Der richtige Umgang mit Prostitution….

Prostitution ist in Deutschland weiter verbreitet, als mensch vielleicht vermuten könnte. Das Angebot von schätzungsweise 400.000 Prostituierten,  nehmen täglich bis zu 1,5 Mio. Menschen, zum Großteil Männer, in Anspruch. Die jährlichen Umsätze in diesem „Wirtschaftsbereich“ bewegen sich im zweistelligen Milliardenbereich. Die meisten der Prostituierten sind Frauen, rund 90%, 3% Transgender und 7% Männer. (1)

Die hier genannten Zahlen beruhen allerdings auf Schätzungen und Hochrechnungen repräsentativ befragter Personen. Amtliche Statistiken hierfür gibt es zurzeit nicht. Die rot-grüne Bundesregierung reagierte am 20.12.2001 mit dem sogenannten Prostitutionsgesetz auf diese Realität. (2) Das Gesetz wurde verabschiedet, um den Prostituierten eine gewisse Rechtssicherheit zu gewähren und somit indirekt die Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern. Damit wurde Prostitution in Deutschland als sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtige Dienstleistung anerkannt. Im Vergleich dazu wurde in Schweden 1999 der Kauf von sexuellen Dienstleistungen, nicht der Verkauf, verboten, was eine direkte Kriminalisierung von Zuhälter_innen (3) wie Freier_innen zur Folge hat, aber auch negativen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der Prostituierten hat. (4)

Diskussionen um den „richtigen“ Umgang mit Prostitution werden in den verschiedensten politischen Spektren mit unterschiedlichsten Perspektiven geführt. So sind auch in feministischen Diskussionen um den Umgang mit bzw. die Bewertung  von Prostitution verschiedenste Positionen zu finden.  (5/6)

Die feministische Zeitschrift Emma positioniert sich ganz klar gegen die Prostitution und ihre Legalisierung in Deutschland. Das Prostitutionsgesetz nütze nur den Zuhälter_innen und Menschenhändler_innen, die jetzt weitgehend unter dem Deckmantel der Legalität vor staatlichem bzw. polizeilichem Zugriff geschützt würden. (7) Für Alice Schwarzer, u. a. ehemalige Chefredakteurin der Emma, ist Prostitution nur eine Erscheinungsform patriarchaler Herrschaftsverhältnisse, die es umfassend zu bekämpfen und zu überwinden gilt.

Eine dem entgegengesetzte Position vertritt Kathrin Schrader vom Feministischen Institut Hamburg. Sie begrüßt die Legalisierung von Sexarbeit, bemängelt aber gleichzeitig, dass die festgelegten Neuerungen im Prostitutionsgesetz nicht ausreichend seien und deshalb auch keine spürbare Verbesserung der Lebenssituation der meisten Prostituierten bewirken würden. So könne z. B. das Bundesgesetz durch diverse Ländergesetze umgangen werden und Prostitution wieder illegalisiert werden. Das Gesetz habe laut Schrader nur die Situation der Prostituierten, die sich nicht in prekären Verhältnissen befinden, verbessert werden.

Schrader kritisiert auch die in Emma vertreten Position vor allem in Bezug auf die Darstellung von Prostituierten als Opfer, denen keine Handlungsmacht zugeschrieben wird. Eine solche Darstellung von Prostituierten als weibliche Opfer verdecke die faktische Heterogenität im „Wirtschaftsbereich“ Sexarbeit, z. B. was das Geschlecht der Prostituierten betrifft. Schrader sieht anders als Emma gerade in der gesellschaftlichen Stigmatisierung von Prostitution das Problem und sieht Sexarbeit als „Dienstleistung“ an. (8)

Auch Menschen, die in der „Hurenbewegung“ aktiv sind, z.B. im Verein Hydra e.V., versuchen immer wieder darauf hinzuweisen, dass Prostitution nicht auf Zwang und damit verbunden auf Menschenhandel zu beschränken ist. (9) Diese Themen werden oft verknüpft. (10) Dabei findet sich Menschenhandel in diversen anderen Wirtschaftszweigen ebenso wieder, z. B. in der Leiharbeit im Bau- oder Sicherheitsgewerbe. (11)

