menschenhandel heute.

kritische perspektiven auf die bekämpfung von menschenhandel

Eine feministische Kritik am „Sexkaufverbot“

Es wird immer wieder argumentiert, dass ein sogenanntes „Sexkaufverbot“ bzw. „Schwedisches Modell“ (weil es zuerst in Schweden im Jahre 1999 eingeführt wurde) – die einzige gesetzliche Regelung sei, die Menschenhandel und Ausbeutung von „Frauen in der Prostitution“ verhindern kann. Es sei auch die einzig wirklich „feministische“ gesetzliche Regelung von Prostitution.

Dem widerspreche ich. Und nicht nur ich. Das Verbot, für Sex zu bezahlen, wurde in Schweden auf problematische Weise umgesetzt. Das habe ich schon vor einiger Zeit hier erläutert. Vor allem für Sexarbeiter*innen hat des Verbot negative Folgen, wie z. B. eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen.

In diesem Text möchte ich nicht empirische, sondern theoretische und feministische Gründe und Argumente auflisten, warum aus meiner Sicht das „Sexkaufverbot“ nicht feministisch sein kann. Das hat vor allem mit den verschiedenen Mythen zu tun, die der Forderung nach einer „Freierkriminalisierung“ zu Grunde liegen.

Mythos 0: „Nur Männer kaufen Sex (von Frauen)“

Diese Annahme ist empirisch falsch, weil zunehmend auch Frauen für sexuelle Dienstleistungen bezahlen. Und zwar auch von Männern. Es stimmt zwar immer noch, dass, statistisch gesehen, vor allem Männer für Sex mit Frauen bezahlen. Ironischerweise wird sich daran nichts ändern, so lange wir den Mythos verbreiten, dass nur Männer für Sex zahlen. Denn damit verbreiten wir auch das Bild der „triebhaften“ Mannes, der den „Druck ablassen“ muss und der „von Natur aus“ sexuell weniger „triebhaften“ und auf jeden Fall „anders“ tickenden Frau, die das angeblich natürlich nicht braucht oder eh nicht auf sowas steht….

Anstatt zu hinterfragen, warum wir in unserer Sexualkultur Frauen nicht zugestehen, dass sie Sexualität auch außerhalb von Beziehungen leben und auch sie für sexuelle Dienstleistungen bezahlen könnten, wird hier das Ungleichgewicht reproduziert und Frauen werden in die Rolle der Opfer (und zwar ausschließlich als Prostituierte) gedrängt. Der Mythos „nur Männer kaufen Sex von Frauen“ reproduziert also die Vorstellung einer passiven, ausschließlich in Beziehungen zu verwirklichenden Sexualität von Frauen. Er reproduziert auch das Bild des Mannes als ein Mensch, der nicht anders kann. So ganz feministisch erscheint mir dieser Mythos und sein beharrliches Wiederholen also nicht. Auch das tatsächliche Ungleichgewicht ist ein Problem – aber das hängt ja zusammen.

Mythos 1: „Prostitution ist Vergewaltigung“ 

Dieses Argument ist in vielfacher Hinsicht problematisch, ist aber grundlegend für das Sexkaufverbot. Erstens wird von vornherein und über die Köpfe der Betroffenen hinweg definiert, wann was automatisch als „Vergewaltigung“ zählt. Nicht die Betroffenen sollen entscheiden, ob sie eine Sexualhandlung als Vergewaltigung aufgefasst haben und ob sie ggf. diese zur Anzeige bringen. Nein, beim Sexkaufverbot ist die Wahrnehmung der Prostitutierten irrelevant, denn das Gesetz definiert jede sexuelle Handlung gegen Geld als eine Straftat. Nicht die Gewalt zählt, sondern das Geld. (Ganz anders ist das z.B. bei häuslicher Gewalt, wo es einen feministischen Konsens gibt, dass wir verstehen wollen, warum eine Frau nicht geht und anzeigt und wo wir auch akzeptieren, dass Frauen sich gegen eine Anzeige entscheiden.)

