blog kaum entdeckt oder wahrgenommen. Die Gründe wurden eben genannt.

Die Vermischung von Sexarbeit und Menschenhandel nahm gleichzeitig ab. Anstatt nur noch im Kontext vom Prostitution von Menschenhandel oder „moderner Skalverei“ zu sprechen, erweiterte sich der Blick auf die Formen sklavereiartiger Arbeitsausbeutung. Gleichzeitig aber geriet nun die Sexarbeit direkt unter Beschuss, und zwar durch eine Reihe von Kleingruppen, die oft aus den gleichen Mitgliedern bestehen und die sich meist mit nicht besonders guten, aber sehr reißerischen Argumenten, für ein Verbot der Sexarbeit einsetzen. Sie haben nun offen den Kampf gegen Menschenhandel hinter sich gelassen, um sich ausschließlich einer Verbotskampagne zuzuwenden.

Neuerdings war ich in einer Diskussion verwickelt, die besonders eindrücklich zeigte, wie wenig manche Aktivist*innen über Menschenhandel (aber auch über Sexarbeit) wissen und wie sich ihr Aktivismus letztendlich nur noch auf die legale Sexarbeit richtet. Kurz: In den letzten Jahren hat sich die öffentliche Debatte verschoben und die Prostitution an sich in den Mittelpunkt gedrängt. Das jedoch hat fatale Folgen für die Bekämpfung des Menschenhandels und vor allem der Gewährleistung der Unterstützungsangebote udn Wahrnehmung der Opferrechte für Betroffene.

Doch die Bekämpfung der Sexarbeit – egal durch welche Form des Verbotes – wird den Menschenhandel nicht eindämmen. Denn, anders als diese Aktivist*innen glauben, besteht der Menschenhandel nicht darin, dass jemand sexuelle Dienstleistungen verkauft. Der Menschenhandel besteht in einer spezifischen Form der Ausbeutung, die unabhängig von der Art der Arbeit ist.

Und damit sei dieses Blog wiedereröffnet.

 

Lange Nacht der Wissenschaften – Unser Projekt stellt sich vor (Berlin, 2. Juni 2012)

Studieren 2.0 – Bloggen in der Lehre
„Hey, ich hab für’s Bloggen Studienpunkte bekommen!“ – Ein studentisches Projekt erklärt wie’s geht

Blogs haben sich inzwischen in der Wissenschaft etabliert. Auch Geistes- und Sozialwissenschaftler wenden sich interessiert dem sogenannten „Wissenschaftsblogging“ zu. Doch in der Lehre bleiben Blogs ungenutzt – Blogbeiträge könnten nicht wissenschaftlich verfasst werden und Studierende müssten doch letztendlich wissenschaftliches Arbeiten lernen.

Unsere Erfahrung zeigt, dass es auch anders geht. Zwei Semester lang bloggten wir in unserer studentischen Lehrveranstaltung zum Thema „Menschenhandel und moderne Sklaverei“, die durch die Studienabteilung der Humboldt-Universität gefördert und unterstützt wurde.

Was wir gelernt haben, sollte jedoch nicht nur bei uns, im Seminarraum, bleiben. Unser Wissen sollte nicht in Form eines Essays in unserem Papierkorb verschwinden. Blogging war die Lösung. Durch Bloggen konnten wir das erworbene Wissen nach außen tragen und es einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen.  Viele Beiträge der Studierenden wurden mehrere hundert Male aufgerufen, das Blog verzeichnet bislang insgesamt fast 8000 Besucher. Bloggen hat uns ermöglicht, Wissenschaft zu vermitteln – Wissenschaft, die sich sonst so oft in ihrem Elfenbeinturm aufhält.

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Von der Idee zum Antrag

Vor ungefähr einem halben Jahr – Anfang Dezember – habe ich den Antrag für das Projekttutorium bei der Studienabteilung der Humboldt Universität eingereicht. Ein paar Wochen später habe ich die erfreuliche Nachricht bekommen, dass mein Antrag genehmigt wurde und dass ich ab dem Sommersemester 2011 für zwei Semester eine eigene Lehrveranstaltung zum Thema Menschenhandel anbieten werde. Hier nun der Antrag und die ursprüngliche Konzeption des Ganzen:

Ausgangspunkt des Projekttutoriums ist die zunehmende Aufmerksamkeit, die in den letzten Jahren dem Phänomen Menschenhandel als “globalem Problem” gewidmet wird. Vor allem seit der im Jahre 2000 verabschiedeten  “UN-Konvention gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität”, die auch das “Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen-und Kinderhandels” enthält, ist der “Kampf gegen Menschenhandel” zu einem wichtigen Anliegen unterschiedlicher Akteure auf nationaler und internationaler Ebene geworden (Kyle/Koslowski 2001; Morehouse 2009; Siddhart 2010). Der Europäischen Kommission zufolge fallen “weltweit […] 2,45 Millionen Menschen dem Menschenhandel in Zwangsarbeit zum Opfer. Weit über die Hälfte von ihnen sind Frauen und Mädchen, die zur Prostitution gezwungen oder als Dienstpersonal in Privathaushalten ausgebeutet werden”. JournalistInnen, AktivistInnen und PolitikerInnen sprechen zunehmend von Menschenhandel als Form “moderner Sklaverei” (Bravo 2007; Siddhart, 2010). Dabei stehen vor allem zwei Formen im Mittelpunkt: (1) „Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung“ und (2) „Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeit“. Im ersten Fall wird begrifflich auch von „Zwangsprostitution“ und „Frauenhandel“ gesprochen und im zweiten Fall von „Zwangsarbeit“ und „Ausbeutung der Arbeit“ vor allem undokumentierter MigrantInnen. Beide Formen werden als Sklaverei bezeichnet.

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