Eine gewerkschaftliche Organisierung von Prostituierten findet sich u. a. in den USA, wo z. B. die derzeit „worlds only unionized worker owned peep show“ (weltweit einzige Peep-Show im Besitz von Gewerkschaftler_innen) LustyLady in San Francisco zu finden ist. (12) Die Anarchistin und Feministin Emma Goldman verwies regelmäßig auf die moralische Stigmatisierung von Prostituierten bei gleichzeitiger Nichtbeachtung der gesellschaftlichen, kapitalistischen Verhältnisse, die alle Lebensbereiche einem Verwertungszwang unterwerfen würden und in denen Prostitution stattfinde. (13/14) Ein weiteres Beispiel für einen solchen im Vergleich zur Emma differenzierten Umgang mit Prostitution zeigten die „Mujeres Libres“ (Freie Frauen) in Zeiten des spanischen Bürgerkriegs. (15) Auch sie positionierten sich klar gegen eine Stigmatisierung und ein staatliches Verbot von Prostitution und setzten auf gegenseitige Hilfe und Selbstorganisation. Ein Grund hierfür war für sie u.a., dass staatliche Repression eben nicht nur die Freier_innen oder Zuhälter_innen trifft, sondern die Prostituierten selbst.

Das Thema Prostitution, wie auch der dementsprechende Diskurs ist vielschichtiger und  komplexer, als er ausschließlich mit einer moralischen Darstellung von Opfern und Täter_innen in patriarchalen Verhältnissen wie in der Emma,  abgebildet werden kann. Dass eine andere Diskussion und eine andere Praxis auch möglich ist, also Empowerment (16) ins Zentrum zu rücken und gesellschaftliche Verhältnisse zu reflektieren, zeigen Beispiele wie von Hydra e.V., LustyLady, Mujeres Libres oder neuerdings auch der ver.di Fachbereich 13, der hier ein neues Organisationsfeld entdeckt hat. (17) Gesellschaftliche Zwänge, seien es ökonomische, normative in Bezug auf Geschlechterrollen wie auch andere Zwänge, durchdringen das Leben und Handeln jedes einzelnen Menschen und setzen beschränkende Handlungsspielräume. (18/19/20) Wenn das Ziel politischen Handelns das Recht auf Selbstbestimmung sein soll, muss eine wie im Text beispielhaft dargestellte Selbstorganisation, deren Grundlage in der Reflexion gesellschaftlicher Zwänge zu finden ist, ins Zentrum politischer und sozialer Arbeit gestellt werden.

7 Kommentare

  1. Wäre interessant sich vorzustellen, wieviele Prostituierte noch weiter machen würden, wenn sie eine vergleichbare alternative Einkommensmöglichkeit hätten. Ich denke wenige.

    Die Grenzen zwischen Prostitution und Zwangsprostitution sind fließend. Selbst Edelbordelle fallen immer wieder durch Menschenhandel und Zwangsprostitution auf.

    Und wo beginnt eigentlich der kapitalistische Arbeitszwang und wo hört die sklavische Zwangsarbeit auf?

    Eine Bekannte von mir betreut Prostituierte in Therapie. Viele Frauen entwickeln erst nach Jahren psychische Störung. Ihr Verhältnis zu ihrem Körper und ihrer Sexualität ist massiv gestört. Diese Frauen verkauften „freiwillig“ (i.S. des kapitalistischen Arbeitszwangs) ihren Körper um ihn zur sexuellen Verwendung freizugeben, sie dachten: „ich werd damit fertig usw.“, wurden sie aber nicht.

    Versteht mich nicht falsch, die Stigmatisierung ist ein Problem. Auf jeden Fall. Aber keins der Legalität wie hier angenommen wird, sondern ein kulturelles. P. kann legal sein, so oder so, löst das nicht von Stigmatisierung.

    Prostitution ist m.E. auch nicht einfach nur käuflicher Sex, es ist ein soziales Phänomen, welches in gewisser Weise ökonomisch institutionalisiert ist.

    Endlich lösen lässt sich die Prostitutionsfrage erst, in anderen Verhältnissen – d.h. Verhältnisse in denen Menschen keine Waren, egal in welcher Art, sind.