Was Prostituierte sagen und ob sie den bezahlten Sexakt als Gewalt wahrnehmen oder nicht ist dem schwedischen Gesetzgeber schlichtweg egal. Und zwar auch dann, wenn Prostituierte der Ansicht sind, dass es zu 100% einvernehmlicher Sex war bzw. ist. Ironisch dabei ist, dass hier die Prostitutionsgegner*innen genau das machen, was Vergewaltiger auch machen: Nämlich für die „Frauen“ zu entscheiden, was sie wirklich woll(t)en. Ein „Nein“ ist eigentlich ein „Ja“ und ein „Ja“ ist ein Wirklichkeit ein „Nein“. In beiden Fällen wird Consent geleugnet und es entscheidet eine Person, ja, sogar der Staat, über den Sex einer anderen – erwachsenen (!) – Person.

Das ist insofern problematisch, weil wir als Feminist*innen fordern, dass ein „Nein“ als Nein auch akzeptiert wird. Viele wollen sogar, dass ein „Ja“ explizit gegeben werden muss, damit es sich um „Consent“ handelt (affirmative consent). Nun: Sexarbeit bedeutet – qua Vertrag – eben, dass ein explizites „Ja“ ausgesprochen wurde. Dieses „Ja“ muss man ernst nehmen. Wie Sexarbeiter*innen sagen:

„If a woman is to be believed when she asserts that she did not consent to sex, she must be believed when she asserts she did.“ (Quelle).

„Wenn man einer Frau glauben soll, wenn sie sagt, dass sie keine Zustimmung zum Sex gegeben hat, dann muss man ihr auch glauben, wenn sie sagt, dass sie dem zugestimmt hat.“

Es kann nicht sein, dass per Gesetz entschieden wird, welchen sexuellen Handlungen eine erwachsene Frau zustimmen darf und welchen nicht. Ein „Ja“ ist ein „Ja“. Ein „Nein“ ist ein „Nein“. Auch bei Sexarbeiter*innen. Consent ist Consent, auch – oder vor allem – wenn Geld im Spiel ist.

Manche behaupten, dass Sex gegen Geld „eine bezahlte Vergewaltigung“ sei. Aber es ist doch die Definition von Vergewaltigung, dass sie gegen den Willen der Betroffenen erfolgt und ein*e Sexarbeiter*in will eben nur unter der Bedingung mit Kunden/Kundinnen ins Bett gehen, dass sie zahlen. Vergewaltiger zahlen aber (Sexarbeiter*innen) nicht und unterscheiden sich damit eindeutig von Kunden und Kundinnen.

Ein weiterer Fallstrick ist: Wer Sexarbeit von vornherein als Vergewaltigung definiert (was Anti-Prostitutions-Aktivist*innen tun), kann schon rein begrifflich oder rechtlich nicht mehr sagen, dass ein*e Sexarbeiter*in vergewaltigt wird. Die Folge dieser verqueren Behauptung ist: Echte Vergewaltigung wird verharmlost, unsichtbar gemacht; rechtliches Vorgehen dagegen wird unmöglich gemacht, weil das Ziel Sexarbeit insgesamt so darzustellen, wichtiger ist.

Mythos 2: „Sexkäufer sind Vergewaltiger“

Das Sexkaufverbot bestraft den (männlichen) „Sexkäufer“, weil der Tausch von Sex gegen Geld angeblich die Sexarbeiter*innen erniedrigt, so die Behauptung. Sex gegen Geld sei „eine bezahlte Vergewaltigung“. Doch schaut man in die existierenden Gesetze, handelt es sich bei der Behauptung nur um manipulative Strategien – um heiße Luft. Denn „Sexkäufer“ werden nicht bestraft wie Vergewaltiger, obwohl die ganzen Kampagnen Prostitution als sexuelle Gewalt bzw. Vergewaltigung bezeichnen. Im Gegenteil, Sexkäufer erhalten in der Regel eine nicht wirklich hohe Geldstrafe. Haftstrafen gab es kaum. Selbst wenn also Prostitution Vergewaltigung wäre, was sie nicht ist, würde eine Geldstrafe hier eine Verhöhnung der Opfer sein. Nimmt man das Gesetz beim Wort, kann man in Schweden eine Frau nicht für Sex bezahlen. Tut man das dennoch, muss man eine weitere Dritt-Partei bezahlen: Den Staat. Es muss hier gefragt werden, inwiefern der schwedische Staat hier die Rolle des „Zuhälters“ annimmt, der den Kunden Geld abnimmt, falls sie Sexarbeitende bezahlen wollen.

