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kritische perspektiven auf die bekämpfung von menschenhandel

USA – Oberster Gerichtshof: Der Staat darf Organisationen nicht Prostitutionspolitik vorschreiben

In einer Grundsatzentscheidung hat der US-Amerikanische Supreme Court entschieden, dass die sogenannte „Anti-Prostitution Pledge“ gegen das First Amendment der Meinungsfreiheit verstößt. Geklagt hatte die Nicht-Regierungsorganisation Alliance for Open Society International mit der Unterstützung u.a. der ACLU – American Civil Liberties Union.

Das Urteil wird weitreichende Folgen für die Förderung der Arbeit in den Bereichen HIV-Gesundheitsprävention und Bekämpfung des Menschenhandels durch US-amerikanische Organisationen im Ausland haben. Auch die LGBT-community wird davon profitieren. Ihre Arbeit und Meinungsfreiheit wurden bisher durch die Klausel stark eingeschränkt.

The Policy Requirement compels as a condition of federal funding the affirmation of a belief that by its nature cannot be confined within the scope of the Government program. In so doing, it violates the First Amendment and cannot be sustained. (Urteil, S. 15)

Was ist die Anti-Prostitutions-Klausel (Anti-Prostitution-Pledge)?

Seit 2003 unterliegt die Vergabe föderaler Fördermittel zur Prävention und Bekämpfung von HIV/AIDS für im Ausland tätige Organisationen einer „Anti-Prostitutions-Klausel“ (Anti-Prostitution-Pledge). Das betrifft insbesondere die Fördermittel des sog. PEPFAR Programms (President’s Emergency Plan for AIDS Relief), das 2003 unter G.W. Bush eingeführt wurde. Die Klausel wurde jedoch auch in die Richtlinien für die Förderung von Organisationen eingeführt, die sich gegen Menschenhandel einsetzen.

Die Klausel verpflichtet Empfänger von Fördermitteln – NGOs, die in den USA basiert sind, aber meistens im Ausland tätig sind – sich öffentlich zur Position und Politik der Regierung zu bekennen, Prostitution „auszurotten“. In den USA wird diese Politik mit einer umfassenden Kriminalisierung der Prostitution umgesetzt. Betroffen davon sind vor allem Sexarbeiter_innen – pro Jahr werden um 60.000 bis 70.000 Personen wegen Verdacht auf Prostitution verhaftet. Mit der Anti-Prostitution-Pledge sollte dieser Ansatz der Kriminalisierung und Ausgrenzung über die Förderung von HIV/AIDS sowie Anti-Menschenhandels-Programmen exportiert werden.

Geförderte Organisationen mussten schriftlich erklären, dass sämtliche ihrer Aktivitäten Prostitution weder unterstützen noch dulden. Das bedeutet auch, dass sie z.B. keine Kondome verteilen durften – schon gar nicht an Sexarbeiter_innen. Auch der Hinweis auf Kondome als Verhütungsmöglichkeit und Schutz vor Geschlechtskrankheiten sollte vermieden werden. Besonders verpönt war  die Forderung von Rechten für Sexarbeiter_innen sowie öffentliche Äußerungen, die die Legalisierung der Prostitution befürworteten. Jegliche Zusammenarbeit mit Sexarbeiter_innen, die nicht auf einen – oft erzwungenen – Ausstieg abzielte, war damit durch die Förderrichtlinien untersagt. Somit wurde Gesundheitsprävention und Aufklärungsarbeit im Bereich Prostitution durch die Klausel de facto verboten.

Die Anti-Prostitutionsklausel hat eine effektive Prävention und Bekämpfung von HIV/AIDS unmöglich gemacht

60% der globalen Fördermittel im Kampf gegen HIV kommen aus den USA. Gerade deshalb hat die Anti-Prostitutionsklausel effektiv zum Scheitern vieler HIV-Präventionsprogramme beigetragen. Schon 2004 hat die brasilianische Regierung 40 Millionen Dollar abgelehnt, weil die Klausel die Präventionsarbeit unmöglich gemacht hätte. Viele andere Organisationen haben föderale Fördermittel aus diesem Grund nicht mehr angenommen bzw. beantragt.