    Vielleicht tauschen auch dann noch Frauen ihren Körper gegen Güter, aber dann nicht aus ökonomischen Zwängen heraus…

    1. @Rinder: Vielen Dank!
      Ich habe schon oft gedacht, dass es unglaublich scheinheilig ist, Prostituierte zu stigmatisieren, wenn sich doch alle Menschen (außer den Privilegierten, die eben nicht arbeiten müssen) in diesem kapitalistischen Verwertungssystem verkaufen müssen. Und wenn außerdem viele (Liebes-) Beziehungen immernoch genau nach dem Muster funktionieren, dass frau Sex (bzw. eigene Wünsche und Bedürfnisse zurückstellen etc) gibt, um geheiratet, versorgt, oder einfach nur von Männern anerkannt zu werden. Wir leben schließlich auch in einer Gesellschaft, die (vor allem jungen) Frauen suggeriert, dass sie sexy, hot und im Bett offen für alles zu sein haben, um männliche Anerkennung zu bekommen. Und die Männern suggeriert, Frauen seien zu ihrer Befriedigung auf der Welt. Prostitution macht diesen im Geheimen wirkenden Vertrag der Geschlechter nur sichtbar. Und dann regen sich alle auf. Was für eine Heuchlerei!
      Ich arbeite nebenbei als Sexarbeiterin, klar mach ich es „freiwillig“, aber auch nur, weil ich mich noch viel ausgebeuteter fühlen würde, mir als Kellnerin für 6 Euro die Stunde die Hacken abzulaufen und dabei noch freundlich zu arroganten Kunden sein zu müssen – und das 8 Stunden lang, als eine Stunde lang meinen Körper zu Verfügung zu stellen und dafür über 100 Euro zu bekommen. Und den Rest des Tages für mich zu haben! Gäbs ein ausreichend hohes bedigungsloses Grundeinkommen, ich glaub nicht, dass ichs weiter machen würde. Es gibt also einen Zwang, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen. Der ist das Problem. Gott sei Dank bin ich in der privilegierten Position, mir noch einigermaßen aussuchen zu können unter welchen Umständen ich das mache.

  2. Mh, hat NIna behauptet, sie spräche für alle Prostituierten, inklusive jener, die das gar nicht tun wollen, aber dennoch dazu gezwungen werden? Ich meine nicht.
    Und obwohl ich Ihnen recht gebe, dass es Opfer von Menschenhandel gibt und eine umfassende rechtliche Grundlage zum Schutz und zur Entschädigung dieser Personen geschaffen werden muss, sehe ich eigentlich keinen Widerspruch. Immer wieder wird Prostituierten, die sich nicht als Opfer sehen, vorgeworfen, sie seien ja nicht repräsentativ. Auch Opfer von Menschenhandel sind, so gesehen, nicht repräsentativ. Sie sind (zum Glück) eine Minderheit der Frauen, Kindern und Männer auf dieser Welt. Dennoch nehmen wir sie in den Blick. Und warum sollten wir das nicht auch mit den Frauen (und Männern) tun, die mit Ihrer Tätigkeit zufrieden sind? Es ist unverständlich, wie Menschen immer wieder Prostituierten Glaubwürdigkeit absprechen, weil sie ja nicht repräsentativ seien… Das ist wohl ein Überbleibsel der alteingesessenen und traditionellen Stigmatisierung von Prostituierten, wonach diese am besten nix sagen, denn was sie sagen sowieso falsch ist. Wir müssen sowohl Prostituierten als auch Opfern von Menschenhandel zuhören. Das eine schließt das andere nicht aus. Beide Personengruppen verdienen Respekt, beide Personengruppen haben das Recht in der Gesellschaft gehört zu werden, ohne dass man ihnen nachschreit, dass sie eigentlich gar nicht repräsentativ seien…. und soweit ich weiss, gibt es ziemlich viele Prostituierte, die nicht unter Zwang arbeiten. Und dies zu ignorieren wäre genauso falsch, wie die Tatsache zu ignorieren, dass es Menschenhandel gibt.