Das Sexkaufverbot ist sowieso eine Verhöhnung der tatsächlichen Opfer von sexueller Gewalt. Denn anstatt Täter zu verurteilen, die aus meiner Sicht doch ziemlich eindeutig zu Vergewaltigern zählen (wie in diesem Fall; oder in diesem), lässt die schwedische Justiz diese auf freiem Fuß. Einvernehmlicher bezahlter Sex wird dagegen geahndet – per Geldstrafe: Der Staat will wohlgemerkt mitverdienen an der Sexarbeit und unterscheidet sich hier nicht groß vom professionellem Zuhälter, der nicht nur Sexarbeiter*innen unterdrückt sondern auch seinen Teil haben will. Echte Vergewaltiger lässt man stattdessen in Ruhe. So sieht weder Feminismus noch Geschlechtergerechtigkeit aus.

Mythos 3: „Prostituierte machen das doch nicht freiwillig, weil…sie arm sind und keine andere Wahl haben“

Wenn jemand keine andere Wahl hat, als Sex zu verkaufen, um zu überleben, hat die Gesellschaft ein massives Problem. Ein mickriges Sexkaufverbot, das auf einzelne Männer abzielt, wird an den strukturellen Ursachen dieses Problems nichts ändern. Wenn es gut läuft für die Polizei sind das in Schweden ein paar Hundert bestrafte Kunden pro Jahr. Damit hat man vielleicht ein paar Familienväter ärmer gemacht (aber, gemessen am Wohlstand in Schweden, vermutlich nicht mal das), den betroffenen Frauen wurde aber weder eine für sie akzeptable Alternative angeboten noch ihre Armut reduziert – schon gar nicht, wenn es sich um gesellschaftlich marginalisierte Menschen handelt, die es so oder so schwer haben.

Was das „schwedische“ Gesetz macht: Es kriminalisiert eine der wenigen Möglichkeiten der Geldeinnahme, weil bezahlter Sex angeblich schmutzig, unterdrückerisch oder gewalttätig sei und der Staat – der wohlgemerkt nicht durch andere Mittel versucht an der Armut und Wahllosigkeit was zu ändern – diese Transaktion kriminalisiert. Dabei hat Schweden einen der ausgebautesten Wohlfahrtstaaten auf der Welt.

Eine weltweite Umsetzung des Sexkaufverbotes wäre auch deshalb sinnlos, weil es in den meisten Ländern keinen Wohlfahrtsstaat gibt, der Menschen auffängt, die in Armut geraten sind.  Ein Sexkaufverbot würde in diesen Ländern nur Kriminalisierung und zusätzliche Armut bedeuten! Das Märchen von Sexkaufverbot als Allheilmittel dekonstruiert sich von selbst!

Unklar ist hier auch, warum die gleiche Person plötzlich „freiwilliger“ handeln können soll, wenn sie unter den gleichen Armutsbedingungen einen Putzjob in den Unternehmen oder Häusern schwedischer Karrierefrauen und -männer annimmt. Was ist feministisch daran, Freiwilligkeit so dermaßen heuchlerisch umzudefinieren, nur weil der Putzjob den privilegierten Schwedinnen und Schweden (oder Stuttgarter*innen) nicht so eklig erscheint, wie Sexarbeit? Putz- und Sorgearbeit sind nicht frei von patriarchalen Machtungleichheiten – genauso wenig wie die Sexarbeit. Aber warum will man nur die Sexarbeit kriminalisieren und nicht die Armutsarbeit?

Mythos 4: „Prostituierte machen das doch nicht freiwillig, weil… sie wegen sexueller Gewalt in der Kindheit immer noch traumatisiert sind und deshalb keine wirklich freie Entscheidung treffen können“ 

Dass dieses Argument immer noch zieht, finde ich haarsträubend. Denn letztendlich impliziert dieses Argument, liebe Frauen mit Erfahrungen sexueller Gewalt: Wenn ihr einmal sexuelle Gewalt erlebt habt, werdet ihr nie wieder eine wirklich freie „Entscheidung“ über Eure Sexualität treffen können und – das ist der Knackpunkt – der Staat hat das Recht, oder gar die Pflicht, zu intervenieren, um Euch vorzuschreiben, welche (sexuellen) Entscheidungen Ihr jetzt treffen dürft und welche nicht. Das ist der Gedankengang hinter dem Trauma-Argument.