Jene Länder, in denen US-basierte Organisationen besonders präsent waren, haben die Nachteile dieser imperialistischen Sexualpolitik deutlich zu spüren bekommen: Sexarbeiter_innen in Mali wurde der Zugang zu Kondomen erschwert, während Männer in Kambodscha kaum mehr Zugang zu Informationen über sicheren Sex (safer Sex) hatten. In Bangladesch wurden Beratungsstellen und Treffpunkte für Prostituierte geschlossen – damit hatten auch dort Sexarbeiter_innen kaum mehr Zugang zu Kondomen und Informationen über Gesundheitsprävention (siehe hier und hier). Die Liste könnte man noch lange weiterführen.

Der erzwungene Kampf gegen Prostitution wird Menschenhandel nicht ausrotten

Kritiker_innen der Anti-Prostitutionsklausel weisen auf die Zunahme der Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung von Sexarbeiter_innen in jenen Ländern hin, die durch den US-amerikanischen Ansatz besonders beeinflusst waren. Durch die Klause wurde Sexarbeiter_innen auf der ganzen Welt das Leben ein Stück schwerer gemacht, während der Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung weiterhin blüht und blühte – schließlich konnte bisher nicht nachgewiesen werden, dass die Anti-Prostitutionsklausel auch den Menschenhandel reduziert. Ganz im Gegenteil, könnte man fast sagen.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshof wird hoffentlich dazu führen, dass sich Organisationen auf sachlich informierte und differenzierte Art und Weise öffentlich positionieren (können) und dass sie ihre Arbeit dem anpassen. Der Zugang zu Gesundheitsprävention, besseren Arbeitsbedingungen und inklusiven rechtlichen Rahmenbedingungen für Sexarbeiter_innen muss verbessert werden. Hoffentlich werden das Organisationen nun auch lauter fordern können

Zu schade, dass nicht-US-basierte Organisationen nicht durch die US-amerikanische Verfassung geschützt sind und weiterhin durch eine solche Klausel eingeschränkt werden können, wenn sie durch durch die USA gefördert werden wollen – darauf wies die Professorin Chi Mgbako in einer Konversation auf Twitter hin.

Ultimately, a critical assessment of the impact of the anti-trafficking framework shows that it is highly problematic in its ability to offer a clear conceptual understanding of sex work, migration, and vulnerability. Disaggregating human trafficking from prostitution and forced labour are fundamental to crafting cogent and effective law and policy on this issue, by allowing lawmakers to conceive of the problem at hand clearly, before interventions are crafted. (S. Shah)

Weitere Informationen:

Das Urteil des Supreme Court (20. Juni 2013)

Court finds AIDS Program’s Rules violate Free Speech (NYT)

Supreme Court says law can’t dictate anti-AIDS groups’ speech (Washington Post)

Beyond the Anti-Prostitution Pledge: The Public Health Buck Does Not Stop Here (Leo Beletsky)

An analysis of the implementation of PEPFAR’s anti-prostitution pledge and its implications for successful HIV prevention among organizations working with sex workers (M.H. Ditmore/D. Allmann)

Trafficking and the Conflation with Sex Work: Implications for HIV Control and Prevention (S. Shah)

Reconceptualizing Approaches to Human Trafficking: New Directions and Perspectives from the Field(s) (K. Kim, G. Chang)

pepfarwatch.org

Just Sign on The Dotted Line – The Anti-Prostitution Loyalty Oath (Video, Englisch)

Lonely Little Red Umbrella: Sex Workers’ Rights in the Anti-Prostitution Loyalty Pledge Hearing (Kate Zen)

The Other Gay Rights Case: Why Today’s Obscure Supreme Court Decision Is More Important Than We Think (Jay Michaelson)

Thank You Thursdays: The Supreme Court strikes down harmful anti-prostitution pledge (feministing.com)

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