    1. Ich stimme zu. Nina sprach nur von sich. Ihre Ansicht spiegelt möglicherweise sogar die Mehrheit wieder, aber vielleicht auch nur eine Minderheit. Die Frage „Was ist das Problem?“ zeigt die Schwierigkeit, die es gibt wenn man über Prostitution spricht. Alle Formen der Prostitution und alle Prostituierte werden zu gerne über einen Kamm geschorren.
      Prostitution wird gern mit freiwilliger Prostitution gleichgesetzt. Zwangsprostitution wird gesehen als „das passiert manchmal, andernorts und hat sowieso nichts mit mir zu tun“ – mit andern Worten verdrängt. Zwangsprostitution ist immer in Gefahr ignoriert oder zu Randerscheinung abgestempelt zu werden.
      Gut, die deutsche Polizei entdeckt jedes Jahr nur ca. 1400 Zwangsprostituierte, während Schätzungen die Zahl der Personen, die nach Deutschland in die Prostitution gehandelt werden, auf jährlich zwischen 10.000 und 30.000 beziffern. Einge schätzen die Zahl sogar auf 140000, was immernoch die Minderheit wäre, aber ganz sicher nicht eine unbedeutende Randerscheinung oder ignorierbarer Ausnahmefall.
      Und dennoch wird die Existenz der unfreiwilligen Prostitution gerne vergessen, wenn man über „die“ Prostitution spricht. Eine Trennung der Prostituierten in vier unterschiedliche Typen/Welten, wie Paola Monzini sie vornimmt, sinnvoll ist, weiß ich nicht. Aber zu ignorieren das es unterschiedliche Personengruppen gibt, ist ein Fehler.
      Jede Gruppen repräsentiern sich selber, aber keine Gruppe alleine repräsentiert „die“ Prostitution – ganzgleich welche man persönlich lieber als repräsentativ ansieht – die Prostitution ist vielgesichtigt, in jeder Hinsicht.
      Diese Tatsache sollte respektiert werden von man über Prostitution spricht.

  3. Ich bin eine Germanistikstudentin und arbeite SEHR gerne als Prostituierte, jeder weiß es, dass ich es mache. Ich will es nicht verheimlichen! Was ist das Problem? es ist eine ganz normale Tätigkeit wie jede andere!

    1. Eine Aussage wie „Ich bin eine Germanistikstudentin und arbeite SEHR gerne als Prostituierte […]“ ist nicht repräsentativ für alle Prostituierten. Eine gewisse Irina aus der Ukraine würde dieser Aussage nicht zustimmen, denn 2006 zitierte die Kampagne „Stoppt Zwangsprostitution!“ sie mit den Worten: „Ich habe immer innerlich geweint und mir war ständig schlecht. Ich kann heute noch schlecht schlafen und habe schreckliche Erinnerungen.“ Dies Zitat ist wohl auch nicht repräsentativ für alle Prostituierten. Und genau das ist das Problem. Es gibt nicht nur die eine Prostitution und den einen Typ Prostituierten. Neben den Frauen, die es als „eine ganz normale Tätigkeit wie jede andere!“ sehen, stehen, die Frauen, die Opfer von Menschenhändlern und Zuhälter sind. Und oft genug im wortwörtlichen Sinne nebeneinander. Und das ist das Problem.

  4. Das Recht auf Selbstbestimmung ist in jeden Fall das politische Ziel.
    Die Unfreiheit, die sich in dem Teil der Prostitution verbirgt, die als Zwangsprostitution bzw. Sexsklaverei bekannt ist, steht der reinen Selbstbestimmung am andern Ende der Skala gegen über. Prostitution ist nunmal weder rein dies, noch rein das. Es gilt das Recht auf Selbstbestimmung zu verteidigen gegen Menschenhändler und Zuhälter, ohne es auf der andern Seite abzusprechen. Da die meisten Prostituierten Frauen sind, neigen wir dazu feministische Standpunkte zu betrachten, aber es geht um die Wahrung der Freiheit und der Menschenrechte. Der Sklavenhandel und die Versklavung stehen dem Recht auf Selbstbestimmung gegenüber innerhalb der Prostitution. Und nicht nur dort. Es geht viel grundsätzlicher um die Fragen „In welch einer Welt wollen wir leben?“ als „Der richtige Umgang mit Prostitution….“ vermuten läßt. Und 1,5 Mio. Menschen entscheiden täglich mit ihren Ausgaben mit über das Maß der Freiheit/Unfreiheit, einfach weil es Prostitution in Deutschland gibt.

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