Hier wird nicht nur für Prostituierte die Mündigkeit und Fähigkeit, über die eigene Sexualität zu entscheiden, geleugnet und ausgehebelt. Das Argument hebelt die Mündigkeit und sogenannte „Consent“-Fähigkeit aller erwachsener Frauen aus, die sexuelle Gewalt erfahren haben. Nicht die Prostitution schadet allen Frauen sondern dieses entmündigende Argument! Dieses Argument ist auch eine Re-Traumatisierung, weil Frauen sich immer und immer wieder anhören müssen, dass sie nie wieder die Kontrolle über ihre Sexualität erreichen werden. Es ist auch eine Traumatisierung für all diejenigen, denen plötzlich routinemäßig in der Öffentlichkeit unterstellt wird, dass sie sexuelle Gewalt erfahren haben und deshalb vielleicht nicht wirklich sprechen sollen dürfen. Nicht die Prostitution ist traumatisierend sondern die standardmäßige Unterstellung eines unwiderruflichen Traumas!

Das Trauma-Argument hat auch für Nicht-Sexarbeiter*innen weitreichende Folgen: Ich möchte hier nicht auflisten, welche sexuellen Praktiken, Identitäten und Verhaltensweisen es gibt, die im Mainstream (und vor allem beim aktuellen sexualkonservativen Backlash) immer noch als verwerflich oder zumindest fragwürdig gelten. Beim aktuellen Backlash gegen sexuelle Selbstbestimmungsrechte ist es denkbar, dass Erfahrungen sexueller Gewalt auch als Begründung genutzt werden, um diese Verhaltensweisen, Identitäten, Praktiken zu kriminalisieren. Die meisten von Euch mögen das für unwahrscheinlich halten, weil wir ja im Glauben an einen linearen Fortschritt sozialisiert wurden. Vielleicht habt Ihr Recht und es trifft Euch nicht (verheiratete monogam lebende heterosexuelle Frauen werden ganz sicher nicht davon betroffen sein!). Aber es trifft gerade Sexarbeiter*innen – und zwar mit einem Argument, das ihr für Euch und Euer Umfeld selbst nie gelten lassen würdet.

Wer einmal eine Ausnahme macht und sagt, dass Erfahrungen sexueller Gewalt ein Grund für Entmündigung und Leugnung von Consent sind, muss damit rechnen, dass dies keine Ausnahme bleibt. Die nächste Ausnahme wird bei der nächsten marginalisierten Gruppe gemacht – aber natürlich nie, bei jenen Frauen, die, trotz Traumata, ihr Leben so gestalten, als käme es aus dem Bilderbuch. Und da wären wir – schwupp – wieder bei der Norm der monogamen Hetero-Ehe, die natürlich – auch bei Traumata – niemals in Frage gestellt wird.

Mythos 5: „Bezahlter Sex ist grundsätzlich von Machtungleichheiten durchdrungen, deshalb muss er verboten werden.“

Aha. Und unbezahlter Sex nicht? Mir ist nicht ganz klar, wie eine arme, traumatisierte Frau ohne Wahlmöglichkeiten (das ist das Bild, mit dem die Anhänger*innen des Sexkaufverbotes argumentieren) plötzlich in die Lage versetzt wird, Sex (oder Arbeit) ohne Machtungleichheiten zu haben – in einer Welt in der sie aus den unterschiedlichsten Gründen am unteren Ende der Gesellschaft verweilen muss: Aus ökonomischen Gründen, als Folge der Jahrzehnte, teilweise Jahrhunderte andauernder Exklusion und Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder anderer stigmatisierender Zuschreibungen. Man denke etwa an Sexarbeiter*innen (auch of colour) unterschiedlichster Hintergründe: Roma-Frauen, Migrant*innen aus unterschiedlichen Dritt-staaten (von Osteuropa, Asien, Lateinamerika bis nach Afrika), oder auch einfach Frauen aus ärmeren Verhältnissen, die auch in der deutschen Gesellschaft nachweislich kaum eine Chance haben: Denn Armut wird vererbt. Auch daran ändert ein Sexkaufverbot herzlich wenig – es ist ja nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein, geschweige denn eine Lösung.

Mythos 6: „Die Frauen werden nicht kriminalisiert“ 

Das löst man am besten mit einem Gedankenexperiment: „Wenn wir den Kauf der EMMA verbieten, aber nicht den Verkauf, sind die Redakteurinnen der EMMA dann kriminalisiert?“ Ausführlich habe ich das hier aufgeschrieben.

(1) Man beachte, dass EMMA Redakteur*innen bei einem Szenario, wie beim Sexkaufverbot, keine Räume für ihre Redaktion mieten dürften (die Vermieter*innen gelten automatisch als Zuhälter*innen); sie dürften auch nicht vor Arbeitsgerichte klagen (es ist ja keine Arbeit); sie müssten aber weiterhin auf die „illegal“ vertriebenen EMMA-Exemplare Steuern zahlen (sie erzielen ja Einkünfte!); wenn sie EMMAs zu Hause horten, würde man sie rausschmeißen, damit niemand hinkommen kann, um EMMAs zu erwerben; es gäbe Ausstiegsangebote, die aber voraussetzen, dass die EMMAs die EMMA sofort und für immer hinter sich lassen; den EMMAs würden die Kinder genommen werden, weil sie nicht als erziehungsfähig eingestuft werden, usw. usf. Migrant*innen gelten als Gefahr für die öffentliche Sicherheit, aber gut – es arbeiten bei EMMA auch keine Migrant*innen. Das ist das „schwedische Modell“ (oder Teile davon) auf die EMMA übertragen.

Wer glaubt jetzt immer noch, dass die „Frauen“ nicht kriminalisiert werden?

Mythos 7: „Wenn wir Sexkauf verbieten, verhindern wir Menschenhandel“

Auch hier funktioniert eine Analogie am besten, um das Argument ad absurdum zu führen: „Wenn wir Sex verbieten, verhindern wir sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen.“ Es liegt doch auf der Hand, dass das Unsinn ist und dass ein Sexverbot keinerlei Auswirkungen auf Vergewaltigungen hat. Im Gegenteil: Ich habe ja schon oben gezeigt, dass ein Sexkaufverbot eine Seite der gleichen Medaille ist: Negierung von Consent.

Auch bei Menschenhandel muss es Gesetze eben gegen Menschenhandel geben. Und nicht gegen einvernehmliche Sexarbeit.

Mythos 8: Prostitution und Gewalt greifen inhärent ineinander (Nachtrag)

Das ist die etwas allgemeinere Variante von Mythos 1 (Prostitution ist Vergewaltigung). Diesem Mythos liegen mehrere Denkfehler zu Grunde, die Sexarbeiter*innen schaden, die von Gewalt betroffen sind und sein können.

Es trifft zu, dass Sexarbeiter*innen von “Gewalt gegen Sexarbeiter*innen” betroffen sind. Das ist nichts neues und die globale Prostituiertenbewegung prangert das seit mindestens 40 Jahren an (Überraschung: Das ist keine Erfindung der Prostitutionsgegner*innen). Gewalt in der Sexarbeit ist vor allem auf strukturelle Rahmenbedingungen zurückzuführen, die einerseits rechtlicher und ökonomischer Natur sind, wie z. B. Kriminalisierung, Abwesenheit wohlfahrtsstaatlicher Unterstützung für Personen, die Armut erfahren oder aus der Prostitution aussteigen wollen, niedrige Löhne, allgemeine ausbeuterische Arbeitsbedingungen in anderen Branchen.

Allerdings fördern auch kulturelle Vorstellungen über Sexarbeit und Prostituierte Gewalt. Die Vorstellung, dass Prostituierte ihre Würde verloren haben, oder dass sie schmutzig seien oder dass es Menschen sind, die komplett verloren sind, trägt dazu bei. Dadurch wird nämlich eine Hierarchie hergestellt und reproduziert, in der Prostituierte an das untere Ende der Gesellschaft verdrängt werden: Materiell und symbolisch.

Sexarbeiter*innen sind betroffen von einer doppelten Diskriminierung: 1. Die Diskriminierung und sexistische Behandlung als Frau* oder Homosexuelle*r 2. die Herabwürdigung und Stigmatisierung als Prostituierte – das ist der sogenannte Hurenhass. Prostituierte erfahren nicht nur Frauenfeindlichkeit und Homophopie, sondern in erster Linie Hurenhass, also Hass, weil sie Sex verkaufen; Hass, weil sie sich nicht der Sexualmoral der Gesellschaft beugen und heiraten und Kinder kriegen bzw. eine Familie ernähren. Dieser Hurenhass führt dazu, dass Sexarbeit kriminalisiert wird und man Sexarbeiter*innen als Sexarbeiter*innen  keine Menschenrechte zugestehen will.

Insofern ja: Sexarbeit und Gewalt sind eng verknüpft, weil der immer noch weit verbreitete Hurenhass Kriminalisierung, Ausgrenzung und Stigma legitimiert. Hurenhass ist auch der Grund, warum Leute immer so impulsiv reagieren, wenn man Respekt und Anerkennung für Sexarbeiter*innen fordert. Das ist für viele nämlich gar nicht denkbar.

Mythos 9: “Wir sind nicht gegen Prostituierte, nur gegen Prostitution”

Hier kann man wieder ein Gedankenexperiment machen: Ersetzt bitte einen Beruf/Gruppenzugehörigkeit in diesem Satz (oder auch mehrere) und guckt, ob ihr am Ende glaubt, dass man nur die Prostitution schlimm finden kann, aber nicht diejenigen, die sie ausüben.

Rein logisch gesehen, ist dieser Satz erst gar nicht möglich. Prostituierte sind eine der beiden notwendigen Akteure in einer bezahlten Sextransaktion – der Prostitution. Findet man diese Transaktion blöd, muss man notwendigerweise auch beide Akteure blöd finden. Will man Sexarbeit entstigmatisieren, muss man natürlich beiden Akteuren – der Prostituierten und den Kunden/Kundinnen – mit Respekt begegnen. Das ist einfache Logik.

Die Anhänger*innen der Sexkaufverbots versuchen diesen Schluss natürlich zu umgehen. In der Praxis machen sie das, indem sie ausgewählte negative Prostitutionserfahrungen in ihre Kampagnen einfließen lassen und diese sichtbar machen. Schaut man genauer hin, handelt es sich um Erfahrungen, die immer nach dem gleichen Muster erzählt und geschildert werden: Ausschließlich Frauen, die in der Jugend aus Armut in die Prostitution gedrängt wurden und dann in der Regel mehrere Jahre als Prostituierte gearbeitet haben; manchmal hatten sie einen Zuhälter, manchmal aber auch nicht. Sie haben diese Erfahrung als erniedrigend und gewaltvoll empfunden und würden sie, rückblickend, am liebsten nicht gemacht haben.

Diese Erfahrungen müssen respektiert werden, daran besteht kein Zweifel. Was wir nicht tun müssen, ist diese Erfahrungen nutzen, um jene anderer Sexarbeiter*innen und Prostituierten in Frage zu stellen und zu leugnen. Wir müssen nicht die Vielfalt der Erfahrungen von Prostituierten gegeneinander ausspielen, als sei die eine besser oder authentischer als die andere. Ich halte es also für zutiefst unfeministisch, wenn hier Sexarbeiter*innen, die ihren Job in einem legalen Rahmen und ohne diskriminierende Sondergesetze ausüben wollen, verteufelt und öffentlich diskreditiert werden, NUR WEIL sie gegen ein Sexkaufverbot sind.

Und an dieser Stelle wird auch deutlich, dass Anhänger*innen des Sexkaufverbots sehr wohl auch gegen Prostituierte sind und zwar gegen alle, die nicht sofort aufhören wollen; gegen alle, die nicht die Erfahrung gemacht haben, die ich oben geschildert habe; gegen alle, die vielleicht diese Erfahrung gemacht haben, aber andere Schlüsse und politische Forderungen daraus ziehen (z. B. eine Entkriminalisierung); gegen alle, die Sexarbeit nicht per se verteufeln. Die einzigen Prostituierten, die sie nicht bekämpfen, sind jene, die sofort aussteigen wollen, einen Putzjob annehmen und öffentlich – möglichst explizit, graphisch und gewaltvoll – über den Prostitutionssex sprechen. Und deshalb ist auch Mythos 9 ein Mythos.

Ursprüngliich veröffentlicht auf FemSexBlog: Eine feministische Kritik am “Sexkaufverbot”
https://femsexblog.wordpress.com/2015/10/20/eine-feministische-kritik-am-sexkaufverbot/ 

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